Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 22.02.2017, Az.: L 3 U 192/11
Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4106 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) im Wege des Zugunstenverfahrens; Erkrankung der tieferen Atemwege und der Lungen durch Aluminium und seine Verbindungen; Beurteilung der Ursachenzusammenhänge nach der Theorie der wesentlichen Bedingung; Anforderungen an die Ermittlung der arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Aluminose als Berufskrankheit in der gesetzlichen Unfallversicherung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 22.02.2017
- Aktenzeichen
- L 3 U 192/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 14157
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Braunschweig - 29.09.2011 - AZ: S 16 U 146/09
Rechtsgrundlagen
- § 54 Abs. 1 SGG
- § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG
- § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X
- § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII
- § 9 Abs. 1 SGB VII
- Anlage 1 Nr. 4106 BKV
Redaktioneller Leitsatz
Definiert der Tatbestand einer Berufskrankheit die Tatbestandsmerkmale der erforderlichen beruflichen Einwirkungen nicht anhand exakter Einwirkungsgrößen (hier zur Aluminose), ist es Aufgabe der Versicherungsträger und Gerichte, unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien sowie anhand der Vorgaben des vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMAS) herausgegebenen Merkblatts für die ärztliche Untersuchung zur jeweiligen Berufskrankheit die hierfür vorausgesetzten beruflichen Einwirkungen näher zu konkretisieren. Den Merkblättern kommt dabei zwar keine rechtliche Verbindlichkeit zu, sie sind allerdings als Interpretationshilfe und zur Wiedergabe des bei seiner Herausgabe aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands heranzuziehen. Ergänzend hierzu ist (ggf. unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sachkunde) nach dem im Entscheidungszeitpunkt aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu beantworten, welcher Einwirkungen es bedarf, um die Anerkennung einer Berufskrankheit zu rechtfertigen.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 29. September 2011 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger strebt die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr 4106 der Anl 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV; Erkrankung der tieferen Atemwege und der Lungen durch Aluminium und seine Verbindungen) im Wege des Zugunstenverfahrens an.
Der 1962 geborene Kläger war von 1983 bis 1993 und (mit Unterbrechungen) von 1994 bis 1996 als Maschineneinrichter, Maschinenarbeiter und Qualitätsprüfer bei der F. AG in G. beschäftigt, die Getränkedosen aus Aluminium herstellte. In den Jahren 1997 und 1998 bearbeitete er im Rahmen kurzzeitiger Beschäftigungen Karosserieteile im H. -Werk I ... 1998 bis 2003 war er als Fräsen- und Maschinenbediener in der Lenkritzelfertigung des H. -Werks G. tätig, seit 2003 (bis zum Eintritt von Arbeitsunfähigkeit im Jahr 2007) arbeitete er dort in einer Halle, in der Traversen und Konsolen für Hilfsrahmen gefertigt wurden.
Im Januar 2002 traten bei ihm verstärkt Atembeschwerden bzw Kurzatmigkeit auf. Der Internist J. diagnostizierte in seinem Bericht vom 22. August 2002 Nikotingebrauch, chronische respiratorische Insuffizienz sowie Verdacht auf Pneumokoniose und Aluminose. Der Arbeitgeber stellte daraufhin bei der Norddeutschen Metall-Berufsgenossenschaft die Anzeige einer durch Aluminiumstaub verursachten Pneumokoniose als BK.
Der Präventionsdienst der Berufsgenossenschaft kam in seiner Beurteilung vom 12. März 2003 zum Ergebnis, der Kläger sei im Unternehmen F., in dem Deckel für Getränkedosen hergestellt worden seien, überwiegend in der Stanzerei eingesetzt gewesen. Eine Staubfreisetzung habe dort nicht stattgefunden. Dies gelte auch für die spätere Tätigkeit im H. -Werk. Der beratende Facharzt für Innere Medizin Dr. K. vertrat in seiner Stellungnahme vom 10. Februar 2004 die Auffassung, die Erkrankung des Klägers sei nicht durch die berufliche Tätigkeit verursacht. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 14. April 2004 lehnte die Berufsgenossenschaft daraufhin die Anerkennung von BKen der Nrn 4301, 4302, 1315 und 4106 ab.
