Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 13.09.2013, Az.: 2 A 3056/12

Ausbildungsgeld; Bemessungsgrundsätze; besondere Härte; Entlassung; Erstattung von Kosten des Studiums; Kriegsdienstverweigerung; Sanitätsoffizier; Zeitsoldat

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
13.09.2013
Aktenzeichen
2 A 3056/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64383
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Erstattung von Ausbildungsgeld für einen auf eigenen Antrag aus der Bundeswehr entlassenen Soldaten auf Zeit eine besondere Härte bedeutet.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der im Jahr D. geborene Kläger ist Arzt. Seit März 2011 ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim E. -Institut  F. tätig. Was er jetzt genau beruflich macht, ist nicht bekannt. Der Kläger begehrt Rechtsschutz gegen die Rückforderung von Ausbildungskosten durch die Bundeswehr.

Der Kläger wurde zum 01.07.2000 zum Grundwehrdienst der Bundeswehr einberufen. Mit Ablauf des 13.07.2000 wurde er gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 WPflG in der Fassung vom 15.12.1995 aus der Bundeswehr entlassen, da er nach ärztlichem Urteil vorübergehend nicht wehrdienstfähig war.

Aufgrund seiner Bewerbung für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr wurde der Kläger zum 01.01.2001 als Anwärter für die Laufbahn der Offiziere des Sanitätsdienstes wieder in die Bundeswehr eingestellt und in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit wurde auf der Grundlage seiner Verpflichtungserklärung vom 25.10.2000 über eine Verpflichtungszeit von 18 Jahren zunächst auf fünf Jahre festgesetzt.

Für die Zeit vom 01.10.2001 bis 31.12.2004 wurde der Kläger für das Studium der Humanmedizin an der G. (H.) beurlaubt. Während dieser Zeit wurde ihm ausweislich einer Aufstellung der Wehrbereichsverwaltung Nord vom 14.04.2005 Ausbildungsgeld nach der Verordnung über das Ausbildungsgeld für Sanitätsoffizier-Anwärter in Höhe von insgesamt 61.421,76 Euro gezahlt.

Am 24.05.2002 stellte der Kläger einen Antrag auf Entlassung aus der Bundeswehr gemäß § 55 Abs. 3 Soldatengesetz (SG). Zur Begründung berief er sich darauf, dass es ihm aus Gewissensgründen nicht mehr möglich sei, als Sanitätssoldat in der Bundeswehr Dienst zu leisten. Auf den Entlassungsantrag wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 10.01.2003 lehnte das Personalamt der Bundeswehr den Entlassungsantrag ab. Zur Begründung führte die Behörde aus, dem Vorbringen des Klägers sei nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass ihm sein Gewissen bereits den Sanitätsdienst in der Bundeswehr verbiete. Er habe das Vorliegen einer diesbezüglichen Gewissensentscheidung nicht glaubhaft gemacht. Auf den Bescheid vom 10.01.2003 wird Bezug genommen. Hiergegen legte der Kläger am 27.01.2003 Beschwerde ein. Diese wurde mit Beschwerdebescheid des Personalamts der Bundeswehr vom 03.09.2003 zurückgewiesen. Am 08.10.2003 erhob der Kläger Klage vor dem erkennenden Gericht (2 A 5037/03).

Im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens stellte der Kläger am 19.07.2004 einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer. Mit Bescheid des Bundesamtes für den Zivildienst vom 16.11.2004 wurde der Kläger als Kriegsdienstverweigerer anerkannt. Von der Beklagten wurde er - mittlerweile zum Fahnenjunker befördert - deshalb mit Verfügung vom 20.12.2004 aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit gemäß § 55 Abs. 1 SG i.V.m. § 46 Abs. 2 Nr. 7 SG entlassen. Das Dienstverhältnis endete mit Ablauf des 01.02.2005  Das verwaltungsgerichtliche Verfahren wurde daraufhin eingestellt.

