Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 25.09.2013, Az.: 6 A 4950/12
Beurteilungsspielraum; Prüfungsaufgabe; Abweichen; Prüfer; Inhalt; Prüfung; Bewertungsgrundlage; Vorgabe; Prüfungsverfahren; Fairness
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 25.09.2013
- Aktenzeichen
- 6 A 4950/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 64393
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 242 BGB
- Art 12 Abs 1 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Tatsache, dass die an der Korrektur einer Diplomarbeit beteiligten Universitätsinstitute unterschiedliche Vorstellungen von den formellen und inhaltlichen Anforderungen an wissenschaftliche Leistungen haben, rechtfertigt es nicht, dass der Zweitprüfende von den für die Prüfungskandidatin verpflichtenden formellen und inhaltlichen Vorgaben der Erstprüfenden abweicht.
Tatbestand:
Die Klägerin schloss am 3. Januar 2012 ihr Studium der Wirtschaftswissenschaften bei der Beklagten mit dem Hochschulgrad „Diplom-Ökonomin“ und der Gesamtnote „gut“ ab. In die Gesamtnote waren das (gewichtete) Ergebnis der Prüfungsleistungen in den Pflichtfächern, den Wahlpflichtfächern und dem Wahlbereich mit der Durchschnittsnote 2,18 und das (gewichtete) Ergebnis der Diplomarbeit mit der Note 2,5 eingeflossen.
Mit der Klage verfolgt die Klägerin einen Anspruch auf erneute Entscheidung über das Ergebnis ihrer am 30. September 2011 gefertigten Diplomarbeit zu dem Thema „Betriebliches Gesundheitsmanagement - Die Gesundheit …“. Die Klägerin hatte das Thema ihrer Diplomarbeit im Wahlpflichtfach Psychologie von der Erstprüferin Priv.-Dozentin Dr. G. vom Institut für Soziologie der Philosophischen Fakultät festlegen lassen. Die Erstprüferin hatte die Diplomarbeit als Ergebnis ihres Prüfergutachtens vom 29. Oktober 2011 mit der Note „sehr gut (1,0)“ bewertet. Der am Institut Marketing & Management der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät tätige Zweitprüfer Prof. Dr. H. bewertete die Diplomarbeit dagegen mit „ausreichend (4,0)“. In seinem Gutachten vom 3. Januar 2012 beanstandete der Prüfer, dass die Literaturbasis der Arbeit mit 72 angegebenen Quellen nicht ausreichend sei. Daneben vermisste er eine quantitativ ausreichende spezifische empirische Untersuchung und hierfür die Umwandlung der Zielsetzung des Themas in konkrete Forschungsfragen. Es werde nicht schlüssig, warum ein qualitatives und nicht ein quantitatives Erhebungsinstrument gewählt werde. Abschließend heißt es in dem Gutachten:
„Die Kandidatin hat sich mit dem gewählten Thema einer sehr interessanten und aktuellen Fragestellung aus dem Bereich des strategischen Managements zugewandt. Neben einer gut bis befriedigenden Aufarbeitung der zentralen Grundlagen wird im Hauptteil ein nachvollziehbarer Bezugsrahmen hergeleitet. Leider ist die Operationalisierung des Bezugsrahmens zu oberflächlich. Auch der empirische Teil der Arbeit kann nicht überzeugen. Insgesamt betrachtet und vor dem Hintergrund der Zielsetzung der Arbeit gelingt es der Kandidatin nur auf Basis ihrer theoretischen Herleitungen die wesentlichen Ziele der Arbeit ansatzweise herauszuarbeiten.“
Der bei der Beklagten eingerichtete Prüfungsausschuss Wirtschaftswissenschaften gab der Klägerin die von der Erstprüferin und dem Zweitprüfer vergebenen Einzelnoten sowie die sich daraus ergebende Note der Diplomarbeit mit Bescheid vom 11. Januar 2012 bekannt.
Mit Schreiben vom 9. Februar 2012 erhob die Klägerin gegen die Vergabe der Note der Diplomarbeit Widerspruch, mit dem sie um ein Überdenken der Benotung des Zweitprüfers Prof. Dr. H. bat.
