Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 12.05.2021, Az.: 5 U 85/20

Anspruch eines Vaters auf Schmerzensgeld wegen einer psychischen Erkrankung nach mehrfacher Vergewaltigung seiner Tochter durch den Beklagten

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
12.05.2021
Aktenzeichen
5 U 85/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 70178
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 28.07.2020 - AZ: 2 O 15/19

In dem Rechtsstreit
J. T., ...
Beklagter und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Dr. B., ...,
Geschäftszeichen: ...
gegen
T. P., ...,
Kläger und Berufungsbeklagter,
Prozessbevollmächtigte:
Kanzlei a. S., ...,
Geschäftszeichen: ...
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 21. April 2021 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 28. Juli 2020 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Vertrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger macht gegen den Beklagten einen Anspruch auf Schmerzensgeld wegen einer psychischen Erkrankung geltend.

Die Tochter des Klägers, F. P., wurde im Alter von fünf und sechs Jahren von dem Beklagten sexuell missbraucht. Der Beklagte wurde deswegen durch Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 17.06.2016 (Az: 31 KLs 1303 Js 5522/15 (7/16) u.a. wegen sexuellen Missbrauchs der F. P. in 10 Fällen rechtskräftig verurteilt. Wegen der Feststellungen der Strafkammer zum Tatgeschehen wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils (Bl. 6 Bd. I d.A.) verwiesen.

Der Kläger behauptet, er habe eine tiefgreifende reaktive depressive Verstimmung erlitten, nachdem er von den Vorfällen Kenntnis erlangt habe. Er habe diese bei einer Psychologin mittels einer Hypnosetherapie behandeln lassen. Während der Dauer der Ermittlungen und des gerichtlichen Verfahrens sei der Kläger vom 09.06.2015 bis zum 05.08.2016 arbeitsunfähig gewesen. Er sei in dieser Zeit gedanklich immer mit dem Geschehen um seine Tochter beschäftigt gewesen und sei deshalb in seiner Konzentrations- und Antriebsfähigkeit ganz erheblich eingeschränkt gewesen. Eine Stabilisierung seiner psychischen Verfassung habe sich erst mit Abschluss des Verfahrens langsam einstellen können. An die Krankschreibung habe sich eine sechswöchige Wiedereingliederung angeschlossen. Die erlittene Beeinträchtigung, die auf der Kenntniserlangung der Taten des Beklagten zum Nachteil der Tochter des Klägers beruhe, gehe nach Art und Schwere deutlich über das hinaus, was Angehörige in derartigen Fällen erfahrungsgemäß als Beeinträchtigung erleiden.

Der Beklagte tritt dem Anspruch entgegen und bestreitet, dass der Kläger selbst durch die dem Beklagten zur Last gelegten Taten psychisch beeinträchtigt wurde. Der Kläger und seine Frau ließen sich - was unstreitig ist - für eine Presseveröffentlichung der Bild-Zeitung freiwillig ablichten. Ein solches Verhalten sei mit der behaupteten psychischen Erkrankung nicht zu vereinbaren. Die Tochter des Klägers habe aus dem in Rede stehenden Geschehen keine eigene Belastung erlitten. Der Beklagte ist der Ansicht, die Schutzwirkung der Rechtsprechung für mittelbar Geschädigte greife für den Kläger in der vorliegenden Konstellation nicht.

Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen gem. § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat den Beklagten nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. F., dessen mündlicher Erläuterung seines Gutachtens und nach persönlicher Anhörung des Klägers zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 4.000,00 € verurteilt und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe durch die vom Beklagten begangenen Missbrauchstaten zu Lasten seiner Tochter eine pathologisch fassbare Gesundheitsbeeinträchtigung erlitten.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft. Eine Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers sei nicht gegeben. Der Nachweis einer eigenen Verletzung des Klägers sei diesem nicht gelungen. Die Feststellungen des Sachverständigen würden allein auf den - von Seiten des Beklagten bestrittenen - Angaben des Klägers beruhen. Es sei offengeblieben, ob die vom Kläger behaupteten psychischen Beeinträchtigungen nicht bereits auf den tragischen Verlust der Mutter in der Kindheit des Klägers zurückzuführen seien.

