Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 01.10.2013, Az.: 4 A 6569/12

Dachfarbe; Farbton; örtliche Bauvorschrift

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
01.10.2013
Aktenzeichen
4 A 6569/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64432
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zu den Anforderungen an ein städtebauliches Gestaltungskonzept, das besondere Anforderungen an die Farbe der Dacheindeckung rechtfertigen kann.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor  Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich gegen eine bauaufsichtliche Anordnung, mit der ihnen aufgegeben wird, eine andere Dachfarbe herzustellen.

Die Kläger sind Eigentümer des mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks Flurstück T. der Flur U., Gemarkung V. (mit der postalischen Anschrift „W. X.“). Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des im Jahre 2009 in Kraft getretenen Bebauungsplans Nr. Y. „Z.“, der das Gebiet als allgemeines Wohngebiet ausweist. Der Bebauungsplan enthält örtliche Bauvorschriften, unter anderem eine Regelung zur Farbe der Dächer. § 3 Nr. 3 der örtlichen Bauvorschrift lautet:

„Als Dacheindeckung … sind nur Dachsteine mit den Farbtönen Rot bis Rotbraun im Rahmen der nachfolgend aufgeführten Farbmuster nach dem Farbregister RAL 840 HR zulässig. Davon ausgenommen sind Solaranlagen und sonstige Energiedachkonstruktionen sowie Dachflächenfenster, für die andere konstruktionsbedingte Materialien und Farben zugelassen werden.“

Wegen der im Einzelnen aufgeführten Farbmuster wird auf den Bebauungsplan verwiesen. Ausweislich dessen Begründung sollte die Zielsetzung des angrenzenden Bebauungsplangebietes Nr. AA. „AB.“, die Gebäude dem historisch gewachsenen, dörflich geprägten Ortskern von V. anzupassen und die Gestaltung des Ortsrandes aufzubessern, weiterverfolgt werden. Da V. ein ländlich geprägter Ort sei, sollten charakteristische Gestaltungselemente des dörflichen Umfeldes aufgenommen und innerhalb des Neubaugebietes umgesetzt werden. Mit den Angaben zur Farbverwendung solle auf ein ausgewogenes Erscheinungsbild der Dachfläche und damit der Dachlandschaft des Ortes hingewirkt werden.

Die Kläger zeigten das Bauvorhaben am 10.05.2011 gemäß § 69 a NBauO a.F. an. Dabei erklärte die Entwurfsverfasserin, das Vorhaben widerspreche nicht den Festsetzungen des Bebauungsplans. Anschließend errichteten die Kläger das Wohnhaus.

Bei einer Baukontrolle im März 2012 stellte die Beklagte fest, dass das Dach eine dunkle Farbe aufweist und forderte die Kläger nach Anhörung mit Verfügung vom 13.06.2012 auf, bis spätestens sechs Monate nach Rechtskraft der Verfügung eine Dachfarbe gemäß der örtlichen Bauvorschrift herzustellen, und drohte ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000 € an. Die Dachfarbe sei dunkelgrau und entspreche damit nicht den Bestimmungen der Örtlichen Bauvorschrift. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Vorschrift offensichtlich nichtig sei. Das öffentliche Interesse an der Verhinderung illegaler Baumaßnahmen überwiege das private Interesse der Kläger auch deswegen, weil von dem Vorhaben eine Vorbildwirkung ausgehe. Den dagegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 15.11.2012 zurück.

Am 23.11.2012 haben die Kläger Klage erhoben.

Die Verfügung sei rechtswidrig, weil die örtliche Bauvorschrift unwirksam sei. Die gesetzlichen Voraussetzungen lägen nicht vor. Das Ziel, am Ortsrand eine einheitliche Dacheindeckung zu erreichen, könne nicht erreicht werden. Es gebe kein öffentliches Interesse, die Dachfarbe vorzuschreiben, da das private Interesse an Gestaltungsfreiheit überwiege. Sowohl die nähere Umgebung als auch der Ortskern wiesen uneinheitliche Dacheindeckungen auf. Die Verwendung dunkler Dachfarben stehe dem dörflichen Charakter nicht entgegen. Die Aufzählung der zulässigen Farbtöne sei willkürlich und rechtswidrig. Die Satzung sei darüber hinaus bereits deswegen rechtswidrig, weil sie Sonnenkollektoren zulasse. Eine einheitliche Dachgestaltung könne schon deswegen nicht erreicht werden.

