Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 20.12.2004, Az.: 1 A 749/03
Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes; Rücknahme eines bestandskräftigen rechtswidrigen belastenden Verwaltungsaktes; Anspruch auf Aufhebung eines bestandskräftigen Bescheides und Verpflichtung der Behörde zur Neubescheidung; Festhalten an dem bestandskräftigen Verwaltungsakt durch die Behörde als Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 20.12.2004
- Aktenzeichen
- 1 A 749/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 24825
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2004:1220.1A749.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 48 Abs. 1 VwVfG
- § 3 Abs. 2 PBefAusglV
- Art. 3 GG
Verfahrensgegenstand
Gewährung von Ausgleichsleistungen
Prozessgegner
Bezirksregierung Lüneburg,
Auf der Hude 2, 21339 Lüneburg
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Die Rücknahme eines bestandskräftigen rechtswidrigen belastenden Verwaltungsaktes steht im Ermessen der Behörde.
- 2.
Ein Anspruch auf Aufhebung des bestandskräftigen Bescheides und eine Verpflichtung der Behörde zur Neubescheidung kommt nur dann in Betracht, wenn das Ermessen der Behörde derart eingeschränkt ist, dass jede andere Entscheidung offenkundig falsch wäre.
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Stade - 1. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 20. Dezember 2004
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts Schmidt,
den Richter am Verwaltungsgericht Steffen,
den Richter Clausen sowie
die ehrenamtlichen Richter E. und F.
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, soweit nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Tatbestand
Die Klägerin ist Betreiberin eines Linienverkehrs. Sie verfolgt nach § 45 a PBefG Ausgleichsansprüche für die Beförderung von Personen mit verbilligten Zeitfahrausweisen des Ausbildungsverkehrs gegenüber dem Land Niedersachsen. Für die Bewilligung der Leistungen war seit 1991 die Beklagte zuständig.
Für die Jahre 1991 bis 1996 stellte die Klägerin jeweils Ausgleichsanträge, in denen sie auf amtlich vorgeschriebenen Formblättern die Höhe der zu bewilligenden Beträge bezifferte und mit dem notwendigen Zahlenmaterial versah. In sämtlichen Fällen ließ sie die Angaben und das Ausgleichsrechenwerk durch Wirtschaftsprüfer bestätigen. Die Beklagte setzte die Ausgleichsleistungen auf der Grundlage der eingereichten Erklärungen jeweils durch Bescheide fest, die sie mit einem Vorläufigkeitsvermerk versah. Dabei nahm sie in den für die Jahre 1991 bis 1995 ergangenen vorläufigen Bescheiden Kürzungen an den geltend gemachten Beträgen vor. Zwischen den Beteiligten bestanden unterschiedliche Auffassungen über die Zählung und Gewichtung der ausgegebenen Zeitfahrausweise, die Bestimmung der mittleren Reiseweite, den Verbundzuschlag und den anzuwendenden, erst durch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Dezember 1997 näher geklärten Kostensatz je Personenkilometer. Es fanden darüber Besprechungen zwischen den Beteiligten statt, über deren Verlauf Aktenvermerke vorliegen.
Am 27. Mai 1997 stellte die Klägerin den Antrag auf Gewährung der Ausgleichsansprüche für das Jahr 1996. Unter dem Datum des 25. September 1997 erließ die Beklagte für die Antragsjahre 1991 bis 1996 jeweils einen als endgütig bezeichneten Bescheid. Nach dem in diesem Verfahren maßgeblichen Bescheid für das Jahr 1996 wurden der Klägerin 5.438.219,00 DM bewilligt. Die Klägerin hatte demgegenüber 6.285.885,00 DM Ausgleichssumme beantragt. In diesem das Jahr 1996 betreffenden Bescheid vom 25. September 1997 waren Erläuterungen zur Ermittlung der mittleren Reiseweite enthalten. Die Beklagte führte aus, dass die von der Klägerin vorgeschlagene Form der Ermittlung der mittleren Reiseweite, bei der die durchschnittlichen mittleren Reiseweiten einer jeder Kartenart auf die gesamten Beförderungsfälle bezogen würden, nicht erfolgen könne. Bei den der Ermittlung zugrunde liegenden Monaten Februar, Mai und September fielen im Bereich der Schülersammelzeitkarten nur Monatskarten an. Wochenkarten würden nur aus dem Bereich des freien Verkaufs berücksichtigt, die in der Regel eine höhere mittlere Reiseweite aufwiesen. Das der Berechnung zugrunde liegende Verhältnis betrage 2,54 % Wochenkarten zu 97,46 % Monatskarten. Bei den Beförderungsfällen betrage das Verhältnis 10,17 % Wochenkarten zu 89,83 % Monatskarten, ermittelt auf der Abrechnungsgrundlage 1995.
