Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 22.07.2013, Az.: 10 WF 188/13

Anforderungen an die Zuständigkeit des Familiengerichts für die Bestimmung des Kindergeldberechtigten

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
22.07.2013
Aktenzeichen
10 WF 188/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 43571
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2013:0722.10WF188.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 10.04.2013 - AZ: 601 F 6878/12

Fundstellen

  • AGS 2013, 424-425
  • FPR 2013, 6
  • FamFR 2013, 424
  • FamRZ 2014, 415

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Das Familiengericht ist für die Bestimmung des Kindergeldberechtigten nicht zuständig, wenn zwischen zwei Familienangehörigen ausschließlich streitig ist, wer in einem bestimmten Zeitraum tatsächlich allein die Obhut für ein Kind ausgeübt hat (Anschluß an OLG Nürnberg, Beschluß vom 16. Februar 2011 - 7 WF 161/11 - FamRZ 2011, 1243; OLG Jena, Beschluß vom 5. Mai 2011 - 1 WF 87/11 - OLG München, Beschluß vom 7. Juni 2011 - 33 UF 21/11 - NJW-RR 2011, 1082).

  2. 2.

    Eine Unbilligkeit im Sinne von § 51 Abs. 3 Satz 2 FamGKG, die die Abweichung vom gesetzlich vorgesehenen Festwert von 300 € für das Verfahren auf Bestimmung des Kindergeldberechtigten rechtfertigt, kann regelmäßig nicht allein unter Berufung auf die (vermeintliche) Summe des in der Zeit der Bestimmung anfallenden Kindergeldes begründet werden. Insofern ist vielmehr auf sämtliche konkreten Umstände des Verfahrens, insbesondere aber dessen Umfang und Intensität abzustellen.

  3. 3.

    Eine Festsetzung über dem Festwert kommt insbesondere dann nicht in Betracht, wenn das Familiengericht im Streitfall für die Bestimmung des Kindergeldberechtigten von vornherein erkennbar nicht zuständig war.

In der Familiensache
N. H.,
Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin,
Verfahrensbevollmächtigte:
Anwaltsbüro P. S.,
gegen
A. H.,
Antragstellerin,
Verfahrensbevollmächtigte:
Anwaltsbüro T.,
hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht W., den Richter am Oberlandesgericht H. und die Richterin am Amtsgericht S. am 22. Juli 2013
beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Festsetzung des Verfahrenswertes im Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 10. April 2013 wird der Verfahrenswert für das erstinstanzliche Verfahren auf 300 € festgesetzt.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten sind die Mutter bzw. die Großmutter des am ... 1994 geborenen D. H., für den das Kindergeld bislang an die Kindesmutter (Antragstellerin) ausgezahlt wurde. Aufgrund einer Angabe der Großmutter (Antragsgegnerin) gegenüber der Familienkasse, D. habe seit seinem achten Lebensmonat im Haushalt der Großeltern gelebt, hat diese mit Bescheid vom 1. Juli 2012 die Kindergeldfestsetzung für die Zeit seit Januar 2002 aufgehoben und von der Antragstellerin eine entsprechende Rückzahlung in Höhe von 20.156 € gefordert. Für die Entscheidung über den gegen diesen Aufhebungs- und Abrechnungsbescheid eingelegten Widerspruch der Antragstellerin hat die Familienkasse eine familiengerichtliche Bestimmung des Kindergeldberechtigten für vorgreiflich erachtet und die Antragstellerin zu deren Herbeiführung aufgefordert.

2

Daraufhin hat die Antragstellerin im Dezember 2012 das vorliegende Verfahren eingeleitet und dabei geltend gemacht, D. habe bislang tatsächlich durchgehend allein in ihrem Haushalt gelebt. Im Rahmen des amtsgerichtlichen Verfahrens hat die Antragsgegnerin ihre Angabe gegenüber der Familienkasse als übersetzungsbedingtes Mißverständnis dargelegt und die Angaben der Antragstellerin zu dem bisherigen tatsächlichen Obhutsverhältnis bezüglich Daniel bestätigt.

