Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 04.04.2001, Az.: 3 K 415/00

Bestandteile der Summe der anderen Einkünfte; Berücksichtigung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
04.04.2001
Aktenzeichen
3 K 415/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 24224
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2001:0404.3K415.00.0A

Fundstelle

  • EFG 2001, 1022-1023 (Volltext mit red. LS)

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Summe der anderen Einkünfte der Klägerin i.S.d. § 3 Nr. 39 Einkommensteuergesetz (EStG) 1999 in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402) und in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 388) positiv ist.

2

Die Kläger sind verheiratet. Sie werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Im Streitjahr erzielten die Kläger Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Bruttoarbeitslohn des Klägers betrug ... DM. Die Klägerin war als ... im ... (Arbeitgeberin) tätig. In der Zeit vom 1. Januar 1999 bis zum 31. März 1999 war die Klägerin sozialversicherungspflichtig bei der Arbeitgeberin beschäftigt. Sie erhielt für diese Zeit insgesamt einen Bruttoarbeitslohn von ... DM. Nach der Lohnsteuerkarte 1999 behielt die Arbeitgeberin von diesem Bruttoarbeitslohn Lohnsteuer in Höhe von ... DM ein. Der Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag betrug ... DM.

3

Anfang April 1999 beantragte die Klägerin beim beklagten Finanzamt (FA) gem. § 39a Abs. 6 EStG die Erteilung einer Bescheinigung zur Steuerfreistellung des Arbeitslohns für ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis. In ihrem Antrag machte die Klägerin keine Angaben zu ihren weiteren Einkünften im Kalenderjahr 1999, obwohl der Antragsvordruck ausdrücklich nach weiteren Einkünften des Antragstellers fragt. Das FA stellte der Klägerin daraufhin die beantragte Bescheinigung aus.

4

In der Zeit vom 1. April 1999 bis zum 31. Dezember 1999 war die Klägerin bei der Arbeitgeberin geringfügig beschäftigt i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV). Die Arbeitgeberin zahlte der Klägerin den Arbeitslohn für diese Zeit von insgesamt 5.670,00 DM auf Grund der ihr vorgelegten Bescheinigung des FA lohnsteuerfrei aus.

5

Mit Bescheid vom 6. Juli 2000 setzte das FA gegenüber den Klägern die Einkommensteuer 1999 auf ... DM fest. Dabei erfasste das FA u.a. Einkünfte der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit von DM, indem es neben dem auf der Lohnsteuerkarte ausgewiesenen Bruttoarbeitslohn von ... DM zusätzlich den Arbeitslohn aus der geringfügigen Beschäftigung berücksichtigte ( ... DM zuzügl. ... DM abzügl. Arbeitnehmerpauschbetrag von 2.000,00 DM). Gegen diesen Bescheid legten die Kläger Einspruch ein, den das FA mit Einspruchsbescheid vom 31. August 2000 als unbegründet zurückwies. Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage.

6

Die Kläger meinen, zu Unrecht habe das FA den Arbeitslohn aus der geringfügigen Beschäftigung als steuerpflichtigen Arbeitslohn behandelt. Der Arbeitslohn der Klägerin sei ab 1. April 1999 nach§ 3 Nr. 39 EStG steuerfrei, da die anderen positiven Einkünfte der Klägerin außerhalb des Zeitraums erzielt worden seien, in dem das geringfügige Beschäftigungsverhältnis bestanden habe.

7

Die Kläger beantragen,

unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 1999 vom 6. Juli 2000 und unter Aufhebung des Einspruchsbescheids vom 31. August 2000 die Einkommensteuer auf  ... DM herabzusetzen.

8

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Das FA meint, dass im Rahmen des § 3 Nr. 39 EStG sämtliche Einkünfte des jeweiligen Veranlagungszeitraums zu berücksichtigen seien, da es sich bei der Einkommensteuer um eine Jahressteuer handele.

10

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf eine mündliche Verhandlung vor dem Senat verzichtet.

Gründe

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Die Klage ist unbegründet.

