Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 22.02.2017, Az.: L 13 AS 26/17 B ER

Gewährung höherer Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende i.R.d. Anrechnung von Einkommen; SGB-II-Leistungen; Einstweiliger Rechtsschutz; Anordnungsgrund für Zeiträume vor einer gerichtlichen Entscheidung als Ausnahme; Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II; Berücksichtigung vergangener Zeiträume im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
22.02.2017
Aktenzeichen
L 13 AS 26/17 B ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 15018
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2017:0222.L13AS26.17B.ER.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - 19.01.2017 - AZ: S 39 AS 1/17 ER

Redaktioneller Leitsatz

1. Im Rahmen einer Regelungsanordnung entspricht der Anordnungsgrund der Notwendigkeit zu vermeiden, dass ein Antragsteller vor vollendete Tatsachen gestellt wird, ehe er wirksamen Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren erlangen kann, und er hierdurch einen unwiederbringlichen und unumkehrbaren Rechtsverlust erleidet.

2. Es ist rechtlich zwar nicht auszuschließen, dass auch für vergangene Zeiträume eine derartige Dringlichkeit angenommen werden kann; diese überholt sich jedoch regelmäßig durch Zeitablauf.

3. Ein Anordnungsgrund für Zeiträume vor einer gerichtlichen Entscheidung ist daher nur ausnahmsweise anzunehmen, wenn ein noch gegenwärtig schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht wird und ein besonderer Nachholbedarf durch die Verweigerung der Leistungen in der Vergangenheit auch in der Zukunft noch fortwirkt.

4. Aufgabe des einstweiligen Rechtsschutzes ist es im Leistungsrecht des SGB II dementsprechend regelmäßig, einem Antragsteller (lediglich) diejenigen Mittel zur Verfügung zu stellen, die er zur Behebung aktueller, d.h. gegenwärtig bestehender Notlagen benötigt, um ein menschenwürdiges Leben aufrechterhalten zu können,

5. Für vergangene Zeiträume kann ein derartiger Anordnungsgrund regelmäßig nicht angenommen werden und der Antragsteller ist insoweit auf die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens zu verweisen

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg vom 19. Januar 2017 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die Beschwerde der Antragstellerin vom 20. Januar 2017 gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Oldenburg vom 19. Januar 2017 ist gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber nicht begründet. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Voraussetzungen hat das Sozialgericht zu Recht den am 2. Januar 2017 gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, denn die Beschwerdeführerin hat jedenfalls keinen Anordnungsgrund im Hinblick auf die Gewährung höherer Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für im Jahr 2016 gelegene und mithin vor Anbringung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung liegende Zeiträume glaubhaft gemacht.

Zunächst nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen in Anwendung der Vorschrift des § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG auf die Ausführungen des SG Oldenburg in den Gründen des angefochtenen Beschlusses Bezug.

Soweit die Antragstellerin sich gegen die Anrechnung von Einkommen in den Monaten Oktober und November 2016 im Rahmen ihres Sozialleistungsverhältnisses zum Antragsgegner wendet, fehlt es bereits deshalb am Anordnungsgrund, weil der Erlass einer einstweiligen Anordnung für die Zeit vor Eingang des Eilantrages regelmäßig nicht in Betracht kommt.

Im Rahmen einer Regelungsanordnung entspricht der Anordnungsgrund nämlich der Notwendigkeit zu vermeiden, dass die Antragstellerin vor vollendete Tatsachen gestellt wird, ehe sie wirksamen Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren erlangen kann, und sie hierdurch einen unwiederbringlichen und unumkehrbaren Rechtsverlust erleidet. Es ist rechtlich zwar nicht auszuschließen, dass auch für vergangene Zeiträume eine derartige Dringlichkeit angenommen werden kann; diese überholt sich jedoch regelmäßig durch Zeitablauf. Ein Anordnungsgrund für Zeiträume vor einer gerichtlichen Entscheidung ist daher nur ausnahmsweise anzunehmen, wenn ein noch gegenwärtig schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht wird und ein besonderer Nachholbedarf durch die Verweigerung der Leistungen in der Vergangenheit auch in der Zukunft noch fortwirkt (Bayerisches Landessozialgericht - LSG -, Beschluss vom 15. Dezember 2016 - L 11 AS 712/16 B ER -, Rn. 12), was insbesondere von Bedeutung bei gegenwärtiger Gefahr des Verlustes der Wohnung aufgrund in der Vergangenheit aufgelaufener Mietschulden sein kann. Nicht ausreichend ist das Bestehen sonstiger Verbindlichkeiten.

Lediglich aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes werden in ständiger Senatsrechtsprechung regelmäßig vergangene Zeiträume ab Eingang des Eilantrags bei Gericht ebenfalls berücksichtigt, beginnend mit dem Zeitpunkt, in dem Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht waren (vgl. hierzu den grundlegenden Senatsbeschluss vom 3. März 2008 - L 13 AS 295/07 ER - Rn. 16 ff.) und dementsprechend eine Eilentscheidung des Gerichts zugunsten eines Antragstellers grundsätzlich möglich war; eine Verfahrensverzögerung darf insoweit nicht zu Lasten der Rechtswahrung des Antragstellers gehen.

Aufgabe des einstweiligen Rechtsschutzes ist es im Leistungsrecht des SGB II dementsprechend regelmäßig, einem Antragsteller (lediglich) diejenigen Mittel zur Verfügung zu stellen, die er zur Behebung aktueller, d. h. gegenwärtig bestehender Notlagen benötigt, um ein menschenwürdiges Leben aufrechterhalten zu können, Für vergangene Zeiträume kann ein derartiger Anordnungsgrund regelmäßig nicht angenommen werden und der Antragsteller ist insoweit auf die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens zu verweisen (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Dezember 2016 - L 29 AS 2544/16 B ER -, Rn. 20; Beschluss des 15. Senats des LSG Niedersachsen-Bremen vom 16. Juni 2016 - L 15 AS 114/16 B ER -).

Eine Eilbedürftigkeit in diesem Sinne ist von der Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht worden und für den Senat auch nicht anderweitig ersichtlich. Einer gegenwärtigen Notlage der Antragstellerin wirken die gegenwärtigen Leistungen des Antragsgegners entgegen. Die Antragstellerin ist bereits aus diesem Grund auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen, ohne dass es weiterer Erwägungen zum Anordnungsanspruch bedarf.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).