Abgesehen davon sei die Verfügung auch deswegen rechtswidrig, weil sie gegen den Gleichheitssatz verstoße und weil sie im Hinblick auf Kosten in Höhe von 15.000 bis 20.000 € für eine neue Dacheindeckung unverhältnismäßig sei.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid der Beklagten vom 13.06.2012 sowie den Widerspruchsbescheid vom 15.11.2012 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt die Verfügungen. Diese sei auch im Hinblick auf Art. 3 GG rechtmäßig. Ihr seien die baurechtswidrigen Zustände in diesem und in den benachbarten Baugebieten vorher nicht bekannt gewesen. Das vorliegende Verfahren werde als „Musterverfahren“ geführt. Sollte die Verfügung gerichtlich bestätigt werden, werde sie bei vergleichbaren Verstößen ebenfalls einschreiten.

Die Beigeladene hält die örtliche Bauvorschrift für wirksam, stellt aber keinen Antrag.

Die Kammer hat die Örtlichkeiten in Augenschein genommen. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Verfügung findet ihre Grundlage in § 89 NBauO a.F. (§ 86 Abs. 1 NBauO). Widersprechen bauliche Anlagen dem öffentlichen Baurecht, kann die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen anordnen, die zur Herstellung rechtmäßiger Zustände erforderlich sind (§ 89 Abs. 1 Satz 1 NBauO a.F.).

Die Dacheindeckung des Hauses der Kläger widerspricht dem öffentlichen Baurecht, weil die Dachfarbe nicht den Bestimmungen der örtlichen Bauvorschrift entspricht und die Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung nicht erfüllt sind (dazu unter 1.). Die Verfügung ist auch im Übrigen nicht zu beanstanden; insbesondere lässt sie Ermessensfehler nicht erkennen (dazu unter 2.).

1. Gemäß § 3 Nr. 3 der Örtlichen Bauvorschrift zum Bebauungsplan Nr. Y. „Z.“ sind als Dacheindeckung nur Dachsteine mit den Farbtönen Rot bis Rotbraun entsprechend einem aufgeführten Farbmuster zulässig. Das Dach des klägerischen Hauses weist - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist und wovon sich die Kammer im Übrigen auch aus den Lichtbildaufnahmen im Verwaltungsvorgang sowie den Inaugenscheinnahme vor Ort ein Bild machen konnte - eine Farbe auf, die diesen Vorgaben nicht entspricht.

Nach Auffassung der Kammer ist die Örtliche Bauvorschrift auch insofern wirksam. Gemäß § 97 Abs. 1 Satz 2 NBauO a.F. gelten für die Folgen von Verfahrensmängeln §§ 214 f. BauGB. Etwaige Verfahrensfehler wären danach von vornherein unbeachtlich oder sind jedenfalls nicht rechtzeitig gerügt worden. Darüber unberührt bleiben jedoch von den Klägern geltend gemachten Mängel der materiellen Abwägung. Solche Abwägungsfehler sind indes nicht ersichtlich.

Die Regelung ist hinreichend bestimmt. Mit der Formulierung „Farbtöne Rot bis Rotbraun“ hat der Plangeber nicht eine bestimmte Farbe vorgegeben, sondern lässt ein Spektrum von Farbtönen zu. Bei den vorgegebenen Farbtönen handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die der Auslegung bedürfen. Dass in Grenzbereichen die Feststellung schwierig sein kann, ob ein Farbton noch diesem Spektrum entspricht, führt nicht zur Unbestimmtheit (OVG Lüneburg, Urt. vom 12.07.2011, 1 KN 197/09, juris). Einer physikalisch eindeutigen Farbbestimmung bedarf es nicht (OVG Koblenz, Urt. vom 01.10.2008, 1 A 10362/08, juris). Der Plangeber war daher nicht gezwungen, aus Gründen der Bestimmtheit Farbmuster vorzugeben.