Der Beklagte beantragt,

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auch der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Eine traumatisch bedingte psychische Störung von Krankheitswert sei beim Kläger gegeben. Der Kläger sei mit seinem Leben gut zurechtgekommen, bis ihn das Bekanntwerden des Missbrauchs seiner Tochter aus der Bahn geworfen habe. Der Sachverständige im Strafverfahren habe F. jeweils nur für kurze Zeit bei deren audio-visueller Vernehmung gesehen. Es sei nicht auszuschließen, dass eine gesundheitliche Beeinträchtigung bei ihr erst zu einem deutlich späteren Zeitpunkt eintrete.

II.

Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg.

1. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld gemäß §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB.

a) Der Kläger hat eine Anpassungsstörung und damit eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB erlitten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann auch eine durch ein haftungsbegründendes Ereignis ausgelöste, traumatisch bedingte psychische Störung von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB darstellen. Eine Schadensersatzpflicht für die psychische Auswirkung einer Verletzungshandlung setzt danach nicht voraus, dass hierfür eine organische Ursache besteht (BGH, Urteil vom 21.05.2019, Az: VI ZR 299/17, Rn. 7, zit. nach juris). Das Landgericht hat die Anpassungsstörung des Klägers nach ICD-10F 43.2 als Feststellung des Sachverständigen Dr. F. rechtsfehlerfrei seiner Entscheidung zugrunde gelegt.

Nach § 286 Satz 1 ZPO entscheidet das erstinstanzliche Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder unwahr zu erachten ist. Nach der ZPO-Reform ist die Berufungsinstanz nicht mehr Wiederholung der erstinstanzlichen Tatsacheninstanz, sondern dient der Fehlerkontrolle und -beseitigung. Deshalb bestimmt § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, dass das Berufungsgericht an die vom erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden ist, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachen begründen. Konkrete Anhaltspunkte im vorgenannten Sinn können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, wenn etwa die Beweiswürdigung nicht den von der Rechtsprechung zu § 286 ZPO entwickelten Grundsätzen genügt. Dies ist der Fall, wenn das Gericht die von einer Partei unter Beweis gestellten Behauptungen nicht berücksichtigt oder die Beweiswürdigung in sich widersprüchlich ist oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt. Eine erneute Tatsachenfeststellung ist darüber hinaus geboten, wenn sich das Berufungsgericht aufgrund konkreter Anhaltspunkte von der Richtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung nicht zu überzeugen vermag, weil es die durchgeführte Beweisaufnahme anders wertet (BGHZ 158, 269; 162, 313).

Gemessen daran ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden. Gegen die Feststellungen des Sachverständigen Dr. F. hat die Beklagte erhebliche Einwendungen nicht erhoben. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 02.12.2019 (Bl. 95 d.A.) dargelegt, dass eine Beeinträchtigung von Krankheitswert im Sinne der beschriebenen Anpassungsstörung unter Einbeziehung der eigenanamnestisch gemachten Angaben durchaus nachvollziehbar sei. Im Rahmen der Erläuterung seines Gutachtens in der mündlichen Verhandlung vom 07.07.2020 hat der Sachverständige darüber hinaus erläutert, dass eine durch den Missbrauch der Tochter ausgelöste Anpassungsstörung durch einen dysfunktionalen Umgang mit der Belastung einen deutlich gegenüber einer üblichen Anpassungsstörung verlängerten Zeitverlauf hat (Bl. 184 d.A.).

