Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 05.05.2021, Az.: 9 W 58/21
Besorgnis der Befangenheit eines Richters wegen eines Hinweises auf möglicherweise lückenhaften Vortrag des Klägers; Rechtsfolgen von Mängeln der Nichtabhilfeentscheidung im Beschwerdeverfahren gegen die Zurückweisung eines Ablehnungsantrags; Streitwert des Ablehnungsverfahrens
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 05.05.2021
- Aktenzeichen
- 9 W 58/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 22185
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2021:0505.9W58.21.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 14.04.2021 - AZ: 19 O 272/20
Rechtsgrundlagen
- ZPO § 3
- ZPO § 42
- ZPO § 46
- ZPO § 139
- ZPO § 567
- ZPO § 572
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die ordnungsgemäße Durchführung des Abhilfeverfahrens ist - insbesondere im Beschwerdeverfahren wegen Richterablehnung - nicht Verfahrensvoraussetzung für die Beschwerdeentscheidung. Daher stehen auch grobe Verfahrensverstöße oder ein völliges Fehlen des Abhilfeverfahrens der Durchführung des Beschwerdeverfahrens und einer Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht stets entgegen (Anschluss BGH, Beschluss vom 15. Februar 2017 - XII ZB 462/16 -, juris Rn. 12 f.).
- 2.
Ein gerichtlicher Hinweis auf möglicherweise lückenhaften Vortrag des Klägers zu seiner Aktivlegitimation und/oder Prozessführungsbefugnis ist grundsätzlich nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit auf Seiten des Klägers zu begründen.
- 3.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren im Falle der Richterablehnung entspricht grundsätzlich dem Wert der Hauptsache.
Tenor:
- 1.
Die sofortige Beschwerde des Klägers vom 20. April 2021 gegen den sein Ablehnungsgesuch vom 23. März 2021 zurückweisenden Beschluss der 19. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 14. April 2021 wird zurückgewiesen.
- 2.
Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
- 3.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
- 4.
Gegenstandswert für die Beschwerde: Wertstufe bis € 13.000,-.
Gründe
I.
Der Kläger verfolgt in der Hauptsache vermeintliche Ansprüche aus einem Versicherungsverhältnis mit der Beklagten. Dem liegt die vom Kläger behauptete Entwendung eines Kraftfahrzeugs zu Grunde, die die Beklagte bestreitet.
Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 8. März 2021 (dort S. 2 = Bl. 43R d.A.) unter Verweis auf die als Anlage B 7 (im "Anlagenband Beklagter") vorgelegte Schadenanzeige des Klägers selbst vorgetragen hatte, der Kläger habe ihr gegenüber angegeben, dass betroffene Fahrzeug lediglich geleast zu haben, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 17. März 2021 (Bl. 47 f. d.A.) behauptet, das Fahrzeug sei über die ...Bank AG finanziert worden, und "höchst vorsorglich" eine Bestätigung der ... Inkasso-Dienst GmbH vom 18. Februar 2021 (Anlagenband "Kläger") vorgelegt, aus der sich nach seiner - des Klägers - Auffassung die Voraussetzungen einer Prozessstandschaft ergeben sollen.
Die zuständige Einzelrichterin hat daraufhin mit Beschluss vom 22. März 2021 (Bl. 49 f. d.A.), auf den Bezug genommen wird, dem Kläger aufgegeben, unter Vorlage entsprechender Unterlagen "substantiiert darzulegen, dass die ... Inkasso-Dienst GmbH berechtigt ist, den Kläger im Wege der Prozessstandschaft zu ermächtigen, die Forderung gegen die Beklagte geltend zu machen."
Dies hat der Kläger zum Anlass genommen, die zuständige Einzelrichterin mit Schriftsatz vom 23. März 2021 (Bl. 54 f. d.A.) wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, die Abgelehnte verkenne das "Prinzip der Parteiherrschaft". Die Beklagte habe "die Abtretungskette" nicht bestritten. Eine Obliegenheit des Klägers zur Vorlage entsprechender Nachweise bestehe daher nicht. Die mithin prozesswidrige Auflage vom 22. März 2021 löse daher "unter parteiobjektiven Maßstäben die Besorgnis der Befangenheit" aus.
Gegen den sein Ablehnungsgesuch zurückweisenden, ohne Mitwirkung der abgelehnten Richterin gefassten Beschluss der Kammer vom 14. April 2021 (Bl. 68 f. d.A.), auf den verwiesen wird, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 20. April 2021 (Bl. 79 f. d.A.) sofortige Beschwerde eingelegt, der das Landgericht mit lediglich durch eine Einzelrichterin gefasstem Beschluss vom 23. April 2021 (Bl. 81 f. d.A.) nicht abgeholfen hat.
