Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 31.05.2006, Az.: 2 A 324/04

ausgewiesene Nutzung; Außenbereich; baugenehmigungsfrei; Bauherreneigenschaft; bauliche Anlage; baurechtliche Verantwortlichkeit; baurechtswidriger Zustand; Beendigung der Bebauung; Beseitigung der Vogelvoliere; bestandsgeschützte Gebäude; Bestandsschutz; Duldung der Baurechtswidrigkeit; Eigenart der Landschaft; Erweiterung der Splittersiedlung; Flächennutzungsplan; formelle Illegalität; Gefahrenabwehrrecht; kein Bebauungszusammenhang; Landschaftsbild; materielle Illegalität; Pächterin; sonstige Vorhaben; Splittersiedlung; Störerauswahl; tatsächliche Nutzung; Verhaltensverantwortlicher; Vogelvoliere; öffentlich-rechtlicher Vertrag; öffentliche Belange

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
31.05.2006
Aktenzeichen
2 A 324/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 53194
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 31.05.2006 - AZ: 2 A 326/04
VG - 31.05.2006 - AZ: 2 A 414/04
nachfolgend
VG - 31.05.2006 - AZ: 2 A 326/04
VG - 31.05.2006 - AZ: 2 A 413/04

Tatbestand:

1

Die Klägerin ist aufgrund notariellen Vertrages vom 6. Juni 1996 Pächterin des Grundstücks N. in E. -O. (Flurstück xx/x, Flur x, Gemarkung O.). Zu ihren Gunsten sind in Abteilung II des Grundbuchs eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit (Recht zur Errichtung und Unterhaltung eines Gartenhauses nebst Wegerecht) und ein befristetes Vorkaufsrecht für alle Verkaufsfälle eingetragen. Der Kläger nutzt das Grundstück gemeinsam mit seiner Ehefrau rein tatsächlich.

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Eigentümerin des Grundstücks ist ausweislich des Grundbuchs von O., Band xx Blatt xxx seit Eintragung am 17. Mai 1995 Frau P. Q. als Rechtsnachfolgerin ihrer Schwiegermutter, Frau R. Q.. Frau Q., der das Grundstück von ihrer Schwiegermutter geschenkt worden war, klagt gegen die Beklagte in den Verfahren 2 A 326 und 414/04, über die die Kammer mit Urteilen von heute ebenfalls entschieden hat.

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Bei der Siedlung N. handelt es sich um eine gut einen Kilometer östlich der geschlossenen Ortslage von O. direkt am südlichen Ufer der Fulda gelegene Ansammlung von vormals sechs zu Wohnzwecken genutzten Gebäuden und diversen Nebenanlagen, die im Wesentlichen auf fünf Grundstücken errichtet worden sind. Im geltenden Flächennutzungsplan der Beklagten vom 22. November 2001 (veröffentlicht im Amtsblatt des Landkreises S. vom 6. Dezember 2001, S. 1138) ist das Gebiet als Fläche für die Landwirtschaft ausgewiesen. Mit Verordnung des Landkreises S. vom 6. Dezember 2000 (Amtsblatt für den Landkreis S. vom 23.07.2001, S. 519) ist das Gebiet aus dem Geltungsbereich der Verordnung über das Landschaftsschutzgebiet „Naturpark T.“ herausgenommen worden.