Er hat dies gleichwohl mit der Formulierung „im Rahmen der nachfolgend aufgeführten Farbmuster nach dem Farbregister RAL 840 HR“ getan und sodann verschiedene Farbmuster aufgeführt. Die Kammer muss nicht entscheiden, ob damit solche Farbtöne unzulässig sind, die dort nicht aufgeführt sind, sich möglicherweise aber gleichwohl in dem Spektrum „Rot bis Rotbraun“ bewegen (etwa die RAL-Töne 8002 „Signalbraun“, 8003 „Lehmbraun“ oder 8011 „Nussbraun“). Die Dachfarbe des klägerischen Hauses lässt sich jedenfalls unter keinem Gesichtspunkt den Farbtönen Rot bis Rotbraun zuordnen. Unbestimmt wäre die Regelung allenfalls dann, wenn auch RAL-Töne aufgeführt würden, die sich dem Spektrum „Rot bis Rotbraun“ nicht zuordnen lassen. Das ist indes nicht der Fall.

Gemäß § 56 Abs. 1 Nr. 1 NBauO a.F. können die Gemeinden für bestimmte Teile des Gemeindegebietes durch örtliche Bauvorschriften besondere Anforderungen an die Gestaltung von Gebäuden, namentlich u.a. für die Farben der von außen sichtbaren Bauteile einen Rahmen setzen, um bestimmte städtebauliche, baugestalterische oder ökologische Absichten zu verwirklichen.

Der Erlass örtlicher Bauvorschriften steht im Ermessen des Plangebers, das dem Planungsermessen nach § 1 Abs. 7 BauGB ähnelt. Der Plangeber trifft eine Abwägungsentscheidung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Verwirklichung eines bestimmten ortsgestalterischen Konzepts und den entgegenstehenden öffentlichen und privaten Interessen (vgl. OVG Lüneburg, a.a.O.). Die Entscheidung der Beigeladenen, für die Dachdeckung nur die Farbtöne Rot bis Rotbraun zuzulassen, lässt Abwägungsfehler nicht erkennen.

Die Beigeladene verfolgt damit ein erkennbares und legitimes städtebauliches Gestaltungskonzept. § 56 Abs. 1 Satz1 NBauO a.F. gestattet den Gemeinden, eine „positive Baupflege“ zu betreiben (OVG Lüneburg, a.a.O.; BVerwG, Beschluss vom 10.07.1997, 4 NB 15/97, juris), wobei das Ziel, eine einheitliche Bebauung zu erreichen, für sich genommen noch keine schützenswerte baugestalterische Absicht darstellt (OVG Lüneburg, Urt. vom 17.04.1985, 1 A 119/83, BRS 44 Nr. 116).

Ausweislich der Begründung sollte die Zielsetzung des angrenzenden Bebauungsplangebietes Nr. AA. „AB.“, die Gebäude dem historisch gewachsenen, dörflich geprägten Ortskern von V. anzupassen und die Gestaltung des Ortsrandes aufzubessern, weiterverfolgt werden. Da V. ein ländlich geprägter Ort sei, sollten charakteristische Gestaltungselemente des dörflichen Umfeldes aufgenommen und innerhalb des Neubaugebietes umgesetzt werden. Mit den Angaben zur Farbverwendung solle auf ein ausgewogenes Erscheinungsbild der Dachfläche und damit der Dachlandschaft des Ortes hingewirkt werden.

Auf den Vorhalt der Kläger, dieses Ziel sei schon deswegen nicht zu erreichen, weil der Ortskern uneinheitliche Dacheindeckungen aufweise, hat die Kammer die Örtlichkeiten in Augenschein genommen und dabei folgende Feststellungen getroffen: Bei der Ortschaft V. handelt es sich um einen ländlich geprägten Ort. Ältere Bebauung findet sich vor allem nördlich der Straße „AC.“, südlich der AD. und teilweise an der AE. zwischen den Straßen „AC.“ und AD.. Bei den älteren Gebäuden, die dort stehen, handelt es sich um (ehemalige) landwirtschaftliche Betriebe. Der weit überwiegende Teil dieser Gebäude weist die für die damalige Zeit üblichen roten Dächer auf. Zwischen diesen Straßen und in Baulücken findet sich neuere Bebauung mit uneinheitlichen Dacheindeckungen.