12

Zu Recht hat das FA im Einkommensteuerbescheid 1999 bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit auch den Arbeitslohn für den Zeitraum vom 1. April 1999 bis zum 31. Dezember 1999 aus der geringfügigen Beschäftigung erfasst. Nach § 3 Nr. 39 EStG ist das Arbeitsentgelt aus einer geringfügigen Beschäftigung i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV, für das der Arbeitgeber Beiträge nach§ 168 Abs. 1 Nr. 1b oder nach § 172 Abs. 3 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SBG VI) zu entrichten hat, nur steuerfrei, wenn die Summe der anderen Einkünfte des Arbeitnehmers nicht positiv ist. Stellt sich nachträglich heraus, dass Arbeitslohn auf Grund einer Bescheinigung nach § 39a Abs. 6 EStG zu Unrecht lohnsteuerfrei ausgezahlt worden ist, weil die Summe der anderen Einkünfte positiv ist, so ist nach § 46 Abs. 2a EStG eine Veranlagung durchzuführen. Bei verheirateten geringfügig Beschäftigten bleiben dabei im Rahmen des § 3 Nr. 39 EStG die anderen positiven Einkünfte des Ehegatten unberücksichtigt (Handzik/Littmann, EStG, 46. Lfg. Februar 2001, § 3 Rz. 1328).

13

Im Streitfall hat sich nachträglich herausgestellt, dass die Summe der anderen Einkünfte der Klägerin positiv ist. Denn im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 1999 erfuhr das FA erstmals, dass die Klägerin in der Zeit vom 1. Januar 1999 bis zum 31. März 1999 positive Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielte. Diese positiven Einkünfte der Klägerin sind, entgegen der Ansicht der Kläger, auch im Rahmen des § 3 Nr. 39 EStG zu berücksichtigen.

14

1.

Für die Frage, ob die Summe der anderen Einkünfte i.S.d. § 3 Nr. 39 EStG positiv ist, ist auf den gesamten betroffenen Veranlagungszeitraum und nicht auf einzelne Teile des Veranlagungszeitraums abzustellen (Kuhlmann/Frotscher, EStG, 96. Lfg. 10/99,§ 3 Rz. 198h).

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Dies gilt auch für den Veranlagungszeitraum 1999, obwohl die Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse nach Art. 19 des Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse erst zum 1. April 1999 in Kraft getreten ist (vgl. Handzik/Littmann, EStG, § 3 Rz. 1335; aA Kuhlmann/Frotscher, EStG, § 3 Rz. 198h). Dies ergibt sich aus der nur für den Veranlagungszeitraum 1999 geltenden Sonderregelung des§ 52 Abs. 7 EStG. Nach § 52 Abs. 7 EStG bleibt bei der Anwendung des § 3 Nr. 39 EStG im Veranlagungszeitraum 1999 nur versicherungsfreies Arbeitsentgelt aus einer geringfügigen Beschäftigung i.S.d.§ 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV aus dem 1. Quartal 1999 außer Ansatz. Diese Übergangsregelung für das 1. Quartal 1999 wäre jedoch überflüssig, wenn im Veranlagungszeitraum 1999 bei der Steuerfreistellung nach § 3 Nr. 39 EStG ohnehin nur die nach dem 31. März 1999 bezogenen anderen Einkünfte des Arbeitnehmers zu berücksichtigen wären.

16

2.

Im Streitfall können die Einkünfte der Klägerin aus dem 1. Quartal 1999 auch nicht nach der Übergangsregelung des§ 52 Abs. 7 EStG unberücksichtigt bleiben. Nach§ 52 Abs. 7 EStG bleibt, wie bereits dargelegt, bei der Anwendung des § 3 Nr. 39 EStG im Veranlagungszeitraum 1999 nur versicherungsfreies Arbeitsentgelt aus einer geringfügigen Beschäftigung i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV aus dem 1. Quartal 1999 außer Ansatz. Das Arbeitsentgelt der Klägerin im 1. Quartal 1999 war jedoch kein versicherungsfreies Arbeitsentgelt aus einer geringfügigen Beschäftigung i.S.d.§ 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV.

