Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 26.01.2011, Az.: L 3 KA 56/10

Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung nach der Verletzung vertragsärztlicher Pflichten durch einen Verstoß gegen die Substitutionsrichtlinien ist rechtmäßig; Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung nach der Verletzung vertragsärztlicher Pflichten durch einen Verstoß gegen die Substitutionsrichtlinien

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
26.01.2011
Aktenzeichen
L 3 KA 56/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 15305
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2011:0126.L3KA56.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 07.06.2010 - AZ: S 24 KA 528/06

Redaktioneller Leitsatz

Nach § 95 Abs 6 SGB V ist einem Vertragsarzt die Zulassung zu entziehen, wenn er seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Eine Pflichtverletzung ist gröblich, wenn sie so schwer wiegt, dass ihretwegen die Entziehung zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung notwendig ist. Davon ist auszugehen, wenn aufgrund der Pflichtverletzungen das Vertrauen der vertragsärztlichen Institutionen in die ordnungsgemäße Behandlung der Versicherten und in die Rechtmäßigkeit des Abrechnungsverhaltens des Vertragsarztes so gestört ist, dass ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit diesem nicht mehr zugemutet werden kann (hier bei einer Verletzung der Vorschriften der Substitutions-RL). [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 7. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert im Berufungsverfahren wird auf 151.305,09 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner vertragsärztlichen Zulassung.

2

Der Kläger erhielt im April 1997 seine Approbation als Arzt. Im August 2000 erwarb er die Facharztbezeichnung "Allgemeinmedizin" und im März 2002 die Fachkunde "Suchtmedizin Grundversorgung/Allgemeinmedizin". Vom 1. Oktober 2000 bis 31. März 2005 besaß der Kläger die Methadon-Genehmigung und vom 1. April 2005 bis 12. Juni 2006 die Genehmigung zur substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger. In der Zeit vom 1. April 1999 bis 30. März 2000 war er als Weiterbildungsassistent bei seinem Vater, Dr. E.F., in G. angestellt. Seit 1. Oktober 2000 war er als Facharzt für Allgemeinmedizin in G. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Dort betrieb er mit seinem Vater bis zum 30. Juni 2001 zunächst eine Gemeinschaftspraxis, die zum 1. Juli 2001 in eine Praxisgemeinschaft umgewandelt wurde. Zum 1. April 2004 erfolgte erneut eine Umwandlung in eine Gemeinschaftspraxis.

3

Mit Schreiben vom 18. August 2006 beantragte die zu 1. beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (KÄV), dem Kläger wegen gröblicher Pflichtverletzung seiner vertragsärztlichen Pflichten die Zulassung zu entziehen. Der Kläger sei durch sein Verschreibungsverhalten bei der Substitutionsbehandlung aufgefallen. Während des daraufhin eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie Abrechnungsbetruges habe der Kläger am 3. Juni 2006 auf seine Substitutionsgenehmigung verzichtet. Ausweislich des im Auftrag der Staatsanwaltschaft Lüneburg erstellten Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN; Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie - Sozialmedizin - Dr. H. und Dr. I. - Sozialmedizin -) vom 8. August 2006 habe die Gemeinschaftspraxis F./J. im Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2005 durch Rezeptmanipulationen, sog Laufzeitverkürzungen, einen Gesamt-Methadon-Überschuss von 37.720,8 ml erwirtschaftet. Die Substitutionsleistungen seien regelmäßig auch dann abgerechnet worden, wenn - entgegen der Bestimmungen - kein persönlicher Arzt-Patientenkontakt stattgefunden habe. Mit Beschluss vom 6. September 2006 entzog der Zulassungsausschuss für Ärzte Lüneburg (ZA) dem Kläger die Zulassung als Vertragsarzt. Der Kläger habe massiv gegen die Grundpflichten des Vertragsarztes verstoßen, indem er über einen Zeitraum von 17 Quartalen sämtliche Substitutionsleistungen falsch abgerechnet habe. In sämtlichen vom MDKN begutachteten Fällen habe die Substitution nicht den gesetzlichen Bestimmungen und Richtlinien entsprochen. Mit seinem Widerspruch vom 6. November 2006 rügte der Kläger, der ZA habe keine eigene Bewertung vorgenommen, sondern lediglich unkritisch die Ergebnisse des MDKN-Gutachtens übernommen. So hätten dem ZA weder die Krankenakten noch das "Giftbuch" vorgelegen.