Nach den Feststellungen der Kammer finden sich daher im Ortskern durchaus charakteristische Gestaltungselemente des dörflichen Umfeldes. Entgegen der Auffassung der Kläger kommt es nicht darauf an, ob auch die „Neubauten“ oder der überwiegende Teil der Gebäude des Ortes oder des Ortskerns rote oder rotbraune Dächer aufweist. Der Plangeber wollte bestimmte historische Gestaltungselemente als Vorgabe für die Gestaltung des Ortsrandes aufnehmen. Ein von vornherein nicht legitimes, weil nicht erreichbares Ziel wäre dies nur dann, wenn solche Gestaltungselemente fehlten, was nicht der Fall ist. Unschädlich ist, dass auch einige der älteren Gebäude mittlerweile eine andere - graue oder schwarze - Dacheindeckung aufweisen. Dabei handelt es sich um „Ausreißer“, die unschädlich sind (OVG Lüneburg, Urt. vom 12.05.1993, 1 K 67/91, juris). Ebenfalls nicht legitim wäre dieses Ziel, wenn es schon wegen vorhandener zulässiger Bebauung mit andersfarbigen Dächern nicht möglich wäre, die Gestaltung des südlichen Ortsrandes in dieser Weise aufzubessern. Dies ist - anders als etwa bei der Gestaltung des nördlichen oder östlichen Ortsrandes - nicht der Fall. In nördlicher Richtung schließt sich an das Baugebiet der Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. AA. „AB.“ an. Dieser Bebauungsplan enthält ebenfalls eine örtliche Bauvorschrift, die eine Dachdeckung in den Farbtönen Rot bis Rotbraun vorschreibt. Für die Gebäude, die den südlichen Ortsrand ausmachen, ist damit eine Dachdeckung in den Farbtönen Rot bis Rotbraun vorgeschrieben. Da die Beklagte erklärt hat, nach Durchführung des Musterverfahrens gegen die anderen Grundstückseigentümer vorzugehen, deren Dachfarbe ebenfalls nicht der örtlichen Bauvorschrift entspricht, sind die Abweichungen in diesen beiden Baugebieten unbeachtlich. Es ist ein legitimes gestalterisches Ziel, gerade hinsichtlich der Dächer des Ortsrandes, die weithin sichtbar sind, an eine traditionelle Farbgebung anzuknüpfen (OVG Münster, Beschluss vom 24.07.2000, 7 a D 179/98.NE, BRS 63 Nr. 18).

Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beigeladene bei der Abwägung diesem gestalterischen Ziel den Vorrang eingeräumt hat vor den entgegenstehenden Interessen der Grundstückseigentümer. Die Festsetzung der Farbe der Dachdeckung in einem Neubaugebiet bedeutet für Bauwillige nur eine geringe Einschränkung. Einschränkungen in der Ausnutzbarkeit des Grundstücks oder finanzieller Mehraufwand sind damit nicht verbunden. Eingeschränkt wird lediglich die Gestaltungsfreiheit. Den Klägern ist zwar zuzugeben, dass dem öffentlichen Interesse an einer bestimmten Farbgestaltung der Dächer im vorliegenden Fall nicht das gleiche Gewicht zukommen kann wie etwa in einem Fall, in dem in Nachbarschaft zu einem historischen Stadtkern Vorgaben zur Dachgestaltung gemacht werden. Vor dem Hintergrund der nur geringen Einschränkungen dufte die Beigeladene im Rahmen einer  Abwägung ihrem Gestaltungsinteresse gleichwohl den Vorrang einräumen.