Entgegen der Auffassung des Beklagten bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit der getroffenen Feststellungen nur deswegen, weil der Sachverständige seine Feststellungen vorrangig auf der Grundlage der Angaben des Klägers getroffen hat, der Beklagte diese Angaben jedoch bestritten hat. Das Bestreiten des Todes der Mutter und die Umstände dazu hat der Beklagten nach Vorlage der Sterbeurkunde nicht weiter aufrechterhalten. Soweit der Beklagte bestritten hat, dass der Kläger über einen Zeitraum von 14 Monaten arbeitsunfähig war, war dieses einfache Bestreiten vor dem Hintergrund der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 30.06.2016 (Anlage K2, Bl. 16 d.A., der ärztlichen Stellungnahme vom 25.10.2016 (Anlage K3, Bl. 17 d.A.), der Genehmigung von Diensterleichterungen vom 13.07.2016 (Anlage K5, Bl. 19 d.A.) und des Schreibens des Hausarztes des Klägers vom 28.11.2019 (Bl. 114 d.A.) nicht zu berücksichtigen.

Daneben hat das Landgericht erkannt, dass die Tatsachengrundlage für den Sachverständigen primär die subjektiven Angaben des Klägers waren, und hat sich damit im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich auseinandergesetzt. Es hat ferner auch die persönlichen Angaben des Klägers im Rahmen seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 7. Juli 2020 als nachvollziehbar und authentisch bewertet. Insoweit gilt generell, dass die Erklärung einer Partei als Inhalt der Verhandlung im Sinne des § 286 ZPO in die richterliche Überzeugungsbildung eingeht und Einfluss auf die Sachverhaltsfeststellung haben kann; auch kann das Gericht seine Überzeugungsbildung unter Umständen auch allein auf die Angaben einer Partei stützen (vgl. nur Greger, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 141 Rn. 1a; BGH, Beschluss vom 24. Juni 2003 - VI ZR 327/02 -, juris Rn.9). Insoweit erachtet der Senat die Feststellungen des Landgerichts als typisches Ergebnis einer tatrichterlichen Beweisaufnahme, die nicht schon deswegen eine Wiederholung gebietet, weil ein anderes Ergebnis lediglich denkbar erscheint.

b) Die für die Verwirklichung des Tatbestandes § 823 Abs. 1 BGB erforderliche Verletzungshandlung ist mit dem Missbrauch der Tochter des Klägers gegeben. Dabei ist bereits fraglich, ob der Beklagte die Missbrauchstaten überhaupt bestreitet. Sofern man davon ausgeht, dass der Beklagte diese Taten bestreitet, genügt dieses Bestreiten jedenfalls nicht den Grundsätzen, die an ein substantiiertes Bestreiten zu stellen sind (vgl. BGH, Urteil vom 04.04.2014, Az: V ZR 275/12, Rn. 11, zit. nach juris). Angesichts des detaillierten Vortrags des Klägers zu den einzelnen Taten hätte es dem Beklagten nunmehr oblegen, konkret darzulegen, von welchem Sachverhalt er ausgeht, zumal nach der Begründung des Strafurteils die Feststellungen dort auf dem Geständnis des Beklagten beruhen.

c) Das Landgericht hat zutreffend festgestellt, dass der Missbrauch der Tochter kausal im Sinne einer "conditio sine qua non" für die Beeinträchtigung des Klägers war.

aa) Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger und seine Frau sich im Laufe des Ermittlungs-/Gerichtsverfahrens vor dem L. Rathaus ablichten und die Ablichtung in der Presse veröffentlichen lassen haben. Unstreitig handelte es sich um einen einmaligen Auftritt des Klägers in der Öffentlichkeit. Diesen schon erstinstanzlich gehaltenen Sachvortrag hat das Landgericht erkannt, ohne dass darin Widersprüche zu der vom Kläger behaupteten und zur Überzeugung des Landgerichts festgestellten psychischen Beeinträchtigung zu sehen wären.