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Mit Beschluss vom 22. November 2006, an den Kläger abgesandt am 5. Dezember 2006, wies der Beklagte den Widerspruch zurück und ordnete die sofortige Vollziehung an. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass aufgrund der überzeugend getroffenen Feststellungen der Sachverständigen Dres. K./L., insbesondere in der Zusammenfassung des Gutachtens, feststehe, dass der Kläger eklatant und durchgängig gegen seine vertragsärztlichen Verpflichtungen bei der Drogensubstitution verstoßen habe. Sein durchgängig erhebliches Fehlverhalten bedeute nicht nur eine den Vertragspflichten zuwider laufende Substitutions-Behandlung, sondern führe auch zur unberechtigten und damit Falschabrechnung der anwendbaren Gebührenansätze des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen (EBM). Das Verhalten des Klägers, wie es im Einzelnen im Gutachten dokumentiert, erläutert und bewertet werde, mache sowohl der KÄV als auch den Krankenkassen eine weitere Zusammenarbeit mit sofortiger Wirkung unzumutbar. Auch der Umstand, dass der Kläger zukünftig nicht mehr in der Drogensubstitution tätig sei, ändere nichts daran, dass die in diesem Bereich nachgewiesenen Verfehlungen zur Unzuverlässigkeit des Klägers in seinem gesamten vertragsärztlichen Verhalten führten. Die Schwere der Verfehlungen schließe ein milderes Mittel aus.

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Dagegen hat sich der Kläger mit seiner am 21. Dezember 2006 beim Sozialgericht (SG) Hannover erhobenen Klage gewandt. Dort hat er geltend gemacht, der Beklagte habe sich nicht hinreichend mit der Frage der Verhältnismäßigkeit auseinandergesetzt. Weder die Staatsanwaltschaft noch der Beklagte hätten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass er, der Kläger, außerhalb der Substitutionsbehandlung in irgendeiner Weise gegen vertragsärztliche Pflichten verstoßen habe. Mit der umgehenden Rückgabe seiner Berechtigung zur Substitutionsbehandlung habe er nicht nur Einsicht in sein Fehlverhalten gezeigt, sondern sogleich die Konsequenzen aus seinen Versäumnissen gezogen. Es gäbe keine Anhaltspunkte dafür, dass er in Zukunft gegen irgendwelche vertragsärztlichen Verpflichtungen verstoßen werde. Zudem hätte ihn die Beigeladene zu 1) im Rahmen ihrer Überprüfungs- und Fürsorgepflicht auf seine fehlerhafte Abrechnung hinweisen müssen. Es sei auch nicht berücksichtigt worden, dass das im Auftrag der Staatsanwaltschaft erstellte MDKN-Gutachten lediglich einen vorläufigen Sachstand darstelle.

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Der Niedersächsische Zweckverband zur Approbationserteilung hat mit Bescheid vom 1. November 2006 das Ruhen der Approbation des Klägers angeordnet. Das Verwaltungsgericht (VG) Lüneburg hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 16. April 2008) Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) hat den Antrag auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 25. September 2008 abgelehnt.

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Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 7. Juni 2010, dem Kläger zugestellt am 18. Juni 2010, abgewiesen. Der Kläger habe seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt, indem er Substitutionsziffern abgerechnet habe, ohne dass ein Arzt-Patienten-Kontakt erfolgt sei. Die Basiseinstellung der Substitutionspatienten seiüberwiegend dem Praxispersonal überlassen worden. Der Kläger habe gegen die Verordnung über das Verschreiben, die Abgabe und den Nachweis des Verbleibs von Betäubungsmitteln - Betäubungsmittel-Verschreib-ungsverordnung (BtMVV) - verstoßen, indem Substitutionsmittel in großem Umfang nicht unter Aufsicht in der Praxis verabreicht, sondern nach Hause mitgegeben worden seien. Zudem sei vorschriftswidrig kein Betäubungsmittelbuch mit detaillierter Dokumentation über den Verbleib des Methadons geführt worden.