Die Abwägungsentscheidung ist auch nicht deswegen fehlerhaft, weil die Regelung Solaranlagen und sonstige Energiedachkonstruktionen ausnimmt. Solche Anlagen sind aus technischen Gründen nicht in den Farbtönen Rot bis Rotbraun erhältlich. Der Plangeber durfte insofern ökologischen Gesichtspunkten Rechnung tragen und den Vorrang einräumen. Damit erweist sich die Regelung aber nicht als ungeeignet, weil das Ziel, ein ausgewogenes Erscheinungsbild der Dachfläche, nicht mehr erreichbar wäre. Neben den Solaranlagen sind auch Dachaufbauten, Dacheinschnitte und Dachfenster in gewissem Umfang zulässig. Die Dachflächen dürfen also - wie regelmäßig üblich - unterbrochen werden. Das ändert aber nichts daran, dass den Dachflächen, soweit sie eine Dachdeckung aufweisen, trotz dieser Einschränkungen gerade am Ortsrand eine optisch weit sichtbare Wirkung zukommt. Zudem bleiben der Sonneneinstrahlung nicht optimal zugewandte Dachflächen regelmäßig von einer Solarnutzung ausgeschlossen. Die Argumentation der Kläger liefe darauf hinaus, dass Vorgaben zur Dachfarbe nur gemacht werden dürften, wenn die Dächer nicht durch Fenster, Gauben oder andere Einschnitte unterbrochen werden dürften. Dies hätte erhebliche Einschränkungen für Bauwillige zur Folge. Der Plangeber darf aber eine Abwägung auch so treffen, dass er insoweit den privaten Interessen der Grundstückseigentümer den Vorrang einräumt und seine gestalterischen Ziele mit diesen Einschränkungen verfolgt.

Die Vorschrift über die Farbgebung erweist sich auch nicht insofern als unwirksam, als die Bezeichnung „Dachsteine“ verwendet wird. Die Kammer kann offen lassen, ob - so die Auffassung der Kläger - unter der Bezeichnung Dachstein nur Dachdeckungen aus Beton oder anderen nichtkeramischen Werkstoffen, nicht aber auch Dachziegel zu verstehen sind oder - so die Auffassung der Beklagten - Dachstein der Oberbegriff für „steinartige“ Dachdeckungsmaterialien ist und damit auch Dachziegel, also aus Ton gebrannte Steine, erfasst. Sowohl die Beigeladene als auch die Beklagte verstehen die Bestimmung so, dass auch Dachziegel zulässig sind. Für einen Ausschluss von Dachziegeln gäbe es wohl auch keinen sachlichen Grund. Die Auffassung der Kläger könnte also allenfalls zur Folge, dass die Regelung insoweit (teil-)nichtig wäre, als sie die Verwendung von Dachziegeln ausschließt. Dies hätte aber nicht auch die Nichtigkeit der Bestimmung der Farbe zur Folge.

Andererseits war die Beigeladene nicht gehalten, die Verwendung von Dachziegeln vorzuschreiben und (andere) Dachsteine auszuschließen. Im Rahmen der Inaugenscheinnahme hat das Gericht Dächer festgestellt, die - möglicherweise je nach Lichteinfall - eine rötlich-gräuliche Färbung aufweisen (etwa auf dem Grundstück AE. AF.). Nach Ansicht des Vertreters der Beklagten handelt es sich dabei um Dachsteine aus Beton, die ursprünglich eine rote Färbung aufwiesen und durch Verwitterung einen leicht gräulichen Anschein bekommen hätten. Es ist bekannt, dass Dachdeckungen aus Tonziegeln anders „altern“ als Dachsteine aus Beton. Es erscheint auch nicht ausgeschlossen, dass Dachsteine aus Beton im Laufe der Zeit - anders oder stärker als Tonziegel - die Farbe verlieren.

Dies muss den Plangeber aber nicht veranlassen, entweder - teurere - Tonziegel vorzuschreiben oder auf eine Regelung im Hinblick auf mangelnde Geeignetheit zu verzichten. Es gibt schon keine Anhaltspunkte dafür, dass auch moderne Dachsteine aus Beton ihre Farbe im Laufe der Zeit verlieren. Zudem haben - wie es die Lichtbildaufnahme zeigt - auch die vorhandenen alten Dachsteine ihre ursprünglich rote Färbung nicht vollständig eingebüßt. Ein rötlicher Schimmer ist erhalten geblieben, der gerade im unmittelbaren Kontrast zu den benachbarten schwarz oder anthrazitfarben eingedeckten Gebäuden auffällt und die ursprüngliche Gestaltung erkennen lässt. Schließlich geht die Kammer aufgrund des Alters der mit den verwitterten Dachsteinen ausgestatteten (Vorkriegs-) Gebäude davon aus, dass rote Dachsteine - wenn überhaupt - ihre Färbung erst gegen  Ende ihrer „Lebensdauer“ einbüßen. Für die weit überwiegende Nutzungszeit von Dacheindeckungen kann das mit der Örtlichen Bauvorschrift verfolgte Gestaltungsziel jedenfalls umgesetzt werden.

