Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.05.2002, Az.: 1 K 39/00

Fehlerhaft hohe Ansetzung des Einheitswerts eines Grundstücks; Bereinigung der Fehler im Rahmen einer fehlerbeseitigenden Wertfortschreibung

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
28.05.2002
Aktenzeichen
1 K 39/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 14095
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2002:0528.1K39.00.0A

Fundstelle

  • EFG 2002, 1498-1499

Tatbestand

1

Umstritten ist, ob der Beklagte (Finanzamt, FA) verpflichtet ist, eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung nach § 22 Abs. 3 Satz 1 Bewertungsgesetz (BewG) vorzunehmen.

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Die Kläger (Kl.) sind seit 1985 Eigentümer eines Wohnhauses in B., das sie selbst bewohnen. Auf den 01.01.1974 hatte das FA gegenüber den Voreigentümern das Grundstück als Einfamilienhaus bewertet und den Einheitswert (EW) auf 55.700,00 DM festgestellt. Auf den 01.01.1986 hat das FA eine Zurechnungsfortschreibung auf die Kl. durchgeführt. Nach Auslaufen der Grundsteuervergünstigung führte es durch EW-Bescheid vom 04.09.1991 eine Wertfortschreibung durch und stellte den EW auf den 01.01.1991 auf 65.700,00 DM fest. Dabei legte es eine Monatsmiete von 4,30 DM/qm zugrunde und machte einen Zuschlag wegen Schönheitsreparaturen in Höhe von 5 % auf die Jahresrohmiete. Die Monatsmiete von 4,30 DM/qm entstammt der Spalte IV g (gute Ausstattung, freifinanziert) des damals verwendeten Mietspiegels. Im Erläuterungsteil des Bescheides heißt es: "Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 15. Oktober 1986...ist bei Wertfortschreibungen wegen Auslaufs der Grundsteuervergünstigung nach dem II. WoBauG statt der Kostenmiete für grundsteuerbegünstigte Wohnungen die übliche Marktmiete für freifinanzierte Wohnungen anzusetzen. Die angesetzten Mieten entsprechen der ortsüblichen Miete im Hauptfeststellungszeitpunkt 01.01.1964."

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Nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 18. November 1998 (II R 79/96, BFHE 187, 104, BStBl. II 1999, 10) entschieden hat, dass die Spalte "g" der in Niedersachsen verwendeten Mietspiegel nicht die übliche Marktmiete wiedergibt und dass bei dem hilfsweisen Ansatz der Kostenmiete nur von einem Kostenfaktor von 7 v.H. auszugehen ist statt von 7,5 v.H., wie es die Finanzverwaltung bis dahin gemacht hat, stellten die Kläger mit Schreiben vom 3. September 1999 einen Antrag auf fehlerbeseitigende Wertfortschreibung. Sie beantragten, die Miete mit dem Wert von 4,00 DM/qm laut Spalte IV g des überarbeiteten Mietspiegels zu berücksichtigen. Diesen Antrag lehnte das FA ab. Zur Begründung führte es aus, Grundlage des EW-Bescheides auf den 01.01.1991 vom 04.09.1991 sei eine geschätzte übliche Miete gewesen. Auch der aufgrund der aktuellen Rechtsprechung des BFH ergangene "neue Mitspiegel" sei nur eine Schätzung. Hier sei somit lediglich eine Schätzung durch eine anderweitige Schätzung ersetzt worden. Das sei kein Grund für eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung. Der gegen den Ablehnungsbescheid gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.

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Die Kl. tragen vor:

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Anhand der Erläuterungen zu dem Einheitswertbescheid auf den 01.01.1991 für sie nicht erkennbar gewesen sei, dass das FA von einer Kostenmiete ausgegangen sei. Vielmehr hätten sie annehmen müssen, dass es sich um die ortsübliche Miete handele. Wenn sich das FA nun darauf berufe, dass lediglich eine Schätzung der Kostenmiete durch eine andere ersetzt werde, dann setze er sich zu seinem eigenen Verhalten in Widerspruch und handele treuwidrig.

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Im Übrigen komme es für die Frage, ob die Voraussetzungen für eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung vorliegen, lediglich darauf an, dass der im vorangehenden Bescheid festgestellte Einheitswert objektiv fehlerhaft sei, nicht jedoch darauf, weshalb er fehlerhaft sei. Es reiche aus, dass die vom Beklagten vorgenommene Ermittlung des Einheitswertes geltendem Recht widerspreche. Dass ein Kostenfaktor von 7,5 v.H. nicht geltendem Recht entspreche, habe der BFH aber eindeutig festgestellt.