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Der Kläger hat am 23. Juli 2010 Berufung eingelegt. Seiner Auffassung nach ist das MDKN-Gutachten, das der Beklagte seiner Entscheidung zugrunde gelegt habe, unrichtig. Die dort gezogenen Schlüsse seien falsch. Er behauptet, dass stets ein Arzt-Patienten-Kontakt stattgefunden habe. Ein solcher Kontakt bestünde in seiner ärztlichen Einflusssphäre und sei somit nach den EBM-Ziffern abrechenbar. Aus dem Therapieziel der Betäubungsmittelabstinenz folge, dass Kontrolle immer eine Ausnahme sei, die genau überdacht werden müsse. Eine gute Substitution zeichne sich dadurch aus, dass ein Arzt wenig in die Selbststabilisierung des Patienten eingreifen müsse. Weder ein positiver noch ein negativer Urin- oder Bluttest hätten einen Aussagewert bezüglich einer Abhängigkeitserkrankung. Deshalb sei ein Drogenscreening auf Beigebrauch vor der Ausgabe des Substitutionsmittels Unfug. Die Forderung nach einem positiven Opiatnachweis sei grundgesetzwidrig. Urinkontrollen stellten einen Eingriff in die Mündigkeit des Patienten dar. Die Dosiseinstellung sei nie dem Praxispersonal überlassen worden. Auch eine Mitgabe des Methadons an Dritte - Vertraute/Beauftragte - sei legitim. Nach der BtMVV sei ein Verabreichen des Substitutionsmittels nicht explizit durchzuführen, sondern ausschließlich ein Überlassen zum unmittelbaren (persönlichen) Verbrauch.

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Der Kläger beantragt,

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den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 7. Juni 2010 sowie den Beschluss des Beklagten vom 22. November 2006 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er hält den Beschluss und den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid für zutreffend.

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Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

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Das SG hat im Ergebnis zutreffend die gegen die Entziehung der Zulassung gerichtete Klage abgewiesen.

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Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) des Klägers kann in der Sache keinen Erfolg haben. Der Beklagte hat dem Kläger zu Recht seine vertragsärztliche Zulassung entzogen.

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Rechtsgrundlage der angefochtenen Entscheidung des Beklagten ist § 95 Abs 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Nach dieser Vorschrift ist einem Vertragsarzt die Zulassung zu entziehen, wenn er seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Eine Pflichtverletzung ist gröblich, wenn sie so schwer wiegt, dass ihretwegen die Entziehung zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung notwendig ist. Davon ist auszugehen, wenn aufgrund der Pflichtverletzungen das Vertrauen der vertragsärztlichen Institutionen in die ordnungsgemäße Behandlung der Versicherten und in die Rechtmäßigkeit des Abrechnungsverhaltens des Vertragsarztes so gestört ist, dass ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit diesem nicht mehr zugemutet werden kann (stRspr, zusammenfassend BSGE 93, 269 [BSG 20.10.2004 - B 6 KA 67/03 R] = SozR 4-2500 § 95 Nr 9, jeweils Rn 10, mwN; so auch BVerfG SozR 2200 § 368a Nr 12). Die Funktionsfähigkeit des Leistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung, an dem der Arzt durch seine Zulassung teilnimmt, hängt wesentlich davon ab, dass die KÄV und die Krankenkassen auf die ordnungsgemäße Leistungserbringung und auf die peinlich genaue Abrechnung der zu vergütenden Leistungen vertrauen können. Denn beides ist lediglich in einem beschränkten Umfang derÜberprüfung durch diejenigen zugänglich sind, die die Gewähr für die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zu tragen haben, nämlich die KÄV und die Krankenkassen (BSG SozR 3-1500 § 95 Nr 4). Pflichtverletzungen rechtfertigen eine Zulassungsentziehung, die in ihrer Wirkung der Beschränkung der Berufswahl im Sinne des Art 12 Abs 1 Grundgesetz (GG) nahe kommt, nur, wenn sie den Vertragsarzt als ungeeignet für die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung erscheinen lassen. Die Ungeeignetheit kann sich zB aus unsachgemäßer Behandlung ergeben, die den Versicherten Gesundheitsgefahren aussetzt, aber auch aus manipulierten Abrechnungen, die das zur reibungslosen Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung notwendige Vertrauensverhältnis schwer stören.