bb) Ebenfalls unbeachtlich für die äquivalente Kausalität ist, dass nach den Feststellungen des ihrer Vernehmung hinzugezogenen Sachverständigen Professor Dr. H. bei der Tochter F. selbst keine psychische Belastung durch die Ereignisse erkennbar war und seiner Einschätzung nach diesbezügliche Maßnahmen nicht umzusetzen gewesen seien. Der Kläger macht vorliegend einen eigenen Anspruch wegen einer ihm persönlich entstandenen Beeinträchtigung geltend. Ein Anspruch des unmittelbar durch die Verletzungshandlung des Schädigers Geschädigten ist jedoch für die Geltendmachung des Schockschadens nicht erforderlich. Aus Wertungsgründen sollen dem Schädiger nicht nur die Verletzung des Rechtsgutes des unmittelbar Geschädigten, sondern auch psychische Beeinträchtigungen eines Dritten, des Schockgeschädigten, die den Tatbestand der Gesundheitsverletzung erfüllen, als psychisch vermittelter "Fernwirkungsschaden" zugerechnet werden. Folge der Zurechnung ist nicht etwa eine Ausdehnung der Haftung gegenüber dem unmittelbar Geschädigten, sondern ein eigenständiger Anspruch des Schockgeschädigten (vgl. BeckOGK/Brand, 01.02.2021, BGB, § 249 Rn. 235, zit. nach beck-online).

cc) Die streitgegenständliche Beeinträchtigung des Klägers ist auf den Missbrauch seiner Tochter und nicht auf sonstige Ereignisse in seiner Vergangenheit, wie den Tod seiner Mutter, zurückzuführen. Dies hat das Landgericht in nicht zu beanstandender Weise nach Würdigung des Gutachtens des Sachverständigen Dr. F. festgestellt. Auch insoweit bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen des Landgerichts. Der Sachverständige hat die Angaben des Klägers als authentisch eingeschätzt. Diese Einschätzung konnte er nachvollziehbar begründen, unter anderem damit, dass ihm die Vergangenheit des Klägers, nämlich der Tod der Mutter und die Umstände ihres Todes bekannt waren, punktuell bekannt war und die Darstellung seines Lebens im Übrigen stimmig war. Dabei hat der Sachverständige auch dargestellt, anhand welcher Merkmale er die Angaben des Klägers als authentisch beurteilt hat.

Ferner steht der Haftung des Beklagten nicht entgegen, dass nach den Feststellungen des Sachverständigen der Kläger aufgrund seiner Vorgeschichte mit der erlittenen Belastung dysfunktional umgegangen ist und es möglich ist, dass die Anpassungsstörung deshalb einen deutlich längeren Zeitverlauf hatte. Der Grundsatz, dass eine besondere Schadensanfälligkeit des Verletzten dem Schädiger haftungsrechtlich zuzurechnen ist, gilt grundsätzlich auch für psychische Schäden, die regelmäßig aus einer besonderen seelischen Labilität des Betroffenen erwachsen (BGH, Urteil vom 30.04.1996, Az: VI ZR 55/95, Rn. 18, zit. nach juris). Zwar können sich ebenso wie im Bereich körperlicher Schäden Grenzen der Zurechenbarkeit in Extremfällen ergeben, so dass eine Haftungsbegrenzung in Fällen extremer Schadensdisposition auch bei psychisch bedingten Schäden eintreten kann. Das ist freilich nur dann der Fall, wenn das schädigende Ereignis ganz geringfügig ist (Bagatelle) und nicht gerade speziell die Schadensanlage des Verletzten trifft und deshalb die psychische Reaktion im konkreten Fall, weil in einem groben Missverhältnis zu dem Anlass stehend, (schlechterdings) nicht mehr verständlich ist (vgl. BGH, Urteil vom 30.04.1996, Az: VI ZR 55/95, Rn. 21, zit. nach juris). Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das Landgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beschwerden, an denen der Kläger leidet, dem Beklagten haftungsrechtlich zuzurechnen sind. Denn es handelt sich bei der Beeinträchtigung weder um eine Bagatelle noch trifft das schädigende Ereignis nicht gerade speziell die Schadensanlage des Verletzten. Nach den Feststellungen des Sachverständigen ist es möglich, dass die Anpassungsstörung aufgrund der Vorgeschichte länger als üblich angedauert hat, von einem groben Missverhältnis ist indes nicht auszugehen.

