Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.05.2002, Az.: 1 K 10/02
Kindergeldanspruch, wenn Elternteil mit unzutreffenden Behauptungen beim Familiengericht die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts erschlichen hat
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 14.05.2002
- Aktenzeichen
- 1 K 10/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 14052
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2002:0514.1K10.02.0A
Fundstelle
- FamRB 2002, 352
Tatbestand
Streitig ist, ob der Klägerin weiterhin Kindergeld zusteht, nachdem der Kindesvater durch mutmaßlich unrichtige Tatsachenbehauptungen die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die Tochter erreicht hatte.
Die Klägerin, die am 15. Juli 2001 von Hamburg nach W. verzogen ist, war verheiratet mit Herrn H. Der Ehe entstammt die am 16. Januar 1987 geborene Tochter S., für die die Klägerin seit alters her Kindergeld bezog. Mit Urteil vom 10.11.1998 wurde die Ehe der Klägerin geschieden. In dem Scheidungsurteil wurde die elterliche Sorge den Eltern gemeinschaftlich, das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein der Klägerin übertragen. Die Tochter S lebte in der Folgezeit im Haushalt der Klägerin, die inzwischen wieder verheiratet ist.
Im Mai 2001 schickte die Klägerin ihre Tochter für einen zeitlich begrenzten Aufenthalt zu Herrn H. nach T.. Dieser Aufenthalt verlängerte sich, weil die Klägerin an einer Lungenentzündung erkrankte. Während dieser Zeit beantragte der Kindesvater beim Amtsgericht E. die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für S.. Dabei stützte er sein Begehren auf eine eidesstattliche Versicherung, wonach die Klägerin unberechtigt die Ausstellung eines für eine Reise nach London erforderlichen Kinderausweises verweigere sowie eine weitere eidesstattliche Versicherung, in der es heißt, dass S. mit Einverständnis der Klägerin seit dem 21. Mai 2001 bei ihm wohne. Daraufhin übertrug das Amtsgericht E. mit Beschluss vom 18. Juli 2001 das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Vater. Weiterhin hat Herr H. S. bei der Gemeinde T. mit Hauptwohnsitz angemeldet und selbst Kindergeld für seine Tochter beantragt.
Die Klägerin, die die Richtigkeit der eidesstattlichen Versicherungen bestreitet und zum Beleg eine Kopie des bereits seit längerem existierenden Kinderausweises vorlegt, hat gegen den Beschluss des Amtsgerichts E. Beschwerde eingelegt. Das Verfahren ist derzeit noch beim Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht anhängig.
Nachdem der Beklagte von der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für S. auf den Vater und der Anmeldung des Wohnsitzes in T. erfuhr, hob er mit Bescheid vom 27.September 2001 die Festsetzung des Kindergeldes für S. ab August 2001 auf. Der dagegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.
Im Klageverfahren trägt die Klägerin vor, dass der Kindesvater durch wissentlich unwahre eidesstattliche Versicherungen und damit durch ein strafbares Verhalten den Beschluss des Amtsgerichts E. erwirkt habe. Sie ist der Auffassung, dass in einem durch strafbewehrtes Verhalten erschlichenen Zusammenwohnen zwischen Vater und Tochter keine Haushaltsbegründung im Sinne des § 64 Einkommensteuergesetz (EStG) gesehen werden könne. Sie verweist auf eine Entscheidung des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz, in dem dieses im Falle der Entführung dreier Kinder ins Ausland weiterhin die Haushaltszugehörigkeit im Inland bejaht hat. Dieser Fall sei mit dem Klageverfahren vergleichbar.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Bescheid über die Aufhebung der Festsetzung des Kindergeldes für S. vom 27. September 2001 und die Einspruchsentscheidung vom 4. Dezember 2001 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte vertritt die Auffassung, dass es für die Frage der Haushaltszugehörigkeit ausschließlich auf die tatsächlichen Verhältnisse ankomme, d.h. darauf, in wessen Haushalt das Kind tatsächlich aufgenommen sei. Auf die Rechtmäßigkeit der Aufenthaltsnahme oder den Willen der beiden Elternteile komme es nicht an.