Von den Vorgaben gemäß § 3 Nr. 3 der Örtlichen Bauvorschrift kann auch keine Abweichung gemäß § 66 NBauO erteilt werden. Die Erteilung einer solchen Abweichung haben die Kläger nicht beantragt, die tatbestandlichen Voraussetzungen liegen auch ersichtlich nicht vor.

2. Die Verfügung ist auch im Übrigen nicht zu beanstanden. Insbesondere lässt sie Ermessensfehler nicht erkennen.

Das Einschreiten ist die Regelfolge bei Verstößen gegen das öffentliche Baurecht. Nur wenn besondere Umstände vorliegen, muss die Bauaufsichtsbehörde das Für und Wider abwägen. Solche Umstände sind hier nicht ersichtlich. Die Verfügung verstößt insbesondere nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Umsetzung der Verfügung verursacht für die Kläger zwar erhebliche Kosten, deren Höhe davon abhängt, ob sie das Dach lediglich in einer anderen Farbe neu streichen und es neu eindecken. Bei einer Eindeckung des Daches können nach Auffassung der Beteiligten Kosten bis zu 20.000 € entstehen. Der Umstand aber, dass mit der Errichtung einer vom öffentlichen Baurecht abweichenden Anlage Werte geschaffen wurden, steht einem bauaufsichtlichen Einschreiten regelmäßig nicht entgegen. Hinzu kommt, dass sich die Kläger entweder bewusst über die ihnen bekannte Vorschrift hinweggesetzt haben oder aber der Entwurfsverfasser die Vorschrift übersehen hat. Letzteren Falls dürfte den Klägern ein Schadensersatzanspruch gegen den Entwurfsverfasser zustehen. Im anderen Fall ist das Vertrauen der Kläger nicht schutzwürdig. Bei Zweifeln an der Wirksamkeit der örtlichen Bauvorschrift hätten die Kläger die Möglichkeit gehabt, diese entweder im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens überprüfen zu lassen oder - bei Ablauf der Frist für einen solchen Antrag - vor Baubeginn die Zulässigkeit des Vorhabens durch eine Feststellungsklage gerichtlich klären zu lassen.

Die Verfügung ist auch nicht wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz rechtswidrig. Die Kläger weisen darauf hin, dass es sowohl im gleichen als auch im benachbarten Bebauungsplangebiet Vergleichsfälle gebe, gegen die die Beklagte nicht einschreite. Die Kammer muss an dieser Stelle nicht der Frage nachgehen, in welchen Fällen diese Dächer der örtlichen Bauvorschrift (noch) entsprechen und in welchen nicht (mehr). Bei einer Mehrzahl von Baurechtsverstößen muss die Bauaufsichtsbehörde nicht gleichzeitig vorgehen. Sie kann schrittweise vorgehen, wenn sie ein sachgerechtes Konzept hat. Dazu kann sie auch einen geeigneten Fall als „Musterfall“ auswählen und diesen zunächst gerichtlich bestätigen lassen (OVG Lüneburg, Beschluss vom 08.03.2010, 1 ME 218/09, juris). Sie ist auch frei in der Entscheidung, in welcher Reihenfolge sie gegen zeitlich jüngere und ältere Verstöße vorgeht (OVG Lüneburg, Beschluss vom 30.08.2012, 1 LA 231/10, juris).

Nach diesen Maßstäben ist das Vorgehen der Beklagten nicht zu beanstanden. Sie hat erklärt, dass ihr bis zum Einschreiten im vorliegenden Fall nicht bekannt gewesen sei, dass es in den benachbarten Baugebieten vergleichbare baurechtswidrige Zustände gebe. Im Falle eines Erfolgs im Musterverfahren werde sie in den Fällen bauaufsichtliche einschreiten, wenn es vergleichbare Verstöße gebe. Das Gericht hat keinerlei Anhaltspunkte für die Vermutung der Kläger, der Beklagten hätten die baurechtswidrigen Zustände in den benachbarten Gebieten seit Langem bekannt sein müssen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1 und 2 ZPO. Gründe, die Berufung zuzulassen, sind nicht ersichtlich.