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Unter dem 25. Juni 1984 hatte die Beklagte mit Frau R. Q. und deren ältester Tochter, Frau U. V., einen öffentlich-rechtlichen Vertrag geschlossen. In der Präambel des Vertrages heißt es, die Eigentümerseite erkenne die Rechtslage an und lege Rechtsmittel gegen die Abbruchverfügung vom 6. Juni 1984, überreicht bei Vertragsschluss, nicht ein. In § 1 Abs. 2 des Vertrages wird festgestellt, dass auf dem Flurstück xx/x ungenehmigt ein eingeschossiges Einfamilienhaus, eine überdachte Terrasse (Veranda) und eine Feuerstelle an der Wohnlaube sowie eine Einzäunung errichtet worden seien, für die eine nachträgliche Baugenehmigung wegen der formellen und materiellen Baurechtswidrigkeit nicht erteilt werden könne. Nach § 3 des Vertrages verpflichtet sich die Beklagte, den bestehenden baurechtlichen Zustand zu dulden, nachdem die Eigentümerin die Baurechtswidrigkeit der errichteten Gebäude anerkannt und gegen die Abbruchverfügung Rechtsmittel nicht eingelegt habe. Gemäß § 4 des Vertrages dauert die bauaufsichtliche Duldung bis zum Ablauf des Jahres 2010 und endet unabhängig hiervon u. a. bei Veräußerung, Gebrauchsüberlassung an Dritte bzw. Vererbung an andere Personen als Frau U. V. bzw. deren Abkömmlinge. In § 8 des Vertrages wird auf die der Eigentümerin vor der Unterzeichnung übergebene Abbruchverfügung, die durch den in der Vereinbarung ausgesprochenen Rechtsmittelverzicht bestandskräftig werde, Bezug genommen.

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Anlässlich einer Ortsbesichtigung vom 14. Juni 2001 stellte die Beklagte fest, dass auf dem o.a. Grundstück zusätzlich eine Vogelvoliere und eine offene Überdachung errichtet worden waren. Diese war vom Kläger - nach seinem, unbestrittenen Vortrag - Anfang 2003 zunächst abgebaut, im Laufe des Frühjahrs 2003 aber erneut an selber Stelle wiedererrichtet worden. Der Rauminhalt der Voliere ist geringer als 20 m 3 .

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Mit an die Kläger gerichtetem Bescheid (Az.: B 5 -00285-01-ra) vom 28. November 2003 forderte die Beklagte diese auf, die auf dem o.a. Grundstück errichtete Vogelvoliere und die offene Überdachung zu beseitigen, und drohte für den Fall der Nichtbefolgung innerhalb einer Woche nach Unanfechtbarkeit der Verfügung ein Zwangsgeld in Höhe von jeweils 1.000,00 Euro an. Zur Begründung gab die Beklagte an, die Bauten seien bauplanungsrechtlich unzulässig und deshalb von den Klägern zu beseitigen. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Bezirksregierung Braunschweig mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2004, zugestellt am 26. August 2004, zurück.

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Am 22. September 2004 haben die Kläger Klage erhoben.

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Zu deren Begründung tragen sie vor, der Kläger sei nicht passiv legitimiert. Er sei weder Pächter noch Eigentümer des fraglichen Grundstücks N.. In der Sache sei der Bescheid vom 28. November 2003 ermessensfehlerhaft. Nach der Novellierung der Nds. Bauordnung im Jahre 2003 handele es sich um genehmigungsfreie Bauvorhaben. Dies müsse auch im Rahmen der Beurteilung nach § 35 Abs. 2 BauGB berücksichtigt werden. Das Hauptgebäude auf dem Grundstück bestehe seit 1939 und müsse nicht beseitigt werden. Deshalb könnten eine Vogelvoliere und eine offene Überdachung auch nicht zu einer Splittersiedlung beitragen. Konsequenter Weise habe der Landkreis S. das Gebiet der N. aus dem Geltungsbereich der Landschaftsschutzgebietsverordnung „Naturpark T.“ herausgenommen. Deshalb sei auch die Ausweisung des Gebiets im Flächennutzungsplan der Beklagten als für die Landwirtschaft vorgesehene Fläche rechtswidrig.

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Die Kläger beantragen,

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den Bescheid der Beklagten vom 28. November 2003 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 20. August 2004 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie erwidert, der Kläger sei zu Recht als Bauherr und als derjenige, der mit der Klägerin die tatsächliche Gewalt über das Grundstück ausübe, in Anspruch genommen worden. Auch baugenehmigungsfreie Vorhaben müssten dem Bauplanungsrecht entsprechen. Dies sei bei der Vogelvoliere und der Überdachung nicht der Fall, da sie einerseits im Widerspruch zum wirksamen Flächennutzungsplan stünden und andererseits zu einer weiteren Splittersiedlung führen würden.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der damaligen Bezirksregierung Braunschweig in diesem wie auch in den Verfahren 2 A 326, 413 und 414/04 Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.

