Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 08.06.2004, Az.: 6 B 229/04

Cannabis; Entziehung; Fahrerlaubnis; Gutachten; medizinisch-psychologisches Gutachten

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
08.06.2004
Aktenzeichen
6 B 229/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50650
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Zu den Voraussetzungen, unter denen die Fahrerlaubnisbehörde von einem Cannabis konsumierenden Fahrerlaubnisinhaber die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens verlangen darf.

2. Für den Fall eines gelegentlichen Cannabiskonsums enthält § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV eine spezielle Regelung, die die Anwendung des § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV ausschließt.

Gründe

1

I. Der Antragsteller, der über eine Fahrerlaubnis der Klasse 3 verfügte, wendet sich dagegen, dass der Antragsgegner ihm die Fahrerlaubnis entzogen hat.

2

Im Dezember 2000 fand die Polizei bei dem Antragsteller eine Menge von etwa 17 g Haschisch; außerdem wurde in seiner Wohnung etwa 237 g Cannabispflanzenmaterial gefunden. Der Antragsteller räumte im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung im Dezember 2000 ein, seit 1998 Cannabis zu konsumieren; seit dem Frühjahr 1999 habe er zum Eigengebrauch Hanf angebaut. Der Antragsteller erklärte vor der Polizei, er werde mit dem Haschischrauchen aufhören. Das wegen des Anbaus von Cannabis eingeleitete Strafverfahren wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Seesen vom 29. Januar 2002 (B.) nach § 153a Abs. 2 StPO eingestellt.

3

Die vom Antragsgegner daraufhin für den Antragsteller angeordneten und in den Monaten April bis September 2001 durchgeführten sechs Drogenscreening in Form von Urinkontrollen ergaben keine Hinweise auf den Konsum von Cannabis oder anderen Betäubungsmitteln.

4

Am 3. Februar 2003 fand die Polizei im Rahmen einer Brandursachenuntersuchung und Ermittlungen gegen den Antragsteller wegen fahrlässiger Brandstiftung in der Wohnung des Antragstellers getrocknete Hanfblätter (Cannabisblatt- und Cannabisblütenmaterial) in einer Menge von ca. 220 g mit einem THC-Gehalt von 8,2 g. Im Rahmen seiner Vernehmung durch das Polizeikommissariat Goslar am 11. Februar 2003 gab der Antragsteller u.a. an, er habe insgesamt vier Cannabispflanzen in seinem Zimmer zum Eigengebrauch gezogen. Das Amtsgericht Seesen verurteilte den Antragsteller am 28. Oktober 2003 wegen Anbaus und Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung. Wegen der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil verwiesen (Blatt 74 Beiakte A). In der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht erklärte der Antragsteller, er habe Cannabis konsumiert, um sich wohl zu fühlen.

5

Mit Schreiben vom 16. Januar 2004 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, wegen des erneuten Anbaus großer Mengen von Hanfpflanzen zur Gewinnung von Cannabis zum Eigenkonsum bestünden Bedenken gegen seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Der Antragsgegner forderte den Antragsteller auf, zum Nachweis seiner Fahreignung das Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung vorzulegen.

6

Nachdem der Antragsteller zunächst erklärt hatte, er sei mit der Erstellung eines Gutachtens einverstanden, danach aber mitgeteilt hatte, er sei nur zur Vorlage eines medizinischen Gutachtens bereit, setzte der Antragsgegner ihm eine Frist zur Beibringung des angeforderten Gutachtens bis Ende März 2004.

7

Nach Fristablauf entzog der Antragsgegner mit Bescheid vom 2. April 2004 dem Antragsteller die Fahrerlaubnis und ordnete die sofortige Vollziehung der Verfügung an. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die Umstände des Falles begründeten die Annahme eines lang andauernden, missbräuchlichen/gewohnheitsmäßigen und nicht nur gelegentlichen Cannabiskonsums. Rechtsgrundlage für die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens sei die Regelung in § 14 Abs. 2 Nr. 2 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV). Wegen der weiteren Ausführungen sowie der Begründung der angeordneten sofortigen Vollziehung wird auf den Bescheid Bezug genommen (Blatt 119 ff. Beiakte A).