d) Die psychische Gesundheitsverletzung des Klägers ist auch im Übrigen eine dem Beklagten zurechenbare Folge seiner deliktischen Pflichtverletzung. Entgegen der Auffassung des Beklagten hat das Landgericht die Grundsätze der Haftung für "Schockschäden" nicht unangemessen ausgeweitet. Die Entscheidung fügt sich vielmehr ein in die Vorgaben, die in der Rechtsprechung für die Anerkennung einer seelischen Beeinträchtigung als Gesundheitsschaden eines Angehörigen als mittelbar Betroffenem und für die weitere Eingrenzung der Zurechnung entwickelt worden sind. Dass die unmittelbar von der Straftat betroffene Tochter des Klägers keine unmittelbar erkennbaren schweren körperlichen oder psychischen Schäden davongetragen hat, erachtet der Senat nicht als Grund, die Gesundheitsbeeinträchtigung des Klägers selbst nicht als haftungsrelevant verständliche und nachvollziehbare Reaktion auf die Straftaten anzusehen.

Im Einzelnen:

aa) Die festgestellte Gesundheitsbeeinträchtigung des Klägers genügt auch den in der Rechtsprechung entwickelten höheren Anforderungen an die Annahme einer Gesundheitsverletzung als Verletzung eines absoluten Rechts i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB im Bereich der sog. "Schockschäden".

Danach begründen seelische Erschütterungen wie Trauer oder seelischer Schmerz, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines Angehörigen erfahrungsgemäß ausgesetzt sind, auch dann nicht ohne weiteres eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB, wenn sie von Störungen der physiologischen Abläufe begleitet werden und für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant sind. Denn die Anerkennung solcher Beeinträchtigungen als Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB widerspräche der Absicht des Gesetzgebers, die Deliktshaftung gerade in § 823 Abs. 1 BGB sowohl nach den Schutzgütern als auch nach den durch sie gesetzten Verhaltenspflichten auf klar umrissene Tatbestände zu beschränken und Beeinträchtigungen, die allein auf die Verletzung eines Rechtsgutes bei einem Dritten zurückzuführen sind, mit Ausnahme der §§ 844, 845 BGB ersatzlos zu lassen. Psychische Beeinträchtigungen können in diesen Fällen deshalb nur dann als Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB angesehen werden, wenn sie pathologisch fassbar sind und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind (BGH, Urteil vom 21.05.2019, Az: VI ZR 299/17, juris Rn. 7 mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).

Diese Schwelle sieht der Senat beim Kläger nach den Feststellungen des Landgerichts auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen Dr. F. als überschritten an. Danach erlitt der Kläger zeitlich einhergehend mit Bekanntwerden der Straftaten zum Nachteil seiner Tochter eine Anpassungsstörung im Sinne von ICD-10: F.43.2 mit einer depressiven Symptomatik, Angst und Besorgnis, Einschränkung der Bewältigung der alltäglichen Routinen, verbunden mit einem Rückzug von Sozialkontakten, über einen Zeitraum von über einem Jahr und war deswegen - aus Sicht des Sachverständigen nachvollziehbar - von Juni 2015 bis August 2016 arbeitsunfähig erkrankt. Es handelt sich um ein medizinisch relevantes Krankheitsbild, das insbesondere über die Beeinträchtigung hinausgeht, denen Angehörige in vergleichbaren Situationen erfahrungsgemäß ausgesetzt sind. Hierzu hat der Sachverständige (dem vom Landgericht gerade auch die Abweichung von der "üblichen Beeinträchtigung" als Beweisfrage gestellt wurde) festgestellt, dass sich beim üblichen Verlauf einer Anpassungsstörung eine Besserung der Symptomatik oft rasch einstelle, bei einer Subgruppe von unter 20 % aber ein chronischer Verlaufstyp festgestellt werden müsse. Selbst unter der Annahme, dass eine "übliche" Anpassungsstörung im Sinne von ICD-10: F.43.2 noch als erwartbare und deliktsrechtlich hinzunehmende Reaktion auf eine gravierende Straftat zum Nachteil von engen Angehörigen angesehen werden könnte, litt der Kläger deswegen an einer aggravierten, nicht mehr "üblichen" Form.

