Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.11.2009, Az.: 4 LA 709/07
Anwendung der Vorschriften des Einführungsgesetzbuches zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) bei Verkürzung geltender Verjährungsfristen durch ein Gesetz; Anwendung der im Zeitpunkt der Geltendmachung einer Forderung geltenden Frist auf noch nicht verjährte Ansprüche bei Veränderung einer Verjährungsfrist; Berechnung einer neuen kürzeren Verjährungsfrist von ihrem Inkrafttreten an
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 20.11.2009
- Aktenzeichen
- 4 LA 709/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 27029
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2009:1120.4LA709.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Osnabrück - 08.08.2007 - AZ: 2 A 358/06
Rechtsgrundlagen
- Art. 169 EGBGB
- Art. 229 § 6 EGBGB
- § 4 Abs. 4 RGebStV
Fundstellen
- DVBl 2010, 62-63
- DÖV 2010, 236
- NVwZ-RR 2010, 135
Amtlicher Leitsatz
Verändert, insbesondere verkürzt ein Gesetz geltende Verjährungsfristen, so ist mangels einer besonderen Übergangsbestimmung Art. 169 EGBGB entsprechend anzuwenden. Danach ist bei einer Veränderung der Verjährungsfristen auf die noch nicht verjährten Ansprüche die neue, im Zeitpunkt der Geltendmachung einer Forderung maßgebliche Frist anzuwenden. Ist diese neue Verjährungsfrist kürzer als nach den bisherigen Gesetzen, so wird die kürzere Frist von ihrem Inkrafttreten an berechnet. Läuft jedoch die in dem bisherigen Gesetz bestimmte längere Frist früher als die im neuen Gesetz bestimmte kürzere Frist ab, tritt der Fristablauf mit dem Ablauf der längeren Frist ein.
Zur zeitlichen Anwendbarkeit der zum 1. April 2005 von vier auf regelmäßig drei Jahre verkürzten Verjährungsfrist des§ 4 Abs. 4 RGebStV
Gründe
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses seine Klage gegen die Rundfunkgebühren für den Zeitraum von Januar 2001 bis Juni 2006 und Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 956,11 EUR festsetzenden Bescheide des Beklagten vom 2. Oktober 2006 und 3. November 2006 abgewiesen hat, hat keinen Erfolg.
Der Kläger hat seinen Antrag nur auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nach§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützt. Dieser Zulassungsgrund liegt nicht vor bzw. ist nicht hinreichend dargelegt worden.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen dann nicht vor, wenn lediglich einzelne Rechtssätze, tatsächliche oder unterlassene Feststellungen zu Zweifeln Anlass geben, das Urteil aber im Ergebnis aus anderen Gründen offensichtlich richtig ist (BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, 542, 543). Denn der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO soll Richtigkeit im Einzelfall gewährleisten; die maßgebliche Frage geht also dahin, ob die Rechtssache richtig entschieden worden ist. Deshalb müssen Zweifel an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze, tatsächlicher oder unterlassener Feststellungen, auf welchen das Urteil beruht, zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen (Senatsbeschl. v. 17.6.2008 - 4 LA 85/08 -).
Dies ist hier nicht der Fall. Denn das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Rechtmäßigkeit der Rundfunkgebühren gegenüber dem Kläger festsetzenden Bescheide des Beklagten vom 2. Oktober 2006 und 3. November 2006 bejaht.
Rechtsgrundlage für die Erhebung von Rundfunkgebühren in Niedersachsen ist der durch Zustimmung des Landesgesetzgebers nachArt. 35 Abs. 2 der Niedersächsischen Verfassung in das Landesrecht inkorporierte Rundfunkgebührenstaatsvertrag vom 31. August 1991 - RGebStV - (Anlage zum Gesetz vom 3.12.1991, Nds. GVBl. 1991 S. 311) in der für den Gebührenzeitraum von Januar 2001 bis März 2004 maßgeblichen Fassung vom 6. Juli/7. August 2000 (Anlage zum Gesetz vom 15.12.2000, Nds. GVBl. 2000 S. 327), in der für den Gebührenzeitraum von April 2004 bis März 2005 maßgeblichen Fassung vom 23./26. September 2003 (Anlage zum Gesetz vom 22.1.2004, Nds. GVBl. 2004 S. 27) und in der für den Gebührenzeitraum von April 2005 bis Juni 2006 maßgeblichen Fassung vom 8./15. Oktober 2004 (Anlage zum Gesetz vom 25.2.2005, Nds. GVBl. 2005 S. 61).
Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 RGebStV hat jeder Rundfunkteilnehmer - vorbehaltlich der Regelung in §§ 5 und 6 RGebStV - für jedes von ihm zum Empfang bereitgehaltene Rundfunkempfangsgerät eine Grundgebühr und für das Bereithalten jedes Fernsehgerätes jeweils zusätzlich eine Fernsehgebühr zu entrichten. Ein Rundfunkempfangsgerät wird nach § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV dann zum Empfang bereitgehalten, wenn damit ohne besonderen zusätzlichen technischen Aufwand Rundfunkdarbietungen, unabhängig von Art, Umfang und Anzahl der empfangbaren Programme, unverschlüsselt oder verschlüsselt empfangen werden können. Rundfunkteilnehmer ist dementsprechend nach gefestigter Rechtsprechung, wer die rechtlich gesicherte tatsächliche Verfügungsmacht über das Rundfunkempfangsgerät besitzt und damit die Möglichkeit hat, das Gerät zu nutzen, d. h. insbesondere über seinen Einsatz und die Programmwahl tatsächlich verantwortlich zu bestimmen (vgl. Senatsbeschl. v. 9.5.2008 - 4 LA 611/07 -; Hamburgisches OVG, Urt. v. 18.12.2008 - 4 Bf 337/07 -, NordÖR 2009, 124 f.; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 8.5.2008 - 2 S 700/07 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 2.3.2007 - 19 A 378/06 -).
Nach diesen Maßstäben ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger als Haushaltsvorstand in dem Haushalt B.-Straße in C. ein Radio und einen Fernseher zum Empfang bereit hält (vgl. zur Zuordnung von Rundfunkempfangsgeräten zum Haushaltsvorstand: Senatsbeschl. v. 19.2.2009 - 4 LA 759/07 -) und daher gebührenpflichtiger Rundfunkteilnehmer ist. Denn selbst vom Kläger wird nicht in Abrede gestellt, dass im streitgegenständlichen Gebührenzeitraum die benannten Rundfunkempfangsgeräte in seinem Haushalt vorhanden waren und auch zum Empfang bereit gehalten wurden.
Der Festsetzung der damit kraft Gesetzes entstandenen Rundfunkgebühren gegenüber dem Kläger in den Bescheiden vom 2. Oktober 2006 und 3. November 2006 und dem hiermit verbundenen Leistungsgebot kann dieser nicht mit Erfolg entgegen halten, er habe diese Rundfunkgebühren bereits (unter der Teilnehmernummer D. seines Großvaters E.) bezahlt. Aufgrund der eindeutigen Leistungsbestimmung des Klägers, unter der Teilnehmernummer D. entstandene Rundfunkgebührenforderungen als sog. Für-Zahler für den Großvater E. erfüllen zu wollen, ist es ausgeschlossen, in der bloßen Zahlung von Rundfunkgebühren eine konkludente Tilgungsbestimmung dahingehend zu sehen, dass ausschließlich gegen den Kläger gerichtete Rundfunkgebührenforderungen erfüllt werden sollen. Dabei ist es unerheblich, dass unter der Teilnehmernummer D. gegen Herrn E. seit dessen Ableben und dem damit verbundenen Entfall der Rundfunkteilnehmereigenschaft kraft Gesetzes keine Rundfunkgebühren mehr entstanden sind und dem Kläger daher insoweit ggf. ein zur Aufrechnung berechtigender Erstattungsanspruch gegen den Beklagten nach § 7 Abs. 4 RGebStV zusteht. Denn ungeachtet der Zulässigkeit einer Aufrechnung (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 40 Rn. 45 f.) ist eine solche hier nicht erklärt worden.
Schließlich greift der Einwand des Klägers nicht durch, die von ihm erhobene Einrede der Verjährung stelle keine unzulässige Rechtsausübung dar. Die vom Beklagten festgesetzten Rundfunkgebühren sind bereits nicht verjährt, so dass die erhobene Einrede der Verjährung ins Leere geht.
§ 4 Abs. 4 RGebStV in der bis zum 31. März 2005 geltenden Fassung bestimmte, dass der Anspruch auf Rundfunkgebühren in vier Jahren verjährt. Der Lauf der Verjährungsfrist begann entsprechend § 201 BGB in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung mit dem Schluss des Jahres, in welchem die Rundfunkgebührenforderung entstanden ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 26.4.2007 - 2 S 290/07 -; Hahn/Vesting, Beck'scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 2. Aufl., RGebStV, § 4 Rn. 54 f.). Nach § 4 Abs. 4 RGebStV in der ab dem 1. April 2005 geltenden Fassung richtet sich die Verjährung hingegen nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die regelmäßige Verjährung. Der Anspruch auf Rundfunkgebühren verjährt daher nach § 195 BGB in drei Jahren. Der Lauf der Verjährungsfrist beginnt entsprechend § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger (Landesrundfunkanstalt) von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 26.4.2007 - 2 S 290/07 -).
Welche dieser Verjährungsregelungen anzuwenden ist, wenn - wie hier - Rundfunkgebührenforderungen, die vor dem Zeitpunkt der Rechtsänderung am 1. April 2005 entstanden sind, erst nach diesem Zeitpunkt geltend gemacht werden, ergibt sich aus dem Rundfunkgebührenstaatsvertrag nicht. Dieser enthält für Übergangsfälle der vorliegenden Art keine Regelung.
