Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 01.02.2017, Az.: L 2 R 55/15

Teilrückforderung der zuvor gewährten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung; Erstattung zu viel ausgezahlter Rentenansprüche; Einschränkung des Vertrauensschutzes in den Verwaltungsakt; Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung; Teilrückforderung; Keine Umdeutung einer gebundenen Entscheidung; Schutzwürdiges Vertrauen; Keine Rückforderung einer überzahlten, fälschlicherweise gewährten teilweisen Erwerbsminderungsrente vom Versicherten bei nachträglicher Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
01.02.2017
Aktenzeichen
L 2 R 55/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 14117
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2017:0201.L2R55.15.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 22.10.2015 - AZ: S 3 R 199/13

Redaktioneller Leitsatz

1. Eine gebundene Entscheidung nach § 43 Abs. 3 SGB X kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden.

2. Eine gebundene und keine Ermessensentscheidung läge nur dann vor, wenn ausnahmsweise nur eine bestimmte Entscheidung rechtmäßig wäre, wenn sich also das Ermessen durch "Verdichtung der Ermessensgrenzen" auf Null reduziert hätte und jeder Verwaltungsakt mit einem anderen Regelungsinhalt rechtsfehlerhaft wäre; nur dann läge eine umdeutbare Entscheidung vor.

3. Maßgeblich für die rechtlichen Möglichkeiten des Rentenversicherungsträgers, die Bewältigung des eigenen Fehlers dem Versicherten in Form eines Rückforderungsanspruchs anzulasten, sind vielmehr nach den klaren Vorgaben der §§ 45, 48, 50 SGB X allein die dort geregelten tatbestandlichen Voraussetzungen.

4. Soweit diese Voraussetzungen nicht vorliegen, ist nach den Wertungen des Gesetzgebers das Vertrauen des Versicherten in die Bestandskraft der vorausgegangenen Bewilligungsbescheide schutzwürdig.

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat der Klägerin auch die entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über eine Teilrückforderung der der 1950 geborenen Klägerin zuvor gewährten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung.

Mit Bescheid vom 09. Februar 2010 sprach die Beklagte der Klägerin rückwirkend ab Januar 2009 eine (zunächst befristete) Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung unter Zuerkennung einer vorläufig nicht ausgezahlten Nachzahlung für den Zeitraum 01. Januar 2009 bis 31. März 2010 in Höhe von 7.099,70 EUR zu.

Im Zeitraum vom 1. Januar bis 21. Dezember 2009 hatte die Klägerin Krankengeld von der Barmer GEK bezogen. Nachfolgend stand sie im Arbeitslosengeldbezug. Mit Bescheid vom 9. Februar 2010 (Bl. 130 GA) sprach die Beklagte der Klägerin von der zunächst vorläufig einbehaltenen Nachzahlung in Höhe von 7.099,70 EUR einen Teilbetrag von 1.191,51 EUR zur persönlichen Auszahlung zu. Der auf den Zeitraum des Krankenbezuges vom 1. Januar bis 21. Dezember 2009 entfallende anteilige Nachzahlungsbetrag wurde an die Barmer GEK ausgezahlt.

Mit ihrem damaligen Widerspruch vom 02. März 2010 begehrte die Klägerin, ihr darüber hinaus eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zuzusprechen.

Im anschließend geführten Klageverfahren vor dem Sozialgericht Braunschweig (Az. S 60 R 756/10) wandelte die Beklagte mit Bescheid vom 26. Juli 2011 (Bl. 296 VV) die zunächst befristet gewährte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in eine unbefristete Rente um.

Ferner berechnete die Beklagte mit weiterem Bescheid 14. Oktober 2011 die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung neu. Für den Zeitraum 01. Januar 2009 bis 30. Juni 2009 betrug der monatliche Zahlbetrag 504,34 EUR, für den 01. Juli 2009 bis 31. Dezember 2010 monatlich 518,22 EUR, für den 01. Januar 2011 bis 30. Juni 2011 monatlich 516,50 EUR und für die Zeit ab dem 01. Juli 2011 monatlich 521,62 EUR. Der sich daraus für den Zeitraum 1. Januar 2009 bis 30. November 2011 ergebende - zunächst vorläufig wiederum nicht ausgezahlte - weitergehende Nachzahlungsbetrag von 181,60 EUR wurde mit weiterem Bescheid vom 28. Dezember 2011 in Höhe eines Teilbetrages von 121,60 EUR an die Barmer GEK gezahlt; der restliche Betrag von 121,60 EUR wurde der Klägerin persönlich überwiesen.