Am 20. Oktober 1997 legte die Klägerin gegen die Ausgleichsbescheide vom 25. September 1997 für die Jahre 1991 bis 1996 Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 12. März 1998 begründete die Klägerin den Widerspruch damit, dass die Bescheide nicht bzw. betreffend das Jahr 1996 unzureichend begründet worden seien. Die erheblichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe seien nicht ordnungsgemäß mitgeteilt worden. Diese Mitteilung sei auch nicht entbehrlich. Die Klägerin kenne die Sach- und Rechtsauffassung der Beklagten nicht, diese sei für sie auch nicht ohne Weiteres erkennbar. Die Beklagte habe abgesehen davon die Wichtungsfaktoren offensichtlich nicht einheitlich angewendet. Zur Rechtmäßigkeit des Bescheides für das Jahr 1996 könne sich die Klägerin wegen der unzureichenden Begründung nicht abschließend äußern.
Mit Bescheid vom 9. September 1999 wies die Beklagte die Widersprüche im Wesentlichen zurück. Über die Zahlen und deren Gewichtung sei zur Gewinnung plausibler Ergebnisse mit der Klägerin Einigkeit erzielt worden. Die Berechnung in den Bescheiden beruhe daher nicht nur auf Einvernehmen, sondern sei auch richtig.
Am 12. Oktober 1999 hatte die Klägerin Klage gegen die Bescheide erhoben, soweit der Zeitraum von 1991 bis 1995 betroffen war (1 A 1673/99). Im Rahmen des Rechtsstreits bezüglich dieses Zeitraumes hatte die Kammer in der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2002 zum Ausdruck gebracht, dass die Bescheide rechtswidrig seien, weil sie den sich aus § 8 der Verordnung über den Ausgleich gemeinwirtschaftlicher Leistungen im Straßen-Personenverkehr - PBefAusglV - vom 2. August 1977 sowie den aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht ergebenden Begründungszwang nicht entsprächen. Im Rahmen eines Vergleichs mit der Klägerin verpflichtete die Beklagte sich sodann, die Ausgleichsleistungen für die Jahre 1991 bis 1995 neu zu bescheiden und dabei eine Wichtung der Jahreskarten im Verhältnis 6 : 26 : 240 vorzunehmen, wobei der Berechnung nur die tatsächlich verkauften Karten zugrunde zu legen waren. Im Anschluss daran setzte die Beklagte mit Bescheid vom 26. März 2002 die Ausgleichsleistungen für die Jahre 1991 bis 1995 neu fest, wobei wegen der fehlenden genauen Werte hinsichtlich der tatsächlich verkauften Jahreskarten letztlich eine Einigung zwischen den Parteien erzielt wurde, dass der unabhängig von der Berechnung der mittleren Reiseweite vorgenommenen Zählung nur die Anzahl der Jahreskarten aus den Angaben für die Ermittlung der Beförderungsfälle zugrunde gelegt werden sollten. Für das Jahr 1996 erfolgte keine Neuberechnung, weil dieses Jahr nicht Gegenstand der Klage und des Vergleichs war.
