Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 11.01.2011, Az.: L 4 KR 288/07
Voraussetzungen für einen Anspruch auf Versorgung mit einem Medizinprodukt in der gesetzlichen Krankenversicherung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 11.01.2011
- Aktenzeichen
- L 4 KR 288/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 30921
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2011:0111.L4KR288.07.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BSG - 03.07.2012 - AZ: B 1 KR 23/11 R
- BVerfG - 10.11.2015 - AZ: 1 BvR 2056/12
Rechtsgrundlagen
- § 27 SGB V
- § 31 SGB V
- § 99 SGG
Redaktioneller Leitsatz
1. Versicherte haben grundsätzlich allein dann Anspruch auf Versorgung mit einem Medizinprodukt als Teil notwendiger Krankenbehandlung, wenn das Mittel in den Leistungskatalog der GKV fällt.
2. Bei Wegfall eines Medikaments ist keine zulässige Klageänderung iSv § 99 SGG gegeben.
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Gewährung des Medizinproduktes "Uropol-S" als Sachleistung für die Zukunft bzw von Gepan instill, nachdem Uropol-S nach Angaben der Klägerin aus markenrechtlichen Gründen umbenannt worden sei.
Die Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie leidet seit Jahren unter einer sog. interstitiellen Cystitis (chronisch progressive Erkrankung der Harnblase). Die Erkrankung hat eine erhebliche Verringerung der Harnblasenkapazität und eine Harnblasenentleerungsstörung zur Folge. Das ständige Anfüllen der Blase führt zu ausgeprägten Dehnungsschmerzen, die einen starken Harndrang nach sich ziehen. Die Klägerin ist bei dem Facharzt für Urologie Dr D. in E. in Behandlung. Die Klägerin ist der Ansicht, dass sämtliche anderen Therapieansätze weder zu einer Linderung, noch zu einer Heilung der Erkrankung führten. Bei dem begehrten Medizinprodukt Uropol-S handelt es sich um eine sterile Natrium-Chondroitinpolysulfat-Lösung zum vorübergehenden Ersatz der Glykosaminoglykan-Schicht (GAG-Schicht), die die Innenwand-Schutzschicht der Blase darstellt.
Die Zuführung von Uropol-S in die Blase erfolgt über einen Katheter. Während der ersten vier Behandlungswochen soll die Instillation (Einträufeln von flüssigen Substanzen in den Organismus) einmal pro Woche durchgeführt werden. Anschließend bedarf es einer einmaligen Behandlung im Monat bis zum Abklingen der Symptome.
Im Januar 2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung des Medizinproduktes Uropol-S unter Vorlage einer Verordnung. Die sich in der Verwaltungsakte der Beklagten befindende Verordnung datiert vom 9. Januar 2006. Der Name des verordnenden Arztes ist nicht lesbar. Mit Schreiben vom 16. Januar 2006 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass dem Antrag nicht entsprochen werden könne. Der verordnende Arzt trage die alleinige Verantwortung für die Verordnung von Arzneimitteln. Eine Genehmigung durch die Krankenkasse sei unzulässig. In den Verwaltungsakten befindet sich noch das Zentrale Rundschreiben des BKK-Bundesverbandes, lfd. Nr: 369/2004. Danach handele es sich bei Uropol-S um ein nicht apothekenpflichtiges Medizinprodukt. Eine Leistungspflicht nach § 31 Abs 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) durch die gesetzliche Krankenversicherung sei damit ausgeschlossen. Es bestehe eine Leistungspflicht nach § 31 Abs 1 Satz 3 SGB V nur für solche (arzneimittelähnlichen) Medizinprodukte, die apothekenpflichtig seien. Die Apothekenpflicht für Medizinprodukte sei nach dem Gesetz über Medizinprodukte (MPG) und den korrespondierenden Verordnungen zu beurteilen. Die Behauptung des Herstellers (Firma POHL BOSKAMP GmbH & Co. in Hohenlockstedt im Land Schleswig-Holstein), dass die intravesikale (innerhalb der Blase) Applikation des Medizinproduktes Uropol-S auch eine parenterale (unter Umgehung des Magen-Darm-Traktes) Anwendung sei und das Produkt damit gemäß der "Verordnung über verschreibungspflichtige Arzneimittel" als verschreibungspflichtig und demzufolge als verordnungspflichtig einzuordnen ist, sei nicht richtig.
