Landgericht Hannover
Urt. v. 12.03.2015, Az.: 3 O 287/14

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
12.03.2015
Aktenzeichen
3 O 287/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 44870
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

1. Es wird festgestellt, dass die Darlehensverträge vom 07.04.2005 Nr. 006.3902986 und vom 04.06.2009 Nr. 026.3902986 aufgelöst sind und die Beklagte keine Leistungen hieraus mehr verlangen kann.

2. Es wird festgestellt, dass die Restschuld aus dem Darlehensvertrag vom 07.04.2005 Nr. 006.3902986 zum Tag des Widerrufs 92.085,97 € betrug.

3. Es wird festgestellt, dass die Restschuld aus dem Darlehensvertrag vom 04.06.2009 Nr. 026.3902986 zum Tag des Widerrufs 73.193,43 € betrug.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger zu 1. und zu 2. als Gesamtgläubiger 2.299,49 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.09.2014 zu zahlen.

5. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand:

Die Kläger begehren die Feststellung des wirksamen Widerrufs zweier Darlehensverträge, Feststellung der jeweiligen Restschulden zum Widerrufstag und die Begleichung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

Die Kläger schlossen mit der Beklagten zwei Darlehensverträge, Nr. 006.3902986 über 120.000 € zu verzinsen mit 3,99 % und festen Konditionen bis 30.4.2015 und Nr. 026.3902986 über 80.000 € zu verzinsen mit 3,72 % mit festen Konditionen bis 30.6.2014. Die Vertragsschlüsse erfolgten dergestalt, dass die Beklagte den Vertrag mit der Nr. 006.3902986 am 07.04.2005 und den Vertrag mit der Nr. 026.3902986 am 04.06.2009 unterzeichnete und den Klägern jeweils per Post übersandte. Dabei waren den Verträgen jeweils Widerrufsbelehrungen beigefügt. Die Kläger unterschrieben den Vertrag mit der Nr. 006.3902986 ihrerseits am 18.04.2005 und den mit der Nr. 026.3902986 am 05.06.2009 und sandten ihn jeweils zurück.

Über ihr Widerrufsrecht wurden die Kläger wie folgt belehrt:

Nr. 006.3902986: „Sofern Sie nicht taggleich mit dem Vertragsschluss über Ihr Widerrufsrecht belehrt worden sind, beträgt die Frist einen Monat. Der Lauf der Frist beginnt mit Aushändigung der Ausfertigung der Vertragsurkunde und dieser Information über das Recht zum Widerruf an den Darlehensnehmer.“

Nr. 026.3902986: „Der Lauf der Frist für den Widerruf beginnt einen Tag nachdem Ihnen ein Exemplar dieser Widerrufsbelehrung und die Vertragsurkunde, der schriftliche Vertragsantrag oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des Vertragsantrags zur Verfügung gestellt wurde.“

In den darauffolgenden Jahren bedienten die Kläger die Darlehensverträge, schlossen im Juni 2009 und Oktober 2012 noch weitere Darlehensverträge mit der Beklagten über 30.000,00 € und 50.000,00 € und vereinbarten mit der Beklagten im Sommer 2013 hinsichtlich der streitgegenständlichen Darlehen eine Zinsprolongation.

Mit Schreiben vom 26.08.2014 widerriefen die Kläger die streitgegenständlichen Darlehensverträge und forderten die Beklagte zur Abrechnung auf, was die Beklagte mit Schreiben vom 02.09.2014 ablehnte.

Zum Stichtag des Widerrufs beliefen sich die Salden für das Darlehen Nr. 006.3902986 auf 92.085,97 € und für das Darlehen Nr. 026.3902986 auf 73.193,43 €.

Die Kläger sind der Auffassung, nicht ordnungsgemäß über den Beginn der Widerrufsfrist belehrt worden zu sein, so dass diese nicht zu laufen begonnen habe. Ihr Widerruf sei daher rechtzeitig erfolgt.

Die Kläger beantragen,

1. festzustellen, dass die Darlehensverträge vom 07.04.2005 Nr. 006.3902986 und vom 04.06.2009 Nr. 026.3902986 aufgelöst sind und die Beklagte keine Leistungen hieraus mehr verlangen kann;

2. festzustellen, dass die Restschuld aus dem Darlehensvertrag vom 07.04.2005 Nr. 006.3902986 zum Tag des Widerrufs 92.085,97 € betrug;

3. festzustellen, dass die Restschuld aus dem Darlehensvertrag vom 04.06.2009 Nr. 026.3902986 zum Tag des Widerrufs 73.193,43 € betrug;

4. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zu 1. und zu 2. 2.299,49 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.09.2014 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte meint, ihre Widerrufsbelehrung sei jeweils ordnungsgemäß gewesen.

Jedenfalls hätten die Kläger ihr Widerrufsrecht aber aufgrund des langen Zeitablaufs (5 und 9 Jahre) inzwischen verwirkt. Durch ihr langjähriges vertragstreues Verhalten, zwischenzeitige Tilgungsänderungen, die Inanspruchnahme weiterer Darlehen und die Zinsprolongation hätten die Kläger den Eindruck erweckt, an den Verträgen festhalten zu wollen.

Im Übrigen wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22.01.2015 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist auch begründet.

Den Klägern stehen die geltend gemachten Ansprüche in vollem Umfang zu.