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Bei der nach dieser Maßgabe zu treffenden Prognoseentscheidung muss aufgrund der im Rahmen der Substitutionsbehandlung festgestellten Pflichtverletzungen von einer Ungeeignetheit des Klägers ausgegangen werden, zukünftig an der vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen. Die mangelnde Eignung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ergibt sich aus gravierenden Pflichtverstößen gegen die geltenden Substitutionsvorschriften sowie der Gefährdung von Patienten im Rahmen der Substitutionsbehandlung in Verbindung mit dem andauernden Mangel an Einsicht in die begangenen Pflichtverstöße.

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Leistungen, die den maßgeblichen vertragsärztlichen Vorschriften nicht entsprechen, dürfen Vertragsärzte nicht erbringen und die KÄVen dürfen sie nicht honorieren (ausdrücklich zu den hier streitgegenständlichen Substitutionsbehandlungen: BSG, Urteil vom 23. Juni 2010 - B 6 KA 12/09 R - juris). Zutreffend hat der Beklagte dargelegt, dass der Kläger die Substitutionsbehandlungen unter Verstoß gegen die Richtlinien zur substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger des (jetzt:) Gemeinsamen Bundesausschusses in Nr 2 der Anl A der Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gemäß § 135 Abs 1 SGB V (Substitutions-RL) erbracht hat. Die Bestimmungen dieser Richtlinien stehen mit höherrangigem Recht in Übereinstimmung (BSG aaO., mwN)

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Die Richtlinien regeln die Voraussetzungen zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung bei manifest Opiatabhängigen. Nach der Präambel stellt das alleinige Auswechseln des Opiats durch ein Substitutionsmittel keine geeignete Behandlungsmethode dar. Oberstes Ziel ist die Suchtmittelfreiheit, die der Kläger ausweislich des im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens erstellten Gutachtens des MDKN zur Begutachtung der Abrechnungsmodalitäten und des Substitutionsprogramms vom 8. August 2006 allerdings bei keinem seiner Patienten erreicht hat. Nach § 3 Abs 1 der Substitutions-RL kann die Substitution nur als Bestandteil eines umfassenden Therapiekonzepts durchgeführt werden. Nach § 3 Abs 4 beinhaltet das umfassende Therapiekonzept ua eine ausführliche Anamnese (insbesondere Suchtanamnese) mit Erhebung relevanter Vorbefunde (Nr 1), eine körperliche Untersuchung (einschließlich Urinanalyse) zur Sicherung der Diagnose der manifesten Opiatabhängigkeit und zur Diagnostik des Beigebrauchs (Nr 2), die Erstellung eines ausführlichen individuellen Therapieplans (Nr 6) sowie Verlaufs- und Ergebniskontrollen einschließlich unangekündigter Beigebrauchskontrollen (Nr 7).

