Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 23.05.2002, Az.: 16 K 12013/98
Zum Rechtsschutzinteresse des Klägers an einer Sachentscheidung über die Verpflichtungsklage; Begehren auf Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlung; Zur Frage des Wegfalles des Rechtsschutzinteresses bei Ergehen des Einkommensteuerjahresbescheid
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 23.05.2002
- Aktenzeichen
- 16 K 12013/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 14076
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2002:0523.16K12013.98.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 27.04.2004 - AZ: X R 28/02
Rechtsgrundlage
- § 36 Abs. 2 Nr. 1 EStG
Fundstelle
- EFG 2003, 555-556
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Mit Ergehen des Einkommensteuer-Jahresbescheides 1996 fällt das Rechtsschutzinteresse an einer Sachentscheidung über eine Verpflichtungsklage, mit der die Herabsetzung der Einkommensteuer-Vorauszahlung für das 4. Quartal 1996 begehrt wird, weg. Denn mit Erlass des Jahressteuerbescheides kann eine Veränderung der Einkommensteuer-Abschlusszahlung 1996 durch eine Veränderung der Einkommensteuer-Vorauszahlung nicht mehr erreicht werden.
- 2.
§ 68 FGO ist nicht anwendbar, wenn hierdurch von einer ursprünglichen Verpflichtungsklage auf eine Anfechtungsklage übergeleitet werden soll.
Tatbestand
Der Kläger ist Frisörmeister. Er betrieb einen eigenen Frisörsalon, den er mit Betriebsübergabevertrag vom 19. August 1996 per 01.09.1996 auf T. übertrug. Der Kläger adoptierte T. im November 1996. Zwischen den Beteiligten besteht Streit, ob die Übertragung des Gewerbebetriebes als entgeltliche oder unentgeltliche Übertragung anzusehen ist. Der Beklagte nahm eine entgeltliche Geschäftsübertragung deshalb an, weil nach dem Vertrag zu Gunsten des Klägers eine Einlage in Höhe von DM 140.000,00 eingebucht werden und der Kläger fortan mit einem festen Gewinnvoraus in Höhe von 12 v.H. des Einlagebetrages am Betrieb beteiligt sein sollte. Der Beklagte ging deshalb von einem Veräußerungsgewinn des Klägers aus. Dagegen vertritt der Kläger die Auffassung, dass eine unentgeltliche Betriebsübertragung stattgefunden habe und mithin kein Veräußerungsgewinn entstanden sei.
Die Einkommensteuervorauszahlung für das 4. Quartal 1996 hatte der Beklagte mit dem Einkommensteuerbescheid für 1994 vom 2. Oktober 1996 auf DM X festgesetzt. Bezüglich der Einkommensteuervorauszahlung 4/1996 wurde der Bescheid bestandskräftig. Der Kläger beantragte beim Beklagten mit Schriftsatz vom 9. Januar 1997 die Herabsetzung der Steuervorauszahlung auf DM 0,00, weil nach seiner Einschätzung die bis dahin für 1996 geleisteten Vorauszahlungen die Steuerschuld ausglichen. Ausgehend von seiner Rechtsauffassung eines entgeltlichen Betriebsübertragungsvorgangs lehnte der Beklagte mit Verwaltungsakt vom 3. Februar 1997 den Antrag auf Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlung für das 4. Quartal 1996 ab.
Gegen diesen Ablehnungsbescheid erhob der Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit Schriftsatz vom 14. Januar 1998 Klage.
Während des Klageverfahrens erließ der Beklagte am 30. Dezember 1998 den Jahressteuerbescheid für 1996. Auch hier ging der Beklagte von einer entgeltlichen Betriebsübertragung mit entsprechendem Veräußerungsgewinn aus. Der Beklagte fügte dem Bescheid u.a. die folgende Erläuterung bei: "Dieser Bescheid ändert den mit der Klage angefochtenen Bescheid vom 17.12.1997 über die Ablehnung des Antrags auf Herabsetzung der Einkommensteuer-Vorauszahlungen für das 4. Quartal 1996." Außerdem ergänzte der Beklagte die Rechtsbehelfsbelehrung des Steuerbescheides dahingehend, dass innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides beim Finanzgericht der Antrag nach § 68 FGO (alt) gestellt werden könne.
Der Kläger legte gegen den Einkommensteuerbescheid mit Schriftsatz vom 13.01.1999 rechtzeitig Einspruch ein und erläuterte, dass dies nur vorsorglich geschehe, weil er sich nicht sicher sei, dass die Anwendung des § 68 FGO genüge. Bei Gericht beantragte er gleichzeitig, den Jahressteuerbescheid gemäß § 68 FGO (alt) zum Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens zu machen.