Mit weiterem Schreiben vom 15. Februar 2006 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass es sich bei Uropol-S nicht um ein apothekenpflichtiges Medizinprodukt handele. In den Verwaltungsakten befindet sich weiterhin das Gutachten zum Begriff "parenterale Anwendung" des Prof Dr med F. vom 28. Juni 2004. Darin hat dieser ausgeführt, dass zusammenfassend festzuhalten sei, dass in der Medizin der Begriff "parenteral" als "unter Umgehung des Magen-Darm-Traktes" im Zusammenhang mit der Anwendungsform von Medikamenten definiert sei. Eine intravesikale Instillitation zähle somit zu den parenteralen Anwendungsformen. Es liegt weiterhin die Gebrauchsanweisung für Uropol-S vor. Wegen deren Einzelheiten wird auf Bl 15 und 16 der Verwaltungsakte verwiesen. In den Verwaltungsakten befindet sich auch das Schreiben des Landesamtes für Gesundheit und Arbeitssicherheit des Landes Schleswig-Holstein in Kiel vom 7. Februar 2005. Darin teilt das Landesamt sowohl der AOK Berlin als auch dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Folgendes mit:
"In Ihrer Anfrage vom 03.11.2004 zweifeln Sie die Einordnung von Uropol-S als verschreibungspflichtiges Medizinprodukt an. Sie vertreten die Auffassung, dass der Wirkstoff Chondroitinpolysulfat, der in diesem Produkt enthalten ist, nur der Verschreibungspflicht unterliegt, wenn der Wirkstoff parenteral appliziert wird. Die Blaseninstillation ordnen Sie als nicht parenterale Applikationsform ein.
Unsere Auffassung ist, dass das Medizinprodukt Uropol-S nach § 1 Abs 2 MPVerschrV und der formalen und inhaltlichen Bewertung von "parenteral" zurecht als verschreibungspflichtiges Medizinprodukt eingeordnet worden ist. Insbesondere vertreten wir die Auffassung, dass bei der Begriffsbestimmung von "parenteral" auch das besondere Qualitätsinteresse des Anwenders für ein Produkt berücksichtigt werden muss, welches eben nicht äußerlich auf der Haut zur Anwendung kommt und auch nicht als Tablette geschluckt wird, sondern über die Instillation in die Blase in den menschlichen Körper eingebracht wird. Die alleinige Beurteilung des Wortsinnes "par-enteral" ist bei der Beurteilung nicht zielführend.
Somit ist Uropol-S ein verschreibungspflichtiges Medizinprodukt."
Die Klägerin legte gegen die ablehnenden Schreiben der Beklagten vom 16. Januar und 15. Februar 2006 Widerspruch ein. Die Beklagte holte daraufhin das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Niedersachsen und dem Lande Bremen vom 7. April 2006 ein (erstellt durch den Facharzt für Innere Medizin G.). Dieser führte darin aus, dass es sich bei Uropol-S um ein arzneimittelähnliches Medizinprodukt handele. Unter Berücksichtigung des MPG, der Verordnung über Vertriebswege für Medizinprodukte, der Verordnung über die Verschreibungspflicht von Medizinprodukten sowie der Verordnung verschreibungspflichtiger Arzneimittel (Arzneimittelverschreibungsverordnung) liege aus sozialmedizinischer Sicht keine Apothekenpflicht für die intravesikale Anwendung von Chondroitinsulfat (wie Uropol-S) vor. Nach § 31 SGB V sei eine Leistungspflicht der GKV für nicht apothekenpflichtige Medizinprodukte nicht gegeben. Unter Berücksichtigung der derzeitigen Datenlage liege auch kein ausreichend wissenschaftlich gesicherter Wirksamkeitsnachweis für den Einsatz von Chondroitinsulfat zur intravesikalen Applikation zur Behandlung der interstitiellen Cystitis vor, so dass aus sozialmedizinischer Sicht unter Berücksichtigung der §§ 2 und 12 SGB V der gesetzlichen Krankenversicherung eine Kostenübernahme unabhängig von den obigen Ausführungen zur Apothekenpflichtigkeit von Uropol-S nicht zu empfehlen sei.
Zur Begründung führte der Gutachter aus, dass die Einstufung der intravesikalen Applikation als parenterale Anwendung nicht der amtlichen Definition von "parenteral" bzw "intravesikal" im europäischen Arzneibuch entspreche. Hieraus resultiere, dass die intravesikale Anwendung von Chondroitinsulfat nach der Arzneimittelverschreibungsverordnung nicht zur Verschreibungspflicht führe. Hieraus wiederum resultiere, dass eine Apothekenpflicht der intravesikalen Anwendung von Chondroitinsulfat (Uropol-S) nicht vorliege. Dies habe zur Folge, dass eine Leistungspflicht der GKV unter Berücksichtigung des § 31 SGB V nicht bestehe.