Im Anschluss an eine stationäre internistische Behandlung im Krankenhaus St. L. in G., das den hochgradigen Verdacht auf eine Aluminose äußerte (Bericht von Dr. M. vom 13. November 2007), beantragte der Kläger im Januar 2008 die Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 14. April 2004 gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) und die Anerkennung einer BK nach Ziff 4106 der Anl 1 zur BKV. Der Präventionsdienst der Berufsgenossenschaft Metall Nord Süd (als Rechtsvorgängerin der Beklagten; im Folgenden: BG) stellte fest, dass in den Unternehmen, in denen der Kläger tätig gewesen ist, eine Exposition gegenüber Aluminiumstaub nicht habe festgestellt werden können (Stellungnahmen vom 15. Januar und vom 18. März 2008). Der Radiologie Prof. Dr. N. vertrat in seinem Gutachten vom 17. Juli 2008 die Auffassung, die auf CT-Aufnahmen des Brustkorbs erkennbaren intrapulmonalen Veränderungen seien nicht spezifisch für eine Berufserkrankung. In ihrem arbeitsmedizinischen Gutachten vom 31. Juli 2008 kam Prof. Dr. O. zum Ergebnis, eine BK iSd Nr 4106 lasse sich aufgrund der fehlenden arbeitstechnischen Voraussetzungen und der fehlenden typischen Lungenstrukturveränderungen nicht mit Wahrscheinlichkeit belegen.
Mit Bescheid vom 12. September 2008 lehnte die BG daraufhin die Rücknahme des Verwaltungsakts vom 14. April 2004 ab und begründete dies mit dem Ergebnis der arbeitstechnischen und arbeitsmedizinischen Ermittlungen. Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24. September 2009).
Hiergegen hat der Kläger am 20. Oktober 2009 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig erhoben. Die dem ablehnenden Bescheid zugrunde gelegten Gutachten seien lückenhaft und gingen zu Unrecht von einer fehlenden beruflichen Exposition gegenüber Aluminium aus. Eine derartige Exposition sei von der Rechtsnachfolgerin der Fa F. bestritten worden, ohne dies nachzuweisen. Er habe aber 1983 bis 1996 fortwährend mit Aluminium gearbeitet und sei im Rahmen von Reinigungs- bzw Wartungsarbeiten beim Wegblasen von Graten und Stäuben ohne Atemschutz unmittelbar Aluminiumstäuben ausgesetzt gewesen. Nach den ärztlichen Feststellungen von Dr. M. sei auch ein hochgradiger Verdacht auf eine Aluminose geäußert worden. Zum Beweis einer ausreichenden Aluminiumstaubexposition hat er sich auf die Zeugenaussage früherer Kollegen bei F. und bei H. berufen.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG ein arbeitsmedizinisch-internistisches Gutachten von Prof. Dr. P. (vom 16. Dezember 2010) eingeholt. Dieser ist zum Ergebnis gekommen, dass bei dem Kläger seit 2002 eine Aluminose iS einer BK Nr 4106 sowie eine COPD nach langjährigem Nikotinkonsum und ein Lungenemphysem vorlägen. Bei fehlender Abgrenzbarkeit des außerberuflichen Schädigungsanteils sei der Gesamtschaden der Lunge dem beruflichen Anteil zuzuschreiben. Dem ist die Beklagte unter Vorlage einer erneuten Stellungnahme ihres Präventionsdienstes (vom 7. Februar 2011) zur Arbeitsplatzexposition gegenüber Aluminiumfeinstäuben entgegengetreten.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 29. September 2011 abgewiesen. Einwirkungen durch Aluminium iSd BK 4106 seien nicht im Vollbeweis bei den Tätigkeiten des Klägers festzustellen. Dies sei für die Beschäftigungen bei H. weder vom Sachverständigen noch vom Kläger in Zweifel gezogen worden. Auch zu den Tätigkeiten bei F. lasse sich eine Exposition gegenüber alveolengängigen Aluminiumstäuben nicht mehr belegen. Nach Auskunft des Technischen Aufsichtsdienstes entstünden in den Arbeitsbereichen Metallverformung, Stanzen und Schneiden zwar Aluminiumgrate und -späne, nicht aber Aluminiumstaub, der so klein sei, dass er in die Lungenbläschen gelangen könne und damit alveolengängig sei. Das Gutachten von Prof. Dr. P. sei unschlüssig, weil dieser ohne weitere Ausführungen annehme, dass auch bei der mechanischen Verarbeitung von farbbeschichteten Aluminiumblechen Aluminiumstaub entstehe.