Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 26.06.2000, Az.: 8 V 664/99

Antragsbefugnis der atypisch stillen Gesellschaft im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
26.06.2000
Aktenzeichen
8 V 664/99
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 14430
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2000:0626.8V664.99.0A

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Beschwerde wird zugelassen.

Tatbestand

1

I.

Die Antragstellerin begehrt die Unterlassung bzw. Korrektur von Mitteilungen des Antragsgegners an andere Finanzämter.

2

Die Antragstellerin ist ein als atypisch stille Gesellschaft ausgestaltetes Unternehmenssegment der S... AG (S-AG), die intern in acht Unternehmenssegmente eingeteilt und deren Unternehmensgegenstand vorwiegend die Gewährung von typischen und atypischen stillen Beteiligungen zwecks Kapitalbeschaffung ist.

3

Nach der Konzeption des Beteiligungsmodells wird den Anlegern nur im ersten Jahr der Beteiligung ein Verlust zugewiesen, in den Folgejahren werden den Gesellschaftern Gewinne in Aussicht gestellt. Die Beteiligung besteht mindestens über 12 bzw. 15 Jahre und kann, sofern nicht ein wichtiger Grund vorliegt, erstmals nach Ablauf der gewählten Beteiligungsdauer zum Ende des Geschäftsjahres gekündigt werden (§§ 2, 14 Atypisch stiller Gesellschaftsvertrag mit Einmaleinlage (EK 1 bzw. EK 7) und/oder Rateneinlage (EK 8 bzw. Atypisch stiller Gesellschaftsvertrag mit jährlichen und monatlichen Rateneinlagen (EK 37/38) - GV -). Die vorzeitige Kündigung ist erstmals nach vierjähriger Beteiligungsdauer möglich (§ 16 GV).

4

Die Beteiligung kann durch Einmaleinlage, Rateneinlage oder eine Kombination aus beidem erfolgen. Für die Beteiligung gibt es in den Folgejahren im Wesentlichen - in verschiedenen Varianten - zwei Möglichkeiten. Die atypisch stillen Gesellschafter können in den Folgejahren jeweils erneut weitere, von der S-AG vermittelte, atypisch stille Beteiligungen erwerben oder ihre Beteiligung auf das Segment der Antragstellerin beschränken. Beim Erwerb neuer Beteiligungen bekommen sie Verluste, die in jedem Fall zu Beginn der Geschäftsaufnahme in den neuen Gesellschaften entstehen, in Höhe ihrer geleisteten Einlage zugewiesen.

5

Im Fall der von der S-AG bevorzugt angebotenen Beteiligungsform der Rateneinlage verbunden mit dem Erwerb weiterer Beteiligungen können die Anleger bei Erwerb der neuen Beteiligungen die Zahlung der ausstehenden Einlage auf diese neu geschaffenen Beteiligungen erbringen. In diesem Fall werden den Anlegern die ausstehenden Raten auf die vertraglich vereinbarte Beteiligungssumme an der Beteiligung der Antragstellerin erlassen (§ 6 GV). Die Anleger können ebenfalls (fakultativ) eine jährliche Entnahme in Höhe von 7,5 % ihrer Einlage beanspruchen, die je nach der Art des gewählten Vertrages entweder ausgezahlt oder durch Einlage in weitere neu gegründete (atypisch-) stille Gesellschaften wiederangelegt wird. Bei Rateneinlageverträgen ist die Entnahme grundsätzlich nur in Verbindung mit einer entsprechenden Wiederanlage möglich (§ 12 GV).

6

Die S-AG ist von den Anlegern zur Abgabe bzw. Durchführung aller Erklärungen und Maßnahmen, die im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Feststellung der Besteuerungsgrundlagen im Namen des stillen Gesellschafters gegenüber der Finanzverwaltung erforderlich sind, bevollmächtigt und beauftragt (§ 24 GV).

7

Die Antragstellerin hat noch keinen Empfangsbevollmächtigten benannt.

8

Die Anleger beantragten im Jahr 1999 im Hinblick auf die zu erwartende Verlustzuweisung die Eintragung eines entsprechenden Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte bzw. die Herabsetzung der Vorauszahlungen. Nach einer Vorprüfung anhand des Emissionsprospektes und der von der Antragstellerin vorgelegten Vertragsunterlagen vertrat der Antragsgegner die Ansicht, bei dem Anlagemodell handele es sich um den Missbrauch steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten und bei den in Rede stehenden Verlusten um solche, die der Abzugsbeschränkung des § 2b EStG unterliegen. Letzteres teilte der Antragsgegner den Wohnsitzfinanzämtern auf Anfragen zur Eintragung von Freibeträgen und Herabsetzung von Vorauszahlungen mit.

9

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin.