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Rechtsgrundlage für die mit Bescheid vom 28. November 2003 erlassene Anordnung, die Vogelvoliere und eine offene Überdachung zu beseitigen, ist § 89 Abs. 1 NBauO. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen namentlich (Satz 2 Nr. 4) die Beseitigung von baulichen Anlagen anordnen, wenn sie dem öffentlichen Baurecht widersprechen. Dies ist hier der Fall.

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Unerheblich ist gemäß § 69 Abs. 6 Satz 1 NBauO, dass die Errichtung der Anlagen möglicherweise baugenehmigungsfrei war. Denn auch solche Anlagen müssen die Anforderungen des öffentlichen Baurechts erfüllen, es sei denn, dass sich die Anforderungen auf genehmigungsbedürftige Baumaßnahmen beschränken. Das städtebauliche Planungsrecht, das gemäß § 2 Abs. 10 NBauO zum öffentlichen Baurecht gehört, ist von jeder Baumaßnahme einzuhalten. Die streitgegenständlichen Baumaßnahmen widersprechen § 35 Abs. 2 BauGB.

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Ein Bebauungsplan existiert für das fragliche Gebiet nicht. Die Ansammlung von Bauten in der N. stellt auch keinen im Zusammenhang bebauten Ortsteil im Sinne des § 34 Abs. 1 des ehemaligen Bundesbaugesetzes (BBauG, heute § 34 Abs. 1 S. 1 Baugesetzbuch - BauGB) dar. Es dürfte bereits an dem hierfür erforderlichen Bebauungszusammenhang fehlen, da nicht auf die tatsächlich vorhandene Bebauung abgestellt werden kann. Denn die Strategie der Beklagten ging und geht gerade dahin, den größten Teil der in der W. errichteten Bauten wegen formeller und materieller Illegalität zu beseitigen. Selbst wenn jedoch ein Bebauungszusammenhang anzunehmen wäre, hätte dieser weder das für die Annahme eines Ortsteils erforderliche Gewicht, noch wäre er Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur. Vielmehr erscheint der in Rede stehende Bebauungskomplex bereits wegen seiner abseitigen Lage als siedlungsstrukturell missbilligenswert (vgl. zu den genannten Kriterien allgemein: Schmaltz, in: Schrödter, BauGB, 6. Auflage 1998, § 34, RN. 7, 15 ff m.w.N.).

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Die mithin im baurechtlichen Außenbereich gelegenen Bauten sind als sonstige Vorhaben nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB unzulässig, weil sie öffentliche Belange beeinträchtigen. Sie widersprechen den Darstellungen des Flächennutzungsplans der Beklagten (§ 35 Abs. 3 Nr. 1 BauGB), erfordern unwirtschaftliche Aufwendungen für Infrastrukturmaßnahmen (§ 35 Abs. 3 Nr. 4 BauGB), beeinträchtigen unabhängig von ihrer Erfassung durch die Landschaftsschutzgebietsverordnung „Naturpark T.“ die natürliche Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB) und lassen die Festigung bzw. Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten (§ 35 Abs. 3 Nr. 7 BauGB).

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Entgegen der Ansicht der Kläger ist der Flächennutzungsplan der Beklagten vom 22. November 2001 rechtmäßig. Er gibt das von der Beklagten seit Jahren verfolgte Ziel wieder, die Bebauung in der N. zu beenden. Dass die tatsächlichen Verhältnisse derzeit noch eine andere Nutzung zeigen als die planungsrechtlich ausgewiesene landwirtschaftliche Nutzung, spielt keine Rolle, da diese Nutzung baurechtswidrig ist. Bestandsschutz hierfür besteht über die durch öffentlich-rechtlichen Vertrag von 1984 geregelte Duldung hinaus nicht. Die Kläger können sich auf diesen Vertrag nicht berufen. Gemäß § 4 des zwischen der Rechtsvorgängerin der Grundstückseigentümerin und der Beklagten abgeschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrages vom 25. Juni 1984, der eine Duldung des baurechtswidrigen Zustandes auf dem streitbefangenen Grundstück bis Ende 2010 vorsah, entfaltete nur Wirkung, solange das Grundstück nicht veräußert oder Dritten der Gebrauch überlassen wurde. Dieser Fall trat im Jahre 1995 durch Eigentumsübergang auf Frau P. Q., die Klägerin in den Verfahren 2 A 326 und 414/04, ein. Selbst dort, wo diese mit allen damaligen Nutzern geschlossenen Verträge noch Wirkung entfalten, stehen sie einer anderweitigen Flächennutzungsplanung der Gemeinde, die die langfristig vorgesehene Nutzung wiedergibt, nicht entgegen.

