Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 04.01.2011, Az.: L 4 KR 324/10 B
Zulässigkeit der Bewerden nach § 172 Abs. 1 SGG gegen einen Beschluss des Sozialgerichts über die Ablehnung eines Sachverständigen nach Inkrafttreten des SGG-ArbGG-ÄndG vom 26.3.2008
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 04.01.2011
- Aktenzeichen
- L 4 KR 324/10 B
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 42376
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2011:0104.L4KR324.10B.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 15.06.2010 - AZ: S 19 KR 731/09
Rechtsgrundlage
- § 172 Abs. 1 SGG
Fundstellen
- Breith. 2011, 687-690
- KfZ-SV 2014, 19
- ZMGR 2011, 182-184
Amtlicher Leitsatz
Gegen einen Beschluss des Sozialgerichts über die Ablehnung eines Sachverständigen ist auch nach Inkrafttreten des SGG-ArbGG-ÄndG vom 26.3.2008 die Beschwerde nach § 172 Abs. 1 SGG zulässig (anderer Ansicht: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.1.2010, AZ.: L 7 R 3206/09 B).
In dem Beschwerdeverfahren
A...,
Klägerin und Beschwerdeführerin,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte B...,
gegen
AOK - Die Gesundheitskasse für Niedersachsen, Gesundheitsmanagement stationär, Regionalbereich Ost-Friesland/Wilhelmshaven,
Friesenstraße 82, 26789 Leer,
...
Beklagte,
hat der 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen
am 4. Januar 2011 in Celle
durch die Richterin Schimmelpfeng-Schütte - Vorsitzende -,
den Richter Schreck und die Richterin Poppinga
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Mit der Beschwerde wendet sich die Klägerin und Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Hannover vom 15. Juni 2010, mit dem das SG das Befangenheitsgesuch gegen den Sachverständigen Dr C. zurückgewiesen hat.
Die Beteiligten streiten in dem Verfahren S 19 KR 731/09 beim SG Hannover um einen Vergütungsanspruch des Krankenhauses der Klägerin gegen die Beklagte. Grundlage des Rechtsstreits ist die Frage, über welchen Zeitraum eine stationäre Krankenhausbehandlung im Hause der Klägerin medizinisch erforderlich war. Zur Klärung dieser Frage hat das SG bei der Fa. D. GmbH, Gesellschaft für medizinische Gutachten in E. um den Vorschlag eines geeigneten Sachverständigen gebeten. Nach erteiltem Vorschlag hat das SG mit Beweisanordnung vom 17. März 2010 den Sachverständigen Dr C. mit einem medizinischen Gutachten beauftragt. Daraufhin hat die Klägerin den Sachverständigen Dr C. wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass der Sachverständige für das Unternehmen D. GmbH tätig sei. Diese sei als Dienstleister für private und gesetzliche Krankenversicherungen, öffentliche Arbeitgeber, Gerichte, Ärzte, Patienten und Arbeitgeber tätig. Da das Unternehmen vorwiegend für Versicherungen tätig sei, rechtfertige dies den Schluss einer fehlenden Unparteilichkeit.
Das SG hat eine Äußerung des Sachverständigen eingeholt. Dieser hat folgende Erklärung abgegeben:
"Ich bin freier Gutacher. Es besteht ein Werkvertrag mit dem Zentrum für Begutachtungen. Ich bin an keine Weisungen der D. GmbH gebunden. Meine Gutachten werden aufgrund langjähriger internistischer Tätigkeit sowie anhand von Leitlinien, in diesem Fall Leitlinien der Deutschen Kardiologischen Gesellschaft, erstellt. Eine Befangenheit besteht meinerseits eindeutig nicht."
Mit Beschluss vom 15. Juni 2010 hat das SG den Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen Dr C. zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass Gründe für Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen nicht ersichtlich seien. Die von der Klägerin geltend gemachten Ablehnungsgründe würden sich nicht auf die Person des Sachverständigen selbst, sondern ausschließlich auf die D. GmbH beziehen. Hierbei verkenne die Klägerin jedoch, dass für die Erstattung des Gutachtens ausschließlich der Sachverständige und nicht das Begutachtungsinstitut als solches verantwortlich sei. Dem könne die Klägerin auch nicht entgegen halten, dass aus der Tätigkeit des Sachverständigen für das Begutachtungsinstitut eine Besorgnis der Befangenheit folgen könne. Denn der Gutachter unterliege im Verhältnis zum Institut keinerlei Weisungen. Das SG hat weiterhin ausgeführt, dass die Beschwerde gegen diesen Beschluss unzulässig sei.