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 6. Oktober 2011 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Er rügt, dass das SG angesichts des ihm günstigen Gutachtens von Prof. Dr. P. eine Überraschungsentscheidung getroffen habe. Der Sachverständige habe seinem Gutachten zugrunde gelegt, dass bei der Arbeit des Klägers Aluminiumabrieb entstanden sei, der inhalativ aufnehmbar und so klein sei, dass er in die Lungenbläschen gelangen könne. Der glänzende Schimmer des Aluminiumabriebs in der Luft habe zu einer Belastung mit Aluminiumstäuben geführt, sodass die Arbeitskleidung alle paar Tage habe gewechselt werden müssen. Außerdem habe die Fa F. keinen Atemschutz zur Verfügung gestellt. Dies könne durch frühere Arbeitskollegen des Klägers bezeugt werden. Das SG habe auch zu Unrecht angenommen, dass Feststellungen über die Exposition nicht mehr getroffen werden könnten, weil der konkrete Arbeitsplatz nicht mehr bestehe. Denn dies hindere nicht die Feststellung, welche Maschinen in der Zeit von 1983 bis zumindest 1990 vom Kläger im fraglichen Unternehmen bedient, gereinigt und gewartet worden seien; ebenso seien die seinerzeit eingesetzten Schneidewerkzeuge, produzierte Erzeugnisse, halbfertige Erzeugnisse und diesbezügliche Stückzahlen zu ermitteln.
Der Kläger beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 29. September 2011 sowie den Bescheid vom 12. September 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. September 2009 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 14. April 2004 teilweise zurückzunehmen und
- 3.
festzustellen, dass bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr 4106 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten (vom 4. März 2014) sowie ein arbeitsmedizinisches Gutachten nach Aktenlage von Prof. Dr. Q. (mit radiologischem Zusatzgutachten von Dr. R.) eingeholt. Prof. Dr. Q. ist in seinem Gutachten vom 26. Februar 2016 zum Ergebnis gekommen, das radiomorphologische und das Verlaufsbild würden zwar zu einer Aluminose passen. Angesichts des fehlenden Nachweises einer Aluminiumfeinstaubexposition könne das Vorliegen einer Aluminose jedoch nicht nachgewiesen werden. Demgegenüber hat Prof. Dr. P. am Ergebnis seines erstinstanzlich erstellten Gutachtens festgehalten (ergänzende Stellungnahme vom 23. September 2016).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Zutreffend hat das SG Braunschweig die Klage abgewiesen.
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Feststellungsklage gem §§ 54 Abs 1, 55 Abs 1 Nr 1 SGG statthaft (zur Klageart bei Anträgen im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X: Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-2700 § 200 Nr 4) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch unbegründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, den bestandskräftigen Bescheid vom 14. April 2004 aufzuheben, soweit dort die Anerkennung einer BK Nr 4106 abgelehnt worden ist.
1. Gemäß § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Die Vorschrift ist auch Rechtsgrundlage für die Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, mit dem lediglich die Anerkennung eines Versicherungsfalls oder von Unfallfolgen abgelehnt worden ist, ohne dass zugleich über Sozialleistungsansprüche entschieden worden wäre (Senatsurteil vom 13. Mai 2015 - L 3 U 58/11; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25. September 2014 - L 10 U 1507/12 - ).
Bei Erlass des Bescheids vom 14. April 2004 ist die Rechtsvorgängerin der Beklagten aber weder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen noch hat sie das Recht in einer Weise unrichtig angewandt, dass hierauf gestützt die Rücknahme des Verwaltungsakts verlangt werden kann. Vielmehr hat sie es zu Recht abgelehnt, das Vorliegen einer beim Kläger bestehenden BK nach der Nr 4106 der Anl 1 zur BKV festzustellen.