Sie trug hierzu vor, es sei nicht geplant gewesen, eine quantitative Befragung von Experten in ihre Diplomarbeit einzuarbeiten. Sie wisse, dass dies am Institut Marketing & Management üblich sei. Deshalb habe sie sich vor der Anfertigung der Diplomarbeit darüber informiert, wie das den Zweitprüfer stellende Institut Marketing & Management vorgehe, wenn die Diplomarbeit am Institut für Soziologie geschrieben werde. Dabei sei ihr gesagt worden, es werde ein Zweitprüfer ausgewählt, der sich mit dem Thema auskenne und die Diplomarbeit nach den Vorgaben des Erstprüfenden bewerte. Im Sommersemester 2011 habe sie den Zweitprüfer Prof. Dr. H. anlässlich seiner Vorlesung gefragt, ob er ein Exposé oder andere Unterlagen zu ihrer Arbeit benötige, um zu entscheiden, ob er als Zweitprüfer tätig werden möchte. Dies habe er aber nicht gewünscht.
Die Diskrepanz beider Bewertungen beruhe darauf, dass sich die Prüfenden nicht über das Verständnis wissenschaftlichen Arbeitens einigen konnten und es keine funktionierende Kommunikation gegeben habe. So habe es auch keine Absprache in Bezug auf die ihr seitens der Erstprüferin gemachten Vorgabe von 50 bis 80 Literaturquellen und hinsichtlich der vorgegebenen Anzahl der Experteninterviews gegeben. Sie sei der Vorgabe der Erstprüfenden in der Diplomarbeit nachgekommen und habe unter anderem 53 Quellen aus den letzten fünf Jahren verarbeitet. Die Kritik von Prof. Dr. H., der empirische Teil der Diplomarbeit und die darauf aufbauenden Handlungsempfehlungen seien nicht bewertbar, widerspreche ebenfalls der ihr gemachten Vorgabe der Erstprüfenden Privatdozentin Dr. G., die ein exemplarisches Experteninterview verlangt und ihr nahe gelegt habe, zwei Interviews durchzuführen und die Expertenaussagen zu vergleichen. Mit den vier durchgeführten Experteninterviews sei sie bereits über diese Vorgabe hinausgegangen. Die damit gewählte qualitative Methode der Datenerhebung sei von der Erstprüfenden verlangt worden und habe dazu gedient, dem Leser das besondere Wissen der in die Sachlagen und Prozesse involvierten Personen zugänglich zu machen. Die aus den Experteninterviews gezogenen Schlüsse hätten mit dem theoretischen Bezugsrahmen den wichtigsten Teil ihrer Arbeit gebildet, so dass der Zweitprüfer auch diesen Teil der Diplomarbeit werten müsse. Im Übrigen widersprach die Klägerin der Kritik des Zweitprüfers, wonach der Arbeit keine klaren Hypothesen und Forschungsfragen zugrunde lägen und es an einem Untersuchungsmodell fehle.
Die Klägerin wies zur Widerspruchsbegründung darauf hin, dass sie als Prüfling nicht in der Lage sei, divergierende Prüfervorgaben einzuhalten. Deshalb müsse ein Zweitprüfer bestimmte Rahmenbedingungen der Diplomarbeit mit der die Diplomarbeit betreuenden Erstprüferin absprechen.
Sie habe am 16. Januar 2012 Frau Dr. G. aufgesucht. Diese habe ihr erklärt, dass sie und Prof. Dr. H. in vielen Punkten stark auseinander lägen und auch nach einem langen Telefonat eine Einigung nicht möglich gewesen sei. Frau Dr. G. sei dennoch über die Benotung durch Prof. Dr. H. sehr erstaunt gewesen und habe daraufhin am 8. Februar 2012 eine schriftliche Stellungnahme für den Prüfungsausschuss gefertigt. In der Stellungnahme heißt es unter anderem, die Arbeit der Klägerin weise eine klare und inhaltlich korrekte Gliederung auf, so wie es am Institut für Soziologie gefordert werde. Die verwendete Literatur sei sehr umfangreich. Sie entspreche der der Klägerin mit 50 bis 80 Quellen gemachten Vorgabe und zeige eine detaillierte Kenntnis des Themenkomplexes auf aktuellem Stand auf. Die ausgewählt vorgestellten Interviews hätte exemplarischen Charakter aufweisen sollen, was zwischen ihr und der Klägerin in Anbetracht des Bearbeitungszeitraums geklärt worden sei. Die Klägerin habe die betriebsspezifische gesundheitsförderliche Betrachtungsweise des Themas herausgearbeitet und die in den Vorgesprächen geklärten inhaltlichen und formalen Anforderungen im besprochenen Umfang berücksichtigt.