Gegen diesen Beschluss hat die Klägerin Beschwerde eingelegt, die am 2. Juli 2010 beim SG Hannover eingegangen ist. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass entgegen der Auffassung des SG die Beschwerde gem § 172 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auch nach Änderung des § 172 Abs 2 SGG zulässig sei. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes. Denn in der konkreten Aufzählung in § 172 Abs 2 SGG, wonach die Beschwerde in bestimmten Konstellationen unzulässig sei, würden nur Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen und nicht von Sachverständigen ausdrücklich genannt. Die andere Auffassung des SG, die sich auch im Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 27. Februar 2010, AZ: L 7 R 3206/09 B, wiederfinde, sei nicht zutreffend. Die Auffassung des LSG Baden-Württemberg, dass § 172 Abs 2 SGG auf Beschlüsse über die Ablehnung von Sachverständigen analog anzuwenden sei, sei nicht zutreffend. Eine analoge Anwendung des § 172 Abs 2 SGG komme gerade nicht in Betracht, weil keine planwidrige Regelungslücke vorliege. Während in § 128 Abs 2 FGO Sachverständige neben Gerichtspersonen und Dolmetschern genannt würden, sei dies bei § 172 Abs 2 SGG ausdrücklich nicht der Fall. Mithin könne nicht von einer planwidrigen Regelungslücke in § 172 Abs 2 SGG ausgegangen werden. Die Beschwerde sei nicht nur zulässig, sondern auch begründet. Die Tatsache, dass der Sachverständige selbst erkläre, er sei ein freier Gutachter und unterstehe keinen Weisungen, sei nicht ausreichend, um sämtliche Anhaltspunkte für Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit auszuräumen. Weisungen oder Druck könnten sowohl direkt als auch indirekt ausgeübt werden. Auf der Internetseite der D. GmbH würden unter den laufenden Nummern 25 bis 36 allein 46 Gutachterteams für den Bereich Innere Medizin aufgeführt. Die Klägerin müsse deshalb befürchten, dass der Sachverständige Dr C. sich zwar als unabhängig bezeichne, dies objektiv aber gar nicht sei, weil er von einem privatwirtschaftlich tätigen Gutachterinstitut dem Gericht vorgeschlagen worden sei. Bei diesen Gutachtervorschlägen würden zwingend auch wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle spielen. Das Landgericht (LG) Köln habe ausdrücklich entschieden, dass Gutachteninstitute bzw die von diesem beauftragten Gutachter zumindest wirtschaftlich abhängig seien. Dies reiche für eine Ablehnung wegen Befangenheit aus.
Die Beklagte hält, wie bereits zuvor das SG, die Beschwerde für unzulässig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits wird auf die Gerichtsakten verwiesen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.
II.
Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Senat schließt sich der Auffassung der Klägerin an, dass die Beschwerde gem § 172 Abs 1 SGG zulässig ist.
Nach der Gesetzessystematik und dem Wortlaut der Vorschrift ist davon auszugehen, dass gem § 172 Abs 1 SGG grundsätzlich sämtliche Beschlüsse beschwerdefähig sind. Die Regelung in § 172 Abs 2 SGG stellt die Ausnahme zu der Regel in § 172 Abs 1 SGG dar. Diese Ausnahmen sind in § 172 Abs 2 und 3 SGG abschließend aufgezählt. Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG, mit dem über die Befangenheit von Sachverständigen entschieden wird, ist weder in § 172 Abs 2 noch Abs 3 SGG genannt. Mithin ist nach dem Wortlaut der Vorschrift und der Gesetzessystematik nicht von einem Ausschluss der Beschwerde auszugehen.
Nach dem Sinn und Zweck der Regelung in § 172 Abs 2 SGG besteht keine Notwendigkeit, im Rahmen der teleologischen Reduktion von einer Unzulässigkeit der Beschwerde auszugehen. Da in den verschiedenen Verfahrensordnungen unterschiedliche Varianten über die Zulässigkeit der Beschwerde vorgesehen sind, führt eine Auslegung nach Sinn und Zweck der Regelung nicht weiter.