8

Mit Schreiben vom 15. April 2004, das dem Antragsgegner am 21. April 2004 zuging, erhob der Antragsteller Widerspruch. Er machte geltend, es lägen keine Tatsachen vor für die Annahme eines regelmäßigen oder gelegentlichen Cannabiskonsums. Die Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, sei unverhältnismäßig. Ein ärztliches Gutachten hätte ausgereicht. Über diesen Widerspruch ist - soweit ersichtlich - bislang nicht entschieden.

9

Außerdem hat der Antragsteller bei Gericht beantragt, ihm vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren. Er ist der Ansicht, der Antragsgegner habe die Anordnung der sofortigen Vollziehung seiner Verfügung nicht ausreichend begründet. Darüber hinaus bestehe kein genügend konkretisierter Verdacht, dass er - der Antragsteller - zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sei und andere Verkehrsteilnehmer gefährde. Seit elf Jahren nehme er ohne die geringste Beanstandung am Straßenverkehr teil. Das Strafverfahren vor dem Amtsgericht Seesen im Jahre 2003 habe keinen konkreten Anhalt dafür geliefert, dass er Rauschmittel tatsächlich konsumiere. Für die Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, gebe es keine Rechtsgrundlage. Die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Anordnung der sofortigen Vollziehung nähmen ihm die Möglichkeit, Vorstellungsgespräche wahrzunehmen und sich als Arbeitsuchender um Arbeitsstellen zu bewerben, die von ihm mit dem Auto angefahren werden müssten.

10

Der Antragsteller beantragt,

11

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs und einer evtl. nachfolgenden Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 2. April 2004 wiederherzustellen und dem Antragsgegner aufzugeben, den bereits eingezogenen Führerschein unverzüglich wieder auszuhändigen.

12

Der Antragsgegner beantragt,

13

den Antrag abzulehnen,

14

und nimmt auf die Ausführungen im angegriffenen Bescheid Bezug.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Verwaltungsvorgang des Antragsgegners verwiesen.

16

II. Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen, ist zulässig, aber nicht begründet. Der Antragsgegner hat die sofortige Vollziehung des mit Bescheid vom 2. April 2004 verfügten Fahrerlaubnisentzuges rechtmäßig angeordnet.

17

Die Anordnung sofortiger Vollziehung ist formell ordnungsgemäß erfolgt. Der Antragsgegner hat insbesondere in ausreichender Weise schriftlich begründet, warum das besondere Interesse an dem Sofortvollzug als gegeben erachtet wird (vgl. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Er hat in dem erforderlichen Umfang deutlich gemacht, dass die Fahrerlaubnisentziehung aus seiner Sicht sofort durchgesetzt werden müsse, weil seine Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers nicht ausgeräumt seien und bei dessen fortgesetzter Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr erhebliche Gefahren für die Allgemeinheit entstünden.

18

Auch aus materiell-rechtlichen Gründen besteht keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung des gegen den Bescheid erhobenen Widerspruchs wiederherzustellen.

19

Die Anordnung sofortiger Vollziehung ist inhaltlich rechtmäßig, wenn das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Maßnahme die privaten Interessen des von der Vollziehungsanordnung Betroffenen überwiegt. Das ist der Fall, wenn schon bei der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung die Rechtmäßigkeit des Fahrerlaubnisentzuges eindeutig zu erkennen ist oder wenn sich die Zweifel an der Fahreignung des Betroffenen so weit verdichtet haben, dass die dringende Besorgnis besteht, der Betroffene werde andere Verkehrsteilnehmer bei einer weiteren Teilnahme am Straßenverkehr ernsthaft gefährden (vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., Rn 1273 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