Durch die Widerrufserklärungen der Kläger vom 26.08.2014 haben sich die ursprünglichen Darlehensverträge gemäß §§ 357 Abs. 1, 346 BGB in Rückgewährschuldverhältnisse umgewandelt, so dass die Beklagte aus den Darlehensverträgen keine weiteren Leistungen mehr verlangen kann.

Die Kläger haben die Darlehensverträge Nr. 006.3902986 und Nr. 026.3902986 wirksam widerrufen.

Den Klägern stand ein Widerrufsrecht gemäß §§ 495 Abs. 1, 355 BGB zu. Die zweiwöchige Widerrufsfrist des § 355 Abs. 1 BGB war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen.

Voraussetzung für den Beginn der Frist ist eine ordnungsgemäße, den Vorgaben des § 355 BGB in der damals gültigen Fassung entsprechende Belehrung über das Widerrufsrecht.

Der mit dem Widerrufsrecht bezweckte Schutz des Verbrauchers erfordert eine umfassende, unmissverständliche und für den Verbraucher eindeutige Belehrung. Der Verbraucher soll dadurch nicht nur von seinem Widerrufsrecht Kenntnis erlangen, sondern auch in die Lage versetzt werden, dieses auszuüben. Er ist deshalb gemäß § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB auch über den Beginn der Widerrufsfrist eindeutig zu informieren (Urteil des BGH vom 10.3.2009, XI ZR 33/08, WM 2009, 932 ff.). Der Lauf der Widerrufsfrist hängt bei einem Vertrag, der wie der vorliegende Vertrag schriftlich abzuschließen ist (§ 492 BGB), davon ab, dass dem Verbraucher über die Widerrufsbelehrung hinaus (§ 355 Abs. 2 Satz 1 BGB) auch eine Vertragsurkunde oder sein eigener schriftlicher Antrag im Original bzw. in Abschrift zur Verfügung gestellt wird (§ 355 Abs. 2 Satz 3 BGB). Der Widerrufsbelehrung muss bei Schriftform des Vertrages also eindeutig zu entnehmen sein, dass der Lauf der Widerrufsfrist zusätzlich zu dem Empfang der Widerrufsbelehrung voraussetzt, dass der Verbraucher im Besitz einer seine eigenen Vertragserklärung enthaltenen Urkunde ist. Nur wenn der Verbraucher eine Vertragserklärung bereits abgegeben hat oder zumindest zeitgleich mit der Belehrung abgibt, wenn sich also die Belehrung auf eine konkrete Vertragserklärung des Verbrauchers bezieht, kann er die ihm eingeräumte Überlegungsfrist sachgerecht wahrnehmen (BGH, WM 2002, 1989 ff.).

Diesen Anforderungen genügen die von der Beklagten verwendeten Widerrufsbelehrungen nicht.

Die von der Beklagten verwendeten Widerrufsbelehrungen legen dem Verbraucher vorliegend das unrichtige Verständnis nahe, die Widerrufsfrist beginne (bereits) mit der Übersendung des Vertragsantrags durch die Beklagte, was der Bundesgerichtshof mit seinem Urteil vom 10. März 2009 (a.a.O.) ebenfalls beanstandet hat. In der vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fallkonstellation lag dem Verbraucher neben der Widerrufsbelehrung das Darlehensangebot der beklagten Bank vor. Deshalb konnte für den Verbraucher der Eindruck entstehen, es handele sich bei dem Vertragsangebot der Beklagten unabhängig von seiner eigenen Annahmeerklärung um die in der Widerrufsbelehrung genannte Vertragsurkunde. So liegt der Fall auch hier. Beide Darlehensverträge wurden von der Beklagten unterschrieben vorab an die Kläger übersandt. Für die Kläger war den Belehrungstexten zum Widerruf nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit zu entnehmen, wann die Widerrufsfrist zu laufen beginnt.

Da die Beklagte für ihre Belehrungen keine Formulare verwendet hat, welche dem zu den betreffenden Zeitpunkten gültigen Muster gemäß § 14 Abs. 1 Anlage 2 BGB-InfoV entsprachen, ergeben sich auch daraus keine für sie günstigen Rechtswirkungen.

Das Widerrufsrecht der Kläger war zum Zeitpunkt des Widerrufs auch nicht verwirkt.

Es sind keine Umstände ersichtlich, aufgrund derer die Beklagte berechtigt darauf vertrauen durfte, ein Widerrufsrecht werde nicht mehr ausgeübt werden. Die von der Beklagten genannten Umstände der zwischenzeitigen Vertragstreue, des Abschlusses weiterer Verträge und der Abschluss von Zinsprolongationen genügen hierfür nicht.

Nach alledem konnten die Kläger ihr Widerrufsrecht wie vorliegend geschehen auch noch Jahre nach Vertragsschluss ausüben, wodurch sich die Darlehensverträge in Rückgewährschuldverhältnisse umwandelten. An den begehrten Feststellungen haben sie angesichts des Umstandes, dass die Beklagte die Widerrufe zu Unrecht zurückgewiesen hat, auch ein berechtigtes Interesse.

Da die Beklagte die Wirksamkeit der Widerrufserklärungen zu Unrecht verneint und die Rückabwicklung der Darlehensverträge verweigert hat, haben die Kläger haben auch einen Anspruch auf Ersatz ihrer vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus § 280 Abs. 1 BGB.

Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.