10

Sie macht geltend, sie sei antragsbefugt, weil die S-AG als Inhaberin des Handelsgewerbes nur aus eigenem Recht tätig werden könne, sie selbst aber durch das, nach ihrer Ansicht rechtswidrige Handeln des Antragsgegners unmittelbar in ihrer Rechtsstellung verletzt bzw. ihre Rechtsposition hierdurch gefährdet sei. Die Mitteilungen des Antragsgegners an die Wohnsitzfinanzämter hätten faktische Bindungswirkung, da die Wohnsitzfinanzämter nicht abweichend hiervon handeln würden. Hierdurch werde über den verwaltungsinternen Bereich hinaus in ihre Sphäre eingegriffen. Sie sei rechtsbehelfsbefugt und könne die Art und Weise der Amtshilfsmaßnahme rügen. Sofern davon auszugehen sei, dass sie nicht antragsbefugt sei, sei der Antrag dahingehend auszulegen, dass an ihre Stelle der Antragsbefugte trete.

11

Die Mitteilungen an die Wohnsitzfinanzämter seien rechtswidrig, weil die Voraussetzungen des § 2b EStG nicht erfüllt seien. Die Anleger könnten auf längere Sicht mit einem Totalgewinn rechnen. Zudem sei der § 2b EStG verfassungswidrig.

12

Aufgrund der rechtswidrigen Verfahrensweise des Antragsgegners sei damit zu rechnen, dass die Beteiligungen für das Segment der Antragstellerin unverkäuflich seien und bestehende Beteiligungen gekündigt würden. Die Fachpresse habe die Auffassung des Antragsgegners bekannt gemacht. Hierdurch sei die Inhaberin des Handelsgewerbes, die S-AG, in den Ruf geraten, eine "Verlustzuweisungsgesellschaft" zu sein. Diese Rufschädigung habe auch Auswirkungen auf die Verkäuflichkeit der Beteiligungen der Antragstellerin. Ein erheblicher Teil der Anleger des Segments ... werde nach Auskunft der Betriebsleitung die bereits abgeschlossenen Verträge stornieren oder kündigen. Aus diesem Grunde werde das Segment auch nicht mehr verkauft. Es sei auch mit Auswirkungen auf die anderen Segmente, d.h. Kündigungen und Stornierungen zu rechnen. Dieses habe letztendlich die Vernichtung der Existenz der Antragstellerin wie auch der S-AG zur Folge, da das Gesamtkonzept der Finanzierung und der Funktionsweise der Unternehmen zum Scheitern verurteilt sei, wenn der Antragsgegner an seiner unzutreffenden Rechtsauffassung festhalte. Dieses sei ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.

13

Die Antragstellerin beantragt,

  1. 1.

    dem Antragsgegner als Betriebsstättenfinanzamt der Antragstellerin zu untersagen, bei Auskunftsersuchen der Wohnsitzfinanzämter im Rahmen der Ermittlung der Einkünfte (Vorprüfungsverfahren) mitzuteilen, dass die Einkünfte aus dem Segment ... der S... AG der Abzugsbeschränkung nach § 2b EStG unterlägen und daher nicht mit anderen Einkunftsarten verrechnet werden dürften;

  2. 2.

    soweit im Rahmen der Vorprüfung bereits Mitteilungen übersandt worden sind, dem Antragsgegner aufzugeben, den Wohnsitzfinanzämtern der atypisch stillen Gesellschafter für Zwecke der Lohnsteuerermäßigung unverzüglich mitzuteilen, dass die Einkünfte der atypisch stillen Gesellschafter nicht dem § 2b EStG unterfielen, so dass die Regelung des § 2b EStG der Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte nicht entgegenstünde.

14

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzuweisen.

15

Der Antragsgegner hält den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für unzulässig, da die Antragstellerin nicht selbst betroffen sei und ihr die subjektive Klagebefugnis fehle. Die Versendung der Mitteilungen sei in einem innerbehördlichen Verfahren im Wege der Amtshilfe erfolgt. Dieses habe keine unmittelbare Wirkung auf die Antragstellerin, da den Mitteilungen keine Bindungswirkung zukomme. Entsprechend sei nach der Rechtsprechung des BFH das innerdienstliche Zusammenwirken der Finanzbehörden der gerichtlichen Kontrolle entzogen. Die außersteuerlichen Wirkungen stellten keine Rechtsverletzungen dar. Der Antrag sei auch unbegründet. Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass das dem Segment ... zu Grunde liegende Anlagemodell dem § 2b EStG zuzuordnen sei, weil den Anlegern nach der Konzeption des Modells Steuerminderungen durch Verlustzuweisungen ermöglicht werden sollten. Dass dieser Aspekt ein entscheidender Faktor für die Zeichnung sei, zeige sich auch daran, dass - wie die Antragstellerin selbst vortrage - die Attraktivität des Anlagemodells und der Vertrieb mit entsprechenden Stornierungsfolgen von diesem steuerlichen Element abhängig sei. Aufgrund dieser eindeutigen Rechtslage sei die vorläufige Anerkennung der Verluste bei der im Ermäßigungsverfahren überschlägig erfolgten Prüfung ausgeschlossen. Die endgültige Entscheidung bliebe dem Gewinnfeststellungsverfahren vorbehalten.

16

Wegen des Sachverhalts im Übrigen und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Feststellungsakte (Steuer-Nr.: ...) und die Gerichtsakte verwiesen.

Gründe

17

Der Antrag ist unzulässig.