Der Beklagte teilte dem Gericht mit Schriftsatz vom 30. Juni 1999 mit, dass dort ein Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1996 vorliege. Der BFH habe bereits in mehreren Verfahren zum Verhältnis des Umsatzsteuervorauszahlungsbescheides zum Umsatzsteuerjahresbescheid entschieden. Der Antrag des Klägers nach § 68 FGO sei damit wohl zulässig. Es werde um Mitteilung gebeten, ob das Klageverfahren aufgrund dieses Antrags fortgeführt werde.
Der damalige Berichterstatter teilte den Beteiligten daraufhin mit richterlicher Verfügung vom 13. Juli 1999 mit, dass der Senat entsprechend der Entscheidung des BFH vom 19. Juli 1996 (BFH/NV 1997, 27 [BFH 19.07.1996 - I B 110/95]; Az. I B 110/95) davon ausgehe, dass das Einspruchsverfahren subsidiär zu dem Verfahren sei, in dem der Antrag nach § 68 FGO gestellt werde. Das finanzgerichtliche Verfahren sei also fortzuführen.
Mit Schriftsatz vom 27. September 1999 nahm der Kläger den Einspruch gegen den Einkommensteuerjahresbescheid 1996 beim Beklagten zurück.
Nachdem zuständigkeitshalber das Klageverfahren an den 16. Senat des Gerichts gelangte, teilte der Vorsitzende mit richterlicher Verfügung vom 7. November 2001 den Beteiligten Bedenken dahingehend mit, ob der Einkommensteuerbescheid für 1996 den ablehnenden Verwaltungsakt vom 3. Februar 1997 i.S.d. Vorschrift des § 68 FGO ändere oder ersetze.
Der Kläger ist der Auffassung, dass der Jahresbescheid rechtlich zulässig Gegenstand des Klageverfahrens geworden sei. Die in § 68 FGO verwendeten Begriffe "ändern und ersetzen" seien weit auszulegen. Denn die Vorschrift diene der Vereinfachung und solle es dem Kläger ermöglichen, ohne ein weiteres Rechtsbehelfsverfahren Verwaltungsakte, die während der Anhängigkeit eines Finanzprozesses ergingen, in das gerichtliche Verfahren einzubeziehen. Zugleich solle verhindert werden, dass das Finanzamt einen Steuerpflichtigen gegen dessen Willen aus dem Klageverfahren dränge (BFH/NV 1995, 520 [BFH 08.09.1994 - IV R 20/93]). Es sei nicht ersichtlich, weshalb diese Grundsätze dann nicht Geltung haben sollten, wenn - wie im Streitfall - von einer ursprünglichen Verpflichtungsklage auf Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlung in eine Anfechtungsklage gegen den Einkommensteuerjahresbescheid übergegangen werde. Wenn § 68 FGO auch im Verhältnis zwischen Feststellungs- und Anfechtungsklage Anwendung finde, so müsse dies auch im Verhältnis zwischen Verpflichtungsklage und Anfechtungsklage gelten. Hilfsweise müsse die Möglichkeit eröffnet werden, dass der Kläger zur Fortsetzungsfeststellungsklage übergehen könne, um im Streitfall vom Gericht eine Entscheidung des materiellen Streitpunktes zu erreichen. Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei dann zulässig, wenn die Vollziehung eines Vorauszahlungsbescheides ausgesetzt war und der Kläger Sorge haben müsse, wegen Aussetzungszinsen in Anspruch genommen zu werden. Im Streitfall habe der Beklagte die Aussetzung der Vollziehung der strittigen Beträge bis zur Entscheidung über die Klage vorgenommen. Die Fortsetzungsfeststellungsklage rechtfertige sich auch deshalb, weil konkretes Interesse an einer Sachentscheidung deshalb bestehe, um bei eventuell negativem Prozessausgang einen Antrag auf Erlass der fraglichen Steuern zu stellen.
Der Kläger beantragt,
den Einkommensteuerbescheid 1996 dahingehend abzuändern, dass bei der Besteuerung der Veräußerungsgewinn bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb in Höhe von DM Y unberücksichtigt bleibt, hilfsweise, für den Fall der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache festzustellen, dass die Klage bis zur Erledigung der Hauptsache begründet war.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass der Jahressteuerbescheid 1996 wegen der entsprechenden Antragstellung des Klägers Gegenstand des Klageverfahrens geworden sei. Wegen des materiellen Streits nimmt der Beklagte Bezug auf seine Einspruchsentscheidung.
Dem Gericht haben die für den Kläger beim Beklagten geführten Steuerakten vorgelegen.
Gründe
Die Klage ist unzulässig.