Nach weiteren medizinischen Ermittlungen sprach die Beklagte nach Abschluss des Klageverfahrens mit weiterem Bescheid vom 19. Dezember 2011 ebenfalls rückwirkend ab Januar 2009 eine - zunächst bis zum 31. März 2012 und mit nachfolgendem Bescheid vom 26. Januar 2012 bis zum 31. März 2015 befristete - Rente wegen voller Erwerbsminderung zu. Es wurde für die zurückliegende Zeit eine - wiederum vorläufig nicht ausgezahlte - Nachzahlung in Höhe von 38.208,56 EUR zuerkannt.

Die Beklagte hat in diesem Bescheid in dem Abschnitt "Was sollte ich sonst noch wissen?" ausgeführt:

"Bei der Berechnung der Nachzahlung (Anlage 1) ist zunächst unberücksichtigt geblieben, dass Sie bereits eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erhalten haben, die wegen des zeitgleichen Anspruches auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht zu leisten gewesen wäre. Dies ist erforderlich, weil eventuell bestehende Ansprüche anderer Stellen auf der Grundlage der auf diese Weise berechneten Nachzahlung zu erfüllen sind. Wie hinsichtlich der bereits an Sie gezahlten Beträge der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu verfahren ist, werden wir Ihnen zu einem späteren Zeitpunkt mitteilten".

Mit Bescheid vom 12. Juni 2012 hob die Beklagte die Bescheide vom 09. Februar 2010 und 28. Juli 2011 über die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 01. Januar 2009 bis 31. März 2015 nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) auf.

Für diese Zeit ergebe sich eine Überzahlung von 19.104,34 EUR. Der überzahlte Betrag sei zu erstatten (§ 50 Abs. 1 SGB X). Den überzahlten Betrag habe die Beklagte im Interesse der Klägerin bereits mit der Rentennachzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung aus dem Bescheid vom 19. Dezember 2011 verrechnet, die nach Erfüllung der Ansprüche anderer Stellen verblieben seien. Die restliche Überzahlung betrage noch 4.710,00 EUR.

Zur weiteren Begründung teilte die Beklagte mit, dass von der einbehaltenen Rentennachzahlung aus dem Bescheid vom 19. Dezember 2011 für den Zeitraum 01. Januar 2009 bis 31. Januar 2012 in Höhe von 38.208,56 EUR zur Erfüllung der Erstattungsansprüche der Krankenkasse Barmer GEK ein Betrag in Höhe von 5.968,13 EUR und an die Agentur für Arbeit ein Betrag in Höhe von 17.846,09 EUR überwiesen wurden. Damit mindere sich die Nachzahlung auf 14.394,34 EUR. Der überzahlte Betrag wurde mit dieser Nachzahlung verrechnet.

Hiergegen hat die Klägerin mit Schreiben vom 18. Juni 2012 Widerspruch eingelegt, zu dessen Begründung sie sich darauf berufen hat, dass sie die nunmehr aufgehobenen Bescheide vom 09. Februar 2010 und 28. Juli 2011 erfolgreich im vorausgegangenen Verfahren hinsichtlich der Ablehnung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung angefochten habe.

Demgegenüber wies die Beklagte den von der Klägerin gegen den Bescheid vom 12. Juni 2012 eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 03. April 2013 zurück.

Mit der am 02. Mai 2013 vor dem Sozialgericht Braunschweig erhobenen Klage hat die Klägerin insbesondere auf die formelle und materielle Rechtswidrigkeit des durch die Beklagte gegenüber der Agentur für Arbeit erfolgten Erstattungsanspruch gemäß § 103 SGB X in Höhe von täglich 39,06 Euro hingewiesen. Nach ihrer Ansicht übersteige der geforderte Erstattungsbetrag für den Zeitraum 22. Dezember 2009 bis 07. März 2010 den Zahlbetrag in Rente, da eine monatliche Abrechnung zu erfolgen habe. Die Beklagte habe mit der Verrechnung des Nachzahlbetrages mit den Erstattungsbeträgen gegenüber der Krankenkasse und der Agentur für Arbeit nicht im Interesse der Klägerin gehandelt, da die Forderung der Beklagten zumindest in der Höhe nicht richtig festgestellt worden sei. In den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vom 09. Februar 2009 vorgelegen haben, sei keine wesentliche Änderung eingetreten. Eine Anhörung nach § 24 SGB X sei unterblieben.