18

Gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn die Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gefahren zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Antragsberechtigt ist derjenige, der an dem nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO zu regelnden Rechtsverhältnis beteiligt ist, wobei § 40 Abs. 2 FGO entsprechende Anwendung findet (Tipke/Kruse, § 114 FGO Rz. 35). Danach ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, in seinen Rechten verletzt zu sein. Hieraus folgt, dass nur der unmittelbar selbst Betroffene antragsbefugt ist (vgl. Gräber/von Groll, § 40 FGO Rz. 57). Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Die Antragstellerin ist nicht antragsberechtigt.

19

Zwar hat das Niedersächsische Finanzgericht in dem Beschluss vom 22.12.1999 (Az.: 6 V 888/99) ausgeführt, dass die Antragstellerin antragsbefugt sei. Diese Auffassung bindet den erkennenden Senat nicht. Er folgt ihr nicht.

20

Die Antragstellerin kann aus den Mitteilungen des Antragsgegners an die Wohnsitzfinanzämter der atypisch stillen Gesellschafter eine eigene unmittelbare Rechtsbeeinträchtigung nicht ableiten. Durch die Mitteilungen trifft der Antragsgegner eine vorläufige Wertung über Einkünfte, über die im Hauptverfahren im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte endgültig zu entscheiden ist. Entsprechend sind durch die Mitteilungen des Antragsgegners unmittelbar nur diejenigen betroffen, die Beteiligte des Gewinnfeststellungsverfahrens sind. Dies gilt auch für Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes. Bei ihnen handelt es sich um Nebenverfahren zum Verfahren der Hauptsache. Antragsbefugt kann im vorliegenden Verfahren nur jemand sein, der in der Hauptsache zur Einlegung von Rechtsbehelfen gegen den Gewinnfeststellungsbescheid berechtigt wäre (vgl. BFH-Beschluss vom 03.03.1998 VIII BB 62/97, BStBl II 1998, 401 m.w.N.).

21

Die atypisch stille Gesellschaft selbst ist nicht Beteiligte des Feststellungsverfahrens nach §§ 179 ff. AO, da sich ein einheitlicher Feststellungsbescheid nicht gegen die Gesellschaft, sondern gegen die Gesellschafter und den Geschäftsinhaber richtet. Dieses entspricht auch der Rechtsstellung der atypisch stillen Gesellschaft, die eine Innengesellschaft ist und bei der daher eine Vertretung, d. h. ein rechtsgeschäftliches Handeln für die Gesellschaft im Außenverhältnis, nicht in Betracht kommt. Da sie nicht Beteiligte des Feststellungsverfahrens ist, kann sie auch nicht Beteiligte eines finanzgerichtlichen Verfahrens sein, das die einheitliche Feststellung der Einkünfte betrifft (BFH-Beschluss vom 03.03.1998 VIII b 62/97, BStBl II 1998, 401 m.w.N., Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spittaler (HHSp), § 48 FGO Rz. 60 m.w.N.). Fehlt es an der Beteiligtenfähigkeit der Gesellschaft, fehlt es ebenso an der Befugnis der Gesellschaft, nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO für die Gesellschafter zu klagen (vgl. Bittner, § 48 FGO Rz. 13), entsprechend fehlt es an der Antragsbefugnis der atypisch stillen Gesellschaft. Selbst wenn die atypisch stille Gesellschaft von der Rechtsprechung als selbständiges "Subjekt der Gewinnerzielung, Gewinnermittlung und Einkünftequalifikation" beurteilt wird (BFH, Urteil vom 26.11.1996, VIII R 42/94, BStBl II 1998, 328), folgt aus dieser Betrachtungsweise nicht, dass die atypisch stille Gesellschaft damit auch Beteiligte eines finanzgerichtlichen Verfahrens sein kann (vgl. Steinhauff in HHSp, § 48 FGO Rz.63 m.w.N.).

22

Eine Auslegung der Antragsschrift dahingehend, dass als Antragstellerin die S-AG als Empfangsbevollmächtigte nach § 183 Abs. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO anzusehen ist, ist nicht möglich. Die anwaltlich beratene Antragstellerin muss sich an dem eindeutigen Wortlaut ihres Antrages, der sie als Antragstellerin ausweist, festhalten lassen. Da auch die S-AG in der Antragsschrift vom 27.10.1999 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt hatte, der durch Beschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 22.12.1999 (6 V 888/99) bereits beschieden worden ist, wäre überdies ein weiterer Antrag in derselben Sache unzulässig (vgl. Gräber/von Groll, § 114 FGO Rz. 83, § 66 FGO Rz. 6).

23

Von einer Beiladung der Gesellschafter der Antragstellerin gemäß § 60 FGO konnte der Senat absehen, da im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine Beiladung nicht notwendig ist (BFH-Beschluss vom 18.08.1993 II S 7/93, BFH/NV 1994, 151; BFH-Urteil vom 26.11.1998 IV R 39/98, BStBl II 1999, 263).

24

Danach konnte der Antrag keinen Erfolg haben und war abzulehnen.

25

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

26

Die Beschwerde wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen (§ 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).