Mit Bescheid vom 09.09.2005 forderte die Beklagte von dem Kläger die Rückzahlung des ihm gewährten Ausbildungsgeldes und setzte den Erstattungsbetrag auf 61.421,76 Euro fest. Nach erfolglosem Widerspruch erhob der Kläger vor dem erkennenden Gericht am 21.08.2006 Klage (2 A 4933/06). Im gerichtlichen Verfahren hob die Beklagte die angefochtenen Bescheide auf. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren wurde daraufhin eingestellt.

Mit Bescheid vom 10.08.2011 forderte das Personalamt der Bundeswehr den Kläger nochmals auf, den anlässlich seines Studiums der Humanmedizin an der H. verbliebenen geldwerten Vorteil zu erstatten. Der Erstattungsbetrag wurde auf 24.316,83 Euro festgesetzt. Dem Kläger wurde eine verzinsliche Stundung durch Einräumung von Ratenzahlungen gewährt. Die monatliche Zahlungsrate wurde auf 810,00 Euro festgesetzt. Außerdem wurde dem Kläger mitgeteilt, dass mit Bestandskraft des Leistungsbescheids, spätestens ab 20.09.2011 Stundungszinsen in Höhe von jährlich 4 % erhoben werden. Der Bescheid wurde wie folgt begründet:

Die Erstattungsforderung beruhe auf § 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SG. Nach dieser Vorschrift müsse der Kläger als früherer Soldat auf Zeit, der auf seinen Antrag entlassen worden sei, die entstandenen Kosten seines Studiums erstatten. Während seines Studiums an der H. sei ihm in dem Zeitraum vom 01.10.2001 bis zum 31.12.2004 Ausbildungsgeld in Höhe von insgesamt 61.421,76 Euro gezahlt worden. Dieser Betrag stehe zur Rückerstattung heran.

Auf die Erstattung dieser Kosten könne nach § 56 Abs. 4 Satz 3 SG ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn sie für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde. Die Erstattungsverpflichtung, der sich ein wegen seiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer entlassener Soldat gegenübersehe, stelle eine besondere Härte im Sinne dieser Vorschrift dar,  die den ehemaligen Dienstherrn zu Ermessenserwägungen über den vollständigen oder teilweisen Verzicht auf einen Ausgleich der Ausbildungskosten zwinge. Im Lichte des Art. 4 Abs. 3 GG sei § 56 Abs. 4 S. 3 SG dahin auszulegen, dass anerkannte Kriegsdienstverweigerer die Kosten ihrer Ausbildung nur im Umfang des geldwerten Vorteils erstatten müssten, der ihnen aus dem genossenen Studium oder einer genossenen Fachausbildung für ihr weiteres Berufsleben real und nachprüfbar verblieben sei. Nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Rückforderung von Ausbildungskosten müssten die zurück verlangten Kosten angemessen und verhältnismäßig sein. Es sei ein Vorteils-ausgleich anzustellen, der die Situation wiederherstelle, die in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht bestanden habe, bevor der Kläger sein Studium absolviert habe. Der zu ermittelnde erstattungspflichtige Vorteil aus dem Studium sei dabei in der Ersparnis von Aufwendungen und nicht in der Aussicht auf künftige Einnahmen zu sehen. Abzustellen sei auf die abstrakt vorhandene Nutzbarkeit im zivilberuflichen Bereich.

Im Rahmen der danach vorzunehmenden Berechnung sei auf der Grundlage der sogenannten „Bemessungsgrundsätze“ (Erlass BMVg vom 22.07.2002) hinsichtlich der von dem Kläger ersparten Aufwendungen eine fiktive Berechnung vorgenommen worden. Nach der Anlage 4 dieses Erlasses könnte im Rahmen einer Berechnung der fiktiven Kosten die monatlichen Beiträge für Lebensunterhalt, Studiengebühren und Lernmittelzuschuss in Ansatz gebracht werden. Bis zum 31.12.2001 setzte sich der monatliche Kostenansatz aus den einzelnen Beträgen für Lebensunterhalt, Studiengebühren und Lernmittelzuschuss zusammen. Bei der Bemessung der fiktiven Studiengebühren sowie der fiktiven Lernmittelzuschüsse würden regelmäßig nur volle Semester - ausgehend von den Daten des Semesterbeginns am 01.04. und 01.10. eines jeden Jahres - in Ansatz gebracht. Für den absolvierten Studienzeitraum vom 01.10.2001 bis 31.12.2001 werde somit zugunsten des Klägers kein Semester angesetzt. Ab dem 01.01.2002 würden die Beiträge zum Lebensunterhalt, die Studiengebühren und der Lernmittelzuschuss zusammengefasst und es werde auf einen Monatsbetrag umgestellt. Der zugrunde liegende monatliche Betrag in Höhe von 612,00 Euro unterliege einer jährlichen Erhöhung von 2,9 %. Für den von dem Kläger absolvierten Studienzeitraum vom 01.10.2001 bis 31.12.2004 seien demnach folgende Sätze maßgeblich:

Berechnung des geldwerten Vorteils vom 01.10.2001 bis 31.12.2001:

Beitrag zum Lebensunterhalt:

10/01 – 12/01546,57 Euro/Monat (ledig)

Studiengebühren je Semester: entfällt

Lernmittelzuschuss je Semester: entfällt

Hieraus ergebe sich folgende Berechnung:

Jahr   

Monate

Betrag/Monat (Euro)

Summe (Euro)

2001   

3       

546,57

1.639,71

Berechnung des geldwerten Vorteils vom 01.01.2002 bis 31.12.2004:

Jahr   

Monate

Betrag/Monat (Euro)

Summe (Euro)

2002   

12    

612,00

7.344,00

2003   

12    

629,75

7.557,00

2004   

12    

648,01

7.776,12

Gesamt:

22.677,12

Das dem Kläger von der Bundeswehr finanzierte Studium vom 1.10.2001 bis 31. 12.2004 habe ihm demnach Aufwendungen in Form eines nunmehr von ihm zu erstattenden wirtschaftlichen Vorteils in Höhe von insgesamt 24.316,83 Euro (1.639,71 Euro + 22.677,12 Euro) erspart. Die so errechneten ersparten Aufwendungen entsprächen dem wirtschaftlichen Wert der Ausbildung und seien zurückzuerstatten.

Um eine besondere Härte durch die grundsätzlich gebotene sofortige Erstattung des Betrages in Höhe von 24.316,83 Euro zu vermeiden, werde dem Kläger aufgrund der von ihm dargelegten Einkommens- und Vermögenssituation von Amts wegen eine verzinsliche Stundung durch Einräumung von Teilzahlungen gewährt. Die Bestimmung der Teilzahlungsrate sei unter Berücksichtigung des Pfändungsschutzes nach der Zivilprozessordnung vorgenommen worden. Sie ergebe monatlich 810 Euro.

Die Berechnung zur Erhebung von Stundungszinsen ergebe sich unmittelbar aus § 56 Abs. 4 Satz 1 und 3 SG.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schriftsatz vom 02.09.2011 Widerspruch ein. Diesen begründete er am 18.10.2011 wie folgt: Bei der Berechnung des geldwerten Vorteils sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass die Dauer der Dienstzeit nur zustande gekommen sei, weil sich seine Entlassung erheblich verzögert habe. Er habe bereits nach Absolvierung des ersten Semesters seinen Vorgesetzten über seine persönliche Situation informiert und ihm mitgeteilt, dass er seine Entlassung aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit beantragen müsse, nachdem für ihn nicht überwindbare Gewissenkonflikte aufgetreten seien. Die Bundesrepublik Deutschland habe die Entlassung dann in unvertretbarer Weise verzögert. Seine Entlassung aus dem Soldatenverhältnis sei ständig als völlig unmöglich dargestellt und jeder Versuch, diese zu erreichen, als völlig aussichtslos deklariert worden. Es sei erheblicher Druck auf ihn ausgeübt worden, um die Entlassung zu verhindern.

Hilfsweise werde gerügt, dass die Bestimmung der Teilzahlungsrate unter Berücksichtigung der Pfändungsschutzbestimmungen der ZPO unzulässig sei. Die Pfändungsschutzbestimmungen seien ein rechtliches Minimum, auf das die Bundeswehr einem ehemaligen Soldaten gegenüber nicht zurückgreifen könne. Seine persönliche Situation sei mit dieser Regelung nicht hinreichend berücksichtigt worden.