Die Klägerin trug ferner vor, dass sie am 17. Januar 2012 das Gespräch mit Prof. Dr. H. gesucht habe. In dem Gespräch habe sich gezeigt, dass sich beide Institute in ihren Richtlinien und in ihrem Zugang zur Wissenschaft und zum empirischen Arbeiten sehr unterschieden. Allerdings bestimme § 22 Abs. 5 Satz 5 DPO, dass der Prüfling von der Erstprüfenden betreut werde. In den im Internet gegebenen Hinweisen der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät zur Diplomarbeit heiße es, dass einige Institute weitergehende formale Anforderungen an die Arbeit stellten, weshalb sich die Prüflinge an Ihrem Betreuer im betreffenden Institut wenden sollten. Schließlich bat die Klägerin um ein Überdenken der Benotung durch den Zweitprüfers Prof. Dr. H. auch, weil dieser angesichts der oben dargestellten vier Kritikpunkte insgesamt mit 4,0 (ausreichend) benotet, im Übrigen aber sechs andere namentlich genannten Punkte der Diplomarbeit als gut bewertet habe.
Der Prüfungsausschuss Wirtschaftswissenschaften holte zur Widerspruchsbegründung eine schriftliche Stellungnahme des Zweitprüfers Prof. Dr. H. vom 11. April 2012 ein. Darin hielt der Prüfer an der Vergabe der Note „ausreichend“ fest. Er führte aus, der Klägerin, die das Wahlpflichtfach Marketing & Management gewählt, an seinem Institut mehrere Veranstaltungen belegt und eine Seminararbeit geschrieben habe, seien die Anforderungen des Instituts bekannt. Im Rahmen des Seminars habe sie die entsprechenden Unterlagen unter anderem im Rahmen des institutseigenen „Leitfadens wissenschaftlichen Arbeitens“ erhalten. Die Arbeit der Kläger erfülle aber nicht nur die Anforderungen des Instituts nicht, sondern weiche zum Teil massiv von den allgemeinen Ansprüchen an ein fundiertes und ordentliches wissenschaftliches Arbeiten ab. Im Einzelnen erläuterte der Prüfer seine Kritik hinsichtlich der Literarturrecherche, des Empirischen Teils sowie der Hypothesen und des Untersuchungsmodells der Diplomarbeit. Abschließend heißt es in der Stellungnahme, dass eine erneute Bewertung der Diplomarbeit im Lichte der Erläuterungen der Klägerin eher zu einem sogar schlechteren Gesamtergebnis führen würde.
Der Prüfungsausschuss beschloss am 25. April 2012, den Widerspruch als unbegründet zurückzuweisen. Diesen Beschluss führte die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2012, der Klägerin zugestellt am 2. August 2012, aus. Zur Begründung führte sie aus, die Stellungnahme des Zweitprüfers Prof. Dr. H. vom 11. April 2012 lasse einen Verstoß gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze nicht erkennen.
Die Klägerin hat am 24. August 2012 Klage erhoben.
Die Klägerin wiederholt im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Vorverfahren und trägt hierzu vor, dass sie sich während des Studiums entschlossen habe, ihre Diplomarbeit der Fächergruppe B zu entnehmen, nachdem sie sich vertieft für Gesundheitsthemen und Psychologie interessiert und bereits an zwei gesundheitspsychologischen Lehrveranstaltungen bei Frau Dr. G. teilgenommen hatte. Nach den ersten Vorgesprächen sei diese bereit gewesen sei, als Erstprüferin einer Diplomarbeit tätig zu werden. Parallel dazu habe sie sich bei dem Institut Marketing & Management um einen Platz für die Betreuung einer Diplomarbeit beworben. Dort habe sie Dr. I. getroffen, um in Erfahrung zu bringen, wie die Diplomarbeit am Institut organisiert werde und wie das Institut vorgehe, wenn bei ihm ein Zweitprüfer für eine Diplomarbeit am Institut für Soziologie eingesetzt werde. Dabei sei ihr gesagt worden, dass dann eine Bewertung nach Maßgabe der Vorgaben des Erstprüfers stattfinde. Diese Fragen habe sie ausdrücklich gestellt, weil seinerzeit bereits festgestanden habe, dass nach den Vorgesprächen mit Frau Dr. G. keine quantitative Befragung im Rahmen der Diplomarbeit stattfinden sollte, während dies ein übliches Instrument bei Diplomarbeiten des Instituts Marketing & Management sei.