Mit ihrem am 18. April 2002 bei der Beklagten eingegangenen Antrag vom 11. April 2002 beantragte die Klägerin die Teilrücknahme des Bescheides über die Ausgleichsleistungen für 1996. Ihrem Antrag vom 27. Mai 1997 sei eine einheitliche Wichtung von 6 : 26 : 240 zugrunde gelegt worden. Die Beklagte sei von diesem Antrag abgewichen und habe im Bereich der Jahreskarten mit 20 statt mit 240 gewichtet. Dabei habe sie die Anzahl der von der Antragstellerin angegebenen Jahreskarten mit der Ziffer 20 multipliziert, ohne eine Begründung für diesen Faktor abgegeben zu haben. In dem gerichtlichen Vergleich, der die Jahre 1991 bis 1995 betroffen habe, sei dann nach rechtlicher Wertung durch das Gericht für den gesamten Zeitraum der in der Verordnung vorgegebene Verhältnissatz von 6 : 26 : 240 unter Zugrundelegung der tatsächlich verkauften Karten vereinbart worden. Daher sei davon auszugehen, dass auch der Bescheid für 1996 rechtswidrig sei, sodass der Bescheid zurückzunehmen ist. Die Bescheide für 1991 bis 1995 seien im Gegensatz zu dem Bescheid zu 1996 gerichtlich angegriffen worden, weil mit diesen Bescheiden von den den vorläufigen Bescheiden zugrunde liegenden, für die Antragsgegnerin verbindlichen Wichtungsfaktoren und Berechnungen abgewichen und hierdurch das Vertrauen der Antragstellerin in die ursprünglichen Bescheide verletzt worden sei. Für das Jahr 1996 sei dagegen von vornherein ein endgültiger Bescheid ergangen, sodass die Antragstellerin davon ausgegangen sei, dass für 1996 Rückzahlungen nicht geltend gemacht werden könnten.
Mit Bescheid vom 28. Januar 2003 lehnte die Beklagte den Antrag auf Teilrücknahme des Bescheides vom 25. September 1997 für das Jahr 1996 ab, nachdem sie die Klägerin mit Schreiben vom 15. Oktober 2002 angehört hatte. Auf die Rücknahme des Verwaltungsaktes bestehe kein Anspruch. Ein solcher könne sich lediglich dann ergeben, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliege. Das sei vorliegend nicht der Fall.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 21. Februar 2003 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Bescheid vom 10. April 2003 zurückgewiesen hat.
Am 13. Mai 2003 hat die Klägerin Klage erhoben, die sie mit Schriftsatz vom 13. Juni 2003 begründet hat. Der Verwaltungsakt vom 15. September 1997 sei rechtswidrig, weil bei der Wichtung der Jahreskarten das Verhältnis 6 : 26 : 240 (Wochenkarte : Monatskarte : Jahreskarte) zugrunde zu legen sei. Dies werde auch von der Beklagten nicht bestritten. Die Rücknahme stehe zwar grundsätzlich im Ermessen der Beklagten, hier liege jedoch eine Ermessensreduzierung vor, sodass die Beklagte dem Antrag auf Teilrücknahme zu entsprechen habe. Das Festhalten an dem Bescheid sei für die Klägerin unzumutbar, weil ihr ein nicht unerheblicher finanzieller Schaden entstanden sei. Die Beklagte habe darüber hinaus den rechtswidrigen Bescheid selbst durch in dem Verfahren deutlich gewordene mangelnde Kenntnisse der Materie verursacht. Die Rücknahme erfolge auch im öffentlichen Interesse, weil nur so ein gesetzmäßiger Zustand hergestellt werden könne. Fiskalische Interessen könnten demgegenüber nicht ins Gewicht fallen. Im Übrigen wäre die Beklagte zu verpflichten, den Antrag der Klägerin neu zu bescheiden, denn die Beklagte habe ihr Ermessen in dem Ablehnungsbescheid vom 28. Januar 2003 nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Soweit die Beklagte zur Begründung anführe, dass die Rücknahme die Vorschriften über die Rechtsbehelfsfristen aushöhlen würde, vermöge das nicht zu überzeugen, weil dabei zu berücksichtigen sei, aus welchem Grunde auf die Einlegung des Rechtsmittels verzichtet worden sei. Im vorliegenden Fall habe die Klägerin Klage lediglich für die Zeiträume 1991 bis 1995 erhoben, weil es in dem vorangegangenen Rechtsstreit auch um die Rechtmäßigkeit vorläufiger Bescheid gegangen sei. Es wäre im Übrigen unbillig, wenn die Klägerin auf Grund der unzutreffenden rechtlichen Beurteilung durch die damalige Sachbearbeiterin benachteiligt würde. Daher wiege der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im vorliegenden Fall schwerer als der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Januar 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom April 2003, den Bescheid der Beklagten vom 25. September 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. September 1999 insoweit zurückzunehmen, als der Ausgleich für gemeinwirtschaftliche Leistungen im Straßenverkehr gemäß § 45 a BPefG in Verbindung mit BPefAusglV für das Kalenderjahr 1996 betroffen ist und diesen Ausgleichsbetrag in Höhe von 3.029.673,80 EUR festzusetzen.
