Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 30.09.2013, Az.: 8 C 6314/13

Hochschulzugangsberechtigung; Studienplatzvergabe; Studienplatz; Auswahl; Abiturnote; Bewerbung; innerkapazitär; Durchschnittsnote; Anordnungsanspruch

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
30.09.2013
Aktenzeichen
8 C 6314/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 64385
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Praktische Schwierigkeiten bei der Umsetzung einer auf Kursnoten abstellenden Auswahlverfahrensordnung rechtfertigen es nicht, Bewerberinnen und Bewerber mit einer fachbezogenen Hochschulzugangsberechtigung von den gesetzlichen Auswahlkriterien § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 NHZG auszunehmen.
2. Nach Abschluss des Hauptverfahrens kann im innerkapazitären Streit nach § 123 VwGO nur noch ein Anordnungsanspruch auf vorläufige Vergabe des nächsten im Verlauf des Nachrückverfahrens oder nach dessen Abschluss frei werdenden Studienplatzes verfolgt werden.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist im Besitz der am 20. Juni 2013 in D. mit dem Abschluss der Berufsoberschule der Fachrichtung Wirtschaft mit der Durchschnittsnote 2,8 erworbenen fachgebundenen Hochschulreife. Er hat sich am 10. Juli 2013 bei der Antragsgegnerin um einen Studienplatz im zulassungsbeschränkten Bachelor-Studiengang Sozialwissenschaften beworben.

Zur Vergabe der Studienplätze nach dem Auswahlverfahren ermittelte die Antragsgegnerin aus den eingegangenen Bewerbungen einen Grenzrang der Note von 2,55. Mit Bescheid vom 29. August 2013 lehnte sie die Vergabe des begehrten Studienplatzes an den Antragsteller ab, weil dieser mit seiner Durchschnittsnote von 2,8 den Grenzrang und damit ausreichenden Rangplatz nicht erreicht hatte.

Der Antragsteller hat am 3. September 2013 im Hauptsacheverfahren 8 A 6315/13 Klage gegen den Bescheid vom 29. August 2013 erhoben. Zugleich hat er im vorliegenden Verfahren um einstweiligen Rechtsschutz zur vorläufigen Zuweisung eines Studienplatzes innerhalb der festgesetzten Kapazität nachgesucht.

Der Antragsteller macht geltend vor, dass er einen Anspruch auf Zulassung zum Studium habe. Die Ordnung der Beklagten über das Auswahlverfahren für den streitbefangenen Studiengang sehe vor, dass sich die Verfahrensnote für die Entscheidung im Auswahlverfahren nach Maßgabe der dort normierten Prozentsätze aus der Durchschnittsnote in Kombination mit den Fachnoten von drei Fächern der Hochschulzugangsberechtigung ergebe. Sein Abschlusszeugnis weise in den in der Auswahlordnung aufgezählten Fächern Politik und Englisch jeweils die Note 1 und im Fach Deutsch die Note 3 aus, so dass sich in Anwendung dieser Vorschrift in seinem Fall eine Verfahrensnote von 2,22 errechne. Damit hätte er zum Beginn des Wintersemesters 2013/2014 von der Beklagten zum Studium zugelassen werden müssen.

Der Antragsteller beantragt,

der Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung aufzugeben, dem Antragsteller im Wintersemester 2013/2014 vorläufig einen Studienplatz des 1. Fachsemesters für den Studiengang Sozialwissenschaften (Bachelor of Arts) zuzuweisen,

hilfsweise,

die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung vorläufig zu verpflichten, im Wintersemester 2013/2014 einen Studienplatz des 1. Fachsemesters für den Studiengang Sozialwissenschaften (Bachelor of Arts) für den Antragsteller freizuhalten und den Antragsteller vorläufig im Wintersemester 2013/2014 zum Studium der Sozialwissenschaften (Bachelor of Arts) im 1. Fachsemester zuzulassen,

hilfsweise

die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung vorläufig zu verpflichten, im Wintersemester 2013/2014 einen Studienplatz des 1. Fachsemesters für den Studiengang Sozialwissenschaften (Bachelor of Arts) für den Antragsteller freizuhalten.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Die Antragsgegnerin trägt vor, sie ziehe bei allen Berufsoberschulzeugnissen immer nur die Durchschnittsnote heran, weil diese Zeugnisse zum einen keine Kursnoten enthielten und zum anderen nicht immer die Noten der Fächer auswiesen, die nach der Zugangsordnung berücksichtigt werden müssten. Dies werde zum Zweck der Gleichbehandlung innerhalb dieser Bewerbergruppe in jedem Fall so gehandhabt.

Am 9. September 2013 hat der Antragsteller im Verfahren 8 C 6408/13 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Regelung seiner vorläufigen Zulassung außerhalb der festgesetzten Kapazität des Studiengangs Sozialwissenschaften gestellt. Über diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht noch nicht entschieden.

Wegen des weiteren Sachverhalts …

II.

Der Antrag ist nur teilweise begründet.

Der Antragsteller hat einen auf vorläufige Zulassung zum Studium der Sozialwissenschaft gerichteten Anordnungsanspruch (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO) nur für den Fall glaubhaft gemacht, dass im weiteren Verlauf des Nachrückverfahrens oder nach dessen Abschluss mindestens ein Studienplatz im Rahmen der Quote für das Auswahlverfahren verfügbar bleibt.

Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass sich der auf seine Studienplatzbewerbung ergangene Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. August 2013 im Hauptsacheverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als rechtswidrig erweisen wird und ihn in seinen Rechten verletzt.