Die Beklagte hat vor dem Sozialgericht geltend gemacht, dass der Bescheid vom 12. Juni 2012 zwar die richtige Forderungshöhe enthalte, jedoch die Begründung fehlerhaft sei. Richtigerweise sei der Neufeststellungsbescheid vom 14. Oktober 2011 aufzuheben gewesen.

Daraufhin hat die Beklagte den Änderungsbescheid vom 10. September 2013 (vgl. Blatt 23 der Gerichtsakte) erlassen, mit welchem sie den Bescheid vom 12. Juni 2012 in der Hinsicht geändert hat, dass nicht die Bescheide vom 09. Februar 2010 und vom 28. Juli 2011, sondern der Bescheid vom 14. Oktober 2011 hinsichtlich des Zahlungsanspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufgehoben wird. Zur Begründung erläuterte die Beklagte, dass sie die Ausgangsbescheide vom 09. Februar 2010 und vom 28. Juli 2011 mit Änderungsbescheid vom 14. Oktober 2011 hinsichtlich der Rentenberechnung gestützt auf § 44 SGB X ersetzt habe.

Sie teilte in dem Bescheid weiter mit:

Hinsichtlich der übrigen Regelungen (Höhe des überzahlten Betrages, Höhe der zur Verfügung stehenden Nachzahlung und deren Berechnung sowie Höhe des Erstattungsbetrages) und der Begründung verbleibt es ohne Einschränkung bei den Ausführungen des Bescheides vom 12. Juni 2012.

Zur weiteren Begründung hat die Beklagte insbesondere auf das Urteil des BSG vom 07. September 2010, B 5 KN 4/08 R Bezug genommen. Eine Rente wegen voller Erwerbsminderung und teilweiser Erwerbsminderung habe unterschiedliche Sicherungsfunktionen für den Versicherten. Insofern liege bei Hinzutritt einer Rente aufgrund der Regelung des § 89 SGB VI eine Änderung der Verhältnisse vor.

Mit Urteil vom 22. Oktober 2014 hat das Sozialgericht unter Abweisung der Klage im Übrigen, den Bescheid der Beklagten vom 12. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. April 2013 in der Fassung des Bescheides vom 10. September 2013 aufgehoben, soweit darin der Bescheid von 14. Oktober 2011 hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 01. Januar 2009 bis 31. Januar 2012 in Höhe von mehr als 14.394,34 EUR aufgehoben und von der Klägerin die Erstattung von 4.710,00 EUR verlangt wird. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass mangels Änderung der Verhältnisse nicht § 48 Abs. 1 SGB X, sondern § 45 SGB X die richtige Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung sei, da ausgehend vom selben Leistungsfall die Beklagte der Klägerin rückwirkend ab dem Beginn der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nunmehr auch eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt habe. Vor diesem Hintergrund erweise sich die Zahlung der niedrigeren Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit wegen der Regelung des § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB VI als von Anfang an rechtswidrig. Die Klägerin habe darauf vertrauen dürfen, dass sie nach der rückwirkenden Bewilligung einer (anderen) höheren Rente jedenfalls im Ergebnis keinen tatsächlichen Rückforderungen der Rentenversicherung ausgesetzt sei. Die Aufhebung und daraus resultierende Rückforderung (vgl. § 50 Abs. 1 SGB X) müsse sich demnach auf den Betrag beschränken, der dem Nachzahlungsanspruch aus der anderen Rente entspreche, mithin nur in der Höhe des nach der Erstattung an die Agentur für Arbeit und die Barmer GEK verbliebene Nachzahlung in Höhe von 14.394,34 EUR. Es sei grundsätzlich von einem ungeminderten gesetzlichen Erstattungsanspruch gegenüber der Agentur für Arbeit und der Barmer GEK auszugehen, hierbei seien dem Erstattungsanspruch all diejenigen Einwendungen entgegen zu halten, die auch gegenüber dem Versicherten bestehen. Dass die Beklagte nicht die jeweils monatliche Aufrechnung der Rückforderungsansprüche mit dem (monatlichen) Anspruch auf rückwirkende Zahlung der vollen Rentenzahlung erklärt habe und stattdessen die Erstattungsansprüche aus der vollen Rentennachzahlung befriedige, könne nicht zu Lasten der Klägerin zu einem Rückforderungsanspruch führen. Durch diese Vorgehensweise werde die Klägerin selbst dann einer Rückforderung ausgesetzt, wenn in keinem der (drei) Sozialleistungsverhältnisse - für sich allein betrachtet - gegenwärtig noch ein Rückzahlungsanspruch gegen die Klägerin begründbar wäre. Auf die Frage der Notwendigkeit der vorherigen Anhörung der Klägerin und der ggf. inzwischen erfolgten Heilung dieses etwaigen Verfahrensmangels komme es nicht mehr an.