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Ausweislich des MDKN-Gutachtens, das vom Senat im Wege des Urkundsbeweises herangezogen wird, hat der Kläger gegen diese Vorgaben der Substitution-RL verstoßen. Aus den patientenbezogenen Einzelfallgutachten nach Auswertung der Patientenkartei ergibt sich insbesondere, dass bei keinem Patienten Eintragungen zu einer ausführlichen allgemeinen Anamnese oder richtlinienkonformen bzw aktuellen Suchtanamnese vorlagen. Auch eine Indikationsüberprüfung hat nicht stattgefunden. Ebenso wenig fanden sich körperliche Untersuchungsbefunde, Verlaufsdokumentationen oder Therapieziele. Ein Drogenscreening vor Drogenabgabe durch den Kläger ist nicht durchgeführt worden. Auch ein regelmäßiges Abfragen und Dokumentieren des Beigebrauchs ist entgegen der verbindlichen Richtlinie nicht erfolgt. Bei keinem einzigen Patienten beendete der Kläger die Substitutionsbehandlung wegen Beikonsums. Stattdessen ist in den Patientenkarteikarten dokumentiert, dass das Praxispersonal aus Angst bei Bedrohung wunschgemäß zusätzlich Psychopharmaka an die Substitutions-Patienten abgab sowie sog "Ersatz" (zusätzliche Mengen von Methadon) ausgab, selbst wenn es den Ausreden der Drogensüchtigen keinen Glauben schenkte. Nach § 8 Nr 2 und 3 der Richtlinien steht der nicht bestimmungsgemäße Gebrauch des Substitutionsmittels sowie eine Ausweitung oder Verfestigung von Suchtstoffen neben der Substitution jedoch der Fortsetzung der Substitutionsbehandlung entgegen.

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Darüber hinaus hat der Kläger bei der Abgabe von Substitutionsmitteln wesentliche Vorschriften der BtMVV verletzt, die nach § 1 S 4 der Substitutions-RL zu beachten sind. Gemäß § 5 Abs 6 und 7 BtMVV ist das Substitutionsmittel dem Patienten vom behandelnden Arzt oder einer qualifizierten Hilfsperson in der Praxis unmittelbar zuüberlassen, dh zum sofortigen Gebrauch auszuhändigen (Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 28. Juli 2009 - 3 StR 44/09 - juris). Nur ausnahmsweise ist die Aushändigung einer Verordnung über die für bis zu 7 Tage benötigte Menge unter Erlaubnis der eigenverantwortlichen Einnahme (sog Take-Home-Verordnung) nach § 5 Abs 8 BtMVV möglich, sobald und solange der Verlauf der Behandlung dies zulässt und dadurch die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht beeinträchtigt werden. Die Erfüllung dieser Verpflichtungen hat der Arzt gemäß § 5 Abs 10 BtMVV im erforderlichen Umfang und nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft zu dokumentieren.

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In keinem einzigen der im Einzelnen von Dr. K./Dr. I. begutachteten Behandlungsfälle nahm der Patient jedoch dauerhaft die Betäubungsmittel "unter Sicht" in der Praxis des Klägers ein. Wie sich aus der Dokumentation der einzelnen Behandlungsfälle ergibt, wurde den Patienten das Substitutionsmittel vielmehr in unbeschrifteten Flaschen mitgegeben; die Patienten konnten sich das Mittel selbst zuführen (oder nach Belieben an andere weitergeben). Häufig wurde Methadon bzw Polamidon auch in eine Morgen- und Abenddosis gesplittet, was nach den og Vorgaben erfordert hätte, dass die Patienten zweimal täglich in der Praxis hätten erscheinen müssen. Die Abenddosis wurde dem Patienten jedoch regelmäßig mitgegeben, was nach § 5 Abs 6 S 3 nur bei der Verschreibung von Codein oder Dihydrocodein unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist. Darüber hinaus wurde vom Kläger sogar toleriert, dass die Patienten das Methadon (auch in größeren Mengen) von Dritten abholen ließen.

