Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 23.07.2013, Az.: 10 UF 100/13

Elterliche Sorge; Aufenthaltsbestimmungsrecht; Wiederanbahnung; Elternteil

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
23.07.2013
Aktenzeichen
10 UF 100/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 64327
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG - 15.03.2013 - AZ: 620 F 5428/11

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ist zur unter Kindeswohlgesichtspunkten gebotenen Wiederanbahnung des Verhältnisses zu einem Elternteil mit dem Ziel des Wechsels in dessen Obhut eine therapeutische Begleitung des Kindes erforderlich, ist zur Sicherstellung einer behutsamen und begleiteten Heranführung des Kindes das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie die gesamte Durchführung der zur Wiederanbahnung der Kontakte mit dem Elternteil erforderlichen psychologischen Behandlung des Kindes unter Einschluss der Bestimmung der behandelnden Therapeuten dem Jugendamt als Ergänzungspfleger zu übertragen, während die elterliche Sorge im Übrigen bereits dem künftig verantwortlichen Elternteil zu übertragen ist.

Tenor:

Auf die Beschwerde des Kindesvaters und unter Zurückweisung der Beschwerde der Kindesmutter wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 15. März 2013 teilweise geändert und wie folgt neu gefaßt:

1.  Der Kindesmutter wird in Abänderung des Beschlusses des 15. Zivilsenates des Oberlandesgerichts Celle vom 8. Oktober 2010 (15 UF 228/09) das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Tochter M.   C., geboren am 21. Juli 2002, entzogen. Insoweit wird das Jugendamt der Stadt M. zum Ergänzungspfleger bestellt.

2.  Die elterliche Sorge im übrigen wird - in weiterer teilweiser Abänderung des Beschlusses des 15. Zivilsenates des Oberlandesgerichts Celle vom 8. Oktober 2010 (15 UF 228/09) - mit der Maßgabe allein dem Kindesvater übertragen, daß dem aufgrund der wirksamen Entscheidung des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 15. März 2013 bislang bereits als Vormund und nunmehr als Ergänzungspfleger hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts tätigen Jugendamt der Stadt M. auch weiterhin die gesamte (weitere) Durchführung der zur Wiederanbahnung der Kontakte mit dem Kindesvater erforderlichen psychologischen Behandlung von M.  unter Einschluß der Bestimmung der behandelnden Therapeuten übertragen bleibt.

Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen werden zwischen den Kindeseltern gegeneinander aufgehoben.

Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren: 3.000 €.

Gründe

I.

Die Ehe der beteiligten Kindeseltern, aus der die betroffene M.   C. hervorging, ist nach Anfang 2002 erfolgter Trennung im November 2009 geschieden worden. M.  lebte seit der Trennung der Eltern im Haushalt der Kindesmutter, die bereits unmittelbar nach der Trennung unter Berufung auf die - seit geraumer Zeit widerlegte, von der Kindesmutter jedoch bis heute und unter stets zunehmender Ausschmückung und Dramatisierung aufrechterhaltene - Behauptung eines sexuellen Mißbrauchs des Kindes durch seinen Vater den Abbruch der Umgangskontakte zwischen M.  und dem Kindesvater erstrebte. In der Folgezeit fanden bis Mitte Juli 2008 noch begleitete Umgangskontakte statt. Im Rahmen der zahlreichen zum Umgang wie der elterlichen Sorge zwischen den Kindeseltern zuvor geführten Verfahren wurden bereits insgesamt vier Sachverständigengutachten eingeholt.

Nachdem es auch nach mehrjähriger Durchführung einer laufenden Therapie   M. s im Winnicott-Institut zu keiner Änderung der Umgangsblockade gekommen war, hat der Kindesvater das vorliegende Verfahren mit dem Ziel einer Übertragung der elterlichen Sorge allein auf sich eingeleitet. Im Laufe des Verfahrens hat auch die Kindesmutter ihrerseits einen entsprechenden Antrag gestellt.