2. Rechtsgrundlage für die Anerkennung der vorliegend streitigen BK ist § 9 Abs 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) i.V.m. der Nr 4106 der Anl 1 zur BKV. Diese umfasst eine Erkrankung der tieferen Atemwege und der Lungen durch Aluminium und seine Verbindungen. Nach stRspr (vgl hierzu zuletzt BSG SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8; Urteil vom 17. Dezember 2015 - B 2 U 11/14 R - ) ist für die Feststellung einer solchen Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" iSd Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht jedoch die bloße Möglichkeit (BSG aaO mwN).
a) Der Kläger stand bei seinen Tätigkeiten für die Unternehmen F. und H. unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung als Beschäftigter (§ 539 Abs 1 Nr 1 der früheren Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII).
b) Es kann aber nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass er bei der Durchführung der im Zusammenhang mit den beschäftigten Tätigkeiten stehenden Verrichtungen Einwirkungen ausgesetzt gewesen ist, die im Rahmen einer BK der Nr 4106 relevant sind.
Definiert der Tatbestand einer BK die Tatbestandsmerkmale der erforderlichen beruflichen Einwirkungen nicht anhand exakter Einwirkungsgrößen - wie im vorliegenden Fall, in dem nur von "Aluminium und seinen Verbindungen" die Rede ist - ist es nach der Rspr des BSG (SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1) Aufgabe der Versicherungsträger und Gerichte, unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien sowie anhand der Vorgaben des vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMAS) herausgegebenen Merkblatts für die ärztliche Untersuchung zur jeweiligen BK die hierfür vorausgesetzten beruflichen Einwirkungen näher zu konkretisieren. Den Merkblättern kommt dabei zwar keine rechtliche Verbindlichkeit zu (BSG SozR 4-2700 § 9 Nr 5), sie sind allerdings als Interpretationshilfe und zur Wiedergabe des bei seiner Herausgabe aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands heranzuziehen (BSG SozR 4-5670 Anl 1 Nr 2402 Nr 1 mwN; Urteil vom 17. Dezember 2015 - B 2 U 11/14 R - ). Ergänzend hierzu ist (ggf unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sachkunde) nach dem im Entscheidungszeitpunkt aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu beantworten, welcher Einwirkungen es bedarf, um die Anerkennung einer BK zu rechtfertigen (BSG SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3).
Nach dem aktuellen Merkblatt zur BK-Nr 4106 (Bekanntm des BMAS vom 30. Dezember 2009, GMBl 2010, 103) werden von dieser BK inhalative Einwirkungen von alveolengängigen Aluminiumstäuben und Aluminiumrauchen erfasst, die zu einer Akkumulation von Staubpartikeln in der Lunge und in der Folge zum Entstehen einer sog Aluminose bzw Aluminiumstaublunge führen. Dies entspricht auch gegenwärtig noch den arbeitsmedizinischen Erkenntnissen (vgl Letzel/Sedlaczek/Kraus in: Letzel/Nowak (Hrsg), Handbuch der Arbeitsmedizin, Stand Oktober 2014, D II-1.1.A-1, S 4; Letzel in: Triebig/Kentner/Schiele (Hrsg), Arbeitsmedizin, 4. Aufl 2014, S 337). Hierzu ist in der im Merkblatt insoweit als grundlegend angeführten arbeitsmedizinischen Literatur (DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft): Aluminium bzw Aluminium-, Aluminiumoxid- und Aluminiumhydroxid-haltige Stäube, in: Greim (Hrsg), Gesundheitsschädliche Arbeitsstoffe, Toxikologisch-arbeitsmedizinische Begründungen von MAK-Werten, 43. Lfg, 2007) anerkannt, dass diese Belastung nur in solchen Fabriken auftritt, in denen auch alveolengängige und aluminiumhaltige Partikel in größeren Mengen anfallen. Dies sind Partikel mit einem aerodynamischen Durchmesser unter 5 µm (DFG aaO, Aluminium, S 13).
Dass der Kläger im Verlauf seines Berufslebens einer derartigen Aluminium-Feinstaubbelastung ausgesetzt gewesen ist, lässt sich aber nicht nachweisen.
