Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.08.2003, Az.: 3 K 292/99
Steuerliche Anerkennung eines Arbeitszimmers; Weiterbildung im früher ausgeübten Beruf während des Ruhestandes; Zusammenhang von Aufwendungen für das Arbeitszimmer mit den erzielten Ruhestandsbezügen; Vorliegen der Voraussetzungen für den Werbungskostenabzug bei fiktiver Erlangung des angestrebten aktiven Dienstverhältnisses
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 20.08.2003
- Aktenzeichen
- 3 K 292/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 18702
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2003:0820.3K292.99.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 02.12.2005 - AZ: VI R 63/03
Rechtsgrundlagen
- § 4 Abs. 5 Nr. 6b S. 2 EStG
- § 4 Abs. 5 Nr. 6b S. 3 EStG
Fundstellen
- AuA 2004, 30
- BBK 2004, 152
- DStRE 2004, 246-247 (Volltext mit amtl. LS)
- EFG 2004, 97-98
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Während des Ruhestandes ist eine Weiterbildung im früher ausgeübten Beruf regelmäßig nicht auf die Erzielung von Einnahmen gerichtet. Insofern fehlt es an einem Zusammenhang von Aufwendungen für das Arbeitszimmer mit den erzielten Ruhestandsbezügen.
- 2.
Der Wortlaut des § 4 Abs. 5 Nr. 6b Sätze 2 und 3 EStG setzt ein aktives Dienstverhältnis voraus.
- 3.
Ein Stpfl. ohne aktives Dienstverhältnis darf hinsichtlich des Werbungskostenabzugs eines Arbeitszimmers nicht besser gestellt werden, als ein Stpfl. bei bestehendem aktiven Dienstverhältnis. Liegen bei (fiktiver) Erlangung des angestrebten aktiven Dienstverhältnisses die Voraussetzungen für den Werbungskostenabzug nicht vor, kann auch bei fehlendem aktiven Beschäftigungsverhältnis kein Werbungskostenabzug erfolgen.
Tatbestand
Streitig ist die Anerkennung eines Arbeitszimmers gem. § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Nr. 6 b Einkommensteuergesetz (EStG) bei der Einkommensteuer 1996.
Die Klägerin war Beamtin und als solche zuletzt für A tätig. Aus gesundheitlichen Gründen wurde sie vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Nach 1 1/2 Jahren erfolgte eine ärztliche Nachuntersuchung. Bei dieser wurde eine deutliche Besserung des Gesundheitszustandes und daraus folgend Dienstfähigkeit festgestellt. Eine Reaktivierung der Klägerin ist jedoch bis heute unterblieben. Vorübergehend wurde ihr für eine sogenannte "Reaktivierungsphase" ein Arbeitsplatz B zugewiesen. Der Arbeitsversuch wurde vorzeitig abgebrochen. Zuvor und auch danach hat sich die Klägerin immer wieder beim Dienstherrn nach einer möglichen Reaktivierung erkundigt. Mit Schreiben wurde ihr mitgeteilt, dass nicht beabsichtigt ist, sie künftig erneut in ein Beamtenverhältnis zu berufen. Hiergegen wurde Widerspruch eingelegt, eine weitere Reaktivierung durch Klage aus gesundheitlichen Gründen jedoch nicht weiter verfolgt. Später hat die Zulassung für eine selbständige Tätigkeit erlangt.
Seitdem ist sie selbständig in ihrem häuslichen Arbeitszimmer tätig und baut sich einen neuen Mandantenstamm auf.
In der Einkommensteuererklärung 1996 hat die Klägerin Aufwendungen für ihr häusliches Arbeitszimmer, das sich im Keller ihres Hauses befindet, in Höhe von insgesamt DM XX geltend gemacht. Diese wurden durch den Beklagten in voller Höhe nicht anerkannt.
