Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.08.1993, Az.: 1 L 5267/92
Bauordnungsverfügung; Ablagerung; Sanierungsanordnung; Straßenaufbruch; Auffüllungsmaterial; Abfall
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 11.08.1993
- Aktenzeichen
- 1 L 5267/92
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1993, 13633
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1993:0811.1L5267.92.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Braunschweig - 06.08.1992 - AZ: 2 A 2066/90
- nachfolgend
- BVerwG - 10.11.1993 - AZ: BVerwG 4 B 185.93
Fundstelle
- BRS 1993, 604-606
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 2. Kammer - vom 6. August 1992 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungfähig.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 100.000,-- DM (in Worten: einhunderttausend Deutsche Mark) festgesetzt.
Gründe
Der Kläger wendet sich gegen eine Bauordnungsverfügung des Beklagten, durch die ihm aufgegeben wird, belastetes Bodenmaterial von einem gepachteten Grundstück zu entfernen.
Bei dem gepachteten Grundstück handelt es sich um ein ca. 1 ha großes Wiesengrundstück (Flurstück 281/1, Flur 4 der Gemarkung ...). Das Grundstück liegt im Außenbereich am Ortsrand des Ortsteils ... der Stadt ... in der Nähe der Nettequelle.
Mit Antrag vom 4. August 1987 beantragte der Kläger bei dem Beklagten eine Baugenehmigung für die Auffüllung des Grundstücks mit bindigem Boden bis zu einer Höhe von maximal 1,20 m über dem natürlichen Geländeniveau. Nach der genehmigten Baubeschreibung sollte die Baumaßnahme dazu dienen, die Wirtschaftlichkeit des Grundstücks zu verbessern, das auch weiterhin als Grünland/Weide genutzt werden sollte. Unter dem 16. Oktober 1987 erteilte der Beklagte die beantragte Baugenehmigung. Die Genehmigung enthielt u.a. folgende Nebenbestimmung 911: "Bei der Baumaßnahme dürfen keine Abfälle i.S. des § 1 Abs. 1 AbfG zur Ablagerung kommen. Das Auffüllungsmaterial muß schadstofffrei sein, so daß keine schädigende Wirkung auf das Grundwasser zu besorgen ist".
Ende des Jahres 1987 stellte die Polizei in Seesen fest, daß das aufgebrachte Bodenmaterial in erheblichem Umfang Asphaltteerbrocken aus Straßenaufbruch enthielt. Der Straßenaufbruch stammt aus Kanalbaumaßnahmen, welche die vom Kläger mit der Auffüllung beauftragte Baufirma ... im Auftrag der Stadt ... ausgeführt hatte. Im April 1988 erfuhr der Beklagte davon, daß die Firma ... Konkursantrag gestellt hatte. Darauf forderte er den Kläger mit der hier streitigen Verfügung vom 14. April 1988 auf, die mit Abfallstoffen belasteten Bodenmassen (Straßenaufbruch) rückstandsfrei zu beseitigen. Gleichzeitig forderte er die Beigeladene auf, den Abtransport zu dulden. Zur Begründung der Beseitigungsanordnung gab der Beklagte an, bei dem Straßenaufbruch handele es sich um Abfall im Sinne des Abfallgesetzes. Die Ablagerung dieses Materials stehe im Widerspruch zu der bestandskräftigen Auflage 911 der Baugenehmigung. Den Widerspruch des Klägers gegen diese Verfügung wies die Bezirksregierung als unbegründet zurück. Dabei wies sie ergänzend darauf hin, daß ohne die Beseitigung des belasteten Materials die Gefahr bestehe, daß Schadstoffe in das Grundwasser und so auch in die nahegelegene Nettequelle ausschwemmen könnten. Darauf hat der Kläger am 26. Februar 1990 gegen die Verfügung des Beklagten vom 14. August 1988 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 1990 Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 6. August 1992, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, als unbegründet abgewiesen. Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten sowie auf die Verwaltungsunterlagen des Beklagten und der Widerspruchsbehörde.
Der Senat weist die fristgerecht eingelegte Berufung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluß zurück, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 130 a VwGO). Die Verfügung des Beklagten vom 14. August 1988 und der sie bestätigende Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 1990 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Der Beklagte hat dem Kläger nach § 89 NBauO zu Recht die Beseitigung des belasteten Bodenmaterials aufgegeben, da die Lagerung dieses Materials baurechtswidrig ist, der Kläger hierfür verantwortlich ist und seine Heranziehung auch nicht ermessensfehlerhaft ist.
