Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 26.09.1997, Az.: 6 U 136/97
Schadensersatzanspruch eines Kindes wegen eines Zusammenstoßes mit einem Personenkraftwagen ( PKW ) auf einen Zebrastreifren im Straßenverkehr; Anteil des Mitverschuldens eines Kind im Falle des Einbiegens desselben ohne Beachtung des fließenden Verkehrs mit dem Fahrrad auf einen Zebrastreifen ; Schuldhafte Herbeiführung des Unfalls durch den Autofahrer; Folgen eines "Sichbefindens" des Geschädigten bei Annäherung an den Zebrastreifen im Blickfeld des Autofahrers; Bedeutung der kindlichen Alters des Geschädigten hinsichtlich der Sorgfaltspflicht des Autofahrers; Notwendigkeit einer Reaktion des Autofahrers schon bei Schrägstellung des Fahrrads in Richtung Zebrastreifen ( erstes Gefahrerkennungssignal ) ; Anrechnung von Eigenverschulden des Geschädigten; Folgen eines Fahrens auf den Zebrastreifen ( Fahrbahn ) ohne jede Beachtung des fließenden Verkehrs ; Berücksichtigung der Betriebsgefahr des Fahrzeugs
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 26.09.1997
- Aktenzeichen
- 6 U 136/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 22272
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1997:0926.6U136.97.0A
Rechtsgrundlagen
- § 254 Abs.1 BGB
- § 847 BGB
- § 7 StVG
Fundstelle
- VersR 1998, 1004 (Volltext mit red. LS)
Amtlicher Leitsatz
Ein Kind, das ohne Beachtung des fließenden Verkehrs mit dem Fahrrad auf einen Zebrastreifen einbiegt, trifft ein Mitverschulden von 2/3.
Tatbestand
Der Kl., elfeinhalb Jahre alt, fuhr mit seinem Fahrrad in E. auf einem Fahrradweg und bog nach links auf einen Zebrastreifen ein, wo er von dem Pkw des Bekl. zu 1, haftpflichtversichert bei der Bekl. zu 2, erfasst wurde. Er hat neben der Klage auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftiger materieller und immaterieller Schäden 514,90 DM als Ersatz für Sachschaden gefordert sowie ein angemessenes Schmerzensgeld und eine Schmerzensgeldrente von 150,00 DM monatlich. Das LG hat bei einem Mitverschulden des Kl. von 750/0 neben der Feststellungsklage der Zahlungsklage i. H. von 124,50 DM Sachschadensersatz und 12.000,00 DM Schmerzensgeld stattgegeben. Es ist von einem Bruch des linken Unterschenkels, einem Folgebruch, einer stark blutenden Wunde, einem Schädelhirntrauma ersten Grades, einer Felsenbeinfraktur rechts, einem Monat Krankenhausaufenthalt und einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit des rechten Ohrs ausgegangen.
Die Berufung des Kl. führte zu einer Mitverschuldensfeststellung von 2/3, die sich aber nur mit 41,50 DM auswirkte, da das Schmerzensgeld bestehen blieb.