Schließlich findet sich jedoch in der Gesetzesbegründung zum Sozialgerichtsgesetz-Arbeitsgerichtsgesetz-Änderungsgesetz vom 26. März 2008 (SGG-ArbGG-ÄndG) ein Hinweis des Gesetzgebers auf die Zulässigkeit der Beschwerde gegen Beschlüsse des SG, mit denen über die Befangenheit von Sachverständigen entschieden wurde. Zwar enthält die Gesetzesbegründung keinen unmittelbaren Hinweis zu derartigen Beschlüssen. In der Bundestagsdrucksache 16/7716 hat der Gesetzgeber zu § 172 Abs 2 SGG ausgeführt, dass die Änderung der Vorschrift eine Anpassung an § 146 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) im Interesse der Vereinheitlichung der Verfahrensordnungen bewirken soll. Mit dem SGG-ArbGG-ÄndG hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 172 Abs 2 SGG deshalb der Formulierung in § 146 Abs 2 VwGO angepasst. In der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist herrschende Meinung, dass die Beschwerde gegen den Beschluss über die Ablehnung der Sachverständigen nach §§ 98, 146, Abs 1 VwGO i.V.m. § 406 Abs 5 Zivilprozessordnung (ZPO) statthaft ist. Ihrer Statthaftigkeit steht auch nicht § 146 Abs 2 VwGO entgegen. Danach können u.a. Beschlüsse des Verwaltungsgerichts über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht mit der Beschwerde angefochten werden. § 146 Abs 2 VwGO findet danach keine Anwendung auf Beschlüsse über die Ablehnung von Sachverständigen. Denn mit dem Begriff "Gerichtspersonen" erfasst sie nur die in § 54 VwGO und in §§ 41 bis 49 ZPO genannten Richter, ehrenamtlichen Richter und Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (vgl Beschluss des OVG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. September 2007, AZ: 19 E 1826/06, abgedruckt in [...]). Im Gegensatz dazu ist in § 128 Abs 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) der Sachverständige ausdrücklich genannt. Gem § 128 Abs 2 FGO können prozessleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über die Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse nach §§ 91a und 93a, Beschlüsse über die Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Anträge über die Ablehnung von Gerichtspersonen, Sachverständigen und Dolmetschern, Einstellungsbeschlüsse nach Klagerücknahme sowie Beschlüsse in Verfahren der Prozesskostenhilfe nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Mithin hat sich der Gesetzgeber im SGG-ArbGG-ÄndG vom 26. März 2008 durch die Anpassung an § 146 VwGO dafür entschieden, in § 172 Abs 2 SGG Sachverständige nicht einzubeziehen. Die Beschwerde gegen einen Beschluss des SG über die Befangenheit von Sachverständigen gem § 172 Abs 1 SGG sollte zulässig sein. Der Senat sieht daher keine planwidrige Regelungslücke. Damit ist eine analoge Anwendung anderer Vorschriften, wie vom LSG Baden-Württemberg vorgenommen, ausgeschlossen.
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
Der Sachverständige Dr C. ist nicht befangen gem § 60 SGG i.V.m. § 42 Zivilprozessordnung (ZPO). Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in den Gründen den angefochtenen Beschlusses Bezug.
Lediglich ergänzend nimmt der Senat noch zu den Anmerkungen der Klägerin über die wirtschaftliche Abhängigkeit des Sachverständigen Stellung. Der Senat vermag die Argumentation der Klägerin diesbezüglich nicht nachzuvollziehen. Die Klägerin begründet die wirtschaftliche Abhängigkeit wie folgt: "Genau dies begründet jedoch das Misstrauen der Klägerin gegen die Unparteilichkeit des Gutachters bzw ihre Zweifel an dessen Unvoreingenommenheit bzw seiner objektiven Einstellung. Nachdem die Besorgnis besteht, dass die D. GmbH aufgrund ihrer Kundenstruktur von privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen wirtschaftlich abhängig ist, die Gesellschaft ausgehend von ihrer Internetseite so gut wie keine festangestellten Gutachter beschäftigt, ist zu befürchten, dass die D. GmbH auf die Auswahl der dem Gericht vorgeschlagenen Gutachter dahingehend Einfluss nimmt, dass sie dem Gericht nur solche Gutachter vorschlägt, von denen sie annimmt, dass diese bei der Gutachtenerstellung sich auch an dem Gesichtspunkt orientieren, die Hauptkunden der D. GmbH zufriedenzustellen". Auf der Internetseite der D. GmbH sind aber keine gesetzlichen Krankenkassen als Kunden zu finden, sondern nur private Krankenversicherungen. Mithin gehen die Ausführungen der Klägerin über den Einfluss der D. GmbH auf die Sachverständigen über das Zufriedenstellen der "Hauptkunden" fehl.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG.
Dieser Beschluss ist gem § 177 SGG nicht anfechtbar.