Gegen das ihr am 06. Januar 2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 05. Februar 2015 am Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen eingelegte Berufung der Beklagten, mit der sie die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils sowie die Klageabweisung begehrt.

Die Beklagte stütze sich bei ihrer Vorgehensweise auf das Urteil des BSG vom 07. September 2010 (B 5 KN 4/08 R). Der Bescheid über die Bewilligung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sei nicht von Anfang an rechtswidrig. Da es sich bei der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und der Rente wegen voller Erwerbsminderung um zwei eigenständige, voneinander unabhängige Rentenansprüche handele. Aber selbst wenn der Bescheid über die Bewilligung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung anfänglich rechtswidrig gewesen sein sollte, sei die Rechtsgrundlage für die Rücknahme des Bescheides nicht § 45 SGB X, sondern § 44 SGB X. Denn wenn eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bewilligt werde, obwohl eine Rente wegen voller Erwerbsminderung hätte bewilligt werden müssen, liege darin keine Begünstigung, sondern eine Belastung. Eine solche Rücknahme sei jederzeit möglich. Aber selbst wenn der Bescheid über die Bewilligung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung anfänglich rechtswidrig gewesen wäre, ändere dies nichts an der Anwendbarkeit des § 48 SGB X. Nach der Rechtsprechung des BSG sei § 48 SGB X (Änderung in den Verhältnissen) auch auf von Anfang an rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte (§ 45 SGB X) anwendbar (z.B. BSG-Urteil vom 13. November 2008 - B 14 AS 2/08 R). Die Änderung in den Verhältnissen liege im Hinzutritt einer weiteren, durch Bescheid festgestellten Rente (die höhere Rente) und der Anwendbarkeit des § 89 SGB VI. Folglich sei eine rückwirkende Bescheidaufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X zulässig.

Zur weiteren Begründung hat sich die Beklagte auf die Urteile/Gerichtsbescheide des SG Köln vom 13. November 2014, Az. S 4 R 300/14; des SG Reutlingen vom 18. März 2014, Az. S 12 R 1385/13; des SG Chemnitz vom 25. Oktober 2013, Az. S 19 R 567/13; des SG Würzburg vom 13. Juni 2013, Az. S 14 R 70/13; des SG Bayreuth vom 04. März 2014, Az. S 7 R 934/13; des SG Augsburg vom 06. November 2013, Az. S 3 R 531/13; des SG Gelsenkirchen vom 23. August 2013, Az. S 39 R 772/12; des SG Würzburg vom 25. Juli 2013, Az. S 3 R 1339/12; des SG Mainz vom 14. November 2013, Az. S 1 R 681/12; des SG München vom 28. November 2013, Az. S 56 R 2477/12 und des SG Bayreuth vom 24. März 2014, Az. S 7 R 639/13 bezogen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 22. Oktober 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Bescheid vom 09. Februar 2010 sei bereits mit Bescheid vom 14. Oktober 2011 nach § 44 SGB X hinsichtlich der Rentenhöhe zurückgenommen worden. Die Aufhebung des Bescheides vom 09. Februar 2010 nach § 48 SGB X sei mangels einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nicht möglich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 143 ff SGG statthafte und zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht Braunschweig hat mit dem Urteil vom 22. Oktober 2014 zu Recht entschieden, dass die Beklagte keinen Anspruch auf die Erstattung zu viel ausgezahlter Rentenansprüche in Höhe von 4.710,00 EUR hat.

Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren über die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 12. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. April 2013 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 10. September 2013, soweit die Beklagte die mit Bescheid vom 14. Oktober 2011 ausgesprochene Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung hinsichtlich des Zahlungsanspruches bezogen auf den Bewilligungszeitraum vom 01. Januar 2009 bis 31. Januar 2012 nach § 48 SGB X bezüglich auch des einen Gesamtbetrag von 14.394,34 EUR übersteigenden Teilbetrages aufgehoben hat und von der Klägerin daran anknüpfend die Erstattung von 4.710,00 EUR verlangt.

Das Sozialgericht hat zutreffend diesbezüglich den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Es fehlt bereits an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage, um insoweit die Bewilligung der ausbezahlten Beträge der zunächst zuerkannten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung rückwirkend aufheben und daran anknüpfend die Klägerin zur Rückerstattung der aus Sicht der Beklagten überzahlten Beträge von insgesamt 4.710 EUR auffordern zu können.

1. Vergeblich beruft sich die Beklagte im Ausgangspunkt auf die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 SGB X.

Nach § 48 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit eine der Nummern 1 bis 4 des Abs. 1 von § 48 SGB X vorliegen. Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes (§ 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X).

Eine derartige Änderung ist nach Bekanntgabe des Bescheids vom 14. Oktober 2011 indessen nicht eingetreten. Denn ein befristetes Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs 2, § 102 Abs 2 S 2 SGB VI mit der Folge hieraus monatlich entstehender Einzelansprüche ab dem 1. Januar 2009 war bereits kraft Gesetzes entstanden, als die Beklagte den Bescheid vom 14. Oktober 2011 erließ. Bereits damals stand folglich "bei objektiver Betrachtung" und unabhängig von der Kenntnis der Beklagten fest, dass durchsetzbare Ansprüche auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht gleichzeitig bestehen konnten (§ 89 Abs 1 Nr 7 und 11 SGB VI), sondern im Hinblick auf den zeitgleich entstandenen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ruhten (BSG, Urteil vom 07. April 2016 - B 5 R 26/15 R -, SozR 4-2600 § 89 Nr 3 mwN; in dem von der Beklagten herangezogenen Urteil des BSG vom 07. September 2010 - B 5 KN 4/08 R -, SozR 4-2600 § 89 Nr 2 war diesbezüglich bereits im Ausgangspunkt ein insbesondere hinsichtlich der zeitlichen Abfolge ganz anders gelagerter Sachverhalt zu beurteilen).

Bei dieser Ausgangslage ist nur ergänzend darauf hinzuweisen, dass auch im Übrigen die tatbestandlichen Voraussetzungen der von der Beklagten herangezogenen Ermächtigungsnorm des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X fehlen. Die Vorschrift schränkt den Vertrauensschutz in den Verwaltungsakt ein, aber nur, "soweit" nachträglich Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist. Der Betroffene soll also nur in dem Umfang, in dem er eine "doppelte" Zahlung erhalten hat, der Aufhebung einer Bewilligung mit Wirkung für die Vergangenheit ausgesetzt sein. Dies bedeutet, daß das Aufhebungsrecht der Beklagten nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X auf die Höhe der bewilligten Rente beschränkt ist (BSG, Urteil vom 20. September 2001 - B 11 AL 35/01 R -, BSGE 89, 13-19, SozR 3-4300 § 142 Nr 1, SozR 3-4300 § 202 Nr 2 mwN). Bezogen auf Fallgestaltungen der vorliegend zu beurteilenden Art, in denen rückwirkend an die Stelle einer dem Zahlbetrag niedrigeren Leistung (wie hier der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung) eine Leistung mit einem höheren Zahlbetrag (wie hier die Rente wegen voller Erwerbsminderung) zugesprochen wird, impliziert diese höchstrichterliche Rechtsprechung, dass das Aufhebungsrecht der Beklagten nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X auf die Höhe der nachträglich bewilligten zusätzlichen Rentenleistungen, also des Differenzbetrages zwischen der anfänglich gezahlten Rente wegen teilweiser und der nachträglich rückwirkend zugesprochenen Rente wegen voller Erwerbsminderung, beschränkt ist.