Dennoch sei ihre Diplomarbeit von dem Zweitprüfer nach Kriterien bewertet worden, die nicht mit ihr oder mit der Erstprüferin als zuständige Betreuerin abgesprochen worden seien. Aus der Stellungnahme der Erstprüferin Dr. G. folge, dass diese für die Bearbeitung der Teile der Arbeit, auf welche der Zweitprüfer seine entscheidungserhebliche Kritik stütze, nur lobende Worte finde. Die Diplomprüfungsordnung gehe in ihren Vorschriften über die Notenbildung erkennbar davon aus, dass es zumindest eine einheitliche Anwendung der Anforderungen an ein wissenschaftliches Arbeiten geben müsse. Während sie sich schon im Vorfeld der Diplomarbeit regelgerecht verhalten habe, habe sie der Zweitprüfer nicht auf seine besonderen Vorgaben hingewiesen. Wäre dies erfolgt, hätte sie den Anforderungen des Zweitprüfers in ihrer Arbeit Rechnung tragen können.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 11. Januar 2012 über die Note der Diplomarbeit in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 21. Juni 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über die Note der Diplomarbeit zu dem Thema „Betriebliches Gesundheitsmanagement - die Gesundheit …“ unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, dass die Klägerin am Institut Marketing & Management an vier Lehrveranstaltungen teilgenommen habe. Im Seminar „Internationales Marketing und Investitionsgütermarketing“ habe es im Sommersemester 2010 aus Anlass der Bewertung ihres Vortrags ein klärendes Gespräch zwischen ihr und Prof. Dr. H. gegeben. In diesem Gespräch sei auch auf die Bewertungskriterien und die Ansprüche an eine wissenschaftliche Arbeit am Institut Marketing & Management eingegangen worden. Herr Dr. I. habe in dem Gespräch mit der Klägerin nicht die Aussage getroffen, dass die Bewertung durch den Zweitprüfer nach den Bewertungsmaßstäben des Erstprüfers erfolge. Entsprechendes sei der Klägerin von der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät nie zugesichert worden.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass sich die Bewertung der Hausarbeit durch den Zweitprüfer Prof. Dr. H. im Rahmen des prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraums halte. Dieser beinhalte es als verfassungsrechtlich zwingendes Gebot, eine selbständige und eigenverantwortliche, nur seinem eigenen Wissen und Gewissen verpflichtete Bewertungsentscheidung zu treffen. Dieses wäre ihm verwehrt, wenn er sich an die Beurteilungsmaßstäbe der Erstprüferin halten müsste. § 22 Abs. 5 Satz 5 DPO regele nur die Betreuung der Diplomandin durch die Erstprüfende, räume dieser aber nicht die Befugnis zur verbindlichen Festlegung von für beide Prüfenden verbindliche Bewertungsmaßstäbe ein. Eine diesbezügliche Zusicherung oder Vereinbarung, die unwirksam gewesen wäre und eine Abweichung vom Zweiprüferprinzip bedeutete, habe es nicht gegeben. Über die abweichenden Bewertungsmaßstäbe des Instituts Marketing & Management sei der Klägerin umfassend informiert gewesen. Zum einen aus dem Besuch der Lehrveranstaltungen und dem Gespräch mit Dr. Langner und Prof. Dr. H.. Zum anderen habe das Institut auf seiner Website in mehreren Dokumenten vertiefende Hinweise zur Anfertigung wissenschaftlicher Arbeiten gegeben.
Wegen des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten nimmt die Kammer ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Prüfungs- und Widerspruchsvorgänge der Beklagten (Beiakten A und B), deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 11. Januar 2012 über die Bildung der Note der Diplomarbeit der Klägerin zu dem Thema „Betriebliches Gesundheitsmanagement - Die Gesundheit …“ ist in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 21. Juni 2012 rechtswidrig. Die Beklagte wird daher gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO antragsgemäß verpflichtet, über die Note der Diplomarbeit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Zwar hat die Beklagte die Note der Diplomarbeit der Klägerin mit dem Ergebnis „gut (2,5)“ rechnerisch richtig gebildet. Nach § 22 Abs. 9 Satz 2 der Diplomprüfungsordnung für den Studiengang Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hannover (DPO), zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 26.09.2005 (VkBl. Universität Hannover Nr. 90/2005), wird die Note in entsprechender Anwendung des § 11 Abs. 5 DPO durch das bis auf eine Stelle hinter dem Komma berechnete arithmetisches Mittel der Bewertungen von zwei Prüfenden (§ 22 Abs. 9 Satz 1 DPO) gebildet, wobei die Note bei einem Berechnungsergebnis von 1,5 bis 2,5 auf „gut“ lautet (§ 11 Abs. 6 DPO).