Nachdem die Klägerin ihren Widerspruch weiter begründet hatte, holte die Beklagte das Gutachten der Sozialmedizinischen Expertengruppe 6 (Arzneimittelversorgung) in der MDK-Gemeinschaft, überarbeitete Fassung, Stand: April 2006, zum intravesikal applizierten Chondroitinsulfat (Uropol-S) bei interstitieller Zystitis (erstellt durch die Fachärztin für Innere Medizin, Klinische Pharmakologie, Leiterin des Referats Arzneimittel Dr H. und die Leiterin der Arbeitsgemeinschaft Verordnungscontrolling I.) ein. Danach sei Uropol-S nach Festlegung der hierfür allein zuständigen Landesbehörde ein verschreibungs- und damit ein apothekenpflichtiges Medizinprodukt und sei zum vorübergehenden Ersatz der GAG-Schicht in der Blase, zB bei der interstitiellen Cystitis, zertifiziert. Damit seien die leistungsrechtlichen Voraussetzungen des SGB V für die Verordnungsfähigkeit des Präparates Uropol-S grundsätzlich erfüllt. Ausschlusstatbestände nach §§ 31 und 34 SGB V iVm den Richtlinien der §§ 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V (Arzneimittel-Richtlinien) existierten nicht. Eine in der letzten Legislaturperiode geplante Gesetzesänderung des SGB V, die die Verordnungsfähigkeit von in die Versorgung mit Arzneimitteln einbezogenen Medizinprodukten nach § 31 Abs 1 Satz 3 SGB V (sog. arzneimittelähnliche Medizinprodukte) unter Erlaubnisvorbehalt durch den Gemeinsamen Bundesausschuss gestellt hätte, sei in dieser Legislaturperiode bislang nicht wieder aufgenommen worden. Im Falle einer Verordnung habe der Arzt jedoch das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung zu beachten. Es existierten keine Studien, die einen Nutzen von Uropol-S belegten und den heutigen methodischen Anforderungen entsprechen würden. Es gebe allerdings auch keine anderen pharmakogenen Behandlungsalternativen, die in ihrer Wirksamkeit eindeutig belegt seien. Die Kosten einer Behandlung beliefen sich derzeit pro Jahr und Patient auf ca 1.500,- Euro. Es sei von einer Mindestbehandlungsdauer von einem Jahr, in der Mehrzahl der Fälle von einer Dauerbehandlung auszugehen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 7. September 2006 zurück. Das Präparat Uropol-S sei ein Medizinprodukt, welches jedoch nicht apothekenpflichtig sei. Es könne deshalb nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden. Dies bestätige auch das vom MDK eingeholte Gutachten vom 7. April 2006. Zum einen stelle die intravesikale Applikation keine parenterale Anwendung dar. Dies entspreche nicht dem üblichen medizinischen Sprachgebrauch und wäre eine Vermengung der eigenständigen getrennten Begriffe intravesikal und parenteral. Darüber hinaus sei die Apothekenpflicht für Medizinprodukte nur dann möglich, wenn die Substanz in einer Rechtsverordnung namentlich aufgeführt sei. Dies treffe jedoch, wie das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 4. Juli 2006 (AZ: S 28 KR 5/05) bestätige, für den in dem Präparat Uropol-S enthaltenen Wirkstoff "Chondroitinsulfat" nicht zu. Das Erfordernis der namentlichen Nennung werde nicht dadurch erfüllt, dass nach dem Vortrag der enthaltene Wirkstoff dem in der Verordnung über verschreibungspflichtige Arzneimittel genannten "Chondroitinpolysulfat und seine Salze - zur parenteralen Anwendung" entspreche.
Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben, die am 13. Oktober 2006 beim Sozialgericht (SG) Oldenburg eingegangen ist. In der Klageschrift hat die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Die Beklagte hat das weitere Gutachten des MDK vom 20. März 2007 (erstellt durch den Facharzt für Innere Medizin Dr J.) zu den Gerichtsakten gereicht. Darin hat dieser ausgeführt, dass das Grundsatzgutachten der SEG 6 bezüglich der Apothekenpflicht lediglich die Tatsachen, die auch im Vorgutachten erwähnt worden seien, wiederholt habe. Es sei nicht nachvollziehbar, dass Uropol-S von der zuständigen Überwachungsbehörde in dem Landesamt für Gesundheit für Arbeitssicherheit des Landes Schleswig-Holstein als apothekenpflichtig eingestuft worden sei. Die Voraussetzungen des § 12 SGB V lägen zudem nicht vor. Durch den fehlenden Wirksamkeitsnachweis könne nicht von einem medizinischen Nutzen, einer Zweckmäßigkeit oder Wirtschaftlichkeit der Verordnung von Uropol-S ausgegangen werden.