Das Rechtsschutzinteresse des Klägers an einer Sachentscheidung über seine Verpflichtungsklage, mit der er Rechtsschutz dahingehend anstrebte, dass das Gericht den Beklagten zur Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlung für das 4. Quartal 1996 verpflichten möge, ist mit Ergehen des Einkommensteuerjahresbescheides 1996 weggefallen. Denn mit Erlass des Jahressteuerbescheides am 30. Dezember 1998 hätte eine korrigierte Einkommensteuervorauszahlung für dieses Steuerjahr keine Wirkung mehr entfalten können. Dies ergibt sich zwingend aus §§ 36 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 4 sowie § 37 EStG. Denn eine Veränderung der Einkommensteuerabschlusszahlung 1996 konnte von da an durch eine Veränderung der Einkommensteuervorauszahlung nicht mehr erreicht werden. Damit konnte aber auch der Beklagte nicht mehr durch das Gericht verpflichtet werden, die Einkommensteuervorauszahlung für das 4. Quartal 1996 herabzusetzen. Eine Erledigung des Verwaltungsaktes, wie sie von der Rechtsprechung im Verhältnis zwischen Vorauszahlungsbescheid und Jahressteuerbescheid angenommen wird und auf § 124 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) beruht, lag insoweit nicht vor.
Der Kläger konnte den Jahressteuerbescheid nicht rechtswirksam über § 68 FGO in der bis zum Jahr 2000 geltenden Fassung zum Gegenstand des Klageverfahrens machen. Nach der genannten Vorschrift wird ein angefochtener Verwaltungsakt, der nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt wird, auf Antrag des Klägers Gegenstand des Verfahrens. Im Streitfall ändert der Jahressteuerbescheid 1996 den mit der Klage angegangenen Verwaltungsakt über die Ablehnung der Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlung nicht. Er ersetzt ihn auch nicht. Der mit der Klage angegangene Verwaltungsakt vom 3. Februar 1997 regelte inhaltlich, dass der Beklagte das Begehren des Klägers auf Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlung für das 4. Quartal 1996 ablehnte. Hingegen regelt der Jahressteuerbescheid 1996 die Steuer, die der Beklagte für dieses Steuerjahr vom Kläger fordert. Ein gleicher Besteuerungsgegenstand liegt damit nicht vor. Denn der Jahressteuerbescheid nimmt materiell-rechtlich gerade nicht den Inhalt des eine Änderung ablehnenden Verwaltungsakts vom 3. Februar 1997 auf. Dies unterscheidet den Streitfall evident von den Fällen, in denen nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs § 68 FGO dann Anwendung finden soll, wenn während des Klageverfahrens über einen Vorauszahlungsbescheid ein Jahresbescheid ergeht (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 4. November 1999 V R 35/98, BStBl II 2000, 454 m.w.N.). Dies gilt unabhängig davon, dass das materiell-rechtliche Problem, welches zur Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlung und zur Herabsetzung der Jahressteuerschuld führen würde, identisch ist. Der erkennende Senat hält deshalb § 68 FGO dann nicht für anwendbar, wenn hierdurch von einer ursprünglichen Verpflichtungsklage auf eine Anfechtungsklage übergeleitet werden soll.
Ist aber § 68 FGO nicht anwendbar, so kann der Kläger aus der richterlichen Äußerung des damaligen Berichterstatters für das Klageverfahren nichts herleiten.
Auch der Hilfsantrag des Klägers, im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO die Rechtswidrigkeit des ablehnenden Verwaltungsaktes vom 3. Februar 1997 festzustellen, ist unzulässig. Nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt hat und der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat. Ein derartiges berechtigtes Interesse hat der Kläger nicht substantiiert vorgetragen. Soweit der Kläger erwähnt, dass der strittige Betrag vom Finanzamt zur Vollziehung ausgesetzt sei, und er besorgen müsse, dass er wegen Aussetzungszinsen in Anspruch genommen werde, liegt kein berechtigtes Interesse vor. Denn nicht die Einkommensteuervorauszahlung für das 4. Quartal 1996 ist von der Vollziehung ausgesetzt, sondern die sich aufgrund des Jahressteuerbescheides ergebende Nachzahlung. Der Jahressteuerbescheid ist aber möglicherweise bereits bestandskräftig. Ein berechtigtes Interesse kann auch nicht darin gesehen werden, dass der Kläger in Zukunft den Erlass der Steuerschuld begehren wird. Abgesehen davon, dass dieses Erlassverfahren bisher nicht in Gang gesetzt ist, wäre zu berücksichtigen, dass grundsätzlich das Erlassverfahren nicht zu einer materiell-rechtlichen Überprüfung der Steuerfestsetzung führt.
Nach allem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung abzuweisen.
Der Senat lässt die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu, weil erkennbar über die verfahrensrechtliche Frage bisher keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt, diese Frage aber auch unter Geltung des § 68 FGO (neu) weiterhin relevant ist.