Das so ermittelte Ergebnis der Bildung der Note der Diplomarbeit der Klägerin ist allerdings gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar, soweit es sich auf die Vergabe der Note „ausreichend (4,0)“ durch den Zweitprüfenden Prof. Dr. H. stützt.
In der Diplomarbeit hat ein Prüfling zu zeigen, dass er in der Lage ist, innerhalb einer vorgegebenen Frist ein Problem selbständig nach wissenschaftlichen Methoden zu bearbeiten. Dabei müssen Thema und Aufgabenstellung der Diplomarbeit dem Prüfungszweck (§ 1 Abs. 1 Satz 3 DPO) und der Bearbeitungszeit nach § 22 Abs. 6 DPO entsprechen. Ist dies der Fall bezieht sich die Bearbeitung im Diplomstudiengang Wirtschaftswissenschaften somit inhaltlich auf dem Prüfungszweck festzustellen, dass der Prüfling die für den Übergang in die Berufspraxis notwendigen gründlichen Fachkenntnisse erworben hat, die fachlichen Zusammenhänge überblickt und die Fähigkeit besitzt, wissenschaftlich zu arbeiten und wissenschaftliche Erkenntnisse anzuwenden. Die Beurteilung, ob und wie gut dies im Wege der Problembearbeitung nach wissenschaftlichen Methoden gelungen ist, ist verwaltungsgerichtlich nur eingeschränkt auf Rechtsfehler überprüfbar.
Die Beurteilung der in einer berufsbezogenen Prüfung gezeigten Leistung durch die dafür zuständigen Prüfer stützt sich naturgemäß auf komplexe Erwägungen, die insbesondere den wertenden Vergleich mit anderen oder üblichen Leistungen durch den dazu berufenen Prüfer beinhalten und sich deshalb weitgehend einer gerichtlichen Feststellung und Überprüfung durch das insoweit nicht ausreichend sachkundige Verwaltungsgericht oder andere Dritte entziehen. Darum wird dem jeweils zuständigen Prüfer bei der Notenvergabe für die Diplomarbeit ein Bewertungsspielraum eingeräumt. Dieser erstreckt sich auf alle prüfungsspezifischen Beurteilungsgesichtspunkte, also auf die Abwägungen, die einen Vergleich mit anderen oder üblichen Leistungen erforderlich machen. Die prüfungsspezifischen Erwägungen beziehen sich auf die Gewichtung verschiedener Anforderungen und Aufgaben (-teile) untereinander, die Einordnung des Schwierigkeitsgrades der Aufgabe, die Würdigung der Qualität der Darstellung und der fachlichen Argumentation des Prüflings sowie die eigentliche Vergabe der Note. Insoweit haben die Prüfer alle von der Prüfungsordnung geforderten Beurteilungsaspekte den verlangten Anforderungen entsprechend gegeneinander abzuwägen und das Abwägungsergebnis in der Regel in einem Gesamturteil mit einer Note zusammenzufassen.
Die prüfungsspezifischen Wertungen werden daher nach gefestigter Rechtsprechung nur daraufhin überprüft, ob das Prüfungsverfahren rechtsfehlerfrei durchgeführt worden ist, der jeweilige Prüfer das von ihm anzuwendende Prüfungsrecht einschließlich des Inhalts und der Grenzen seines Beurteilungsspielraumes zutreffend erkannt und angewandt hat, von einem richtigen, vollständigen und eine Beurteilung in ausreichender Weise ermöglichenden Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe beachtet hat und sich nicht von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen.
In Anwendung dieser Grundsätze ist die Vergabe der Note „ausreichend (4,0)“ durch den Zweitprüfer Prof. Dr. H. rechtlich zu beanstanden, weil der Prüfer mit den Gründen für die Vergabe der Note „ausreichend (4)“ erkennbar die Grenzen seines Beurteilungsspielraumes überschritten hat.