Die Auffüllung des gepachteten Grundstücks mit belastetem Material widerspricht dem öffentlichen Baurecht; denn sie steht im Widerspruch zu der bestandskräftigen Auflage der Baugenehmigung und ist unabhängig davon auch deshalb rechtswidrig, weil sie das Grundwasser gefährdet. Dies hat das Verwaltungsgericht im einzelnen zutreffend ausgeführt. Der Senat verweist deshalb insoweit auf die überzeugenden Ausführungen des angefochtenen Urteils (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Der Kläger ist für den baurechtswidrigen Zustand im Sinne des § 89 Abs. 2 NBauO verantwortlich. Als Bauherr ist er gemäß § 89 Abs. 2 NBauO iVm § 57 Abs. 1 dafür verantwortlich, daß die von ihm veranlaßten Auffüllungen dem öffentlichen Baurecht entsprechen. Die Verantwortlichkeit des Klägers besteht aber auch dann, wenn man davon ausgeht, daß die Baumaßnahme, die Auffüllung des Grundstücks, inzwischen fertiggestellt und damit die Bauherreneigenschaft erloschen ist (vgl. hierzu Grosse-Suchsdorf/Schmaltz/Wiechert, Komm. z. NBauO, 5. Aufl. 1992, § 57 RdNr. 7). In diesem Fall kann der Kläger als "Verhaltensstörer" in Anspruch genommen werden, da er den baurechtswidrigen Zustand, der unter seiner "Herrschaft" entstanden ist, als ehemaliger Bauherr veranlaßt hat (§ 89 Abs. 2 iVm §§ 62 NBauO, 6 Abs. 1 SOG).
Die Beseitigungsanordnung ist nicht ermessensfehlerhaft. Daß die Entscheidung für ein baupolizeiliches Einschreiten ermessensfehlerfrei ist, bedarf angesichts der Gefahr für das Grundwasser, die von dem belasteten Material ausgeht, keiner näheren Erläuterung. Die angefochtenen Bescheide sind aber auch insoweit frei von Ermessensfehlern, als sie gerade den Kläger als Verantwortlichen in Anspruch nehmen. Da der Kläger eindeutig vorrangig vor anderen Personen als Verantwortlicher für den baurechtswidrigen Zustand in Betracht kommt, kann der Beklagte die Beseitigung des Materials von ihm verlangen, ohne daß eine Abwägung des "Für und Wider" erforderlich ist (vgl. zu derartigen Situationen bei Ermessensentscheidungen BVerwG, Beschl. v. 28. 8. 1980 - 4 B 67.80 -, BRS 36 Nr. 93). Der Erlaß einer Bauordnungsverfügung gegen die Firma Timmermann war und ist offensichtlich nicht geeignet, den baurechtswidrigen Zustand zu beseitigen, weil das Unternehmen in Konkurs gefallen ist. Eine Verantwortlichkeit des Dipl.-Ing. ... als Entwurfsverfasser (§ 58 NBauO) scheidet schon deshalb aus, weil dieser nach dieser Bestimmung nur für die Vereinbarkeit des Entwurfes mit dem öffentlichen Baurecht verantwortlich ist. Es ist auch offensichtlich, daß die Verantwortlichkeit des Klägers, des Bauherrn und Inhabers der tatsächlichen Gewalt über das Grundstück, wesentlich schwerer wiegt als die Verantwortlichkeit der Beigeladenen als Eigentümerin des Grundstücks (§ 89 Abs. 2 iVm § 61 NBauO).
Der Beklagte mußte sich schließlich nicht damit auseinandersetzen, ob er anstelle des Klägers oder neben ihm die Stadt Seesen in Anspruch nimmt. Diese ist für die rechtswidrigen Auffüllungen nicht verantwortlich. Wie das Verwaltungsgericht im einzelnen zutreffend ausgeführt hat, ist die Stadt als Auftraggeber der Kanalbauarbeiten nicht gleichzeitig Bauherr der Erdauffüllungen auf dem Grundstück der Beigeladenen. Bauherr im Sinne des § 57 NBauO ist derjenige, auf dessen Veranlassung und nach dessen Willen eine Baumaßnahme vorbereitet und durchgeführt wird (Grosse-Suchsdorf/Schmaltz/Wiechert, aaO, § 57 RdNr. 6). Dies ist, soweit es um die Erdauffüllungen geht, allein der Kläger. Die Stadt ist auch nicht "Störer" im Sinne der daneben bestehenden allgemeinen Verhaltenshaftung (§ 89 Abs. 2 NBauO iVm §§ 62 NBauO, 6 SOG). Zwar hat die Stadt durch den Kanalbauauftrag an die Firma Timmermann, die den Straßenaufbruch dann zusammen mit Erdaushub auf das Grundstück der Beigeladenen gebracht hat, im naturwissenschaftlichen Sinne mit eine Ursache für den rechtswidrigen Zustand gesetzt. Dies reicht aber nicht aus, um eine Verhaltenshaftung im ordnungsrechtlichen Sinne zu begründen.