Mit Bescheid vom 24.02.2012 wies das Personalamt der Bundeswehr den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte die Behörde aus: Der Einwand, die Entlassung des Klägers sei in unzulässiger Weise verzögert worden, vermöge eine weitere Reduzierung des Erstattungsbetrages nicht zu rechtfertigen. Dies ergebe sich - völlig unabhängig davon, ob dieser Vorwurf berechtigt sei - bereits daraus, dass im Rahmen der Berechnung des Erstattungsbetrags lediglich Kosten in Ansatz gebracht worden seien, die der Kläger auch als gewöhnlicher, d. h. nicht in einem Wehrdienstverhältnis stehender und von der Bundeswehr alimentierter Student der Medizin gehabt hätte. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Kläger im Rahmen seines als Angehöriger der Bundeswehr absolvierten Studiums Fachwissen erworben habe, das er auch im zivilen Bereich nutzen könne und während der gesamten für die Berechnung des Erstattungsbetrags in Ansatz gebrachten Studiendauer Ausbildungsgeld in Höhe von monatlich durchschnittlich 1.570,00 Euro erhalten habe, sei der auf monatliche Lebenshaltungskosten in Höhe von durchschnittlich 620,00 Euro basierende Erstattungsbetrag in keiner Weise zu beanstanden.

Die Höhe der monatlichen Ratenzahlungen begegne keinen rechtlichen Bedenken. Sie sei auf der Grundlage der Angaben über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und in Einklang mit den Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850 ff. ZPO errechnet worden.

Der Kläger hat am 27.03.2012 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus: Er bleibe dabei, dass die Beklagte verpflichtet gewesen sei, ihn wesentlich früher aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit zu entlassen. Ihm sei bereits während seiner Ausbildung in I. von seinen dortigen Vorgesetzten unmissverständlich klargemacht worden, dass ihm als Soldat auf Zeit im Sanitätsdienst weder das Recht auf Kriegsdienstverweigerung noch eine andere Möglichkeit zustehe, die Bundeswehr vorzeitig zu verlassen. Er sei desinformiert und eingeschüchtert worden, um ihn von seinem Vorhaben, die Entlassung zu beantragen, abzubringen. Nach seinem Antrag vom 24.05.2002 hätte er jedenfalls sogleich auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.07.1996 (2 B 80.96) aus dem Soldatenverhältnis auf Zeit entlassen werden müssen. Stattdessen sei er in einem Personalgespräch am 26.09.2002 in einer nicht mehr rechtsstaatlichen Weise verhört worden. Dies habe dem Zweck gedient, ihn unglaubwürdig zu machen.

Er habe, bevor er aus dem Dienstverhältnis entlassen worden sei, einer Arbeit nicht nachgehen und einen Erwerb nicht erzielen können. Dies habe er erst nach seiner Entlassung getan und sein Studium durch Aushilfstätigkeiten in der neurochirurgischen Praxis Dr. J. und im K. in G. finanziert. Bei frühzeitiger, fristgemäßer Entlassung wäre er also im Stande gewesen, den benötigten Unterhalt für die Finanzierung seines Studiums zu verdienen. Weil er vor der Entlassung nicht habe arbeiten können, sei der Schuldsaldo durch das Verschulden der Beklagten auf den jetzt geltend gemachten Betrag gestiegen. Die Beklagte müsse die Folgen aus der nicht rechtzeitigen Entlassung tragen.

Er weise darauf hin, dass er für das Wintersemester 2001/2002 eine Studienplatzzusage für das Fach Humanmedizin an der Universität I. und der Universität L. gehabt habe.

Auch die Bestimmung der Teilzahlungsrate von 810,00 Euro monatlich werde weiter angegriffen. Die Beklagte könne nicht den pfändbaren Betrag nach § 850 c Abs. 1 ZPO beanspruchen. Diesen Betrag könne er nicht zahlen.