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Der Einheitswertbescheid auf den 01.01.1991 sei außerdem noch in einem zweiten Punkt fehlerhaft. So habe der Beklagte zusätzlich zur Kostenmiete einen Zuschlag von 5 v.H. für Schönheitsreparaturen angesetzt. Mit Urteil vom 4. März 1999 II R 106/97, BFH NV 1999, 1402, habe der BFH entschieden, dass beim Ansatz einer Kostenmiete kein Zuschlag für Schönheitsreparaturen vorzunehmen sei, weil diese Kosten begrifflich bereits in der Kostenmiete enthalten seien. Da der BFH in einer anderen Entscheidung (Urteil v. 31. Juli 1981 III R 127/79, BFHE 134, 164, BStBl. II 1982, 6) ausgeführt habe, dass bei einer fehlerbeseitigenden Fortschreibung grundsätzlich sämtliche dem Finanzamt unterlaufenen Fehler zu korrigieren seien, könnte hier zusammen mit der Eliminierung des Zuschlages für Schönheitsreparaturen auch der Kostenfaktor korrigiert werden.

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Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Dezember 1999 und des Einspruchsbescheides vom 25. Januar 2000 das FA zu verpflichten, den Einheitswert für das Grundstück B. auf den 01.01.1999 auf 58.500,00 DM herabzusetzen.

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Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Es räumt ein, dass zwar grundsätzlich die Möglichkeit bestehe, eine bestandskräftige Einheitswertfeststellung im Wege der fehlerbeseitigenden Fortschreibung mit Wirkung für die Zukunft zu korrigieren. Der BFH habe jedoch mit Urteil vom 2. Oktober 1981 III R 127/79, BFHE 134, 164, BStBl. II 1982, 6 (8) entschieden, dass eine "lediglich andere Schätzung" kein ausreichender Grund sei, um eine frühere Schätzung als fehlerhaft anzusehen. Die Ermittlung der Grundstücks- und Gebäudeherstellungskosten, die Grundlage der Entscheidung des BFH vom 18. November 1998 (II R 79/96, a.a.O.) seien, basiere auf einer Vielzahl von Unsicherheiten, so dass der bisher berücksichtigte Kostenfaktor von 7,5 v.H. nicht als materiell unrichtig angesehen werden könne. Der Ansatz des jeweiligen Kostenfaktors sei letztlich als Schätzung anzusehen. Zwar könne auch eine Schätzung fehlerhaft und dann korrigierbar sein, wenn nämlich die ursprüngliche Schätzung "außerhalb jeder vernünftigenÜberlegung" gelegen habe. Das sei hier allerdings nicht der Fall.

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Im Übrigen wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und die vorgelegten Steuerakten Bezug genommen.

Gründe

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Die Klage ist begründet.

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Der EW für das streitige Grundstück ist auf den 01.01.1999 auf 58.500,00 DM fortzuschreiben. Die Voraussetzungen für eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung liegen vor. Das ergibt sich im Einzelnen aus Folgendem:

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Nach § 22 Abs. 1 BewG wird der Einheitswert neu festgestellt, wenn der Wert, der sich für den Beginn eines Kalenderjahrs ergibt, vom Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunkts nach unten um mehr als den zehnten Teil, mindestens aber um 500 Deutsche Mark, oder um mehr als 5.000 Deutsche Mark abweicht. Eine Fortschreibung findet nach § 22 Abs. 3 Satz 1 BewG auch zur Beseitigung eines Fehlers der letzten Feststellung statt. Gemäß § 22 Abs. 4 BewG ist sie vorzunehmen, wenn dem Finanzamt bekannt wird, dass die Voraussetzungen für sie vorliegen. Fortschreibungszeitpunkt ist der Beginn des Kalenderjahrs, in dem der Fehler dem Finanzamt bekannt wird.