20

Die hier allein mögliche summarische Prüfung ergibt, dass der Antragsgegner die Fahrerlaubnis zu Recht entzogen hat. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG hat die Fahrerlaubnisbehörde einem Kraftfahrzeugführer die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn er sich als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Als ungeeignet in diesem Sinne darf die Fahrerlaubnisbehörde auch einen Kraftfahrer ansehen, der sich weigert, eine ihm abverlangte Untersuchung durchführen zu lassen, oder das von ihm geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV i. V. m. § 46 Abs. 3 FeV). Die Regelung beruht auf der Überlegung, dass bei grundloser Weigerung davon auszugehen ist, der Betroffene wolle Mängel verbergen, die seine Fahreignung ausschließen können (vgl. BR-Drs. 443/98 S. 254; BVerwG, Urt. v. 27.9.1995, BVerwGE 99, 249 = NZV 1996, 84 m.w.N.). Die Fahrerlaubnis darf auf dieser Grundlage aber nur dann entzogen werden, wenn die Anordnung der Behörde, das Gutachten beizubringen bzw. sich untersuchen zu lassen, rechtmäßig ist (BVerwG, Urt. vom 05.07.2001, NJW 2002, 78, 79; VG Braunschweig, Beschl. vom 27.01.2003 - 6 B 688/02 -). Dies ist hier der Fall.

21

Nach der hier allein möglichen summarischen Prüfung spricht zwar Überwiegendes dafür, dass der Antragsgegner die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nicht auf die Regelung in § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV stützen durfte (1.). Im Ergebnis ist die Anordnung rechtlich jedoch nicht zu beanstanden (2.).

22

1. Die Vorschriften in § 14 FeV sind im Verfahren der Fahrerlaubnisentziehung entsprechend anwendbar (§ 46 Abs. 3, § 14 Abs. 1 Satz 1 FeV). Dabei ist fraglich, ob die Regelung in § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV allein auf die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis zugeschnitten und es folglich ausgeschlossen ist, die Vorschrift zur Vorbereitung einer Entscheidung über die Fahrerlaubnisentziehung anzuwenden (vgl. dazu OVG Bremen, Beschl. vom 08.03.2000, NJW 2000, 2438, 2439; Sächsisches OVG, Beschl. vom 08.11.2001, DAR 2002, 234, 235; Geiger, DAR 2003, 97, 100). Das Gericht kann diese Frage jedoch offen lassen. Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass jedenfalls die Voraussetzungen der Vorschrift nicht erfüllt sind.

23

Nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn zu klären ist, ob der Betroffene noch abhängig ist oder - ohne abhängig zu sein - weiterhin die in Absatz 1 genannten Mittel oder Stoffe einnimmt. Die Regelung ist für die entsprechende Anwendung im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren bei Cannabiskonsum nach ihrem Sinn und Zweck, ihrer systematischen Stellung und aus verfassungsrechtlichen Gründen jedenfalls einschränkend auszulegen: Ein medizinisch-psychologisches Gutachten wird die Behörde danach grundsätzlich nur dann verlangen dürfen, wenn früher ein Drogenkonsum vorgelegen hat, der die Fahreignung nach Maßgabe der Anlage 4 zur FeV ausschließt (ebenso OVG Bremen, aaO.; VG Augsburg, NZV 2002, 291, 292 [VG Augsburg 26.09.2001 - Au 3 S 01/1262]; Geiger, DAR 2003, 97, 100; Bouska/Laeverenz, Fahrerlaubnisrecht, 3. Aufl., § 14 Anm. 7 m.w.N.).