Der Kläger beantragt,

den Leistungsbescheid der Beklagten vom 10.08.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 24.02.2012 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor: Es habe etwas länger gedauert, die Begründetheit des Entlassungsantrags des Klägers zu prüfen. Dies habe auch damit zu tun, dass der Kläger als Soldat im Sanitätsdienst erst sehr spät erklärt habe, nach seiner Entlassung aus der Bundeswehr einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung zu stellen. Es sei in einem Rechtsstaat durchaus legitim, einen solchen Antrag genauer zu prüfen. Zudem habe der Kläger sein Studium fortsetzen können, sodass er trotz der langen Dauer des Verfahrens gerade keine Nachteile erlitten habe. Der Kläger hätte auch Rücklagen aus seiner damaligen Besoldung bilden können. Die geltend gemachten Kosten seien das Minimum des verbliebenen Vorteils. Eigentlich sehe das Gesetz die Rückforderung der tatsächlichen Kosten vor. Der überwiegende Vorteil verbleibe hier beim Kläger. Der Beklagten verbleibe durch die Reduzierung des Rückforderungsbetrags um mehr als 60 % ein erheblicher finanzieller Nachteil. Es entspreche der Billigkeit, dass der Kläger zumindest diesen kleinen Teil des tatsächlich verbleibenden Vorteils erstatte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig, aber nicht begründet.

Der Bescheid des Personalamtes der Bundeswehr vom 10.08.2011 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtlicher Anknüpfungspunkt für die Rückforderung von Ausbildungskosten ist § 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Soldatengesetz - SG - in der Neufassung vom 30.05.2005 (BGBl I, S. 1482), zum hier maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom 28.04.2011 (BGBl I, S. 678). Danach muss ein früherer Soldat auf Zeit, dessen militärischer Ausbildung mit einem Studium oder einer Fachausbildung verbunden war und der auf seinen Antrag entlassen worden ist oder als auf eigenen Antrag entlassen gilt, die entstandenen Kosten des Studiums oder Fachausbildung erstatten. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Der Kläger wurde zum 01.01.2001 als Anwärter für die Laufbahn der Offiziere des Sanitätsdienstes in die Bundeswehr eingestellt und in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine militärische Ausbildung war mit dem Studium der Humanmedizin verbunden, welches er am 01.10.2001 an der G. (H.) begonnen hatte. Die Dienstzeit des Klägers wurde zunächst auf der Grundlage seiner Verpflichtungserklärung von 18 Jahren auf fünf Jahre festgesetzt. Hierzu kam es jedoch nicht. Der Kläger wurde mit Bescheid der Beklagten vom 20.12.2004 mit Ablauf des 01.02.2005 aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit gem. § 55 Abs. 1 SG in Verbindung mit § 46 Abs. 2 Nr. 7 SG entlassen, nachdem er von dem Bundesamt für den Zivildienst am 16.11.2004 als Kriegsdienstverweigerer anerkannt worden war. Das Dienstverhältnis des Klägers endete damit mit Ablauf des 01.02.2005.