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Der Kläger bestreitet die genannte Vorgehensweise nicht, sondern hält an ihr auch im Berufungsverfahren fest. So hat er in seiner Berufungsbegründung ausgeführt, die Mitgabe von Substitutionsmitteln an Dritte sei "legitim". Hieran hat er auch in der mündlichen Verhandlung vom 26. Januar 2011 festgehalten, wobei er seinen Therapieansatz verteidigt hat, der ua auf telefonischer Erreichbarkeit des Arztes bei größtmöglicher Eigenverantwortlichkeit des Substituierten beruht. Ferner hat er zur Begründung seiner Berufung dargelegt, die Durchführung eines Drogenscreenings bzw von Blut- und Urinkontrollen habe keinen Aussagewert (Schriftsatz vom 18. Juni 2010), vielmehr sei das Erfordernis eines positiven Opiatnachweises grundgesetzwidrig. Hiermit bestätigt er insoweit die tatsächlichen Feststellungen im Gutachten des MDKN. Wenn er die Unrichtigkeit des Gutachtens in der mündlichen Verhandlung - unter Hinweis auf die seiner Ansicht nach fehlende Qualifikation von Dr. H.- damit begründet hat, dieser ziehe falsche Schlussfolgerungen, greift er im Ergebnis die dortige rechtliche Würdigung an. Wie dargelegt, ergibt sich aber bereits aufgrund der tatsächlichen Feststellungen in der Behandlungsdokumentation des Klägers, dass dieser eindeutig gegen die Substitutions-RL verstoßen hat.

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Die erheblichen Pflichtverletzungen im Bereich der Substitution zeigen gerade in Verbindung mit einem bis heute nachdrücklich vertretenen Substitutionsverständnis, das in krassem Widerspruch zu den für einen Vertragsarzt verbindlichen Vorschriften steht, die Ungeeignetheit des Klägers zur weiteren Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung. Er ist nicht bereit, die sich aus § 91 Abs 9 SGB V ergebende Verbindlichkeit von Richtlinien für Vertragsärzte zu akzeptieren, sondern maßt sich stattdessen an, Kassenpatienten nach eigenen Vorstellungen bzw nach einem selbsterstellten "Rechtssystem" zu behandeln. Dies lässt im Rahmen der zu erstellenden Prognose befürchten, dass er - ungeachtet der Rückgabe seiner Substitutionsgenehmigung - auch in Zukunft gegen vertragsärztliche Vorschriften verstoßen würde, die seiner Überzeugung zuwider laufen. Erschwerend ist zu berücksichtigen, dass der Kläger in einer Vielzahl von Fällen eine sachgemäße Diagnostik und Behandlung nicht vorgenommen hat und damit einem unkontrollierten, mitunter kontraindizierten und lebensgefährlichen Betäubungsmittelmissbrauch Vorschub geleistet hat. So ergibt sich beispielsweise aus der Einzelfallbegutachtung des Patienten M.N. (S 91 ff MDKN-Gutachten), dass der Patient neben Methadon hohe Dosen psychotroper Substanzen, wie zB Rohypnol (Flunitrazepam) und Doxepin, erhalten hat. Im Fall des Patienten Daniel Dolch (S 107ff MDKN-Gutachten) stellte der Sachverständige fest, dass der Patient in der Praxis des Klägers einen medizinisch kontraindizierten und als lebensgefährlich anzusehenden "Drogencocktail" unter Verwendung verschiedener psychotropen Medikamente erhielt. Auch bei dem polytoxikomanen und massiv alkoholabhängigen Patienten O.P. (S 270ff MDKN-Gutachten) erfolgte ausweislich der Einzelfallbegutachtung eine psychotrope Begleitmedikation mit Haldol und Doxepin. Vor dem Hintergrund dieser in der Vergangenheit wiederholt in Kauf genommenen erheblichen Patientengefährdung kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger zukünftig die gesundheitlichen Belange seiner Patienten in den Vordergrund stellen wird. Ungeachtet des Umstands, dass er auf seine Substitutionsgenehmigung verzichtet hat, ist sein Verbleib im vertragsärztlichen System der KÄV und den Krankenkassen deshalb nicht zuzumuten. Von einer vom Kläger vorgebrachten Unverhältnismäßigkeit der Zulassungsentziehung kann deshalb keine Rede sein.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 2 und 3, § 162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

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Gründe:

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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 47 Abs 1 S 1, 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Dabei legt der Senat (entsprechend Ziffern C.IX.16.4 und 16.3 des Streitwertkatalogs für die Sozialgerichtsbarkeit 2009 (NZS 2009, 491, 496)) die zuletzt vom Kläger konkret erzielten Umsätze, hochgerechnet auf 3 Jahre und abzüglich der Praxiskosten wie vom Beklagten mitgeteilt, zugrunde.