Nach den Ermittlungen des Präventionsdienstes ist festzustellen, dass das Unternehmen F. in G. im früheren Arbeitsbereich des Klägers Vollaufreißdeckel für Getränkedosen herstellte, wobei beidseitig lackierte Aluminiumbleche geschnitten und geformt wurden. Bearbeitungsschritte, die zu einer Freisetzung von Aluminiumstaub führen konnten, sind dabei aber nicht durchgeführt worden; es sind lediglich Aluminiumspäne oder -grate angefallen. Eine Staubexposition kommt allenfalls in Hinblick darauf in Betracht, dass der Kläger auch Wartungsarbeiten durchzuführen und dabei Teile und Werkzeuge zu reinigen hatte, wobei er keinen Atemschutz getragen hat. Diese Anlagen waren auch mit Abrieb von Materialien verunreinigt, sodass es beim kurzzeitigen Reinigen mit Pressluft dazu kam, dass Grate und Stäube aufgewirbelt worden sind. Nach der Einschätzung des Präventionsdienstes (im Bericht vom 18. März 2008) handelte es sich bei dem Abrieb aber eher um Lackfasern als um Aluminiumstaub. Diese Erkenntnisse hat der Präventionsdienst in nicht zu beanstandender Weise zum einen durch eine Begehung des Werks G. der früheren Fa. F. im Februar 2003 gewonnen, bei der keinerlei Staubablagerungen, sondern nur Aluminiumspäne gefunden werden konnten (erstinstanzlich vorgelegte Stellungnahme vom 7. Februar 2011); ergänzend war dabei die S. Sicherheitsfachkraft von F. befragt worden (Bericht vom 12. März 2003). Außerdem hat der Präventionsdienst die Mitgliedsakte der früheren F. AG in G. ausgewertet, wonach dort insgesamt 17 Betriebsbesichtigungen stattgefunden hatten, bei denen keinerlei Hinweise auf eine Gesundheitsgefährdung durch Aluminium gefunden worden waren (ergänzende Stellungnahme vom 4. März 2014). Messungen zur Feinstaubbelastung waren im Werk G. allerdings nicht durchgeführt worden, wie der Präventionsdienst der Beklagten in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 7. Februar 2011 ausdrücklich dargelegt hat. Zum anderen hat der Präventionsdienst im März 2008 das Nachfolgeunternehmen T. GmbH aufgesucht und den Kläger sowie eine Sicherheitsfachkraft, den Koordinator Managementsysteme, die Leiterin des Personalwesens und ein Betriebsratsmitglieds des Nachfolgeunternehmens befragt.
Bei seiner Tätigkeit im U. -Werk war der Kläger bis 2003 in Abteilungen beschäftigt, in denen Stahl bearbeitet worden ist. Seit August 2003 - dh schon nach Auftreten der ersten Krankheitssymptome - hatte er zwar Maschinen zu überwachen, in denen Aluminiumrohlinge gefräst und gebohrt wurden. Die Verarbeitungsprozesse erfolgten jedoch automatisch in voll eingehausten Anlagen, wobei die Werkstücke von mit Wasser gemischten Kühlschmierstoffen umspült und die Luft aus den Anlagen nach Reinigung über Filtervlies in den Hallenbereich zurückgeführt wurde. Staubablagerungen konnten bei einer Arbeitsplatzbegehung durch den Präventionsdienst im gesamten Arbeitsbereich nicht festgestellt werden. Bei der Bearbeitung fielen lediglich Aluminiumspäne an.
Dieses arbeitstechnische Ermittlungsergebnis steht in Übereinstimmung mit den im Merkblatt zur BK-Nr 4106 wiedergegebenen Erfahrungswerten, wonach hiernach zu entschädigende Erkrankungen der tieferen Luftwege und der Lungen bei Personen beobachtet werden, die insbesondere bei der Aluminiumpulverherstellung (Feinstampfen, Sieben und Mischen von ungefettetem Aluminiumfeinstaub) bzw an Aluminiumschweißarbeitsplätzen (mehrstündige Schweißarbeiten in Behältern, Tanks, Waggons, Containern, Schiffsräumen oder unter vergleichbar räumlich beengten Verhältnissen bei arbeitshygienisch unzureichenden sicherheitstechnischen Vorkehrungen) beschäftigt sind (GMBl aaO, S 104). Daneben werden auch Tätigkeiten in Aluminiumgießereien oder bei Aluminiumbe- und -verarbeitung angeführt, die zB mit Schleifen und Polieren verbunden sind (Letzel aaO, S 337; Letzel/Sedlaczek/Kraus aaO). Das bloße Formen und Schneiden von Aluminium ist mit derartigen Tätigkeiten jedoch nicht zu vergleichen. Insbesondere ist naheliegend, dass beim Schneiden von Aluminiumblechen kein Feinstaub, sondern lediglich Aluminiumspäne bzw -grate anfallen.