Liegen - wie hier - die Voraussetzungen des § 56 Abs. 4 Satz 1 SG vor, kann gem. § 56 Abs. 4 Satz 3 SG auf die Erstattung ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn sie für den früheren Soldaten eine besondere Härte bedeuten würde. Eine besondere Härte in diesem Sinne liegt vor, wenn sich ein wegen seiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer entlassener Soldat der Erstattungsverpflichtung gegenübersieht. Einem Zeitsoldaten, der – wie der Kläger – eine Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst getroffen hat, kann wegen der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Rechtes der Kriegsdienstverweigerung in Art. 4 Abs. 3 GG nicht zugemutet werden, auf den für die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer erforderlichen Antrag allein deshalb zu verzichten und weiterhin im Wehrverhältnis zu verbleiben und dabei seinem Gewissen zuwider zu handeln, um der andernfalls drohenden Erstattungsverpflichtung zu entgehen. Der Dienstherr ist in diesen Fällen deshalb verpflichtet, sich im Rahmen des ihm durch die Härtefallregelung des § 56 Abs. 4 Satz 3 SG eingeräumten Ermessens für eine Reduzierung der Ausbildungskosten zu entscheiden, deren (Rück-) Erstattung er von dem entlassenen Soldaten fordert. Die Ermessensvorschrift des § 56 Abs. 4 Satz 3 SG ist dabei im Lichte des Art. 4 Abs. 3 GG dahin auszulegen, dass anerkannte Kriegsdienstverweigerer die Kosten ihrer Ausbildung nur im Umfang des geldwerten Vorteils erstatten müssen, der ihnen aus der genossenen Ausbildung für ihr weiteres Berufsleben real und nachprüfbar verblieben ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 2006 - 2 C 18/05 -, zitiert nach juris [m. w. N.]). Dieser Vorteil besteht in den ersparten Kosten, die der als Kriegsdienstverweigerer anerkannte Soldat in Ausbildungseinrichtungen außerhalb der Bundeswehr hätte aufwenden müssen, um die während der Ausbildung bei der Bundeswehr gewonnenen und in seinem weiteren Berufsleben verwertbaren Spezialkenntnisse und -fähigkeiten zu erlangen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 1996 - 2 B 49/96 -, NVwZ-RR 1996, 309 [m. w. N.]).

An diesen Maßgaben hat sich die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden orientiert. Sie hat erkannt, dass die vollständige Erstattung der Ausbildungskosten für den Kläger im Hinblick auf seine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer eine besondere Härte bedeuten würde, und deshalb die von ihm zu erstattenden Kosten erheblich beschränkt. Die Beklagte fordert von dem Kläger nämlich nicht mehr, wie noch in dem Vorverfahren 2 A 4933/06 im Streit, die ihm gewährten Ausbildungsgelder in Höhe von 61.421,76 Euro zurück, sondern begehrt nur noch eine Erstattung von etwa 40 Prozent des dem Kläger gezahlten Ausbildungsgeldes, nämlich in Höhe von 24.316,83 Euro. Sie schöpft damit nur einen geringeren Teil des geldwerten Vorteils ab, mit dem die Ausbildung des Klägers in der Bundeswehr für ihn verbunden war. Dies allerdings ist sachgerecht und eine weitere Beschränkung der Rückforderung nicht geboten, weil die von dem Kläger während seines Studiums an der H. erlangten Kenntnisse und Fähigkeiten mit ganz konkretem Nutzen für sein ziviles Berufsleben verbunden waren. Der Kläger hat nämlich nach seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr sein Studium der Humanmedizin an der H. fortgeführt und ist - nach einer Tätigkeit im Städtischen Klinikum M. - seit März 2011 als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim E. -Institut bei F. tätig. Die Vorteile die er ihm von der Bundeswehr finanzierten Ausbildung sind ihm real und nachprüfbar in seinem zivilen Berufsleben verblieben.

Entgegen der Auffassung des Klägers kann es nicht zu einem Verzicht oder einer weiter gehenden Reduzierung der Erstattungsforderung führen, dass ihn die Beklagte auf seinen Antrag auf Entlassung vom 24.05.2002 nicht sogleich aus der Bundeswehr entlassen hat. Dies beruht auf zwei selbständig tragenden Gründen:

Zunächst ist der rechtliche Ausgangspunkt für einen teilweisen oder vollständigen Verzicht auf den Erstattungsanspruch in den Blick zu nehmen. Nach § 56 Abs. 4 Satz 3 SG kann auf die Erstattung ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn sie für den früheren Soldaten eine „besondere Härte“ bedeuten würde. Zu einer „besonderen Härte“ führt es nicht, dass ihm die Beklagte nach seinem Entlassungsantrag vom Mai 2002 weiterhin Ausbildungsgeld in Höhe von monatlich durchschnittlich 1.570,00 Euro zur Verfügung gestellt hat, von denen jetzt ein Teilbetrag von etwa monatlich 620,00 Euro zurückerstattet werden soll. Durch die nach Einschätzung des Klägers aus sachfremden Erwägungen verzögerte Bearbeitung seines Entlassungsantrages sind dem Kläger bei wirtschaftlicher Betrachtung keine Nachteile entstanden, sondern er hat vielmehr einen messbaren geldwerten Vorteil dadurch erlangt, dass ihm mehr als doppelt so viel Ausbildungsgeld während seines Studiums zugewandt wurde, als er jetzt zurückzuzahlen hat. Im Übrigen hätte es sich angeboten, dass der Kläger, nachdem er seine Entlassung aus der Bundeswehr beantragt hat, aufgrund der ihm durchaus bekannten Kenntnis der Rückzahlungsverpflichtung im Hinblick auf die bevorstehende Beendigung des Dienstverhältnisses Rücklagen bildet, um diese anschließend im Rahmen der auf ihn zukommenden Erstattungsforderungen entsprechend einzusetzen. Das Zurücklegen eines Teilbetrags des ihm zugwandten Ausbildungsgeldes hätte nahegelegen und wäre angesichts der Höhe des Ausbildungsgeldes auch ohne weiteres möglich gewesen. Ein weitergehender Verzicht auf die Erstattungsforderung ist deshalb nicht angezeigt, weil der Kläger die „Härte“, die die Rückzahlung für ihn bedeutet, durch Rücklagenbildung hätte abwenden können. Unerheblich ist dagegen in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Kläger, wenn er frühzeitig aus der Bundeswehr entlassen worden wäre, sein Studium durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zum Teil selbst finanziert hätte. Dies mag durchaus der Fall sein - eine „besondere Härte“ im Sinne des § 56 Abs. 4 Satz 3 SG ergibt sich im Hinblick auf die angeführten Umstände daraus nicht.

Zudem spricht manches dagegen, dass die Beklagte gehalten war, den Kläger auf seinen Antrag vom 24.05.2002 sogleich aus seinem Soldatenverhältnis zu entlassen. Dies gilt auch im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.07.1996 (2 B 80/96), in dem unter Randnummer 12 festgehalten wird, dass einem auf § 46 Abs. 3 Satz 3 oder § 55 Abs. 3 SGB gestützten Antrag auf vorzeitige Entlassung aus dem Soldatenverhältnis zu entsprechen sein wird, wenn dieser Antrag zu dem Zweck gestellt wird, gestützt auf das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen zu stellen. Denn auch wenn solchen Anträgen regelmäßig zu entsprechen sein wird, hat die Behörde (und dies gilt auch für das Gericht in einem sich ggf. anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren) das Begehren eines Soldaten auf Zeit auf Entlassung wegen eines bereits gestellten bzw. beabsichtigten Antrages auf Kriegsdienstverweigerung unbeschränkt und eigenständig zu prüfen, ob insoweit die Anspruchsvoraussetzungen der besonderen persönlichen Härte im konkreten Fall erfüllt ist.

Dieses Merkmal ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, mit dem der Gesetzgeber aus dem Gedanken der Zumutbarkeit heraus eine Einzelfallgerechtigkeit ermöglicht (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.02. 2005 - 10 A 11919/04 - a. a. O.). Dabei geht die Kammer davon aus, dass in dem Entlassungsverfahren noch nicht in Form einer „Gewissensprüfung“ über die Berechtigung zur Kriegsdienstverweigerung zu entscheiden war, denn dies war, als der Kläger seine Entlassung beantragte, den Ausschüssen für Kriegsdienstverweigerung bei den Kreiswehrersatzämtern vorbehalten (vgl. § 9 Kriegsdienstverweigerungsgesetz - KDVG i.d.F. vom 30.06.1989). Im Entlassungsverfahren war aber zu prüfen, ob dem Entlassungsantrag - gegebenenfalls unter Berücksichtigung weiterer Beweismittel - hinreichend deutlich zu entnehmen war, dass der Soldat auf Zeit deshalb einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer beabsichtigt oder gestellt hat, weil ihm sein Gewissen bereits den Sanitätsdienst in der Bundeswehr verbietet und die beabsichtigte oder bereits vorgenommene Stellung eines Antrags auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer nicht nur vorgeschoben ist, um das Soldatenverhältnis auf Zeit aus anderen Gründen vorzeitig zu beenden (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.03.1996 - 4 S 1485/95 -.; Thüringer OVG, Urteil vom 17.05.2010 - 2 KO 63/10- juris).