24

Nach § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV eröffnet selbst die gelegentliche Einnahme von Cannabis der Behörde lediglich die Möglichkeit („kann“), ein medizinisch-psychologisches Gutachten anzuordnen, und auch dies nur, wenn weitere eignungsrelevante Tatsachen bekannt sind. Dieser Wertung sowie dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz würde es widersprechen, wenn die Behörde ein solches Gutachten nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV zwingend anzufordern hätte, falls lediglich zu klären ist, ob der Betreffende Cannabis konsumiert. Sinnvoll ist die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nur, wenn eine bloße ärztliche Untersuchung zur Abklärung der Fahreignung nicht ausreicht, sondern darüber hinaus psychologische Bewertungen erforderlich werden. Das ist der Fall, wenn im Sinne einer „Veränderungsdiagnostik“ zu prüfen ist, ob sich die Einstellung des Betroffenen zum Drogenkonsum im Vergleich mit einer früheren Feststellung zur Fahreignung gewandelt hat. Diese Zielsetzung liegt nach der Begründung des Verordnungsgebers auch der Regelung in § 14 Abs. 2 FeV zu Grunde (vgl. BR-Drs. 443, 261 - abgedr. bei Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 14 FeV - ; siehe auch Brenner-Hartmann/Löhr-Schwab/Bedacht/Eisenmenger in: Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Kommentar zu den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung, Bonn 2002, S. 113 f.). Eine Veränderungsdiagnostik in diesem Sinne ist jedenfalls dann erforderlich, wenn feststeht, dass der Betroffene früher Drogen in einer Weise bzw. Intensität konsumiert hat, die seine Fahreignung ausschloss, und wenn auf der Grundlage dieser „Vorgeschichte“ nunmehr zu klären ist, ob ein stabiler Einstellungswandel eingetreten ist. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Eine fahreignungsrelevante Einstellung, die sich wandeln konnte, ist beim Antragsteller nicht festgestellt worden. Der Antragsgegner hatte zur Überprüfung der Fahreignung lediglich Drogenscreenings angeordnet, in denen Drogensubstanzen nicht nachgewiesen werden konnten. Im Ergebnis war der Antragsgegner daher selbst davon ausgegangen, dass die seinerzeit bekannten Tatsachen keine durchgreifenden Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers begründeten.

25

Darüber hinaus ist die Regelung in § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV im Falle eines gelegentlichen Cannabiskonsums nicht anwendbar. Andernfalls könnte die speziellere Regelung in § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV, die eine medizinisch-psychologische Begutachtung in einem solchen Fall nur unter zusätzlichen Voraussetzungen vorsieht, ohne weiteres umgangen werden (ebenso VG Augsburg, aaO.; Geiger, DAR 2001, 488, 490). Für die Annahme eines über den gelegentlichen Eigengebrauch hinausgehenden Cannabiskonsums gibt es hier jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte (siehe 2.).

26

Ob die Behörde eine medizinisch-psychologische Begutachtung auch dann gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV zur Abklärung eines negativen Einstellungswandels verlangen kann, wenn bereits ein medizinisch-psychologisches Gutachten mit dem Ergebnis vorliegt, die Fahreignung sei trotz eines festgestellten Drogenkonsums des Betroffenen noch gegeben, braucht das Gericht nicht zu entscheiden. Eine solche Konstellation ist hier nicht gegeben.

27

2. Die Anordnung des Antragsgegners zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens findet ihre Rechtsgrundlage aber in § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV. Danach steht es im Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde, die Beibringung eines solchen Gutachtens anzuordnen, wenn die gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Fahreignung begründen. Dies ist nach gegenwärtigem Sachstand hier der Fall.

28

Derzeit ist überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller gelegentlich Cannabis konsumiert hat. Er hat einen mehr als einmaligen Konsum dieses Betäubungsmittels selbst eingeräumt und darüber hinaus erklärt, er konsumiere die Droge, um „sich wohl zu fühlen“. Im Übrigen ist er im Besitz einer erheblichen Menge an Cannabis bzw. entsprechender Pflanzen gewesen, die er nach eigenen Angaben zum Eigenkonsum gezogen hat. Der hohe THC-Wert des beim Antragsteller gefundenen pflanzlichen Materials deutet - wie das Amtsgericht Seesen in seinem Urteil vom 28. Oktober 2003 zutreffend hervorgehoben hat - darauf hin, dass beim Ausbau eine hohe Sorgfalt aufgewendet worden ist. Auch dies spricht dafür, dass es sich bei dem Antragsteller um einen erfahrenen Konsumenten handelt, dessen Konsumgewohnheiten über das Stadium des experimentellen, d. h. einmaligen oder seltenen Konsums hinausgehen (vgl. auch Bouska/Laeverenz, aaO., § 14 FeV Anm. 1). Der festgestellte Besitz einer größeren Menge an Cannabisblatt- und Cannabisblütenmaterial lässt vielmehr darauf schließen, dass der Antragsteller sich einen Vorrat für einen mehrmaligen, sich über Tage und Wochen wiederholenden Konsum hatte anlegen wollen.