Mit Urteil vom 5. September 2007 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass unklar sei, ob die Voraussetzungen des § 31 Abs 1 SGB V vorliegen würden. Es sei zwischen den verschiedenen medizinischen Diensten der Krankenkassen umstritten, was unter "parenteral" zu verstehen sei. Da in dem maßgeblichen Zeitraum kein Wirksamkeitsnachweis für das Präparat erbracht sei, scheiterte die Klage an § 12 SGB V, wonach die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich zu sein hätten.
Gegen das der Klägerin am 12. September 2007 zugestellte Urteil hat diese Berufung eingelegt, die am 28. September 2007 beim Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen eingegangen ist. Auf Nachfrage des Senats hat sie im Schreiben vom 30. Dezember 2010 mitgeteilt, dass sie sich das Medizinprodukt Uropol-S in der Vergangenheit aus finanziellen Gründen nicht selbst beschafft habe. Mit weiterem Schriftsatz vom 5. Januar 2011 hat die Klägerin ausgeführt, dass das Medizinprodukt Uropol-S aus markenrechtlichen Gründen eine Bezeichnungsänderung erfahren habe. Das Produkt werde nunmehr unter der Bezeichnung Gepan instill vertrieben. Sonstige Änderungen des Produkts würden sich daraus nicht ergeben.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 5. September 2007 sowie die Bescheide der Beklagten vom 16. Januar und 15. Februar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2006 aufzuheben und 2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin das Medizinprodukt Gepan instill als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits wird auf die Gerichts- sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Gepan instill für die Zukunft gem § 31 SGB V. Die Änderung der Klage von der Gewährung des Medizinproduktes Uropol-S zur Gewährung von Gepan instill ist gem § 99 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unzulässig.
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens sind zunächst das Urteil des SG Oldenburg vom 5. September 2007 sowie die Bescheide der Beklagten vom 16. Januar und 16. Februar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2006. Sowohl der angefochtene Bescheid als auch das vor dem SG durchgeführte Klageverfahren hatten den Anspruch der Klägerin auf Gewährung des Medizinproduktes Uropol-S zum Gegenstand.
Wie die Klägerin mit Schreiben vom 5. Januar 2011 mitgeteilt hat, ist das Medizinprodukt Uropol-S nicht mehr auf dem Markt. Es sei aus markenrechtlichen Gründen in Gepan instill umbenannt worden. Aus der Mitteilung im Deutschen Ärzteblatt Heft 48 vom 30. November 2007 ergibt sich, dass die Firma Pohl-Boskamp das Medizinprodukt Uropol-S seitdem unter dem neuen Markennamen Gepan instill vertreibt. Die Klägerin macht mittlerweile keinen Anspruch für die Vergangenheit mehr geltend, weil sie sich das Medizinprodukt Uropol-S für die Vergangenheit nicht selbst verschafft hat. Für die Zukunft begehrt sie wegen der Änderung des Produktes nicht mehr die Gewährung von Uropol-S, sondern von Gepan instill. Darin liegt eine Änderung des Klagebegehrens im Berufungsverfahren vor, die unzulässig ist.
Zum einen handelt es sich bei Gepan instill um ein Produkt, über das die Beklagte nicht durch Bescheid und Widerspruchsbescheid entschieden hat. Mithin fehlt es an einem Verwaltungsverfahren bezüglich dieses Produktes. Gem § 78 SGG sind vor Erhebung der Anfechtungsklage Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Die Voraussetzungen des § 78 Abs 1 S 2 SGG bei denen es eines Vorverfahren nicht bedarf, liegen nicht vor. Mithin ist die auf die Gewährung von Gepan instill gerichtete Klage grundsätzlich unzulässig.
Eine Ausnahme hiervon käme nur dann in Betracht, wenn es sich bei der Umstellung des Klagebegehrens von Uropol-S auf Gepan instill um eine zulässige Klageänderung handelt. Diese ist in § 99 SGG geregelt, der gem § 153 Abs 1 SGG auch im Berufungsverfahren Berücksichtigung findet. Gem § 99 Abs 1 SGG ist eine Änderung der Klage nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Grundsätzlich ist bei der Klageänderung zwischen der Änderung des Klageantrages und des Klagegrundes zu unterscheiden.