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a) 

Der Einheitswert des streitigen Grundstücks ist im Einheitswertbescheid auf den 01.01.1991 vom 04.09.1991 fehlerhaft zu hoch festgestellt worden. Nach § 79 Abs. 2 BewG gilt für eigengenutzte Grundstücke die übliche Miete als Jahresrohmiete. Diese ist in Anlehnung an die Jahresrohmiete zu schätzen, die für Räume gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung regelmäßig gezahlt wird. Die Miete nach Spalte IV g des im Jahre 1991 vom FA verwendeten Mietspiegels gibt mangels einer hinreichenden Zahl von Vergleichsobjekten nicht die übliche Miete wieder. Allerdings kann ein Finanzamt, wenn eine Wertableitung der üblichen Miete aus tatsächlich gezahlten Mieten anderer Objekte daran scheitert, dass eine bestimmte Gruppe von Grundstücken mit anderen Grundstücksgruppen nicht oder nicht hinreichend vergleichbar ist, als letztes Hilfsmittel auf eine auf der Grundlage durchschnittlicher Grundstücks- und Baukosten ermittelte Kostenmiete zurückgreifen (BFH-Urteil vom 18. November 1998 II R 79/96, BFHE 187,104, BStBl. II 1999, 10 (11)). Jedoch darf unter Berücksichtigung des marktüblichen Zinssatzes im Hauptfeststellungszeitpunkt 1964 und üblicher Bewirtschaftungskosten nur von einem Kostenfaktor von 7 v.H. ausgegangen werden (BFH a.a.O.). Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze ist lediglich ein Mietwert laut Spalte IV g des aktuellen Mietspiegels von 4,00 DM/qm und nicht ein Betrag von 4,30 DM/qm anzusetzen. Ferner ist bei einer pauschal ermittelten Kostenmiete kein Zuschlag für Schönheitsreparaturen vorzunehmen, weil diese Kosten begrifflich in der Kostenmiete enthalten sind (BFH-Urteil vom 4. März 1999 II R 106/97, NV 1999, 1402). Ohne diese beiden Fehler wäre der Einheitswert um 7.200,00 DM niedriger festzustellen gewesen.

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b) 

Die Fehler sind im Rahmen einer fehlerbeseitigenden Wertfortschreibung zu bereinigen. Der Beklagte beruft sich im Streitfall zu Unrecht auf den - prinzipiell zutreffenden - Grundsatz, dass ein Steuerpflichtiger nicht mit Erfolg gegen einen geschätzten Wertansatz einwenden kann, die Schätzung sei zu hoch, wenn er lediglich eine anderweitige Schätzung begehrt. Ebensowenig kann sich der Beklagte auf das von ihm zitierte Urteil des BFH vom 31. Juli 1981 III R 127/79, BFHE 134, 164, BStBl. II 1982, 6 stützen, wonach eine anderweitige Schätzung der Jahresrohmiete regelmäßig keinen ausreichenden Grund darstellt, die schätzweise Ermittlung dieser Bewertungsgrundlage anlässlich einer früheren Einheitswertfeststellung als fehlerhaft zu behandeln. Denn eine Schätzung ist sehr wohl dann zu korrigieren, wenn sich herausstellt, dass eine Schätzung unrichtig ist, weil zum Beispiel die Schätzungsgrundlagen unzutreffend ermittelt worden sind (ebenso z.B. BFH-Urteil vom 31. Juli 1981 a.a.O.; BFH-Urteil v. 27. Oktober 1992, VIII R 41/89, BStBl. II 1993, S. 569 (571). Der Senat vertritt die Auffassung, dass es sich bei der Höhe des Kostenfaktors um eine Schätzungsgrundlage handelt. Das entspricht der Rechtsprechung des BFH. Schätzungen von Besteuerungsgrundlagen gehören zu den tatsächlichen Feststellungen i.S.d. § 118 Abs. 2 FGO, die nicht revisibel sind (Gräber, Kommentar zur FGO, 5. Auflage, § 118 Rn. 31). Der BFH kann eine Schätzung nur daraufhin überprüfen, ob anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze beachtet wurden (z.B. BFH-Beschluß vom 18. Oktober 1988 VIII R 172/85, BFHE 156, 92; BStBl. II 1989, 549). Wenn der BFH in seiner Entscheidung vom 18. November 1998 den dort angegriffenen Wertfortschreibungsbescheid mit der Begründung abgeändert hat, dass er auf einem zu hohen, nicht nachvollziehbaren Kostenfaktor von 7,5 v.H. beruhe, dann kann er in dem Ansatz des Kostenfaktors keine Schätzung gesehen haben, weil anderenfalls die Entscheidung der Vorinstanz insoweit nicht revisibel gewesen wäre. So führt der BFH in diesem Zusammenhang auch aus, dass "diese Rechtsüberprüfung im Streitfall zur Korrektur des Mietspiegelwerts ...[führe], weil dieser auf einem zu hohen, nicht nachvollziehbarem Kostenfaktor von 7,5 v.H." beruhe.