Hilfsweise beantragt die Klägerin,
die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin vom 11. April 2002 auf Teilrücknahme des Bescheides vom 25. September 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. September 1999 nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt die ergangenen Bescheide und meint, dass der Klägerin ein Anspruch auf Teilrücknahme des Bescheides vom 25. September 1994 nicht zusteht. Die Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Bescheides sei nicht nur auf die mangelnden Kenntnisse der Rechtsmaterie der Sachbearbeiterin zurückzuführen gewesen, sondern auch auf unklare Angaben und fehlende Mengennachweise auf Seiten der Klägerin. Im Übrigen habe es sich bei dem rechtswidrigen Bescheid lediglich um die Folge fehlerhafter Rechtsanwendung gehandelt, was tatbestandlich Voraussetzung für die Möglichkeit einer Rücknahme sei. Die Klägerin habe aber gegen Bescheid seinerzeit Widerspruch eingelegt und ausdrücklich die fehlende Begründung des Bescheides gerügt, sie habe dann jedoch in der Folge auf eine Klageerhebung verzichtet und Klage lediglich für die vorangegangenen Zeiträume erhoben. Dies habe sie allein zu verantworten. Ein Anspruch auf Neubescheidung stehe der Klägerin ebenfalls nicht zu. Die Beklagte habe in dem angefochtenen Bescheid ihre Ermessenserwägungen ausführlich dargestellt. Ergänzend sei noch darauf hinzuweisen, dass die Klägerin sich auf einen besonderen Vertrauensschutz bezüglich der Korrektheit des Bescheides nicht berufen kann. Einem derartigen Vertrauen stehe bereits die Einlegung des Widerspruchs gegen diesen Bescheid entgegen. Im Übrigen spreche gegen die Aufhebung des Bescheides der Grundsatz der Rechtssicherheit. Der Bescheid sei bestandskräftig geworden, eine Rücknahme würde lediglich zu einer Umgehung der Rechtsbehelfsfristen zugunsten der Klägerin führen. Eine Neufestsetzung entsprechend der im Vergleich in dem Verfahren 1 A 1673/99 getroffenen Regelung werde sich auch nicht nur auf die Vornahme einer anderen Wichtung bezüglich der Jahreskarten bei der Berechnung der mittleren Reiseweite, sondern auch auf die Feststellung der tatsächlich verkauften und im Rahmen der Zählzeiträume verwendeten Jahreskarten beziehen müssen. Bereits für die Jahre 1991 bis 1995 sei dies nicht festzustellen gewesen. Für 1996 lägen entsprechende Nachweise ebenfalls nicht vor. Nachermittlungen dürften nach mehr als sechs Jahren Zeitablauf kaum mehr möglich sein. Die Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Bescheides sei auf Grund der Unzulänglichkeiten der von der Klägerin gelieferten Daten daher auch keinesfalls offensichtlich gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streitakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und auf den Inhalt der Akte 1 A 1673/99 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Der Klägerin steht kein Anspruch auf Abänderung des bestandskräftigen Bescheides der Beklagten vom 25. September 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. September 1999 zu. Daher kann sie weder mit ihrem Haupt-, noch mit ihrem Hilfsantrag durchdringen.