Zunächst liegt eine Änderung des Klageantrages in der Hauptsache vor. Die Klägerin begehrt statt des ursprünglich geforderten Medizinproduktes Uropol-S nunmehr Gepan instill. Die Änderung des Klagantrags bedeutet grundsätzlich, dass der klagende Beteiligte einen anderen Ausspruch des Gerichts herbeiführen möchte. Wird hingegen lediglich eine Klarstellung oder Berichtigung des Klageantrags begehrt, liegt keine Klageänderung vor. Von einer Klageänderung ist bei Ersetzung des bisherigen Begehrens durch ein inhaltlich anderes oder Einbeziehung weitere Klagebegehren auszugehen (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 9. Auflage 2008, § 99 Rnr 2a).
In der Änderung des Klagantrages von Uropol-S in Gepan instill ist keine Klarstellung oder Berichtigung des ursprünglich gestellten Klageantrages zu sehen. Die Klägerin begehrt, nachdem das Medizinprodukt Uropol-S im Jahr 2007 vom Markt genommen wurde, nunmehr das Medizinprodukt Gepan instill. Es handelt sich folglich trotz unterstellten gleichen Inhalts um ein anderes Produkt mit anderem Namen, sodass von einer konkreten Änderung des Klagantrages auszugehen ist. Der Ausspruch des Gerichts müsste durch die Änderung des Klageantrages modifiziert werden.
Es liegt jedoch nicht nur eine Änderung des Klagantrages, sondern auch des Klagegrundes vor. Denn von einer Änderung des Klagegrundes ist auszugehen, wenn in dem gestellten Klageantrag zum Ausdruck kommt, dass nicht nur das Rechtsschutzziel, sondern zusätzlich auch die zur Begründung des Rechtsschutzbegehrens vorgetragenen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte (Klagegrund) ausgetauscht werden (vgl Bayerischer Verwaltungsgerichtshof München, Beschluss vom 25. März 2010, Az: 11 ZB 09.863, abgedruckt in Juris/Das Rechtsportal). Das nunmehr begehrte Produkt Gepan instill muss, um einen Anspruch der Klägerin gem § 31 SGB V begründen zu können, die gleichen Voraussetzungen nach dem Medizinproduktegesetz (MPG) erfüllen, wie Uropol-S. Medizinprodukte dürfen gem § 6 MPG nicht beliebig in den Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden. Weiterhin besteht z. B. eine Anzeigepflicht gem § 25 MPG. Mithin liegt selbst bei gleichem Inhalt der beiden Produkte auch eine Änderung des Klagegrundes vor, denn der Senat muss überprüfen, ob sämtliche Voraussetzungen nach dem MPG bei Gepan instill vorliegen. Es liegt deshalb nicht nur eine später eingetretene Veränderung vor, weshalb die Klägerin nunmehr den ursprünglichen Gegenstand nicht mehr fordern kann und deshalb etwa Anderes fordert (z. B. Kostenerstattung statt Sachleistung). Die Klägerin begehrt im Berufungsverfahren ein namentlich anderes Medizinprodukt, für das u. a. andere Zulassungsvoraussetzungen über das Inverkehrbringen nach § 6 MPG etc vorliegen. Aus diesem Grund ist von einem anderen prozessualen Anspruch auszugehen, der eine Änderung des Klagegrundes darstellt (vgl zur Änderung des Klagegrundes: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung 69. Auflage, 2011, § 264 Rnr 6). Der Wechsel von Uropol-S in Gepan instill stellt deshalb auch eine Änderung des Klagegrundes und zwar nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in rechtlicher Hinsicht dar, weil sämtliche Voraussetzungen nach dem MPG vorliegen müssen, um einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Gepan instill gem § 31 SGB V begründen zu können.
Für diese Änderung der Klage liegen die Voraussetzungen des § 99 Abs 3 SGG nicht vor. Die Beklagte hat in die Änderung der Klage nicht eingewilligt gem § 99 Abs 1 SGG. Zudem erachtet der Senat die Änderung nicht für sachdienlich, weil keine Tatsachen darüber vorgetragen wurden, ob Gepan instill als Medizinprodukt gelten kann und sämtliche Zulassungsvoraussetzungen nach dem MPG vorliegen.
Es liegt auch keiner der Ausnahmefälle des § 99 Abs 3 SGG vor. § 99 Abs 3 SGG lautet wie folgt:
Als eine Änderung der Klage ist es nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes 1. Die tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen ergänzt oder berichtigt werden, 2. der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird, 3. statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird.
Wie bereits zuvor ausgeführt liegt eine Änderung des Klagegrundes vor, sodass die Voraussetzungen des § 99 Abs 3 SGG nicht vorliegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, liegt nicht vor (§ 160 Abs 1 SGG).