Die Entscheidung der Antragsgegnerin, für den Antragsteller anhand einer Verfahrensnote von 2,8 einen Rangplatz zu ermitteln, der die Vergabe eines Studienplatzes im Auswahlverfahren (Abiturbestenquote) nicht mehr zuließ, verstößt gegen die gesetzliche Vorgabe des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 NHZG. Danach ist die Auswahlentscheidung der Hochschule für diesen Bewerberkreis nach der Durchschnittsnote der Hochschulzugangsberechtigung in Kombination mit dem Kriterium einer Gewichtung der in der Hochschulzugangsberechtigung ausgewiesenen Leistungen in Fächern, die über die Eignung für den gewählten Studiengang besonderen Aufschluss geben, zu treffen, sofern die Universität von dieser Möglichkeit in ihrer gemäß § 5 Abs. 8 NHZG zu erlassenden Ordnung über das Auswahlverfahren Gebrauch gemacht hat. Ist dieses - wie für den Bachelorstudiengang Sozialwissenschaften bei der Antragsgegnerin - geschehen, lässt das Gesetz ein Abweichen von den in § 5 Abs. 2 Satz 1 NHZG abschließend festgelegten Auswahlkriterien nicht zu.

Die Antragsgegnerin ist demnach ohne Rechtsgrundlage von der Rechtsnorm in § 1 Abs. 2 der Ordnung über das Auswahlverfahren zum zulassungsbeschränkten Bachelorstudiengang Sozialwissenschaften (vom 28.06.2006, VkBl. Universität D. 2006 S. 64) - Auswahlverfahrensordnung - abgewichen. In dieser Norm hat sich die Antragsgegnerin daran gebunden, die Auswahlentscheidung gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 NHZG nach einer Verfahrensnote zu treffen, welche sich aus der Durchschnittsnote der Hochschulzugangsberechtigung in Kombination mit den Fachnoten (Punkten) der drei in Absatz 3 aufgezählten Fächer der Hochschulzugangsberechtigung ergibt.

Danach musste die Antragsgegnerin die in der Hochschulzugangsberechtigung des Antragstellers beurkundeten Noten der Fächer Politik, Deutsch und Englisch in eine gewichtende Beziehung zu seiner Durchschnittsnote setzen, um die Auswahlentscheidung im Einklang mit der gesetzlichen Auswahlvorgabe treffen zu können. Wäre dies geschehen, hätte sie den Antragsteller tatsächlich mit einer Verfahrensnote von 2,22 in die Auswahl einbeziehen müssen, was angesichts der tatsächlichen Anzahl der verfügbaren Studienplätze zur Vergabe eines Platzes geführt hätte.

Die von der Antragsgegnerin genannten praktischen Schwierigkeiten bei der Umsetzung ihrer Auswahlverfahrensordnung rechtfertigen es sachlich nicht, den Bewerberkreis mit einer fachbezogenen Hochschulzugangsberechtigung von den gesetzlichen Auswahlkriterien § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 NHZG auszunehmen. Abgesehen davon, dass die Antragsgegnerin ihre allein auf das Kriterium der Durchschnittsnote (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 NHZG) bezogene Entscheidungspraxis für Bewerberinnen und Bewerber mit einer fachgebundenen Hochschulreife nicht in die nach § 5 Abs. 8 Satz 2 NHZG notwendige Auswahlverfahrensordnung des umgesetzt hat, ist der Wortlaut der Auswahlverfahrensordnung vom 28. Juni 2006 nicht auf Hochschulzugangsberechtigungen beschränkt, die im Kurssystem des allgemein bildenden Schulwesens oder an Beruflichen Gymnasium erworben worden sind. Die Bildung der gewichteten Verfahrensnote von 2,22 des Antragstellers anhand seiner Zeugnisnoten führt auch nicht zu seiner Bevorzugung gegenüber Bewerberinnen und Bewerber mit einer allgemeinen Hochschulreife. Werden diese Einzelnoten anhand der im Internet für Studieninteressierte veröffentlichten Umrechnungstabelle der Antragsgegnerin in das Punktesystem der allgemeinen Hochschulreife umgesetzt, errechnet sich eine Verfahrensnote nach Punkten von 10,55, was aufgerundet der Note 2,0 entspricht.

Allerdings ist der Antrag als unbegründet abzulehnen, soweit er mit dem Hauptbegehren uneingeschränkt auf die vorläufige Zuweisung eines Studienplatzes im Hauptverfahren gerichtet ist. Im gegenwärtigen Stadium des Vergabeverfahrens nach Abschluss des Hauptverfahrens beschränkt sich der aus der Anwendung der Vorschriften des NHZG, der Hochschul-VergabeVO und der Auswahlverfahrensordnung ergebende Zulassungsanspruch des Antragstellers nur noch auf die Vergabe des nächsten nach Maßgabe des Beschlusstenors frei werdenden und damit für ihn freizuhaltenden Platzes im weiteren Verlauf des Nachrückverfahrens oder nach dessen Abschluss. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts (vgl. Beschluss vom 25.01.2006 - 6 C 6938/05 -, juris). Denn ein Fehler im (innerkapazitären) Auswahlverfahren begründet noch keinen Anspruch auf Vergabe eines Studienplatzes, wenn alle innerkapazitär vorhandenen Studienplätze schon endgültig vergeben worden sind. Maßgebender Gesichtspunkt hierfür ist, dass das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz allein im innerkapazitären Verfahren nicht die in der Zulassungszahlenverordnung normativ festgesetzte Studienplatzzahl durchbrechen kann.