2. Auf §§ 45, 50 SGB X kann sich die Beklagte ebenfalls nicht berufen.

Nach § 43 Abs 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsakts (Abs 2 S 1). Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte (Abs 2 S 2). Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden (Abs 3). § 24 SGB X ist entsprechend anzuwenden (Abs 4).

Zwar wären der fehlerhafte Verwaltungsakt nach § 48 SGB X und ein Ersatzakt nach § 45 SGB X auf dasselbe Ziel gerichtet, nämlich auf die Beseitigung eines Verwaltungsakts (hier: als Rechtsgrund für den Bezug bzw das Behaltendürfen der bewilligten Zahlungsansprüche aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung). Soweit der Verwaltungsakt über die Bewilligung der monatlichen Zahlungsansprüche für die Vergangenheit zurückgenommen werden soll, fehlen aber bereits die (materiell-rechtlichen) Voraussetzungen iS des § 43 Abs 1 S 1 SGB X für den Erlass des Ersatzakts gemäß § 45 Abs 1 SGB X anstelle von § 48 Abs 1 S 2 SGB X; darüber hinaus verbietet § 43 Abs 3 SGB X die Umdeutung einer gebundenen Entscheidung nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X in eine Ermessensentscheidung nach § 45 Abs 1 SGB X (vgl. BSG, Urteil vom 07. April 2016 - B 5 R 26/15 R -, SozR 4-2600 § 89 Nr 3 mwN).

Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 SGB X (Ausschluss von Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsakts, den der Begünstigte durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat) und des § 45 Abs. 3 S. 2 SGB X (Vorliegen von Wiederaufnahmegründen entsprechend § 580 ZPO) liegen augenscheinlich nicht vor. Der Verwaltungsakt vom 14. Oktober 2011 beruht auch nicht auf "Angaben", die die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 S 3 Nr. 2 SGB X). Ebenso wenig kannte sie die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts oder war ihr dessen Rechtswidrigkeit infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben (§ 45 Abs. 2 S 3 Nr. 3 Halbs 1 SGB X).

Überdies kann eine gebundene Entscheidung nach § 43 Abs. 3 SGB X nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden. Eine gebundene und keine Ermessensentscheidung läge nur dann vor, wenn ausnahmsweise nur eine bestimmte Entscheidung rechtmäßig wäre, wenn sich also das Ermessen durch "Verdichtung der Ermessensgrenzen" auf Null reduziert hätte und jeder Verwaltungsakt mit einem anderen Regelungsinhalt rechtsfehlerhaft wäre. Nur dann läge eine umdeutbare Entscheidung vor. Dass die Komplettrücknahme des zahlungsanspruchsgewährenden Verwaltungsakts im Rentenbescheid vom 14. Oktober 2011 die einzige rechtmäßige Entscheidung gewesen wäre (Ermessensschrumpfung auf Null), ist angesichts der Gutgläubigkeit der Klägerin und der Möglichkeit, eine zeitlich, summen- oder quotenmäßig differenzierte Rücknahmeentscheidung zu treffen, von vornherein auszuschließen (vgl. BSG, Urteil vom 07. April 2016 - B 5 R 26/15 R -, SozR 4-2600 § 89 Nr 3 mwN).

3. Nur ergänzend ist anzumerken, dass die Beklagte überdies bereits versäumt hat, die Höhe der geltend gemachten Erstattungsforderung auch nur substantiiert aufzuzeigen. Der Senat hat sie diesbezüglich zu einer detaillierten Darlegung und zu einer insbesondere auch monatsweisen Aufschlüsselung der (angeblichen) Erstattungsforderung mit Verfügung vom 08. November 2016 aufgefordert (vgl. auch § 103 SGG zur gebotenen Heranziehung der Beteiligten bei der Aufklärung des Sachverhalts); dieser Anordnung ist die Beklagte nicht nachgekommen. Auch vor diesem Hintergrund vermag der Senat schon im Ausgangspunkt nicht hinreichend verlässlich zu überblicken, ob überhaupt und ggf. in welcher Höhe Überzahlungen in Betracht zu ziehen sein könnten.