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Auch das weitere Argument der Kläger, eine Splittersiedlung könne durch ihre Baumaßnahmen nicht verfestigt oder erweitert werden, weil - unstreitig - bestimmte bestandsgeschützte Gebäude bestehen bleiben dürfen, verfängt nicht. Jede weitere über die bestandsgeschützten Gebäude hinausgehende Baumaßnahme erweitert die bestehende Splittersiedlung.

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Ferner besitzt die Herausnahme der N. aus der Landschaftsschutzgebietsverordnung „Naturpark T.“ Aussagekraft für die Entstehung oder Erweiterung einer Splittersiedlung nicht und vermag auch nichts dazu auszusagen, ob durch Baumaßnahmen in dem fraglichen Gebiet eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes eintritt.

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Zutreffend hat der Beklagte auch beide Kläger auf Beseitigung der Vogelvoliere und der offenen Überdachung in Anspruch genommen. Beide sind gemäß § 89 Abs. 2 NBauO verantwortlich für den auf dem von ihnen genutzten Grundstück bestehenden baurechtswidrigen Zustand.

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Dabei kann die Kammer für den Kläger offen lassen, ob er Bauherr der Maßnahmen im Sinne von § 57 Abs. 1 NBauO ist. Das würde voraussetzen, dass die Vogelvoliere und die offene Überdachung auf seine Veranlassung und nach seinem Willen vorbereitet und errichtet worden sind, was nicht der Fall wäre, wenn der klägerische Vortrag, der Kläger sei nur Gehilfe seiner Ehefrau, der Klägerin, gewesen, zuträfe.

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Seine baurechtliche Verantwortlichkeit ergibt sich unabhängig von seiner Bauherreneigenschaft aus § 61 Satz 3 NBauO und aus § 62 NBauO i.V.m. § 6 NGefAG. Einerseits ist der Kläger offenkundig neben seiner Frau tatsächlich Nutzer sowohl des Grundstücks wie auch der streitbefangenen Anlagen. Andererseits hat er die streitgegenständliche Baumaßnahme schon nach eigenem Vorbringen mit einer weiteren Person selbst durchgeführt und ist deshalb Verhaltensverantwortlicher im Sinne des Gefahrenabwehrrechts.

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Die baurechtliche Verantwortlichkeit der Klägerin ergibt sich aus ihrer Eigenschaft als Pächterin des streitbefangenen Grundstücks, mithin aus § 61 Satz 3 NBauO.

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Auch die von der Beklagten getroffene Störerauswahl, d.h. die vorrangige Inanspruchnahme der Kläger auf Beseitigung der Anlagen vor der Eigentümerin ist rechtlich nicht zu beanstanden. Es ist sachgerecht, denjenigen, der als Besitzer den direkten Zugriff auf das Grundstück hat und der den baurechtswidrigen Zustand auf dem Grundstück selbst verursacht hat, vor dem Eigentümer in Anspruch zu nehmen (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 11.8.1993 -1 L 5267/92-, RdL 1994, 78).

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Schließlich begegnet auch die mit der Beseitigungsverfügung gemäß § 70 Abs. 2 NGefAG verbundene Zwangsgeldandrohung rechtlichen Bedenken nicht. Insbesondere stehen der Vollstreckung private Rechte Dritter nicht entgegen, da die Beklagte gegen die Eigentümerin des Grundstücks unter dem 28. November 2003 eine entsprechende Duldungsverfügung erlassen hat, die Gegenstand des Verfahrens 2 A 414/04 ist.

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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO i.V. m. § 100 ZPO.

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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.