29

Hinreichend konkrete Anhaltspunkte für einen regelmäßigen Konsum, der die Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV ausschließen würde, gibt es gegenwärtig nicht. Von einem regelmäßigen Cannabiskonsum ist zumindest dann auszugehen, wenn Cannabis täglich oder nahezu täglich eingenommen wird. Ob und - wenn ja - unter welchen Voraussetzungen auch bei einem weniger häufigen Konsum noch von einer regelmäßigen Einnahme gesprochen werden kann, wird in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beurteilt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. vom 04.07.2003, DAR 2004, 113, 114; Bouska/Laeverenz, aaO., § 14 FeV Anm. 1 m. w. N.; verneinend VGH Baden-Württemberg, Beschl. vom 26.11.2003, DAR 2004, 170 ff., VG Oldenburg, Beschl. vom 17.02.2004 - 7 B 454/04 -). Aber selbst wenn man diese weiter gehenden Begriffsbestimmungen zu Grunde legen würde, lägen keine hinreichenden Verdachtsmomente für einen regelmäßigen Cannabiskonsum vor. Der Antragsteller hat keine Angaben zur Häufigkeit seines Drogenkonsums gemacht. Für die Feststellung, er habe das von ihm angebaute Cannabis besonders häufig und damit mehr als nur „gelegentlich“ konsumiert, enthalten die vorliegenden Unterlagen keine hinreichenden Anhaltspunkte. Auch die vom Antragsteller im monatlichen Durchschnitt oder in einem Einzelfall konsumierte Menge ist nicht ersichtlich (vgl. dazu Niedersächsisches OVG, Beschl. vom 22.11.1999 -- 12 M 4409/99 - ; Bouska/Laeverenz, aaO., m. w. N.). Für einen gewohnheitsmäßigen Konsum dürfte erforderlich sein, dass die Einnahme stets zu gewissen Anlässen, d. h. mit einer bestimmten Motivation erfolgt und sich verselbstständigt hat (vgl. Geiger, DAR 2003, 97, 100). Auch dafür enthält der Sachverhalt keine konkreten Anhaltspunkte. Dass nach gegenwärtigem Sachstand ein regelmäßiger bzw. gewohnheitsmäßiger Konsum möglich ist, steht der Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV nicht entgegen (im Ergebnis ebenso Sächsisches OVG, Beschl. vom 08.11.2001, DAR 2002, 234, 235). Es entspricht dem Zweck der Regelung und dem verfassungsrechtlichen Gebot des wirksamen Schutzes anderer Verkehrsteilnehmer, in diesen Fällen die Fahreignung des Betroffenen umfassend abklären zu lassen.

30

Es liegen auch weitere Tatsachen vor, die Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers begründen. Dieses Tatbestandsmerkmal des § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV nimmt der Sache nach in erster Linie Bezug auf die in Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV aufgeführten Umstände, die hinzukommen müssen, damit im Falle einer gelegentlichen Einnahme von Cannabis die Fahreignung verneint werden kann. Allerdings ist diese Aufzählung, nach der die Fahreignung insbesondere bei fehlendem Vermögen des Betroffenen zur Trennung von Konsum und Fahren sowie bei Kontrollverlust zu verneinen ist, nicht abschließend. Für die Anordnung einer Begutachtung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV müssen die zusätzlichen Umstände auch nicht nachgewiesen sein. Es genügt, wenn hinreichend konkrete Verdachtsmomente für das Vorliegen solcher zusätzlicher Umstände sprechen (Niedersächsisches OVG, Beschl. vom 30.03.2004 - 12 ME 90/04 -). Dies ist hier der Fall.