17

3.

§ 3 Nr. 39 EStG verstößt auch nicht gegen die aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) abgeleiteten Grenzen für die Rückwirkung von Rechtsnormen. Zwar knüpft § 3 Nr. 39 EStG für die Frage der Steuerfreistellung des Arbeitsentgelts aus einer geringfügigen Beschäftigung ab 1. April 1999 rückwirkend auch an die anderen positiven Einkünfte des Arbeitnehmers aus dem 1. Quartal 1999 mit an, sofern es sich nicht um Einkünfte handelt, die nach derÜbergangsregelung des § 52 Abs. 7 EStG unberücksichtigt bleiben. Eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung liegt jedoch regelmäßig nur dann vor, wenn die Rechtsfolgen einer belastenden Rechtsnorm bereits für einen bestimmten, vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum eintreten sollen und damit nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreifen (sog. echte Rückwirkung oder Rückbewirkung von Rechtsfolgen). Demgegenüber liegt eine verfassungsrechtlich mögliche unechte Rückwirkung bzw. tatbestandliche Rückanknüpfung vor, wenn die Norm den Eintritt ihrer Rechtsfolgen von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung abhängig macht und somit lediglich auf gegenwärtige und noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen einwirkt (Bundesverfassungsgericht BVerfG-Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200; Bundesfinanzhof BFH -Urteil vom 12. Oktober 2000 III R 35/95, BFH/NV 2001, 553; Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 9. Aufl. 1999, Art. 20 Rz. 29f.).

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§ 3 Nr. 39 EStG ist jedoch schon keine belastende Rechtsnorm, deren Beurteilung sich nach den verfassungsrechtlichen Grenzen für rückwirkende Gesetze richtet. Denn die Vorschrift stellt, im Gegensatz zur bisherigen Regelung, erstmalig den Arbeitslohn aus einer geringfügigen Beschäftigung unter bestimmten Voraussetzungen ab 1. April 1999 steuerfrei und begünstigt damit ab diesem Zeitpunkt geringfügig Beschäftigte.

19

Darüber hinaus enthält § 3 Nr. 39 EStG auch keine verfassungsrechtlich unzulässige echte Rückwirkung. Denn § 3 Nr. 39 EStG entfaltet für die Zeit vor seinem in Kraft treten keine Rechtsfolgen. Die Vorschrift greift nicht in einen bereits abgewickelten, der Vergangenheit angehörenden Tatbestand ein. Vielmehr hat der Gesetzgeber nur während eines laufenden Veranlagungszeitraums die Besteuerung von Arbeitsentgelten aus einer geringfügigen Beschäftigung geändert, wobei der Eintritt der Rechtsfolgen des § 3 Nr. 39 lediglich auch von Gegebenheiten aus der Zeit vor seiner Verkündung abhängt. § 3 Nr. 39 EStG wirkt somit nur auf gegenwärtige und noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen ein. Diese unechte Rückwirkung bzw. tatbestandliche Rückanknüpfung ist jedoch verfassungsrechtlich unbedenklich.

20

4.

§ 52 Abs. 7 EStG verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Zwar wird nach § 52 Abs. 7 EStG im Veranlagungszeitraum 1999 nur versicherungsfreies Arbeitsentgelt aus einer geringfügigen Beschäftigung aus dem 1. Quartal 1999 bei der Frage der Steuerfreistellung des Arbeitsentgelts aus einer geringfügigen Beschäftigung ab 1. April 1999 nicht mitberücksichtigt. Diese Regelung ist jedoch nicht willkürlich. § 52 Abs. 7 EStG vermeidet vielmehr in sachgerechter Weise, dass Arbeitsentgelte nur deswegen nicht ab 1. April 1999 steuerfrei gestellt werden könnten, weil das Arbeitsentgelt aus derselben geringfügigen Tätigkeit vor dem 1. April 1999 sozialversicherungsfrei war und nur deshalb den für die Steuerfreiheit schädlichen Einkünften zugerechnet werden müsste (Handzik/Littmann, EStG, § 3 Rz. 1323).

21

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).