3

Das Amtsgericht hat mit Beschluß vom 21. März 2013 die Antragstellerin antragsgemäß für die Zeit ab Januar 2002 zur Kindergeldberechtigten bestimmt. Zugleich hat es den Verfahrenswert gemäß § 51 Abs. 3 FamGKG auf 300 € festgesetzt.

4

Gegen diese Wertfestsetzung haben die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin Beschwerde eingelegt. Sie haben geltend gemacht, eine derartige Wertfestsetzung sei angesichts der durch die Familienkasse von der Antragstellerin geforderten Rückzahlung von über 20.000 € unbillig.

5

Das Amtsgericht hat auf diese Wertbeschwerde hin mit Beschluß vom 10. April 2013 den Verfahrenswert geändert und - wie von den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin begehrt - auf 20.156 € festgesetzt.

6

Gegen diesen Beschluß wiederum richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin, die eine Wiederherstellung der ursprünglichen Wertfestsetzung erstrebt.

II.

7

1. Die zulässige, insbesondere in der Differenz der Kostenbelastung aufgrund den beiden in Rede stehenden Verfahrenswerten einen Beschwerdegegenstand mit einem Wert von (weit) mehr als 200 € aufweisende Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die geänderte Wertfestsetzung ist gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 FamGKG zulässig.

8

2. Sie ist auch in der Sache begründet und führt zur Wiederherstellung der ursprünglichen Wertfestsetzung durch das Amtsgericht.

9

a. Für - wie vorliegend verfahrensgegenständlich - Unterhaltssachen, die nicht Familienstreitsachen sind (vgl. dazu bereits Senatsbeschluß vom 31. Mai 2011 - 10 UF 297/10 - FamRZ 2011, 1616 f. = MDR 2011, 1180 f. = JurBüro 2011, 494 = Rpfleger 2011, 604 f. = BeckRS 2011, 14904 = [...]), beträgt der Verfahrenswert gemäß § 51 Abs. 3 Satz 1 FamGKG 300 €. Eine Abweichung von diesem (relativen) Festwert kommt nach Satz 2 der Norm nur dann in Betracht, wenn der mit 300 € vorgegebene Wert "nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig" ist.

10

b. Entgegen der Auffassung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin sowie ihr später folgend des Amtsgerichtes ist im vorliegenden Fall der gesetzlich vorgegebene Festwert von 300 € nicht im Sinne von § 51 Abs. 3 Satz 2 FamGKG unbillig.

11

Eine Festsetzung oberhalb des Festwertes kommt insbesondere in Betracht, wenn die Sache im Einzelfall sehr umfangreich ist oder äußerst streitig geführt wird (vgl. Schneider/Wolf/Volpert-Schneider, FamGKG § 51 Rz. 197). Nach diesen Kriterien ist im Streitfall eine Unbilligkeit des Festwertes ausgeschlossen, da der Sachvortrag der Antragstellerin umgehend inhaltlich von der Antragsgegnerin bestätigt worden ist und diese dem Begehren der Antragstellerin im Verfahren auch in keiner Weise entgegen getreten ist, das Verfahren also besonders umfangarm blieb und unstreitig geführt wurde.

12

Allein aus einer hohen Summe der Kindergeldleistungen, die von einer Entscheidung des Familiengerichtes betroffen werden, kann eine Unbilligkeit des Festwertes dagegen nicht hergeleitet werden, die vielmehr nur in einer Gesamtschau sämtlicher konkreten Umstände des Verfahrens begründet werden kann.

13

c. Eine Abweichung vom gesetzlich vorgegebenen Festwert kommt vorliegend insbesondere aber auch deswegen nicht in Betracht, weil das Familiengericht unter den Umständen des Streitfalles für die Bestimmung des Kindergeldberechtigten von vornherein nicht zuständig war und die Entscheidung des Familiengerichts daher für die Antragstellerin aus Rechtsgründen wirtschaftliche Auswirkungen gar nicht entfalten konnte.