Soweit der Sachverständige die Gesundheitsbeeinträchtigung des Klägers und gerade deren Verlauf zumindest auch auf dessen psychische Prädisposition zurückgeführt hat (vgl. o.lit. c.cc.), ist dies auch unter den besonderen einschränkenden Voraussetzungen für die Haftung für "Schockschäden" irrelevant. Denn nach den Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH, a.a.O.; BGH, Urteil v. 10.2.2015 - VI ZR 8/14 juris;: Urt. v. 27.01.2015 - VI ZR 548/12, juris) ist zwar ein Vergleich der im konkreten Fall eingetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigung mit einer "Regelbeeinträchtigung" für die Annahme einer Rechtsgutsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB vorzunehmen, es wird jedoch nicht eine besonders "stabile" psychische Konstitution erwartet, damit - entgegen den üblicherweise geltenden Kriterien der Schadenszurechnung bei einer schadensgeneigten Konstitution des Geschädigten (vgl. o.) - von einer haftungsrelevanten Gesundheitsbeeinträchtigung ausgegangen werden kann.

Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch bei Zugrundelegung der früher formulierten Voraussetzung, im Bereich der Schockschäden sei eine Beschränkung auf solche Beeinträchtigungen erforderlich, die nicht nur in medizinischer Sicht, sondern auch nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als Verletzung des Körpers oder der Gesundheit betrachtet werden (BGH, Urteil vom 11. Mai 1971 - VI ZR 78/70 -, BGHZ 56, 163-173, Rn. 8), im konkreten Fall von einer Gesundheitsverletzung auszugehen ist. Denn angesichts der heutzutage nicht nur unter Fachmedizinern, sondern auch in der Bevölkerung geführten Diskussion über psychische Erkrankungen und deren Ursachen ist davon auszugehen, dass eine Anpassungsstörung mit einer depressiven Symptomatik, die zu einer Krankschreibung von über einem Jahr geführt hat, auch nach allgemeiner Verkehrsauffassung als Verletzung der Gesundheit anzusehen ist.

bb) Der Kläger als Vater des Opfers ist naher Angehöriger und damit berechtigter Anspruchssteller im Sinne der geforderten besonderen personalen Beziehung zwischen unmittelbar Geschädigtem und mittelbar psychisch Verletztem (BGH, Urt. v. 20.03.2012 - VI ZR 114/11, juris Rn. 8; BGH, Urteil vom 22.05.2007, VI ZR 17/06, juris Rn. 17; BeckOGK/Brand, BGB, § 249 Rn. 236).

cc) Schließlich sieht der Senat in den Straftaten des Beklagten zum Nachteil der Tochter des Klägers einen für die deliktische Haftung ausreichenden Anlass, der insbesondere die Schwelle überschreitet, die als allgemeines Lebensrisiko in jedem Fall hinzunehmen ist.

Insoweit ist anerkannt, dass auch im Bereich der Haftung für "Schockschäden" die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der verletzten Norm begrenzt wird (BGH Urteil vom 21.05.2019, Az: VI ZR 299/17, juris Rn. 11). Auch wenn dieses Zurechnungskriterium für Schockschäden nur eingeschränkt anwendbar ist, weil die verletzte Verhaltensnorm in der Regel gerade dem Schutz des unmittelbar Verletzten dient - dies gilt für die klassischen "Unfall"-Schockschäden gleichermaßen wie für die Haftung wegen Behandlungsfehlern zum Nachteil von Angehörigen und gerade auch wegen Straftaten zum Nachteil von Angehörigen -, so ist doch anerkannt, dass sich der Schaden des psychisch Verletzten nicht lediglich als Folge des allgemeinen Lebensrisikos darstellen darf.