Das Amtsgericht hat für M.  einen Verfahrensbeistand bestellt und ein Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie E. Q. aus Göttingen eingeholt; hinsichtlich dessen Ergebnisses wird auf das schriftliche Gutachten vom 10. Januar 2013 [Bl. III 576 - 602 d. A.] sowie die Sitzungsniederschrift zu dessen mündlicher Erläuterung im Anhörungstermin vom 28. Februar 2013 [Bl. III 644 - 648 d. A.] Bezug genommen.

Nach persönlicher Anhörung der Betroffenen sowie sämtlicher weiterer Beteiligter hat das Amtsgericht mit Beschluß vom 15. März 2013, auf den auch zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird, beiden Kindeseltern die elterliche Sorge entzogen und das Jugendamt der Stadt M. zum Vormund bestellt.

Gegen die ihnen am 22. bzw. 25. März 2013 zugestellte amtsgerichtliche Entscheidung haben beide Kindeseltern jeweils fristgerecht beim Amtsgericht Beschwerde eingelegt und diese gegenüber dem Senat begründet. Sie verfolgen  dabei jeweils ihr erstinstanzliches Ziel der Übertragung der elterlichen Sorge für M.  auf sich allein weiter.

Der Senat hat mit Beschluß vom 2. Mai 2013 im Wege einstweiliger Anordnung festgestellt, daß die erstinstanzliche Entscheidung entgegen ihrem Tenor zu Ziffer 4, nach dem eine Wirksamkeit des Beschlusses erst mit Rechtskraft eintreten soll, bereits seit 25. März 2013 wirksam ist und eine Aussetzung des Vollzuges der amtsgerichtlichen Entscheidung gemäß § 64 Abs. 3 FamFG nicht beabsichtigt sei. Zugleich hat der Senat der Kindesmutter die für das Beschwerdeverfahren nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe (VKH) mit weiterer Begründung mangels auch nur hinreichender Erfolgsaussicht versagt.

Unmittelbar nach Zustellung des besagten Senatsbeschlusses hat das Jugendamt M.  in einer - beiden Kindeseltern bislang nicht konkret bekanntgegebenen - Einrichtung der Familienhilfe untergebracht.

Der Senat hat am 11. Juni 2013 einen umfassenden Anhörungstermin durchgeführt, in dem die Beteiligten sowie der Sachverständige Q. ergänzend angehört worden sind; hinsichtlich der Ausführungen des Sachverständigen wird auf die diesbezügliche Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Im Anhörungstermin hat der Kindesvater seine Beschwerde insoweit zurückgenommen, als sich diese auch gegen den amtsgerichtlichen Ausspruch zum Aufenthaltsbestimmungsrecht richtet.

Nach dem Anhörungstermin ist das Mandat der bisherigen Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter beendet worden.

Mit Schreiben vom 16. Juli 2013, auf das ebenfalls Bezug genommen wird, hat das Jugendamt ergänzend über die zwischenzeitliche Entwicklung, insbesondere von der Stabilisierung M. s in ihrer neuen Umgebung berichtet. Dabei hat es auch seiner Sorge Ausdruck verliehen, daß die - vom Senat in Aussicht genommene - Zuweisung der elterlichen Sorge mit Ausnahme des Aufenthaltsbestimmungsrechts an den Kindesvater die behutsame und begleitete Heranführung an den Kindesvater beeinträchtigen könnte. Es hat insofern beantragt, die elterliche Sorge für M.  zunächst auch hinsichtlich der Bestimmung der Umgangskontakte, der medizinischen Betreuung und des Antragsrechts zur Hilfe zur Erziehung weiterhin beim Jugendamt zu belassen, um die Verantwortung dem Kindesvater dann erst nach und nach zu übertragen.

II.

Die Beschwerden beider Kindeseltern sind zulässig. Während die Beschwerde der Kindesmutter unbegründet ist, hat die - nach teilweiser Rücknahme verbliebene - Beschwerde des Kindesvaters vollen Erfolg und führt insofern zu der aus dem Tenor ersichtlichen Neufassung der Entscheidung über die elterliche Sorge.