Ein Anspruch auf Teilrücknahme des bestandskräftigen Bescheides ergibt sich nicht aus § 48 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG -. Nach dieser Vorschrift kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt) darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Im vorliegenden Fall begehrt die Klägerin die Abänderung des bestandskräftigen Bescheides deshalb, weil ihr mit dem Bescheid eine geringere Ausgleichsleistung für gemeinwirtschaftliche Leistungen im Straßenverkehr bewilligt wurde, als sie beantragt hatte. Daher enthält der grundsätzlich begünstigende Verwaltungsakt zugleich eine Teilablehnung, sodass der Bescheid insoweit als belastender Verwaltungsakt anzusehen ist. Die in § 48 Abs. 1 Satz 2 enthaltenen Beschränkungen der Rücknahme sind daher im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Die begehrte Rücknahme richtet sich daher nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, sodass sie im Ermessen der Beklagten steht, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig ist.
Die Kammer hat in der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2002 bezüglich der Bescheide für den Zeitraum 1991 bis 1995 zu erkennen gegeben, dass sie diese bereits deshalb für rechtswidrig hielte, weil sie dem sich aus § 8 der Verordnung über den Ausgleich gemeinwirtschaftlicher Leistungen im Straßenverkehr (PBefAuslgV - vom 2. August 1997 -, BGBl. I S. 1460) ergebenden Begründungszwang nicht entspreche und hat zugleich erklärt, dass auf eine Begründung im vorliegenden Fall nicht verzichtet werden könne, weil sich das Ergebnis der festgesetzten Ausgleichsleistungen auch aus dem Studium der Akten nicht zweifelsfrei ergebe. Hinsichtlich des Bescheides vom 25. September 1997 über die Ausgleichszahlungen für das Jahr 1996 gilt insoweit nichts anderes, obwohl die Beklagte in diesem Bescheid erstmals Ausführungen zur mittleren Reiseweite gemacht hat. Aus der Begründung dieses Bescheides lässt sich jedoch nicht zweifelsfrei entnehmen, aus welchen Gründen eine Teilablehnung erfolgte. Vielmehr wird hinsichtlich der Einzelheiten der Berechnung lediglich auf die wieder beigefügte Ausfertigung des Antrages Bezug genommen. Im Übrigen beruht das Ergebnis des Bescheides offenbar auf zuvor zwischen den Parteien geführten Besprechungen. Tatsächlich wäre es im Falle einer Anfechtung des Bescheides für das Jahr 1996 aus denselben Gründen zu einer Aufhebung und einer Verpflichtung zur Neubescheidung durch die Beklagte gekommen. Daher kann auch in diesem Verfahren von der Rechtswidrigkeit auch des Bescheides für 1996 ausgegangen werden.