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Im Übrigen hat der BFH in seinem Urteil vom 11. Oktober 1974 III R 103/73, BFHE 113, 382, BStBl. II 1975, 54 den Ansatz eines einheitlichen Kostenfaktors mit der Begründung gerechtfertigt, dass diese pauschale Ermittlung zu einer weitgehenden Gleichmäßigkeit der Wertfeststellungen führe. Diese Gleichmäßigkeit der Wertfeststellung wäre nicht gewahrt, wenn eine Anpassung des Kostenfaktors auf einen Satz von 7 v.H. nur im Rahmen einer zufällig erfolgenden Wertfortschreibung aus anderen Gründen - z.B. wegen geänderter tatsächlicher Verhältnisse oder einer Nachfeststellung - möglich, sonst aber ausgeschlossen wäre.

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Schließlich weist der Senat ergänzend darauf hin, dass die Niedersächsische Finanzverwaltung offenbar weniger Bedenken hat, in vergleichbaren Fällen Wertfortschreibungen auf höhere Einheitswerte vorzunehmen. So liegen dem Senat mehrere Fälle zur Entscheidung vor, in denen die Finanzämter in Anpassung an die Entscheidung des BFH vom 15. Oktober 1986 II R 230/81, BFHE 148, 174, BStBl. II 1987, 201 fehlerbeseitigende Wertfortschreibungen vorgenommen haben, um die bisher auf der Grundlage von Mieten nach den Spalten IV f bzw. V f der Mietspiegel ermittelten Einheitswerte fortzuschreiben auf Einheitswerte, die sich unter Ansatz der Mieten nach den Spalten IV g bzw. V g ergeben. In diesen Fällen hätte die Finanzverwaltung konsequenterweise ebenfalls von einer Fortschreibung Abstand nehmen müssen, wenn es sich nur um die Ersetzung einer Schätzung durch eine andere handeln würde. Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass diese Wertfortschreibungen von den Steuerpflichtigen nicht etwa angegriffen wurden, weil die Anwendung des § 22 Abs. 3 BewG umstritten ist, sondern aus anderen Gründen.

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Somit ist der Bescheid auf den 01.01.1991 vom 04.09.1991 materiell unrichtig, weil er auf einer unzutreffenden Schätzungsgrundlage beruht. Der Senat folgt nicht der Argumentation des FA, die Ermittlung der Grundstücks- und Gebäudeherstellungskosten, die Grundlage der BFH-Entscheidung vom 18.11.1998 waren, basiere auf so vielen Unsicherheiten, dass der bisher angesetzte Kostenfaktor von 7.5 v.H. nicht als materiell unrichtig angesehen werden könne. Denn das hat - nach Auffassung des erkennenden Senats - auch der BFH nicht so gesehen; außerdem hat die Finanzverwaltung in einer Vielzahl von Fällen, über die der Senat in der Vergangenheit zu entscheiden hatte, gegenteilig argumentiert.

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c) 

Die Fortschreibungsgrenzen des § 22 Abs. 1 BewG sind im Streitfall erreicht, da der Einheitswert um 7.200,00 DM, d.h. um mehr als 5.000,00 DM, zu hoch festgestellt wurde. Zutreffender Fortschreibungszeitpunkt im Sinne des § 22 Abs. 4 BewG ist der 01.01.1999, weil die Kläger im Verlaufe des Jahres 1999 einen Antrag auf fehlerbeseitigende Wertfortschreibung gestellt haben und dem FA somit im Jahre 1999 der Fehler bekannt geworden ist.

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Der EW auf den 01.01.1999 errechnet sich wie folgt:

Wohnfläche 97,11 qm x 4,00 DM x 12 4.661,28 DM
+ Jahresrohmiete für Garage/Einstellplatz 300,00 DM
gesamte Jahresrohmiete 4.961,28 DM
x Vervielfältiger 11,8 58.543,10 DM
EW neu: 58.500,00 DM
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

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Die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 3 i.V.m. § 155 FGO und §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.