1.  Soweit das Amtsgericht der Kindesmutter das - zuletzt dieser allein übertragene - Aufenthaltsbestimmungsrecht für M.  entzogen und damit zugleich die Voraussetzungen für die inzwischen auch tatsächlich vollzogene Trennung der Tochter von ihren Eltern geschaffen hat, stellt dies zum einen eine Abänderung der diesbezüglichen Entscheidung des 15. Zivilsenates des Oberlandesgerichts Celle vom 8. Oktober 2010 dar, so daß sie einer Begründung nach dem verschärften Maßstab des § 1696 BGB bedarf. Soweit diese Entscheidung zum anderen zugleich mit einer Trennung M. s von ihrer Familie einhergeht, ist zusätzlich der noch strengere Maßstab des Art. 6 Abs. 3 GG zu beachten.

Auch im Lichte dieser Vorgaben erweist sich die diesbezügliche Entscheidung des Amtsgerichts jedoch als uneingeschränkt zutreffend. Der vom Senat ergänzend sowie insbesondere auch zu der nach der erfolgten Herausnahme M. s eingetretenen weiteren Entwicklung angehörte Sachverständige Q. hat zudem erneut die im Interesse des Kindeswohles dringend bestehende Notwendigkeit einer Beendigung der zwischen Kindesmutter und M.  bestehenden symbiotischen Beziehung bekräftigt. Er hat - wiederum überzeugend - dargelegt, daß M.  nach ihrer Herausnahme aus dem mütterlichen Haushalt - unabhängig von der weiterhin bekräftigen Ablehnung des Kindesvaters - mit dem ausdrücklichen Wunsch, sich diesem gegenüber in einem persönlichen Schreiben zu erklären, erstmals einen Ansatz eigener inhaltlicher Auseinandersetzung mit dem Kindesvater gezeigt habe. Dies eröffne - anders als in der bisherigen Situation im Haushalt der Kindesmutter - für M.  die Möglichkeit zu einer längerfristigen Normalisierung.

2.  Nachdem der Kindesvater im Termin vor dem Senat ausdrücklich erklärt hat, die Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes für M.  nicht anzustreben und seine Beschwerde - soweit sie sich gegen die amtsgerichtliche Übertragung der elterlichen Sorge insoweit auf das Jugendamt richtete - zurückgenommen hat, verbleibt es hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechtes bei der Übertragung auf das - nunmehr als Ergänzungspfleger tätige - Jugendamt.

Im Hinblick auf die auch im Anhörungstermin erörterten und vom Sachverständigen betonten besonderen Notwendigkeiten bei der - bereits begonnenen - Anbahnung und Durchführung der für M.  ganz entscheidenden therapeutischen Behandlung zur Wiederanbahnung ihres Verhältnisses zum Kindesvater ist dabei die vom Senat vorgenommene Klarstellung geboten, daß es hinsichtlich dieser schon eingeleiteten Maßnahmen bei der alleinigen Zuständigkeit des Jugendamtes bleiben muß.

3.  Für eine - von der Beschwerde des Kindesvaters weiterhin bekämpfte - weitergehende Entziehung der elterlichen Sorge für M.  insgesamt liegen dagegen die rechtlichen Voraussetzungen gemäß §§ 1666, 1666a BGB gegenüber dem Kindesvater nicht vor. Vielmehr hat der Sachverständige Q. bekundet, daß der Kindesvater insofern hinreichend geeignet ist und aus der Ausübung der verbleibenden Teile der elterlichen Sorge durch ihn keine nachteiligen Auswirkungen für M.  ersichtlich sind.