31

Aus den Angaben des Antragstellers zu seinem Konsumverhalten ergeben sich konkrete Anhaltspunkte für einen lang andauernden Cannabiskonsum, der nach den verkehrswissenschaftlichen Erkenntnissen die Fahreignung nachteilig beeinflussen kann (vgl. BVerfG, Beschl. vom 20.06.2002, NZV 2002, 422, 424 m. w. N.). So hat der Antragsteller bereits im Dezember 2000 erklärt, seit 1998 Hasch zu rauchen und seit Frühjahr 1999 Hanf für den Eigenkonsum anzubauen. Im Februar 2003 hat der Antragsteller dann erneut eingeräumt, Cannabispflanzen in seiner Wohnung zum Eigengebrauch angebaut zu haben. Dass die Dogenscreenings, die im Zeitraum von April bis September 2001 durchgeführt wurden, keine Hinweise auf einen Drogenkonsum ergaben, spricht wegen der nur begrenzten Nachweisdauer von THC und seinen Metaboliten nicht zwingend für die Annahme, der Antragsteller habe seinen Konsum in diesem Zeitraum vollständig eingestellt (vgl. dazu Brenner-Hartmann/Löhr-Schwab/Bedacht/Eisenmenger, aaO., S. 116). Im Übrigen kann ein lang anhaltender Cannabiskonsum zu fahreignungsrelevanten Beeinträchtigungen vor allem im Bereich der Konzentrations- und Gedächtnisleistungen führen, die auch nach Beendigung des chronischen Konsums fortbestehen und nur durch eine medizinisch-psychologische Begutachtung abgeklärt werden können (vgl. VG Braunschweig, Beschl. vom 24.02.2003 - 6 B 808/02 -).

32

Außerdem liegen hinreichend konkrete Anhaltspunkte für einen möglichen Kontrollverlust vor. Der Antragsteller hat sich das frühere Strafverfahren wegen Anbaus von Cannabis und die daraufhin erfolgten Maßnahmen der Straßenverkehrsbehörde, durch die ihm die möglichen Konsequenzen eines fortgesetzten Anbaus und Konsums eindringlich vor Augen geführt worden sind, nicht zur Warnung dienen lassen. Vielmehr hat er noch in der Sitzung des Amtsgerichts Seesen im Oktober 2003 erklärt, er habe fortgesetzt Cannabis konsumiert, um sich wohl zu fühlen. Sein Verhalten, das seiner im Dezember 2000 abgegebenen Erklärung widerspricht, künftig kein Hasch mehr zu rauchen, begründet den konkreten Verdacht eines verfestigten, vom Antragsteller nicht ausreichend kontrollierten Drogenkonsums.

33

Ob die Fahrerlaubnisbehörde nach § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnet, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, steht in ihrem Ermessen (vgl. § 40 VwVfG). Die Entscheidung ist vom Gericht nur eingeschränkt nachprüfbar (§ 114 Satz 1 VwGO). Auch in diesem Rahmen ist die Entscheidung des Antragsgegners rechtlich aber nicht zu beanstanden, obwohl er die Gutachtenanordnung auf die Regelung in § 14 Abs. 2 FeV gestützt hat, die der Behörde kein Ermessen einräumt. Ob der darin liegende Ermessensnichtgebrauch schon deswegen rechtlich unerheblich ist, weil nach der Regelung in § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV die Gutachtenbeibringung in aller Regel intendiert ist und besondere Umstände nicht ersichtlich sind, kann das Gericht offen lassen. Behördliche Ermessenserwägungen sind jedenfalls auch dann entbehrlich, wenn alle anderen Entscheidungsalternativen rechtswidrig wären (sog. Ermessensreduzierung auf Null, vgl. BVerwG, Beschl. vom 03.10.1988, Buchholz 316 § 40 VwVfG Nr. 8; Rennert in: Eyermann, VwGO, 11. Aufl., § 114 Rn. 19). Dies ist nach gegenwärtigem Sachstand hier der Fall.