Auf Nachfrage des Gerichts hat die Klägerin mitgeteilt, dass sie ab August 2001 keinen Unterhalt für die Tochter S. geleistet habe.
Im Übrigen wird auf die im Klageverfahren eingereichten Schriftsätze und Unterlagen sowie die Kindergeldakte verwiesen.
Gründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Klägerin steht ab August 2001 kein Kindergeld für ihre Tochter S. mehr zu.
Gem. § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Bei mehreren Berechtigten wird nach § 64 Abs. 2 EStG das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat.
Nach diesen Rechtsvorschriften steht das Kindergeld der Klägerin nicht zu.
Denn S. war in dem streitigen Zeitraum nicht in den Haushalt der Klägerin aufgenommen. Ein Kind ist dann in einen Haushalt aufgenommen, wenn ein auf Dauer gerichtetes Betreuungs- und Erziehungsverhältnis besteht (BFH Urteil vom 20. Juni 2001 VI R 224/98, BFHE 195, 564, BStBl. II 2001, 713). Mit der tatsächlichen Zugehörigkeit der Tochter zum Haushalt des Vaters, mit der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und mit der Anmeldung der Tochter in T. gehörte S. nicht mehr zum Haushalt der Klägerin. Daran hat sich bis zur Gegenwart nichts geändert. Damit hat die Klägerin die Berechtigung zum Bezug von Kindergeld verloren.
An dieser Beurteilung ändert sich auch nichts durch den Umstand, dass der Kindesvater die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts möglicherweise durch unlautere oder sogar strafbare Mittel erreicht hat.
Das ergibt sich zum einen aus dem Umstand, dass das Steuerrecht - Kindergeld wird gem. § 31 S. 3 EStG als Steuervergütung gezahlt, so dass das Steuerverfahrensrecht zur Anwendung kommt, § 155 Abs. 4 Abgabenordnung (AO) - wertungsneutral ist. Dies lässt sich der Regelung des § 40 AO entnehmen, wonach es für die Besteuerung unerheblich ist, wenn ein Rechtsgeschäft gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot oder die guten Sitten verstößt. Von daher ist das mutmaßliche Fehlverhalten des Kindesvaters bei der Erlangung des Aufenthaltsbestimmungsrechts unerheblich für die Frage, wem das Kindergeld zusteht.
Hinzu kommt, dass eine Gewährung von Kindergeld an die Klägerin auch vor dem Hintergrund des Normzwecks der Vorschriften über das Kindergeld nicht gerechtfertigt ist. Mit der Gewährung des Kindergeldes verfolgt der Staat das Ziel, einen Teil der Kosten, die den Eltern durch Pflege und Betreuung der Kinder entstehen, wieder auszugleichen. Im Streitfall sind der Klägerin jedoch keinerlei Kosten mehr entstanden, seit die Tochter S. bei ihrem Vater lebt. Für den Unterhalt von S. ist dieser seither allein aufgekommen. An diesem Umstand kann sich auch rückwirkend nichts mehr ändern, falls das Oberlandesgericht der Klägerin das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Tochter zusprechen sollte. Wenn die Klägerin aber keinen Unterhalt für ihre Tochter leistet, dann ist es nicht gerechtfertigt, dass sie das Kindergeld erhält.
Der Fall ist auch nicht vergleichbar mit jenem, der der Entscheidung des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 7. Februar 2000 5 K 3160/98 zugrunde lag. In diesem ging es um die Frage, ob die Haushaltszugehörigkeit endet, wenn Kinder zwangsweise im Ausland von dem Kindesvater festgehalten werden. Abgesehen von dem Umstand, dass die Tochter S. nicht gegen ihren Willen an der Rückkehr in den Haushalt der Klägerin gehindert wird, unterscheiden sich die Sachverhalte auch dadurch, dass in der Entscheidung des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz nicht über das Problem konkurrierender Kindergeldansprüche beider Elternteile entschieden werden mußte - welches Gegenstand der Klage 1 K 10/02 ist -, weil der im Ausland lebende Vater von vornherein keinen Kindergeldanspruch in Deutschland hatte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.