Prof. Dr. H. hat die Bewertung der Leistung der Klägerin in von ihm als wesentlich angesehenen Teilbereichen des Bewertungsgegenstands damit begründet, dass „mit 72 Literaturquellen die verwendete Literaturbasis im Hinblick auf die spezifische Themenstellung als nicht ausreichend zu beurteilen“ sei (S. 4 des Gutachtens vom 03.01.2012), dass die Auswahl der interviewten Experten nicht nachvollziehbar und die Anzahl der Interviews allenfalls für oberflächliche Einschätzungen, nicht aber für eine fundierte Auswertung geeignet sei, weshalb der nachfolgende Teil der Arbeit nicht bewertet werden könne (S. 3 des Gutachtens vom 03.01.2012 zu Kapitel 4). Zwar hat Prof. Dr. H. diese Kritik im Hinblick auf die diesbezüglichen Einwendungen der Klägerin im Widerspruchsverfahren auf Seite 2 seiner Stellungnahme vom 11. April 2012 teilweise dahingehend relativiert, dass für eine ausführliche Auseinandersetzung mit relevanter und aktueller wissenschaftlicher Literatur vor allem Beiträge aus angesehenen - insbesondere englischsprachigen - Journals zählen, was die Klägerin in Bezug auf Anzahl und Qualität nicht berücksichtigt habe. Diese Ausführungen lassen aber nicht mit ausreichender Deutlichkeit erkennen, dass sich der Prüfer im Sinne eines Überdenkens der Bewertung von seiner ursprünglichen Kritik einer mit 72 Literaturquellen nicht ausreichenden Literaturbasis distanziert hätte.
Die von dem Zweitprüfenden Prof. Dr. H. vergebene Note „ausreichend (4,0)“ beruht damit nicht nur auf einer Abweichung von formalen (Zahl der Literaturquellen), sondern auch von inhaltlichen (Experteninterviews) Vorgaben der Aufgabenstellung. Denn ausweislich der Stellungnahme der Erstprüferin vom 8. Februar 2012 hat die Klägerin auch mit ihrem Vorgehen in Kapitel 4 der Diplomarbeit eine in der Vorbesprechung der Diplomarbeit gemachte Vorgabe der Erstprüfenden umgesetzt. Danach sollten nur wenige Interviews mit Führungskräften der Wirtschaft ausgewählt werden, weil diese nur exemplarischen Charakter haben sollten. Auch insoweit hat ein Überdenken der Benotung im Widerspruchsverfahren nicht stattgefunden, denn der Zweitprüfer Prof. Dr. H. hat die Richtigkeit dieser Vorgabe der Erstprüfenden in seiner Stellungnahme vom 3. Januar 2012 („Zu 2: Empirischer Teil“) im Ergebnis in Abrede gestellt, indem er die Auffassung vertreten hat, dass für das Instrument der Experteninterviews „die Gütekriterien der Marketingforschung (u.a. Reliabilität, Objektivität und Validität)“ gelten und deshalb angesichts der zu wenigen Interviews der empirische Teil der Bearbeitung mit „nicht ausreichend“ zu bewerten wäre. Da auch dieser Teil der Bewertung durch den Zweitprüfer Prof. Dr. H. angesichts der Beurteilung mit „nicht ausreichend“ für die Vergabe der Note „ausreichend (4,0)“ im Rahmen der von dem Zweitprüfer vorgenommenen „ganzheitlichen Einschätzung“ entscheidend war, liegt auch hier eine wesentliche, das Benotungsergebnis entscheidend prägende Abweichung von der Aufgabenstellung der Diplomarbeit vor.
Die Kritik des Zweitprüfers an der nicht ausreichenden Literaturbasis und an der Gestaltung des empirischen Teils der Arbeit lässt sich - entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht mit der dem Beurteilungsspielraum innewohnenden und von Verfassung wegen verlangten Freiheit des Prüfers zur gleichmäßigen Anwendung seines eigenen Beurteilungsmaßstabes begründen. Die Anwendung des Beurteilungsmaßstabs erschöpft sich darin, dass der Prüfer die von ihm festgestellten Leistungen des Prüflings wertend und abwägend einem standardisierten Leistungsbild zuordnet. Sie setzt eine bestimmte, vor der Prüfung feststehende und vom Prüfling zu erfüllende Aufgabe voraus. Die Beurteilungsfreiheit rechtfertigt es dagegen nicht, von dem Prüfling Leistungen zu verlangen, die nach Aufgabenstellung in formaler und/oder inhaltlicher Hinsicht nicht oder jedenfalls in anderer Weise erbracht werden müssen. Anders gesagt: Aufgabe des Prüfers ist es nicht, über die Leistungen des Prüflings hinaus auch die dem Prüfling mit der Aufgabenstellung gemachten Vorgaben in Bezug auf Inhalt, Qualität und Quantität der Prüfungsarbeit zu bewerten.