Die Klägerin macht geltend, dass sie sich während des Zeitraumes, in dem sie sich um Reaktivierung bemüht habe, im Bereich des Rechtes weitergebildet habe. Es habe sich bei ihr nur um einen vorübergehenden Ruhestand gehandelt, zudem sei sie vom Gesundheitsamt wieder als dienstfähig beurteilt worden. Dies habe auch die erneute amtsärztliche Prüfung bestätigt. Sie habe dann den Arbeitgeber wiederum aufgefordert, sie in ihre frühere Tätigkeit einzusetzen. Da sie einen Anspruch auf Reaktivierung habe, sei sie verpflichtet, sich für ihre künftige Berufstätigkeit weiterzubilden. Die Fortbildung habe im häuslichen Arbeitszimmer stattgefunden. Es sei für eine Anerkennung eines häuslichen Arbeitszimmers nicht notwendig, dass im selben Zeitraum auch steuerpflichtige Einkünfte bezogen würden. Es würde eine berufliche Veranlassung vorliegen, da die Aufwendungen für das Arbeitszimmer objektiv im Zusammenhang mit ihrem Beruf als Prüferin stehen würden und diese Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufes gemacht worden seien. Es würde sich um vorab entstandene Werbungskosten handeln. Die Notwendigkeit eines häuslichen Arbeitszimmers sei keine Voraussetzung für die Anerkennung entsprechender Werbungskosten. Dass es sich nur um einen vorläufigen Ruhestand gehandelt habe, ergebe sich aus ihrer vorübergehenden Reaktivierung. Zudem sei sie jetzt selbständig tätig und würde aus dieser Tätigkeit künftig Einnahmen erzielen. Es lägen somit eindeutig Werbungskosten im Zusammenhang mit künftigen Einnahmen vor.
Während Ihrer Tätigkeit in der Verwaltung sei ihr zudem ein Arbeitszimmer anerkannt worden. Sie habe zuletzt Vollzeit gearbeitet und das Arbeitszimmer abends und am Wochenende zur Fortbildung genutzt. Zudem habe sie dort an ihrem Computer Berichte für den Arbeitgeber überarbeitet und fertiggestellt. Sie habe während dieser Zeit das Arbeitszimmer ca. 10 bis 15 Stunden wöchentlich genutzt.
Im Streitjahr 1996 habe sie das Arbeitszimmer in der Regel an drei Tagen (Montag, Dienstag und Donnerstag) bzw. am Wochenende genutzt. Sie habe sich dort mindestens 20 Stunden pro Woche fortgebildet, indem sie Fachliteratur und Urteile gelesen habe.
Die Klägerin beantragt,
den Einkommensteuerbescheid i.d.F. des Einspruchsbescheids in der Weise zu ändern, dass bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit weitere Werbungskosten von XX DM berücksichtigt und die Einkommensteuer 1996 dementsprechend herabgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, dass die geltend gemachten Werbungskosten nicht mit Einkünften aus einer beruflichen Tätigkeit zusammenhängen würden. Im gesamten Jahr 1996 habe die Klägerin ausschließlich steuerbegünstigte Versorgungsbezüge erhalten. Aus der Anerkennung des Arbeitszimmers in den Veranlagungszeiträumen 1994 und 1995 könnten keine Rückschlüsse auf das Streitjahr gezogen werden. Damals habe die Klägerin glaubhaft vorgetragen, dass sie wieder beruflich tätig sei. Deshalb sei das Arbeitszimmer anerkannt worden. Außerdem sei nicht ersichtlich, womit sich die Klägerin fortgebildet habe. Im Jahr 1996 sei nur Fachliteratur mit pauschal DM 200,- beantragt worden. Es sei der Klägerin bekannt gewesen, dass es sich diesbezüglich um eine Nichtbeanstandungsgrenze handeln würde. Weder Art noch Umfang der Tätigkeit würden einen besonderen Raum für die Klägerin erfordern. Das Ausmaß der Nutzung sei bislang ebenfalls nicht dargelegt worden. Ein häusliches Arbeitszimmer könne nach der neuen BFH-Rechtsprechung nur steuerlich berücksichtigt werden, wenn es für die Erwerbstätigkeit erforderlich sei. Es müsse zudem auch prägend für den Beruf sein. Auch mit der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit in späteren Jahren könne im Streitjahr 1996 kein Zusammenhang erkannt werden. Entsprechende Kosten, die mit einer zukünftigen Tätigkeit zusammenhängen würden, seien nicht geltend gemacht worden.
Gründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer der Klägerin können in vollem Umfang nicht als Werbungskosten anerkannt werden.
Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen (§ 9 Abs. 1 S. 1 EStG). Nach § 9 Abs. 5 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 1 EStG kann ein Steuerpflichtiger Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer grundsätzlich nicht als Werbungskosten abziehen. Dies gilt nach Satz 2 der o.g. Vorschrift nicht, wenn die betriebliche oder berufliche Nutzung des Arbeitszimmers mehr als 50 % der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit beträgt oder wenn für die Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In diesen Fällen ergibt sich eine Begrenzung der abziehbaren Aufwendungen auf DM 2.400. Diese Beschränkung der Höhe nach gilt nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet. Ein häusliches Arbeitszimmer liegt vor, wenn der genutzte Raum zur Wohnung des Steuerpflichtigen gehört und ausschließlich oder nahezu ausschließlich zu beruflichen Zwecken genutzt wird (BFH-Urteil vom 19. September 2002 VI R 70/01, BStBl II 2003, 139). Auch ein zur Wohnung gehörender Kellerraum kann ein häusliches Arbeitszimmer darstellen (BFH-Urteil vom 19. September 2002 VI R 70/01 a.a.O.; BFH-Urteil vom 26. Februar 2003 VI R 160/99, DB 2003, 1254). Die im Urteil des BFH vom 18. April 1996 (VI R 5/95, BFHE 180, 357, BStBl II 1996, 482) aufgestellten Grundsätze zum Werbungskostenabzug für ein häusliches Arbeitszimmer bei Arbeitslosen, wonach ein Werbungskostenabzug gegeben ist, wenn die betreffende Person eine Anstellung anstrebt und dem Arbeitsmarkt uneingeschränkt zur Verfügung steht, können nach Ansicht des Senats wegen des mittlerweile geänderten Gesetzestextes nicht ohne weiteres übertragen werden.
Dass das Arbeitszimmer ausschließlich für Zwecke der Fortbildung im Recht genutzt würde, hat die Klägerin glaubhaft dargelegt. Unstreitig hat sie sich auch um eine Reaktivierung bemüht. Ein Zusammenhang der Aufwendungen für das Arbeitszimmer mit den im Streitjahr erzielten Ruhestandsbezüge ist jedoch nicht ersichtlich. Während des Ruhestandes ist eine Weiterbildung im früher ausgeübten Beruf regelmäßig nicht auf die Erzielung von Einnahmen gerichtet. Die Ruhestandsbezüge werden auch ohne Weiterbildung erzielt.
Es liegen auch keine sogenannte vorweggenommene Werbungskosten vor (BFH-Urteil vom 18. April 1996 VI R 75/95, BFHE 180, 349, BStBl II 1996, 529). Denn diese unterliegen denselben Abzugsbeschränkungen wie die sonstigen Werbungskosten. Nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 5 Nr. 6 b S. 2, 3 EStG ist aber entweder darauf abzustellen, dass dem Arbeitnehmer seitens des Arbeitgebers kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt wird, oder dieser trotz eines solchen anderen Arbeitsplatzes im Arbeitszimmer den überwiegenden Teil seiner beruflichen Tätigkeit erbringt. Daraus kann geschlossen werden, dass nach dem Wortlaut dieser Vorschrift ein aktives Dienstverhältnis vorausgesetzt wird. Ein solches liegt bei der Klägerin jedoch unstreitig im Streitjahr nicht vor. Sie wurde erst mehrere Monate nach Ablauf des Jahres 1996 für einen kurzen Zeitraum reaktiviert.
Der Senat lässt die Frage, ob der Werbungskostenabzug für das Arbeitszimmer bereits mangels aktivem Dienstverhältnis der Klägerin in 1996 ausgeschlossen ist, jedoch dahingestellt (vgl. auch Urteil des FG Nürnberg vom 10. Februar 2003 VI R 119/01, recherchiert über juris).