14

aa. § 64 EStG weist die Bestimmung des Kindergeldberechtigten ausdrücklich lediglich in zwei spezifischen Konstellationen dem Familiengericht zu. Zum einen in § 64 Abs. 2 Satz 3 EStG dann, wenn das Kind in den gemeinsamen Haushalt der Eltern (bzw. anderer Kindergeldberechtigter) aufgenommen ist und die beiden Berechtigten eine Bestimmung des Auszahlungsberechtigten nicht getroffen haben. Zum anderen in § 64 Abs. 3 Satz 4 EStG dann, wenn das Kind nicht in den Haushalt eines Berechtigten aufgenommen ist und keiner der Berechtigten eine höhere Unterhaltsrente zahlt.

15

bb. Über den Wortlaut von § 64 Abs. 2 EStG hinaus hat der Bundesfinanzhof ausdrücklich in einer dritten Fallgruppe auf eine entsprechende Anwendung von § 64 Abs. 2 Satz 2 bis 4 EStG erkannt und zwar in den - vom Gesetz nicht geregelten - Fällen, in denen das Kind annährend gleichwertig in die Haushalte beider getrenntlebenden Elternteile aufgenommen ist (BFHE 209, 338; BFH - Urteil vom 23. März 2005 - III R 91/03] = FamRZ 2005, 1173 f. = NJW 2005, 2175 f. [BFH 23.03.2005 - III R 91/03] = [...]; vgl. auch Finke, FPR 2012, 155, 157; Bork/Jacoby/Schwab-Kodal, FamFG § 231 Rz. 10). Dem hat sich auch der Senat bereits ausdrücklich angeschlossen und es dabei für die Zulässigkeit als ausreichend angesehen, wenn annähernd gleichwertige Betreuungsanteile schlüssig dargetan werden (Beschluß vom 14. Mai 2012 - 10 UF 94/11 - FamRZ 2012, 1963 ff. = NdsRpfl 2012, 242 ff. = NJW-RR 2012, 1351 ff. [OLG Celle 14.05.2012 - 10 UF 94/11][OLG Celle 14.05.2012 - 10 UF 94/11] = FamFR 2012, 294 = [...] = BeckRS 2012, 10975).

16

cc. Dagegen ist das Familiengericht zur Bestimmung des Kindergeldberechtigten unzweifelhaft nicht zuständig, wenn sich das Kind im Haushalt eines Berechtigten aufgehalten hat und zwischen den Beteiligten lediglich streitig ist, in wessen Haushalt das Kind im maßgeblichen Zeitraum aufgenommen war (vgl. OLG Nürnberg, Beschluß vom 16. Februar 2011 - 7 WF 161/11 - FamRZ 2011, 1243 f. = MDR 2011, 731 f. = AGS 2011, 198 = [...]; OLG Jena, Beschluß vom 5. Mai 2011 - 1 WF 87/11 - AGS 2011, 307 = [...]; OLG München, Beschluß vom 7. Juni 2011 - 33 UF 21/11 - NJW-RR 2011, 1082 f. = AGS 2011, 406 f = [...]).

17

Diese letztgenannte Konstellation liegt aber gerade dem vorliegenden Streitfall zugrunde.

18

d. Im übrigen würde eine - entgegen dem Vorgesagten unterstellte - Unbilligkeit im Hinblick auf die wirtschaftliche Bedeutung für die Beteiligten in keinem Fall dazu führen können, den Verfahrenswert auf den Gesamtbetrag des wirtschaftlichen Interesses festzusetzen. Vielmehr könnte eine derart angenommene wirtschaftliche Bedeutung nur Grundlage für eine angemessene Erhöhung des Festwertes von 300 € darstellten, wie sie etwa vom OLG Köln (Beschluß vom 29. Mai 2012 - 4 UF 78/12 - BeckRS 2013, 02973 = [...]) im Hinblick auf eine ebenfalls für mehrere Jahre in die Vergangenheit reichende Bestimmung des Kindergeldberechtigten mit der Festsetzung eines Verfahrenswerts nach der Gebührenstufe bis 1.000 € erfolgt ist.

III.

19

Die feststellende Entscheidung zu den Nebenfolgen ergibt sich aus § 59 Abs. 3 FamGKG.

20

Die Festsetzung eines Verfahrenswertes für das Beschwerdeverfahren ist nicht veranlaßt, da Gerichtskosten nicht erhoben werden und eine Wertfestsetzung für die Anwaltsgebühren gemäß § 33 Abs. 1 RVG nicht beantragt ist.