II.
Die gemäß §§ 46 Abs. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.
1.) Der Senat kann, obwohl das Abhilfeverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, unmittelbar selbst entscheiden.
a) Gemäß § 572 Abs. 1 ZPO hat das Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, der Beschwerde, wenn es sie für begründet erachtet, abzuhelfen bzw. sie anderenfalls dem Beschwerdegericht vorzulegen. Unter "Gericht" in diesem Sinne ist der Spruchkörper zu verstehen, der die angefochtene Entscheidung erlassen hat (vgl. nur Zöller/Heßler, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 572 Rn. 9a m.w.N.; Musielak/Voit/Ball, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 572 Rn. 3). Die Kammer hätte daher in voller (Vertreter-) Besetzung und nicht, wie geschehen, durch eine Einzelrichterin über die (Nicht-) Abhilfe entscheiden müssen.
b) Dennoch macht der Senat von der Möglichkeit, das Verfahren zur Herbeiführung einer ordnungsgemäßen Abhilfeentscheidung an das Landgericht zurückzugeben, keinen Gebrauch. Die ordnungsgemäße Durchführung des Abhilfeverfahrens ist nämlich nicht Verfahrensvoraussetzung für das Beschwerdeverfahren, sondern soll im Wesentlichen der Entlastung des Beschwerdegerichts dienen (vgl. Zöller/Heßler, a.a.O., § 572 Rn. 4 m.w.N.; Saenger/Koch, ZPO, 8. Aufl. 2019, § 572 Rn. 7). Auch grobe Verfahrensverstöße oder ein völliges Fehlen des Abhilfeverfahrens stehen der Durchführung des Beschwerdeverfahrens vor dem Beschwerdegericht daher nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Februar 2017 - XII ZB 462/16 -, juris Rn. 13; OLG Köln, Beschluss vom 10. Dezember 2014 - 6 W 187/14 -, juris Rn. 6).
2.) Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Darunter sind Gründe zu verstehen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Nicht erforderlich ist, dass der Richter tatsächlich befangen ist; unerheblich ist, ob er sich für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die nach Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 42 Rn. 8 f. m.w.N.).
Derartige Gründe sind im Streitfall nicht ansatzweise zu erkennen.
a) Entgegen der mit Schriftsatz vom 3. Mai 2021 geäußerten Auffassung des Klägers ist spätestens mit dem Verweis der Beklagten auf die eigenen Angaben des Klägers in dessen Schadenanzeige (Anlage B 7, dort S. 5), in der der Kläger selbst durch Ankreuzen erklärt hat, das Fahrzeug sei geleast, die Aktivlegitimation des Klägers streitig geworden. Das hat offenbar auch der Kläger selbst so gesehen und daher mit Schriftsatz vom 17. März 2021 (Bl. 47 f. d.A.) dazu bzw. zum Vorliegen der Voraussetzungen einer gewillkürten Prozessstandschaft vorgetragen. Dass die abgelehnte Richterin mit ihrem Beschluss vom 22. März 2021 darauf hingewiesen hat, dass und warum dieser Vortrag möglicherweise unzureichend ist, ist nicht geeignet, Misstrauen gegen ihre Unparteilichkeit zu begründen, sondern erfolgte in ermessensgerechter Ausübung ihrer Pflicht zur materiellen Prozessleitung (§ 139 Abs. 1 ZPO) und ihrer Hinweispflicht (§ 139 Abs. 2 ZPO).
b) Des Weiteren ist das Verhalten der Abgelehnten schon deshalb nicht geeignet, die Besorgnis zu begründen, sie stünde dem Kläger nicht unvoreingenommen gegenüber, weil sich die erteilten Hinweise und Auflagen auf mögliche Lücken im Vortrag des Klägers selbst beziehen und diesem Gelegenheit geben, diese im eigenen Interesse zu schließen. Das Verhalten der Richterin kann sich daher objektiv allenfalls zu Gunsten des Klägers auswirken. Anhaltspunkte für eine Benachteiligungsabsicht sind daher weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren im Falle der Richterablehnung folgt nach herrschender Ansicht (Zöller/Herget, a.a.O., § 3 Rn. 16.6) und ständiger Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 11. Mai 2009 - 9 W 44/09 -, juris; Beschluss vom 23. November 2009 - 9 W 112/09 -, juris) dem Wert der Hauptsache.