Während in der früheren Rechtsprechung die Haftung für psychische Beeinträchtigungen deswegen beschränkt war auf Fälle des Miterlebens des Unfalltods naher Angehöriger (vgl. BGH, Urteil vom 27.01.2015, Az.: VI ZR 548/12, Rn. 10, zit. nach juris) oder der Benachrichtigung vom tödlichen Unfall eines Angehörigen (BGH, Urteil vom 11.05.1971, Az: VI ZR 78/70, Rn. 7, zit. nach juris), war die Rechtsprechung gerade bei Straftaten zum Nachteil von Angehörigen zurückhaltend (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 17.10.2000, Az: 3 U 131/00, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 20.01.2003, Az: 6 W 45/02, zit. bei Bischoff, MDR 2004, 557; für eine Haftung in einem vergleichbaren Fall LG Bonn, Urteil vom 04.03.2008, Az: 3 O 334/06, juris).

Die ursprüngliche Einschränkung gerade auf ein plötzliches Unfallereignis hat eine Erweiterung erfahren auf Fälle, in denen infolge einer Pflichtverletzung ein Angehöriger durch ärztliche Fehlbehandlung schwer geschädigt wurde und sich die psychische Beeinträchtigung nicht durch einen momentanen "Impuls", sondern durch die Begleitung des Angehörigen entwickelt hat (BGH, Urteil vom 21. Mai 2019 - VI ZR 299/17 -, juris m.w.N.; bereits früher OLG Frankfurt, Urteil vom 15.12.1998, Az: 8 U 137/98, juris Rn. 47f.).

Vor diesem Hintergrund erachtet es der Senat erst Recht als gerechtfertigt, die Kenntnisnahme von einer vorsätzlichen Straftat des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil der - bei Tatbegehung - fünf und sechs Jahre alten Tochter des Klägers und die Begleitung des Kindes während des laufenden Strafverfahrens als haftungsrechtlich hinreichenden und verständlichen Anlass für eine psychische Gesundheitsverletzung anzusehen. Es gibt keinen Grund, denjenigen, der eine psychische Gesundheitsverletzung infolge einer Straftat zu Lasten eines nahen Angehörigen erleidet, anders zu behandeln als denjenigen, der die psychische Gesundheitsverletzung infolge einer auf einem Unfallereignis oder einem Behandlungsfehler beruhenden Schädigung des Angehörigen trifft.

Es liegt vielmehr nahe, dass auch die mittelbar betroffenen Angehörigen nach Erlangung der Kenntnis von diesen Straftaten in ihrer Gesundheit beeinträchtigt werden können (vgl. auch Bischoff, MDR 2004, 557 ff.,).

Letztlich sieht der Senat den Zurechnungszusammenhang nicht deswegen als unterbrochen an, weil die unmittelbar von der Straftat betroffene Tochter des Klägers jedenfalls bis heute keine erheblichen psychischen Folgen des Tatgeschehens erlitten hat. So hat der das Ermittlungsverfahren begleitende Aussagepsychologe Prof. Dr. H. in seinem Begleitvermerk zur Vernehmung der Tochter des Klägers vom 7. Mai 2015 zwar festgehalten: "Eine psychische Belastung der F. P. durch die geschilderten mutmaßlichen Ereignisse war nicht erkennbar, so dass in dieser Hinsicht besondere Maßnahmen (Kinderschutzbund o.ä.) nach Ansicht des Sachverständigen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erforderlich zu sein scheinen" (Bl. 208 Bd. 1 der beigezogenen Akte 1303 Js 5522/15, StA Lüneburg). Auf diese - erkennbare - Momentaufnahme zum Zustand der Tochter des Klägers kommt es jedoch nicht maßgeblich an. Es ist nicht ungewöhnlich, dass kleinere Kinder Sexualstraftaten zu ihrem Nachteil, wenn sie nicht mit Gewalteinwirkung oder Schmerzen verbunden sind, zunächst nicht als erhebliche Zäsur wahrnehmen und wiedergeben. Maßgeblich ist vielmehr die verständliche Reaktion des Klägers auf das Geschehen, das er in seiner Anhörung vor dem Landgericht (Prot. zur mündlichen Verhandlung vom 7. Juli 2020, Bl. 185 Bd. I d.A.) unter anderem dahingehend beschrieben hat, dass er Angst um seine Tochter gehabt habe, weil er (und seine Ehefrau) ja nicht gewusst habe, was mit ihr geschehen war. Es seien nachträglich Bilder aufgetaucht, immer weitere Erkenntnisse, der Verdacht, dass der Beklagte bei einem Kind auch mit dem Finger eingedrungen sei; man habe nie gewusst, "was noch alles geschehen sein könnte mit der eigenen Tochter."