Ein dem Kläger günstigeres Ergebnis folgt auch nicht aus den ergänzenden Angaben des Präventionsdienstes vom 7. Februar 2011. Danach existieren noch Feinstaubmessungen aus den Jahren 1991 und 1992, die in den Standorten V. und W. des Unternehmens F. durchgeführt worden sind, wo die Arbeitsbereiche Metallverformung, Stanzen und Schneiden ansässig waren. Die dortigen Messwerte lagen mit 0,1 - 0,22 mg/m3 aber weit unterhalb des Arbeitsplatzgrenzwertes (AGW) für Feinstäube. Dieser betrug im Jahr 2011 3 mg/m3 und liegt gegenwärtig für die alveolengängige Staubfraktion bei 1,25 mg/m3 (vgl Technische Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 900 idF vom 4. November 2016, dort Nr 2.4.1 Abs 7, abrufbar auf der Website der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (www.baua.de) unter "Gefahrstoffe"). Ob die Arbeitsbedingungen in diesen Unternehmensteilen den im Werk G. entsprochen haben - was der Kläger bestrei- tet -, kann deshalb offen bleiben.
Weitere Ermittlungen zur Klärung der Exposition des Klägers gegenüber alveolengängigem Aluminiumfeinstaub im früheren Unternehmen F. waren nicht veranlasst. Insbesondere wäre es nicht förderlich zu klären, welche Maschinen der Kläger seinerzeit bedient, gereinigt und gewartet hat, wie er in seiner Berufungsbegründung geltend macht. Das gleiche gilt für die von ihm für erforderlich gehaltene Ermittlung der seinerzeit eingesetzten Schneidewerkzeuge und hergestellten Produkte. Denn auch wenn Maschinen, Werkzeuge und Produkte bekannt wären - wie diese zu ermitteln sein sollten, legt der Kläger allerdings nicht dar - ließe sich hieraus nicht ableiten, in welchem Umfang es zwischen 1983 bis 1996 tatsächlich zu einem "Aluminiumabrieb" gekommen ist und ob dabei in nennenswertem Umfang alveolengängiger Aluminiumstaub angefallen ist.
Auch dem angebotenen Zeugenbeweis musste der Senat nicht nachgehen. Denn Gegenstand des Zeugenbeweises kann nur die Bekundung wahrgenommener Tatsachen sein (vgl BSG, Beschluss vom 6. Januar 2016 - B 13 R 303/15 B - ). Die Zeugen könnten deshalb zwar die Angaben des Klägers bestätigen, die Luft an seinem Arbeitsplatz sei so staubbelastet gewesen, dass es zu einem glänzenden Schimmer gekommen sei und dass die Arbeitskleidung alle paar Tage habe gewechselt werden müssen. Ob es sich dabei um alveolengängigen Feinstaub gehandelt hat und ob dieser aus Aluminium bestanden bzw diesen Stoff enthalten hat - und nicht aus Lackpartikeln, wie der Präventionsdienst vermutet hat -, ist jedoch mit bloßem Auge nicht zu erkennen. Vielmehr kann die Konzentration alveolengängigen Staubs und die Bestimmung des Aluminiumgehalts in Stäuben nur mit Hilfe spezieller Messverfahren ermittelt werden (DFG aaO, Aluminium-, Aluminiumoxid- und Aluminiumhydroxid-haltige Stäube, S 4; sog Ambient Monitoring, vgl Letzel aaO, S 339). Dies ist nach dem Wegfall des früheren Arbeitsplatzes und wegen der langen zeitlichen Distanz seit der angeschuldigten Beschäftigung ebenso wenig möglich wie das sog Bio Monitoring (Untersuchung des Aluminiumgehalts in Urin und Plasma des Beschäftigten (vgl Letzel aaO)).