Denn selbst für den Fall, dass ein aktives Dienstverhältnis nicht erforderlich ist, kann das Arbeitszimmer steuerlich nicht anerkannt werden. Es kann nicht alleine darauf abgestellt werden, dass die Klägerin im Streitjahr mangels aktiver Tätigkeit nur im Arbeitszimmer tätig werden konnte. Vielmehr ist nach dem Sinn und Zweck des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6 b EStG darauf abzustellen, dass ein Steuerpflichtiger ohne aktives Dienstverhältnis hinsichtlich des Werbungskostenabzugs eines Arbeitszimmers nicht besser gestellt werden darf als ein Steuerpflichtiger bei bestehendem aktivem Dienstverhältnis. Liegen aber bei (fiktiver) Erlangung des angestrebten aktiven Dienstverhältnisses die Voraussetzungen für einen Werbungskostenabzug des Arbeitszimmers nicht vor, so kann auch bei fehlendem aktiven Beschäftigungsverhältnis kein Werbungskostenabzug erfolgen.
Ein unbegrenzter Werbungskostenabzug ist gem. § 4 Abs. 5 Nr. 6b S. 3, 2. HS EStG nur möglich, wenn die Tätigkeit im häuslichen Arbeitszimmer den Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit darstellt. Der Mittelpunkt einer Betätigung ist dort gegeben, wo diejenigen Handlungen vorgenommen und Leistungen erbracht werden, die für den konkret ausgeübten Beruf wesentlich und prägend sind (BFH-Urteil vom 13. November 2002 VI R 82/01, BFH/NV 2003, 688). Nach dieser Rechtsprechung bestimmt sich der Mittelpunkt nach dem inhaltlichen (qualitativen) Schwerpunkt der Betätigung des Steuerpflichtigen. Dieser ist im Zusammenhang mit einer Wertung der Gesamttätigkeit festzustellen. Die für Beamte der Finanzverwaltung prägenden Tätigkeiten werden jedoch zum ganz überwiegenden Teil in den Ämtern vorgenommen. Nach einer Reaktivierung der Klägerin müsste diese mit einer Tätigkeit im Innendienst eines Amtes bzw. einer Prüfertätigkeit rechnen. Für beide Einsatzbereiche ist jedoch nicht die häusliche Arbeit prägend, sondern die Tätigkeit im Amt selbst oder die Prüfung vor Ort bei anderen Ämtern bzw. Steuerpflichtigen. Es erscheint nicht sachgerecht, bei vorübergehend nicht berufstätigen Personen die von ihnen (künftig) ausgeübte Tätigkeit außer Betracht zu lassen. Dies würde zu einer nicht gerechtfertigten Begünstigung dieses Personenkreises gegenüber den berufstätigen Personen führen, der von der Zielsetzung des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b EStG nicht gedeckt ist. Ein unbegrenzter Werbungskostenabzug ist deshalb nicht möglich.
Da der Klägerin zudem von einem künftigen Arbeitgeber im öffentlichen Dienst ein Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden würde und es nicht überzeugt, dass sie neben der von ihr angestrebten Vollzeittätigkeit nochmals mindestens dieselbe Zeit im häuslichen Arbeitszimmer tätig werden würde, kann ihr auch ein beschränkter Werbungskostenabzug gem. § 9 Abs. 5 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6 b S. 2, 3 EStG nicht gewährt werden. Während ihrer früheren Tätigkeit hat sie ihr häusliches Arbeitszimmer nur für ca. 10 bis 15 Stunden wöchentlich genutzt. Von einer Nutzung in diesem Umfang könnte bei einer Reaktivierung ebenfalls ausgegangen werden. Da auf die künftige Tätigkeit abzustellen ist, kann nicht die im Streitjahr vorgenommene Nutzung von mind. 20 Stunden pro Woche zugrunde gelegt werden. Eine solche wäre auch aufgrund der ggf. noch auftretenden Fahrzeiten der Klägerin zu einer künftigen Arbeitsstätte unrealistisch.
Ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang der Nutzung des Arbeitszimmers mit der Ende...aufgenommenen selbständigen Tätigkeit ist nicht gegeben, da sich die Klägerin im Streitjahr in erster Linie um eine Reaktivierung bei der Verwaltung bemüht hat. Außerdem beträgt der zeitliche Abstand ca. 5 Jahre und die Klägerin wurde zwischenzeitlich kurzfristig reaktiviert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Der Senat hat die Revision gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassen, da die Frage des Werbungskostenabzugs gem. §§ 9 Abs. 5, 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG für ein häusliches Arbeitszimmer in einem Zeitraum, in dem keinem aktiven Beschäftigungsverhältnis nachgegangen wird, grundsätzliche Bedeutung hat.