Im Ausgangspunkt wird die Annahme einer Überzahlung auf Seiten der Beklagten, soweit sich dies auch angesichts der fehlenden Substantiierung ihres Vortrages erschließt, jedenfalls in Teilen ihren rechtlichen Hintergrund in den Vorgaben des § 156 SGB III haben. Nach dieser Vorschrift ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld - wie es auch von der Klägerin im Teilzeitraum ab dem 22. Dezember 2009 bezogen worden war - zwar bei Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung (vgl. Abs. 1 Satz 1 Nr. 3), er besteht aber neben einem Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Zwar soll der sozialpolitisch unerwünschte Doppelbezug von Rente und Alg grundsätzlich auch bei Beziehern von Berufsunfähigkeitsrente vermieden werden; jedoch soll der sich hieraus ergebende Vorteil dem Rentenversicherungsträger und nicht der Arbeitsverwaltung zufallen (BSG, Urteil vom 18. März 1982 - 7 RAr 50/80 -, SozR 4100 § 118 Nr 10). Die insoweit in Betracht kommende Anrechnungsvorschrift des § 96a SGB VI führt allerdings nicht zwingend zu einer Anrechnung von neben einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gewährten Arbeitslosengeldzahlungen, so dass in Einzelfällen durchaus die Höhe der Summe einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und daneben gewährter - nicht von der Anrechnungsvorschrift des § 96a SGB VI erfasster - Arbeitslosengeldzahlungen die Höhe einer Rente wegen voller Erwerbsminderung übersteigen kann.

Auch wenn damit im Ergebnis in Fällen eines fortbestehenden (nicht zu einer Anrechnung auf die Rente nach § 96a SGB VI führenden) Arbeitslosengeldbezuges (und zeitlich beschränkt auf dessen Bezugsdauer) die Bewilligung nur einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für den Versicherten im Ergebnis wirtschaftlich günstiger sein kann als die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, so vermag sich aus dieser wirtschaftlichen Betrachtungsweise als solcher jedoch schon im Ausgangspunkt kein Rückforderungsanspruch des Rentenversicherungsträgers bezüglich der zunächst erbrachten Leistungen einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu ergeben. Erkennt dieser - wie auch im vorliegenden Fall - erst im Nachhinein, dass er fehlerhaft zunächst nur die Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und nicht sogleich die sachlich gebotene Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgesprochen hat, so begründet dieser Fehler als solcher noch keinen Rückforderungsanspruch.

Maßgeblich für die rechtlichen Möglichkeiten des Rentenversicherungsträgers, die Bewältigung des eigenen Fehlers dem Versicherten in Form eines Rückforderungsanspruchs anzulasten, sind vielmehr nach den klaren Vorgaben der §§ 45, 48, 50 SGB X allein die dort geregelten tatbestandlichen Voraussetzungen. Soweit diese Voraussetzungen nicht vorliegen, ist nach den Wertungen des Gesetzgebers das Vertrauen des Versicherten in die Bestandskraft der vorausgegangenen Bewilligungsbescheide (hier betreffend die Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung) schutzwürdig.