Eine Verantwortlichkeit nach § 6 Abs. 3 SOG scheidet aus; denn die Firma ... war hinsichtlich der Kanalbauarbeiten nicht Verrichtungsgehilfe der Stadt. Wer, wie diese Firma, als selbständiges Unternehmen Bauarbeiten übernimmt, steht bei der Ausführung der Arbeiten in der Regel nicht in dem erforderlichen Abhängigkeitsverhältnis zu dem Auftraggeber, das § 6 Abs. 3 SOG voraussetzt (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 10. 10. 1963 - VII ZR 6562 -, BB 1964, 10).
Die allgemeinen Voraussetzungen für eine ordnungsrechtliche Verhaltenshaftung liegen ebenfalls nicht vor. Als Zurechnungsgrund reicht nicht jede entfernte Gefahrenursache, die Verhaltenshaftung trifft vielmehr nur den, der den baurechtswidrigen Zustand "unmittelbar" verursacht hat. Diese Unmittelbarkeit liegt nur vor, wenn zwischen dem Verhalten und der Gefahr ein enger Wirkungs- und Verantwortungszusammenhang besteht (vgl. z.B. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 1993, RdNr. 193; im Ergebnis ebenso Grosse-Suchsdorf/Schmaltz/Wiechert, aaO, § 62 RdNr. 3). Das Verhalten der Stadt Seesen als Auftraggeber und Bauherr der Kanalbauarbeiten kann nach diesem Maßstab eine Haftung als Verhaltensstörer nicht begründen. Mit der Vergabe der Bauarbeiten an die Firma ... hat die Stadt ... noch keine Gefahrenlage geschaffen, die es rechtfertigt, ihr die rechtswidrigen Ablagerungen ordnungsrechtlich als "Abfallerzeuger" zuzurechnen. Die Stadt hatte keine Anhaltspunkte, die Firma ... werde den Straßenaufbruch unter Verstoß gegen ihre vertraglichen Pflichten gefahrbringend lagern. Die Firma war, wie sich aus den Verwaltungsunterlagen ergibt (vgl. d. Zeitungsbericht v. 14. 4. 1988, Bl. 60 d. Beiakten A), ein größeres Bauunternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten, das in den zurückliegenden Jahren schon in großem Umfang Tiefbauarbeiten für die öffentliche Hand durchgeführt hatte. Bei dieser Sachlage überschritt die Stadt ... mit der Übertragung der Tiefbauarbeiten an die Firma ... noch nicht die Gefahrengrenze, von der ab eine Zurechnung zulässig ist. Nach der hier gebotenen wertenden Betrachtung besteht zwischen ihrem Verhalten und dem Eintritt der Gefahr ein weit geringerer Zusammenhang als bei dem Verhalten des Klägers. Zwar bestehen nach den dem Senat vorliegenden Unterlagen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger damit rechnete, die Firma ... werde für die Auffüllung des Grundstücks auch Straßenaufbruch verwenden. Als Bauherr der Aufschüttung und Inhaber der tatsächlichen Gewalt über das Grundstück oblag ihm aber eine besondere Verantwortung dafür, daß in seinem "Herrschaftsbereich" keine rechtswidrigen Baumaterialien verwendet werden. Daß eine Verhaltenshaftung der Stadt Seesen nicht mit dem Hinweis begründet werden kann, die Stadt habe sich als Abfallbesitzer (§ 3 Abs. 1 AbfG) rechtswidrig verhalten, hat das Verwaltungsgericht im einzelnen zutreffend ausgeführt. Danach ist die Stadt nie Abfallbesitzer im Sinne des abfallrechtlichen Besitzbegriffes (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 19.1.1989 - 7 C 82.87 -, DVBl 1989, 522 ff) gewesen. Zur weiteren Begründung verweist der Senat insoweit auf die überzeugenden Ausführungen des angefochtenen Urteils.
Der Senat verkennt nicht, daß der Kläger durch die Heranziehung wirtschaftlich schwer belastet wird. Dieser Umstand steht jedoch seiner Verantwortlichkeit als Verhaltensstörer nicht entgegen (vgl. Grosse-Suchsdorf/Schmaltz/Wiechert, aaO, § 89 RdNr. 30) und ist angesichts der oben genannten schwerwiegenden Gesichtspunkte, die für seine - vorrangige - Inanspruchnahme sprechen, kein Grund, der bei der Entscheidung über die Auswahl der Störer hier ins Gewicht fällt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 VwGO, 162 Abs. 3 VwGO.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor.
Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus §§ 13 Abs. 1 Satz 1 GKG, 14 GKG. Insoweit ist der Beschluß unanfechtbar (§ 25 Abs. 2 Satz 2 GKG).
Schmaltz
Dr. Bock
Dr. Jenke