Verändert, insbesondere verkürzt ein Gesetz die bislang geltenden Verjährungsfristen, so ist mangels einer besonderen Übergangsbestimmung Art. 169 EGBGB entsprechend anzuwenden. In dieser Regelung findet ein Rechtsgedanken Niederschlag, der wegen seiner Allgemeingültigkeit auch auf andere Gesetzesänderungen anzuwenden ist (BGH, Urt. v. 29.1.1982 - V ZR 157/81 -, NJW 1982, 2385; BAG, Urt. v. 23.1.1997 - 8 AZR 58/96 -, NZA 1998, 197 [BAG 23.01.1997 - 8 AZR 58/96]; Soergel, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 11. Aufl., EGBGB, Art. 169 Rn. 2 jeweils m.w.N.; vgl. auch die spezielle Ausprägung dieses allgemeinen Rechtsgedankens in Art. 229 § 6 Abs. 1 und 4 EGBGB). Demnach ist bei einer Veränderung der Verjährungsfristen auf die noch nicht verjährten Ansprüche die neue, im Zeitpunkt der Geltendmachung einer Forderung maßgebliche Frist anzuwenden (vgl. Art. 169 Abs. 1 Satz 1 und 2 EGBGB). Ist diese neue Verjährungsfrist kürzer als nach den bisherigen Gesetzen, so wird die kürzere Frist von ihrem Inkrafttreten an berechnet (vgl. Art. 169 Abs. 2 Satz 1 EGBGB). Läuft jedoch die in dem bisherigen Gesetz bestimmte längere Frist früher als die im neuen Gesetz bestimmte kürzere Frist ab, tritt der Fristablauf mit dem Ablauf der längeren Frist ein (vgl. Art. 169 Abs. 2 Satz 2 EGBGB).
Danach gilt für die nach dem 31. März 2005 entstandenen Rundfunkgebühren die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB. Der Eintritt der Verjährung insoweit ist ausgeschlossen, denn die die Verjährung gemäß § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG i.V.m. § 53 Abs. 1 Satz 1 VwVfG hemmenden Festsetzungsbescheide des Beklagten sind bereits am 2. Oktober 2006 und 3. November 2006 ergangen.
Für die vor dem 1. April 2005 entstandenen Gebührenforderungen, hier des Gebührenzeitraums von Januar 2001 bis 31. März 2005, ist entsprechend Art. 169 Abs. 1 Satz 1 EGBGB die dreijährige Verjährungsfrist des § 4 Abs. 4 RGebStV in der ab dem 1. April 2005 geltenden Fassung anzuwenden. Da diese Verjährungsfrist kürzer ist als die vierjährige Verjährungsfrist des § 4 Abs. 4 RGebStV in der bis zum 31. März 2005 geltenden Fassung, beginnt die dreijährige Verjährungsfrist entsprechendArt. 169 Abs. 2 Satz 1 EGBGB im Zeitpunkt der Rechtsänderung. Da hier jedoch die frühere vierjährige Verjährungsfrist vor der so bestimmten neuen Verjährungsfrist abläuft, ist die Verjährung entsprechend Art. 169 Abs. 2 Satz 2 EGBGB mit dem Ablauf der früheren vierjährigen Verjährungsfrist vollendet. Danach wären die Rundfunkgebühren für den Zeitraum Januar bis Dezember 2001 grundsätzlich mit Ablauf des 31. Dezember 2005 verjährt, denn der die Verjährung gemäß § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG i.V.m. § 53 Abs. 1 Satz 1 VwVfG hemmende Festsetzungsbescheid des Beklagten ist erst am 2. Oktober 2006 ergangen. Dies lässt aber außer Betracht, dass die Beteiligten bereits im Jahr 2005 (siehe das vom Kläger persönlich unterzeichnete Anmelde-Formular v. 23.8.2005, dort "Bemerkungen", und das Schreiben der GEZ v. 14.9.2005) auf die Stundungsbitte des Klägers eine Ratenzahlungsvereinbarung über die rückständigen Rundfunkgebühren getroffen haben, so dass gemäß § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB ("in anderer Weise anerkennt", vgl. Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 5. Aufl., BGB, § 212 Rn. 17 m.w.N.) in diesem Zeitpunkt der Lauf der Verjährungsfristen neu begann. Daher waren im Zeitpunkt der Festsetzung der Rundfunkgebühren am 2. Oktober 2006 die für den Gebührenzeitraum 2001 entstandenen Gebühren noch nicht verjährt. Gleiches gilt für die im Gebührenzeitraum 2002 entstandenen Gebühren, für die erst mit Ablauf des 31. Dezember 2006 die Verjährung eingetreten wäre, und die in den nachfolgenden streitgegenständlichen Zeiträumen entstandenen Rundfunkgebühren. Unabhängig davon, ob sich die Erhebung der Einrede der Verjährung durch den Kläger als rechtsmissbräuchlich darstellen würde, geht diese damit von vorneherein ins Leere. Die vom Beklagten gegenüber dem Kläger festgesetzten Rundfunkgebühren sind nicht verjährt.