Diese Beschreibung, die das Landgericht als glaubhaft erachtet hat, gibt typisch die nachvollziehbaren - und in der Person des Klägers psychisch nicht mehr kontrollierbaren - Ängste von Eltern um ihre Kinder wieder. Es zählt nicht zum allgemeinen Lebensrisiko, die Angst um das eigene Kind aus Anlass einer (nachgewiesenen) Sexualstraftat zum Nachteil des Kindes auszustehen.

d) Die Entscheidung des Landgerichts ist auch zur Höhe nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat das erstinstanzliche Schmerzensgeld auf der Grundlage der nach § 529 ZPO maßgeblichen Tatsachen gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO zwar in vollem Umfang darauf zu überprüfen, ob es überzeugt. Bei der Bemessung der Höhe eines dem Verletzten zustehenden Schmerzensgeldes sind die Schwere der erlittenen Verletzungen, das hierdurch bedingte Leiden, dessen Dauer, die subjektive Wahrnehmung der Beeinträchtigungen für den Verletzten und das Ausmaß des Verschuldens des Schädigers maßgeblich (BGH, Urteil vom 12. Mai 1998, VI ZR 182/97, Rn. 13, zitiert nach juris). Danach ist das vom Landgericht ausgeurteilte Schmerzensgeld nicht korrekturbedürftig.

Die Schmerzensgeldhöhe ist in einer wertenden Gesamtschau aller Bemessungskriterien des konkreten Falls zu ermitteln, wobei die in vergleichbaren Fällen zugesprochenen Schmerzensgelder einen gewissen Anhaltspunkt bieten können, ohne jedoch zwingend zu einer bestimmten "richtigen" Schmerzensgeldhöhe zu führen (OLG Saarbrücken, Urteil vom 31.01.2013, Az: 4 U 349/11-110, zit. nach beck-online). Unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs der Beeinträchtigungen, der Heilbehandlungsmaßnahmen einerseits und des (einmaligen) Auftritts des Klägers in der Presse andererseits erscheint ein Schmerzensgeld von 4.000,00 € angemessen. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat das Landgericht zutreffend nicht berücksichtigt, dass der Kläger eine nicht geeignete Therapieform gewählt hat und nach den Feststellungen des Sachverständigen offengeblieben ist, ob bei dem Einsatz fundierter psychotherapeutischer und psychopharmakologischer Therapiemethoden eine zügigere Symptomremission möglich gewesen wäre.

2. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280, 286, 288 BGB.

3. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nach §§ 823 Abs. 1, 249 Abs. 2 BGB nebst Zinsen gemäß §§ 291, 288 BGB.

III.

1. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

2. Der Senat lässt die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Ziff. 1, Ziff. 2 ZPO zu. Soweit ersichtlich, ist bislang keine höchstrichterliche Entscheidung über Schmerzensgeldansprüche von Angehörigen kindlicher Opfer einer Straftat, bei denen das Tatopfer selbst unmittelbar keine schweren Folgen erlitten hat, ergangen. Der Senat setzt sich jedenfalls in Widerspruch zum Urteil des OLG Koblenz vom 17.10.2000, Az: 3 U 131/00, juris.