Ein Anspruch auf Rücknahme des Bescheides steht der Klägerin jedoch nicht zu. Die Rücknahme eines bestandskräftigen rechtswidrigen belastenden Verwaltungsaktes steht im Ermessen der Behörde. Die Beklagte hat vorliegend, wie sich aus dem Bescheid vom 28. Januar 2003 zweifelsfrei ergibt, erkannt, dass sie ihr Ermessen auszuüben hat und dargestellt, dass vorliegend eine Rücknahme des Bescheides nicht in Betracht komme. Dabei hat die Beklagte berücksichtigt, dass der Bescheid, mit dem die Ausgleichsleistungen für das Jahr 1996 festgesetzt wurden, fehlerhaft sei, weil die Wichtung nicht entsprechend dem § 3 Abs. 2 PBefAusglV vorgenommen wurde. Die Abweichung der Wichtung der Jahreskarten habe jedoch darauf beruht, dass die Angaben der Klägerin zu den verkauften Jahreskarten unzutreffend gewesen sei. Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Daten habe dann auch im Vergleich vor dem Verwaltungsgericht seinen Niederschlag gefunden, weil die in der Verordnung vorgesehene Wichtung nur unter Zugrundelegung der tatsächlich verkauften Karten angewendet werden soll. Für die Rücknahme des Bescheides spreche, dass die Klägerin für 1996 voraussichtlich einen höheren Ausgleichsbetrag hätte erhalten müssen, gegen die Rücknahme spreche allerdings, dass die Klägerin die Rechtsbehelfsfrist trotz anwaltlicher Beratung ungenutzt verstreichen ließ, sodass der Bescheid bestandskräftig geworden sei. Es sei nicht erkennbar, warum nur gegen die Bescheide der Jahre 1991 bis 1995 Klage erhoben worden sei. Auf einen besonderen Vertrauensschutz könne sich die Klägerin nicht berufen. Daher sei hier der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit schwer wiegender als der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Etwas anderes würde sich allenfalls dann ergeben, wenn der Rechtsverstoß so offensichtlich war, dass keine andere Entscheidung als die Aufhebung in Betracht komme.
Die Beklagte hat somit ihr Ermessen erkannt und ausgeübt. Es ist auch nicht festzustellen, dass die von der Beklagten vorgetragenen Gründe etwa sachwidrig wären und nicht dem Zweck des ihr eingeräumten Ermessens entsprächen.
Ein Anspruch der Klägerin auf Aufhebung des bestandskräftigen Bescheides und eine Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung kommt nur dann in Betracht, wenn das Ermessen der Behörde derart eingeschränkt ist, dass jede andere Entscheidung offenkundig falsch wäre. Dies wird zum einen angenommen, wenn eine Behörde sich durch häufigere Stattgabe gleich gelagerter Anträge selbst gebunden hätte (Art. 3 GG), wenn aus anderen Gründen ein Aufrechterhalten des Verwaltungsaktes schlechthin unerträglich wäre (BVerwG, 44, 336; BVerwGE, NVwZ 1985, 265), oder wenn Umstände vorliegen, die ein Festhalten am Verwaltungsakt als Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben erscheinen ließe (BVerwGE, NVwZ 1985, 265; VHG Baden-Württemberg, NVwZ 1989, 884 [VGH Baden-Württemberg 31.01.1989 - 9 S 1141/88]).
Eine Selbstbindung der Beklagten durch bisheriges Verwaltungshandeln liegt hier nicht vor. Diese kann insbesondere nicht aus der in der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2002 für die Jahre 1991 bis 1995 getroffenen vergleichsweisen Regelung hergeleitet werden. Hierbei handelte es sich ganz offenkundig um einen Einzelfall der Aufhebung eines als rechtswidrig erkannten Verwaltungsaktes mit der Absicht, weitere Auseinandersetzungen zu vermeiden. Zudem handelte es sich schon deshalb nicht um einen vergleichbaren Fall, weil die Bescheide für 1991 bis 1995 nicht in Bestandskraft erwachsen waren, die Aufhebung erfolgte vielmehr im Rahmen eines anhängigen Rechtsmittelverfahrens. Daraus kann eine Selbstbindung für die Anwendung des § 48 VwVfG keinesfalls hergeleitet werden.