34

Es bestehen hinreichend konkrete Anhaltspunkte für einen gelegentlichen Cannabiskonsum und zusätzliche Umstände, die zu einem Fahreignungsausschluss führen können. Bei dieser Sachlage gebieten das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs und der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbare Auftrag zum Schutz von Leib und Leben der anderen Verkehrsteilnehmer eine medizinisch-psychologische Begutachtung zur Abklärung der Eignungszweifel. Insbesondere ist es verhältnismäßig, eine solche Begutachtung anstelle eines den Betroffenen im Ergebnis weniger belastenden ärztlichen Gutachtens anzuordnen. Um berechtigten Zweifeln an der Fahreignung sachgerecht nachzugehen, bedarf es bei dem hier gegenwärtig anzunehmenden gelegentlichen Cannabiskonsum einer Überprüfung der Gesamtpersönlichkeit des Antragstellers. Dies ist sachgerecht nur durch die angeordnete medizinisch-psychologische Begutachtung möglich. Weniger einschneidende, ebenso wirksame Maßnahmen standen nicht zur Verfügung.

35

Der Antragsgegner hat die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auch formell rechtmäßig angeordnet. Insbesondere hat er die Anordnung zureichend begründet. Nach § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV hat die Behörde dem Betroffenen die Gründe für die Eignungszweifel darzulegen. Dies setzt voraus, dass die Aufforderung im Wesentlichen aus sich heraus verständlich ist und der Betroffene ihr entnehmen kann, auf welchem konkreten Anlass sie beruht und ob das in ihr Verlautbarte die behördlichen Zweifel an der Fahreignung zu rechtfertigen vermag (BVerwG, Urt. vom 07.07.2001, NJW 2002, 78, 79; Niedersächsisches OVG, Beschl. vom 15.09.2003 - 12 ME 384/03 -). Diese Anforderungen sind mit dem im Schreiben des Antragstellers vom 16. Januar 2004 erfolgten Hinweis auf das erneute Strafverfahren und dessen Anlass erfüllt.

36

Dass der Antragsteller nach eigenen Angaben über mehrere Jahre verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, steht der Gutachtenanordnung und der erfolgten Fahrerlaubnisentziehung nicht entgegen. Die Vorschriften über die Entziehung der Fahrerlaubnis dienen der Gefahrenabwehr und setzen damit nicht voraus, dass es auf Grund der bestehenden Zweifel an der Fahreignung zu einer Schädigung oder Verletzung anderer Verkehrsteilnehmer gekommen ist.

37

Wegen der durchgreifenden Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers und der sich daraus für andere Verkehrsteilnehmer ergebenden Gefahrenlage ist dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angegriffenen Bescheides der Vorrang einzuräumen vor den persönlichen und wirtschaftlichen Interessen des Antragstellers, bis zu einer rechtskräftigen Klärung der Fahrerlaubnisentziehung vorerst weiterhin ein Kraftfahrzeug führen zu dürfen. Die Kammer verkennt nicht, dass die Fahrerlaubnisentziehung den Antragsteller nachhaltig in der Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten beeinträchtigt. Dies ist aber auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht gegenwärtig nicht zu beanstanden: Der aus dem Grundgesetz abzuleitende Auftrag zum Schutz von Leib und Leben der anderen Verkehrsteilnehmer (siehe oben) gebietet es, hohe Anforderungen an die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu stellen. Nach gegenwärtigem Sachstand ist nicht hinreichend sicher, dass der Antragsteller diese Voraussetzungen erfüllt. Die Beibringung des Gutachtens, das diese Frage klären sollte, hat er verweigert.

38

Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Aushändigung des beim Antragsgegner abgegebenen Führerscheins. Da der Antragsgegner die Fahrerlaubnis zu Recht entzogen hat, war der Antragsteller zur Ablieferung des Führerscheins verpflichtet (vgl. § 3 Abs. 2 Sätze 4 und 3, Abs. 1 Satz 1, § 47 Abs. 1 FeV, § 46 Abs. 3 i. V. m. § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV).

39

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der Anwendung des § 154 Abs. 1 VwGO.

40

Die Streitwertfestsetzung beruht auf der Regelung in § 20 Abs. 3 GKG i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG und entspricht der ständigen Rechtsprechung der Kammer und des Niedersächsischen OVG. Für den Streit um die Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alt) war danach ein Streitwert von 4 000 Euro zu Grunde zu legen, der für das vorliegende Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren war.