Dies gilt schließlich auch, soweit das Jugendamt mit Schriftsatz vom 16. Juli 2013 eine (weitergehende) Aufrechterhaltung der amtsgerichtlich angeordneten Vormundschaft beantragt. Es ist zwar durchaus nicht von der Hand zu weisen, daß der Kindesvater vor dem Eindruck der vorliegend wesentlich von der Kindesmutter zu verantwortenden langjährigen massiven Fehlentwicklung sich - subjektiv verständlich - nicht ohne weiteres von einer vergangenheitsorientierten Betrachtungsweise bis hin zu Schuldzuweisungen lösen kann. Ebenso zutreffend können eine derartige Akzentuierung beim Kindesvater wie auch dessen - wiederum durchaus nachvollziehbare - Ungeduld hinsichtlich spürbarer Veränderungen des Verhältnisses seiner Tochter zu ihm der derzeit notwendigen behutsamen psychologischen Aufbauarbeit bei M.  störend entgegen stehen. Insgesamt ergeben sich jedoch daraus bislang keine hinreichenden Grundlagen, um nach dem strengen Maßstab der §§ 1666, 1666a BGB weitergehende Eingriffe in die verbleibende elterliche Sorge des Kindesvaters rechtfertigen zu können.

Dabei bedarf es für den vom Jugendamt besonders angesprochenen Bereich der Regelung der Umgangskontakte angesichts des vom Jugendamt als Ergänzungspfleger weiter ausgeübten Aufenthaltsbestimmungsrechtes und der Unterbringung M. s bei einer Pflegefamilie bereits ohnehin einer Einigung des Kindesvaters mit diesen beiden weiteren Betroffenen und ist ohne eine solche eine gerichtliche Regelung vorzunehmen. Hinsichtlich des wichtigen Bereichs der weiteren psychologischen Behandlung zur Wiederanbahnung der Kontakte zum Vater hat der Senat durch die ausgesprochene Maßgabe bereits der entsprechenden Notwendigkeit Rechnung getragen. Hinsichtlich der darüber hinaus vom Jugendamt vertretenen Einschränkungen der Ausübung elterlicher Sorge durch den Kindesvater         - also hinsichtlich der medizinischen Betreuung insgesamt (die teilweise - nämlich hinsichtlich „alltäglicher“ Maßnahmen - bereits nicht in den Bereich der elterlichen Sorge fällt) sowie des Rechtes zur Antragstellung zur Hilfe zur Erziehung - erscheinen nachhaltige Auseinandersetzungen eher fernliegend.

Der Senat geht zudem - insbesondere auch nach dem persönlichen Eindruck, den er in der Anhörung vom Kindesvater gewonnen hat - davon aus, daß es diesem gelingen wird, zu einem zum Wohle M. s erforderlichen sachgerechten und zukunftsorientierten Zusammenwirken mit der Obhutsfamilie sowie dem - über das Aufenthaltsbestimmungsrecht hinaus unterstützend tätigen - Jugendamt zu finden und dabei insbesondere die für M.  erforderliche Geduld aufzubringen.

4.  Vor diesem Hintergrund und in Ansehung des ausdrücklichen Antrages des Kindesvaters auf Übertragung der elterlichen Sorge in diesem Umfang auf sich ist eine Entscheidung insofern gemäß § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu treffen, wobei im Hinblick auf die damit verbundene Abänderung der Entscheidung des 15. Zivilsenates wiederum der gesteigerte Maßstab nach § 1696 BGB zu berücksichtigen ist.

Dabei gebieten mit der sachverständigen Feststellung, daß eine Beendigung des symbiotischen Verhältnisses zwischen der Kindesmutter und M.  zwingend geboten ist, unproblematisch triftige, das Kindeswohl nachhaltig berührende Gründe eine Änderung der vorangegangenen gerichtlichen Entscheidung. Angesichts der jahrelangen, auf längst widerlegten Behauptungen beruhenden widerrechtlichen Vereitelung des Umganges zwischen M.  und dem Kindesvater durch die Kindesmutter kommt eine gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge durch beide Kindeseltern nicht weiter in Betracht. Bei der danach vorzunehmenden Wahl des mit der Ausübung der hier noch gegenständlichen Teile der elterlichen Sorge    allein zu betrauenden Elternteils ist nach dem oben zu II. 1. Ausgeführten eine Übertragung auf die Kindesmutter ausgeschlossen, so daß die elterliche Sorge insoweit dem Kindesvater zu übertragen ist.

5.  Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 84, 81 FamFG, die Festsetzung des Verfahrenswertes auf § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.