In dem Bescheid des Personalamtes der Bundeswehr vom 10.01.2003, mit dem der Entlassungsantrag abgelehnt wurde, werden Gesichtspunkte aufgeführt, die dafür sprechen, dass dem Vorbringen des Klägers nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen war, dass ihm sein Gewissen den Sanitätsdienst in der Bundeswehr verbiete. Die von dem Personalamt der Bundeswehr angemeldeten Zweifel sind nicht substanzlos. Dies hat auch mit den zeitlichen Zusammenhängen zu tun. Der Kläger hat - mit einem Abitur-Notendurchschnitt von 2,2 - aufgrund seiner Bewerbung für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr im Wintersemester 2001/2002 einen Studienplatz der Humanmedizin an der H. enthalten. Nur wenige Monate später, im Mai 2002 hat er, ohne dass er ein konkretes Ereignis für seinen Gewissenskonflikt anführen konnte, unter Hinweis auf einen lang andauernden Erkenntnisprozess angekündigt, den Sanitätsdienst in der Bundeswehr aus Gewissensgründen nicht mehr leisten zu können. Es erscheint jedenfalls nicht willkürlich, dass die Beklagte den von dem Kläger angeführten Grundkonflikt und seine Gewissennöte angezweifelt und seinen Entlassungsantrag zunächst abgelehnt hat.

Dass es durch das Verhalten der Vorgesetzten des Klägers und die von ihm geschilderten Desinformationen (vgl. Schriftsatz vom 20.08.2013) zu einer Verzögerung des Entlassungsverfahrens gekommen ist, ist nicht zu erkennen. Der Kläger hat sich durch das Verhalten seiner Vorgesetzten offensichtlich nicht davon abhalten lassen, gleich nach Ende des ersten Semesters den Entlassungsantrag zu stellen.

Die Berechnung des von dem Kläger zu erstattenden Ausbildungsgeldes hat die Beklagte auf der Grundlage der sogenannten „Bemessungsgrundsätze“ (Erlass BMVg vom 22.07.2002) vorgenommen und sich zur fiktiven Berechnung der von dem Kläger ersparten Aufwendungen an der Anlage 4 dieses Erlasses orientiert. Danach hat sie die monatlichen Beiträge für Lebensunterhalt, Studiengebühren und Lernmittelzuschuss in Ansatz gebracht und auf diese Weise die Ersparnis von Aufwendungen berechnet, die der Kläger dadurch erzielt. hat, dass er auf Kosten der Bundeswehr studiert hat. An dieser Berechnung ist nichts auszusetzen; insoweit hat auch die Klägerpartei keine Einwände erhoben.

Um eine besondere Härte durch die grundsätzlich gebotene sofortige Erstattung des gesamten Betrages zu vermeiden, hat die Beklagte dem Kläger auf Grund der von ihm dargelegten Einkommens- und Vermögenssituationen eine verzinsliche Stundung durch die Einräumung von Teilzahlungen gewährt. Dabei hat die Beklagte sich  - zum Vorteil des Klägers - von den Bemessungsgrundsätzen gelöst. Nach 3.5 der Bemessungsgrundsätze ist die monatliche Teilzahlungsrate auf 70 % des pfändbaren Nettoeinkommens des Erstattungspflichtigen festzusetzen. Die Beklagte hat hier eine demgegenüber geringere Teilzahlungsrate festgesetzt und deren Bestimmung unter Berücksichtigung der Pfändungsschutzvorschriften nach der Zivilprozessordnung vorgenommen. Daran ist nichts auszusetzen, zumal der Kläger nicht substantiiert unter Vorlage entsprechender Nachweise dargelegt hat, dass seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse es ihm nicht oder nur unter unzumutbaren Bedingungen möglich machen, die ihm auferlegten Raten aufzubringen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 ZPO.