Eine Ermessensreduzierung mit der Folge der Entstehung eines Aufhebungsanspruches ergibt sich auch nicht daraus, dass das Aufrechterhalten des Verwaltungsaktes für die Klägerin schlechthin unerträglich wäre. Tatsächlich würde sich für die Klägerin nach ihrer eigenen Berechnung ein für das Jahr 1996 um 249.156,60 EUR höherer Ausgleichsanspruch ergeben. Bei diesem Betrag handelt es sich zweifellos um einen auch für die Klägerin nicht geringen Betrag, es sind jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich durch die Aufrechterhaltung des insoweit ablehnenden Bescheides etwa eine Existenzgefährdung der Klägerin ergeben könnte. Bei dieser Bewertung kann im Übrigen nicht außer Acht gelassen werden, dass die offensichtlich vorhandenen, durch die fehlerhafte Entscheidung entstandenen finanziellen Nachteile für die Klägerin sich nicht etwa erst durch nachträglich (nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheides) eingetretene, veränderte Umstände ergeben haben, sondern dass dies von vornherein für die Klägerin ersichtlich war, als die Beklagte ihrem Antrag nicht in vollem Umfang entsprochen hatte. Die Klägerin war nicht nur anwaltlich, sondern auch von einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vertreten bzw. unterstützt worden und sie hat auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2002 keinerlei Bemühungen unternommen, etwa die Ausgleichsleistungen für das Jahr 1996 mit in den Vergleich einzubeziehen, obwohl sich dies jedenfalls im Falle einer gravierenden Existenzgefährdung geradezu aufgedrängt hätte.
Die Klägerin kann den Anspruch auch nicht darauf stützen, dass ein Festhalten an dem bestandskräftigen Verwaltungsakt durch die Beklagte als Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben angesehen werden könnte. Zwar wird dies angenommen, wenn die Behörde durch ihr eigenes Verhalten in vorwerfbarer Weise dazu beigetragen hat, dass der Betroffene den Verwaltungsakt unanfechtbar werden ließ (OVG Münster, NVwZ 1986, 134, 135). Diese kann jedoch im Gegensatz zu der Auffassung der Klägerin nicht bereits daraus gefolgert werden, dass, wie sie darstellt, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes offensichtlich sei. Vielmehr muss in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden, dass die Klägerin den Bescheid vom 25. September 1997 mit ihrem Widerspruch vom 15. Oktober 1997 angegriffen hat und in dem Begründungsschreiben vom 12. März 1998 ausdrücklich auf die Frage eingegangen ist, dass die Beklagte im Rahmen der Begründung des Bescheides lediglich auf die Wichtung der Monats- zu den Wochenkarten eingegangen ist, während eine Erläuterung der Berechnung der Jahreskarten fehle. In ihrem Widerspruchsbescheid vom 9. September 1999 hat die Beklagte sodann den Widerspruch mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass sie die Wichtung 6 : 26 : 20 im Einvernehmen mit der Klägerin hinsichtlich der Gültigkeitsdauer der Jahreskarten festgelegt habe. Gemeinsam sei Einigkeit erzielt worden, die Zahl der Jahreskarten, die tatsächlich in einer weitaus geringeren Zahl als angegeben verkauft worden seien, mit dem Wert eines Monats (240 : 12 = 20) in die Berechnung einzubeziehen. Wegen der nicht nachvollziehbar hohen Zahl von Jahreskarten sei die Wichtung 20 für die Geltungsdauer der Jahreskarten letztlich auch im Interesse der Klägerin vorgenommen worden. Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin sodann trotz zutreffender Rechtsmittelbelehrung keine Klage erhoben. Bei dieser Sachlage kann keinesfalls angenommen werden, dass ein Festhalten an der Bestandskraft des Bescheides gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben verstieße. Ein Vergleich mit dem vom Oberverwaltungsgericht Münster entschiedenen Fall, in dem es um die klare Verletzung von sich aus § 25 VwVfG statuierten allgemeinen Beratungs- und Auskunftspflichten gegenüber der Tochter von aus der Sowjetunion verschleppten Menschen ging, die Leistungen nach dem Häftlingshilfegesetz beanspruchten, kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht.
Andere Ansprüche, die zu einer Durchbrechung der Bestandskraft des ergangenen Bescheides führen könnten, liegen ersichtlich nicht vor, sodass die Klage mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzuweisen war. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit § 711, 708 Nr. 11 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 249.156,60 Euro festgesetzt.
Steffen, Richter
Clausen, Richter