Schließlich musste auch dem in der gutachterlichen Stellungnahme von Prof. Dr. P. vom 23. September 2016 geäußerten Vorschlag nicht nachgegangen werden, unabhängige erfahrene Experten der Expositionsermittlung aus dem Metallbereich zu hören. Denn es ist nicht ersichtlich, über welche Kenntnisse die insoweit benannten ehemaligen technischen Aufsichtsbeamten verfügen sollten, die die technischen Aufsichtsbeamten der BG bzw der Beklagten nicht haben. Ein grundsätzliches Hindernis, überzeugende gutachterliche Stellungnahmen im Gerichtsverfahren nur deshalb nicht zu verwerten, weil sie bereits im Verwaltungsverfahren eingeholt worden sind, besteht nicht (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 128 Rn 7f mwN).
c) Es kann weiterhin nicht mit der notwendigen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass beim Kläger eine Erkrankung der tieferen Atemwege und der Lungen iSd BK-Nr 4106 vorliegt. Wie sich aus dem Merkblatt zu dieser BK (aaO, S 104) ergibt, ist hierunter die sog Aluminose bzw Aluminiumstaublunge zu verstehen. Eine entsprechende Diagnose (ICD 10-Klassifikation: J 63.0) kann für den Kläger jedoch nicht gestellt werden.
Dies ergibt sich aus dem schlüssigen Gutachten von Prof. Dr. Q. vom 26. Februar 2016. Dieser hat dargelegt, dass die radiologischen Befunde auf der Grundlage des Zusatzgutachtens von Dr. R. (vom 5. Oktober 2015) zwar mit dem Vorliegen einer Aluminose vereinbar wären. In Übereinstimmung mit dem Merkblatt zur BK-Nr 4106 (aaO) und dem unfallmedizinischen Schrifttum (vgl Letzel aaO, S 338) weist der Sachverständige aber überzeugend darauf hin, dass im Fall der Aluminose eine eindeutige Diagnosestellung nur erfolgen kann, wenn im Rahmen der zu erhebenden Anamnese auch der Nachweis einer Aluminiumfeinstaubexposition gelungen ist. Dies ist im Fall des Klägers - wie unter b) dargelegt - aber nicht der Fall.
Demgegenüber kann das Gutachten von Prof. Dr. P. bzw dessen Ergänzung im Berufungsverfahren nicht überzeugen. Dieser geht zwar ebenfalls davon aus, dass der Nachweis einer ausreichenden Schadstoffexposition Voraussetzung dafür ist, eine Aluminiumstaublunge diagnostizieren zu können. Seine Annahme, diese Exposition sei zu bejahen, geht aber fehl, weil er sich hierzu nicht auf objektivierbare arbeitstechnische Untersuchungen stützt, sondern allein die subjektiven (und teilweise laienhaften) Angaben des Klägers - zB zur sichtbaren Staubbelastung bzw zur Verschmutzung der Arbeitskleidung - zugrunde legt. Auch in anderen zentralen Punkten sind die gutachterlichen Feststellungen von Prof. Dr. P. unplausibel oder sog erkennbar fehlerhaft. So geht er etwa davon aus, (Aluminium-)Feinstaub sei sichtbar, während im grundlegenden Schrifttum - wie dargelegt - anerkannt ist, dass zur eindeutigen Klärung einer Belastung durch aluminiumhaltige Staubpartikel, die eine bestimmte Größe nicht überschreiten, technische Messmethoden erforderlich sind. Auch zitiert Prof. Dr. P. wiederholt das Merkblatt zur BK-Nr 4106 unrichtig. So nimmt er einmal den dort genannten Einsatz von Aluminium in der Verpackungsindustrie bereits als Beleg für eine entsprechende Feinstaubexposition und verkennt damit den in Abschnitt I des Merkblatts enthaltenen Unterschied zwischen Vorkommen und Gefahrenquellen. Zum anderen zitiert er auf S 11 seiner ergänzenden Stellungnahme vom September 2016 das Merkblatt falsch, wenn er angibt, dieses sehe eine aluminiumspezifische Gesundheitsgefährdung an allen Arbeitsplätzen als gegeben an, an denen "eine inhalative Belastung über alle gängigen Aluminiumstäube und Aluminiumrauche" bestehe, während es richtig heißt: "inhalative Belastung gegenüber alveolengängigen Aluminiumstäuben und Aluminiumrauchen" (vgl aaO, S 103). Schließlich überzeugt es nicht, wenn er die alternative Möglichkeit einer idiopathischen Lungenfibrose aufgrund deren Seltenheit als sehr unwahrscheinlich ansieht; denn auch die Aluminose ist eine sehr selten gewordene Erkrankung (Nowak/Kroidl (Hrsg), Bewertung und Begutachtung in der Pneumologie, 3. Aufl 2009, S 172).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG), sind nicht ersichtlich.