Dies hat der Zweitprüfer Prof. Dr. H. aber mit seiner als „nicht ausreichend“ eingeschätzten Verarbeitung von (nur) 72 Literaturquellen und mit seiner Kritik an der Zahl der Experteninterviews getan. Die Erstprüferin Dr. G. hat in ihrer Stellungnahme vom 8. Februar 2012 bestätigt, dass der Klägerin in den Prüfungsvorgesprächen eine „Vorgabe von 50 bis 80 Literaturquellen“ gemacht worden war. Dies ist von dem Zweitprüfenden Prof. Dr. H., dem die Vorgabe der Erstprüfenden spätestens aus der Widerspruchsbegründung der Klägerin bekannt geworden war, zu Unrecht nicht beachtet worden. Zwar war die Vorgabe der Erstprüfenden nicht unmittelbarer Bestandteil des ausgegebenen Themas und der Aufgabenstellung. Die DPO sieht aber in § 22 Abs. 5 Satz 1 vor, dass das Thema der Diplomarbeit von der Erstprüfenden nach Anhörung des Prüflings festgelegt wird. Außerdem weist die Klägerin zu Recht auf die Bestimmung in § 22 Abs. 5 Satz 5 DPO hin, wonach die Diplomandin während der Anfertigung der Diplomarbeit von der Erstprüfenden betreut wird. Es gibt keine Regelungen in der DPO oder ungeschriebene Grundsätze des Prüfungsrechts, die es der Betreuerin einer Abschlussarbeit untersagten, der Prüfungskandidatin - der üblichen Handhabung in Hochschulprüfungen folgend - für die Umsetzung der Aufgabenstellung formelle und inhaltliche Vorgaben zu machen, soweit sich diese nicht unmittelbar aus der Formulierung der Prüfungsaufgabe ergeben. Danach hätte auch der Zweitprüfende Prof. Dr. H. spätestens im Widerspruchsverfahren erkennen müssen, dass die Klägerin bei dem Verfassen der Diplomarbeit an die Vorgaben der Erstprüfenden gebunden war, zumal die Beklagte selbst vorträgt, dass auch die Prüfenden des Instituts Marketing & Management mit den vertiefende Hinweisen des Instituts zur Anfertigung wissenschaftlicher Arbeiten dasselbe Recht zu Vorgaben für eine Diplomarbeit in Anspruch nehmen, soweit sie ihrerseits als Erstprüfende tätig werden.
Die Tatsache, dass die an der Korrektur der Diplomarbeit beteiligten Institute für Soziologie und Marketing & Management unterschiedliche Vorstellungen und Vorgaben für die in einer Diplomarbeit umzusetzenden wissenschaftlichen Methoden haben, rechtfertigt es nicht, dass der Zweitprüfende von den für die Prüfungskandidatin verpflichtenden formellen und inhaltlichen Vorgaben der Erstprüfenden und damit von der feststehenden Bewertungsgrundlage dieses Teils der Diplomprüfung abweicht. Dies gilt jedenfalls, so lange das Verfahren der Betreuung einer Diplomarbeit durch eine fakultätsfremde Erstprüferin durch die Regelung in § 22 Abs. 4 DPO ausdrücklich eröffnet worden ist. Danach kann das Thema der Diplomarbeit vorbehaltlich der Bestellung durch den Prüfungsausschuss Wirtschaftswissenschaften von jeder Professorin und jedem Professor sowie von den Privatdozentinnen und Privatdozenten festgelegt werden. Insoweit obliegt es der Verantwortung des Prüfungssauschusses, bei der von ihm nach § 22 Abs. 5 Satz 4 DPO vorzunehmenden Bestellung der Erstprüferin darauf zu achten, dass die Wahlfreiheit des § 22 Abs. 4 DPO nicht zu Unvereinbarkeiten bei den wissenschaftlichen Anforderungen an Diplomarbeiten im Studiengang Wirtschaftswissenschaften und dem eigentlichen Prüfungszweck der Diplomarbeit (22 Abs. 2 Satz 1 DPO) führt. Hierzu hat die Beklagte zwar vorgetragen, dass die Vorgänge um die Bestellung der Erstprüfenden und die Bekanntgabe des Themas der Diplomarbeit von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät versehentlich vernichtet worden sind. Mangels abweichender Anhaltspunkte geht die Kammer aber davon aus, dass der Prüfungsausschuss Wirtschaftswissenschaften insoweit von seiner Zuständigkeiten aus § 22 DPO tatsächlich Gebrauch gemacht hat.