Gründe
Die Bekl. haften allerdings für 1/3 der entstandenen Schäden aus dem Unfall vom 13.10.1993. Das LG geht im rechtlichen Ansatz zutreffend davon aus, dass der Bekl. zu 1 den Unfall schuldhaft herbeigeführt hat. Nach den Feststellungen des Sachverständigen D wäre der Unfall vermeidbar gewesen, wenn der Bekl. zu 1 sofort reagiert hätte, als er erkennen musste, dass der Kl. die Fahrbahn überqueren würde. Der Bekl. zu 1 hatte den Kl. bei der Annäherung an den Zebrastreifen im Blickfeld. Er musste daher sein Fahrverhalten auf den Kl. einstellen. In Anbetracht des Alters des Kl. musste er insbesondere damit rechnen, dass der Kl. ohne ausreichende Beachtung des Verkehrs auf die Fahrbahn fahren würde. Demgemäß hätte er bereits bei dem ersten Gefahrerkennungssignal reagieren müssen, also in dem Augenblick, als das Fahrrad in eine Schrägstellung in Richtung Zebrastreifen geriet. Hätte er schon zu diesem Zeitpunkt ein Bremsmanöver eingeleitet, wäre es auch bei einer angenommenen Ausgangsgeschwindigkeit von 50 km/h nicht zu einer Kollision gekommen. Dieser Umstand kommt bei der vom LG vorgenommenen Haftungsverteilung nicht ausreichend zum Tragen. Andererseits kommt aber ein höherer Mithaftungsanteil als 1/3 zu Lasten der Bekl. nicht in Betracht. Der Kl. muss sich ein ganz erhebliches Eigenverschulden anrechnen lassen (§ 254 I BGB). Er ist in grob verkehrswidriger Weise ohne jede Beachtung des fließenden Verkehrs auf die Fahrbahn gefahren. Nach Aussage der Zeugin J hat sich der Kl. vor seinem Abbiegemanöver nicht nach hinten umgeschaut. Eine derartzwingend gebotene und nahe liegende Vorsichtsmaßregel musste aber von ihm auch in Anbetracht seines Alters erwartet werden. Ohne Erfolg macht der Kl. mit seiner Berufung geltend, insbesondere die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Bekl. zu 1 erfordere eine andere Haftungsverteilung. Dieser Gesichtspunkt kommt bei der vom Senat für richtig gehaltenen Quote ausreichend zum Zuge. Bei einer anderen Verteilung würde demgegenüber der Eigenanteil des Kl. nicht mehr angemessen berücksichtigt. Der Kl. hat somit einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgelds (§ 847 BGB) und auf Ersatz von 1/3 seiner materiellen Schäden (§ 7 StVG, § 823 BGB).
Trotz der veränderten Haftungsquote kommt ein höheres Schmerzensgeld, als es bereits zuerkannt worden ist. nicht in Betracht. Die mit dem Schmerzensgeld verbundene Genugtuungsfunktion spielt vorliegend nur eine untergeordnete Rolle, weil das Verschulden des Bekl. zu 1 nicht besonders schwer wiegt. Es handelt sich um ein Augenblicksversagen. Das Schmerzensgeld hat daher vor allem eine Ausgleichsfunktion. Maßgeblich für die Bemessung sind vor allem die Beinverletzung und die Felsenbeinfraktur, die zu einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit rechts geführt hat. Unter Berücksichtigung einschlägiger Vergleichsfälle gelangt der Senat zu dem Ergebnis, dass der zuerkannte Betrag auch bei der etwas höheren Haftungsquote in Anbetracht des ganz erheblichen Eigenverschuldens noch als eine der Billigkeit entsprechende Entschädigung i. 5. von § 847 BGB anzusehen ist. Das Schmerzensgeld war dem Kl. auch in Form eines Kapitalbetrags und nicht als Rente zuzusprechen. Der Dauerschaden ist nicht so schwer wiegend, dass es geboten erscheint, der andauernden Beeinträchtigung eine fortlaufende geldliche Entschädigung gegenüberzustellen. Im Übrigen liegt das mit der Berufung wiederholte Begehren des Kl. auf Zuerkennung einer Rente neben dem Kapitalbetrag völlig außerhalb dessen, was bei derartigen Verletzungen allgemein als Schmerzensgeld zugesprochen wird.
Der vom LG ermittelte materielle Schaden beträgt 498,00 DM, sodass der Kl. insoweit 166,00 DM beanspruchen kann. Ferner hat der Kl. einen Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht für die Zukunft. Bei den in Rede stehenden Verletzungen erscheint es nicht ausgeschlossen. dass sich in Zukunft weitere, jetzt noch nicht vorhersehbare Folgen ergeben.