4. Des Weiteren hätte die Beklagte auch, soweit - anders im vorliegenden Fall - die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X vorgelegen hätte, die Jahresfrist gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X versäumt. Die Beklagte hat den zu überprüfenden Änderungsbescheid vom 10. September 2013, mit welchem sie den Bescheid vom 12. Juni 2012 insoweit geändert hat, dass nicht die Bescheide vom 09. Februar 2010 und vom 28. Juli 2011, sondern der Bescheid vom 14. Oktober 2011 hinsichtlich des Zahlungsanspruchs auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufgehoben werden sollten, nicht innerhalb der Jahresfrist erlassen. Nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X (hier i.V.m. § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X) muss die Behörde einen Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen aufheben, welche die Aufhebung eines rechtswidrig gewordenen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die genannte einjährige Ausschlussfrist auch für einen Aufhebungsbescheid uneingeschränkt gilt, der an die Stelle eines denselben Gegenstand regelnden, zwar fristgemäß erteilten, aber wegen Rechtswidrigkeit aufzuhebenden früheren Aufhebungsbescheides tritt (vgl. dazu das Urteil des BSG vom 27. Juli 1989 zum Aktenzeichen 11/7 RAr 115/87). Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X bewirkt also, dass die Behörde ein Jahr nach Kenntnis von einem Aufhebungsgrund das Recht verliert, den Verwaltungsakt aus diesem Grund mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben. Diese zeitliche Begrenzung der Aufhebungsbefugnis für die Vergangenheit dient insbesondere der Rechtssicherheit (vgl. dazu die beiden Urteile des 11. Senats des BSG vom 27. Juli 1989, aaO bzw. zum Aktenzeichen 11 RAr 7/88; sich dem anschließend auch der 7. Senat des BSG in seinem Urteil vom 15. Februar 1990 zum Aktenzeichen 7 RAr 28/88 sowie der 7a. Senat des BSG in seinem Urteil vom 06. April 2006, aaO). Dementsprechend hat das BSG in seinem oben zunächst genannten Urteil vom 27. Juli 1989 auch klar gestellt, dass die nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X geltende Jahresfrist durch einen aufzuhebenden früheren Aufhebungsbescheid weder gewahrt noch unterbrochen wird.

Die bei der Aufhebung eines rechtswidrig (gewordenen) begünstigenden Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X zu beachtende Jahresfrist beginnt mit der Kenntnis der Tatsachen, welche die Aufhebung eines rechtswidrig begünstigten Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Dies ist spätestens zu dem Zeitpunkt der Fall, an dem die Bewilligung erstmalig aufgehoben worden ist. Das war im hier zu entscheidenden Fall der 12. Juni 2012. Somit hätte für die Beklagte allenfalls noch bis zum 12. Juni 2013 die Möglichkeit bestanden, unter Wahrung der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X einen neuen Aufhebungsbescheid/Änderungsbescheid zu erlassen. Der am 10. September 2013 erlassene Änderungsbescheid ist daher bereits auch aus diesem Grund rechtswidrig.

5. Ebenfalls ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte auch das Anhörungsgebot des § 24 Abs. 1 SGB X missachtet hat. Nach dieser Vorschrift ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Diese Vorschrift dient der Wahrung des rechtlichen Gehörs und soll das Vertrauensverhältnis zwischen dem Bürger und der Sozialverwaltung stärken und den Bürger vor Überraschungsentscheidungen schützen (BSG, Urteil vom 25. März 1999 - SozR 3-1300 § 24 Nr 14), sowie sicherstellen, dass die Beteiligten alle für sie günstigen Umstände vorbringen können (BSG, Urteil vom 4. November 1981 - SozR 1300 § 24 Nr 2). Der Betroffene soll Gelegenheit erhalten, durch sein Vorbringen zum entscheidungserheblichen Sachverhalt die vorgesehene Entscheidung zu beeinflussen. Hierzu ist es notwendig, dass der Verwaltungsträger die entscheidungserheblichen Tatsachen dem Betroffenen in einer Weise unterbreitet, dass er sie als solche erkennen und sich zu ihnen, ggfs. nach ergänzenden Anfragen bei der Behörde, sachgerecht äußern kann (BSG, Urteil vom 15. August 2002 - B 7 AL 38/01 R -, SozR 3-1300 § 24 Nr 21 mwN). Auch diesen Anforderungen hat die Beklagte sowohl bei dem Erlass des Bescheides vom 12. Juni 2012 als auch des Änderungsbescheides vom 10. September 2013 nicht genügt. Die Berechnungen der Beklagten bezüglich einer angeblichen Rückforderung waren nicht in einer Weise verständlich erläutert worden, dass sich die Klägerin dazu sachgerecht zu äußern vermochte. Diese Mängel sind von der Klägerin bereits im Klageverfahren gerügt worden, von der Beklagte, jedoch, im gerichtlichen Verfahren nicht behoben worden. Namentlich hat die Beklagte auch im Zuge des Erlasses des Änderungsbescheides vom 10. September 2013 versäumt, die Klägerin zuvor ordnungsgemäß anzuhören.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.