Hat aber der Prüfungsausschuss die Erstprüferin wirksam bestellt, kann und muss sich die Diplomandin darauf verlassen, dass sie die Prüfungsaufgabe so bearbeiten darf, wie es ihr von der Betreuerin geraten und im vorliegenden Fall sogar verbindlich vorgegeben worden ist. Dies verlangen die im Prüfungsrecht zwischen den Beteiligten des Prüfungsverfahrens in besonderer Weise zu beachtenden Rechtsgrundsätze der fairen Gestaltung der Prüfungsanforderungen einerseits und von Treu und Glauben (§ 242 BGB) andererseits. Die Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben fordert insbesondere, dass sich die Beteiligten des Prüfungsverfahrens auf die Gültigkeit und Verbindlichkeit der Erklärungen des jeweils anderen Beteiligten verlassen können und dass aus einem widersprüchlichen Verhalten eines Beteiligten keine für den anderen Beteiligten nachteilige Rechtsposition hergeleitet werden darf. Das betrifft auch das Vorgehen des Zweitprüfers einer Diplomarbeit, dessen Beurteilungsspielraum nicht sein eigenes persönliches Recht ist, sondern von ihm nur im Rahmen der amtlichen Tätigkeit für die Universität als Körperschaft des Öffentlichen Rechts und zugleich Prüfungsbehörde (Beteiligte) wahrgenommen wird.
Daraus folgt, dass die Klägerin einen Anspruch auf Neubewertung ihrer Diplomarbeit durch einen Zweitprüfer hat. Insoweit weist die Kammer auf ihre Rechtsauffassung hin, wonach für die Neubewertung der Diplomarbeit auf der Grundlage der formalen und inhaltlichen Vorgaben der Erstprüfenden Dr. G. nur eine andere Zweitprüferin oder ein anderer Zweitprüfer als Prof. Dr. H. in Betracht kommt.
Zwar gebietet es der Grundsatz der Chancengleichheit im Prüfungsverfahren in der Regel, dass die rechtsfehlerfreie Neubewertung einer Prüfungsleistung von dem nach der Prüfungsordnung zuständigen Prüfer oder von dem Prüfungsausschuss bestimmten vorgenommen wird, so dass in aller Regel auch bei Stattgabe einer auf Neubewertung gerichteten Klage kein Anspruch auf einen anderen Prüfer besteht. Allerdings kann sich aus der Art und Weise des Umgangs eines Prüfers mit den eigenen Fehlern dann eine Voreingenommenheit ergeben, wenn sich der Prüfende von vornherein darauf festgelegt hat, seine Benotung nicht zu ändern oder nicht in der Lage ist, einen oder mehrere eigene Bewertungsfehler zu erkennen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Mai 1999 - 6 C 13.98 -, NVwZ 2000 S. 915, 921). Dies ist zwar in Prüfungsverfahren selten der Fall, weil weder das (fehlerhafte) Festhalten am Ergebnis der eigenen Bewertung noch eine im sprachlichen Ausdruck deutliche Kritik des Prüfers an der Leistung des Prüflings für die Annahme einer Voreingenommenheit ausreichen. Im vorliegenden Fall liegen allerdings nach Überzeugung der Kammer ausnahmsweise deutliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin im Fall einer Neubewertung ihrer Prüfungsleistung durch Prof. Dr. H. nicht damit rechnen kann, dass der Prüfer sich von seinem einmal gefassten Urteil über die zu bewertende Aufgabenstellung in dieser Diplomarbeit lösen können wird. Prof. Dr. H. ist nämlich in seiner Stellungnahme vom 11. April 2012 auf das wesentliche Argument der Klägerin in ihrer Widerspruchsbegründung, nämlich dass die Umsetzung divergierende Vorgaben zweier Prüfer in einer Diplomarbeit von einem Prüfling Unmögliches verlangt, nicht eingegangen. Er hat vielmehr im ersten Teil seiner Stellungnahme zum Ausdruck gebracht, dass - unabhängig von den der Klägerin von der Erstprüfenden gemachten inhaltlichen und formalen Vorgaben - für sein Urteil allein die „Bewertungskriterien“ des Instituts Marketing & Management in Bezug auf die inhaltliche Ausgestaltung und formale Umsetzung einer Prüfungsleistung Geltung beanspruchen. Dieses hat er in seiner Stellungnahme abschließend mit den Worten bekräftigt, dass im Hinblick auf die Einwendungen der Klägerin im Fall einer Neubewertung ein „sogar eher schlechter ausfallendes Gesamtergebnis“ in Betracht käme. Diese Ausführungen machen deutlich, dass sich der Prüfende nicht bereit gefunden hat, einerseits seine Aufgabe als Prüfer im Einklang mit der bestimmenden Funktion der Erstprüfenden als Themenstellerin und Betreuerin der Diplomarbeit auszuüben und andererseits auf das durch die unterschiedlichen Vorstellungen beider Prüfenden hervorgerufene Konfliktsituation der Prüfungskandidatin einzugehen.