Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.05.2002, Az.: 6 K 314/00

Auswirkungen des Überschreitens der Einkunftsgrenzen bei Kindergeld mit Summe aus Einkünften und Bezügen

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
15.05.2002
Aktenzeichen
6 K 314/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 14055
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2002:0515.6K314.00.0A

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte das für den Sohn D gewährte Kindergeld für den Zeitraum von Januar 1999 bis November 1999 i.H.v. insgesamt 3.850 DM zurückfordern durfte.

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Der Beklagte leistete für den am 06.10.1979 geborenen Sohn des Klägers fortlaufend Kindergeld in der gesetzlichen Höhe. Nach Abschluss einer Schulausbildung trat D am 01.08.1997 eine Berufsausbildung zum Einzelhandelskaufmann an. Für die weitere Gewährung des Kindergeldes reichte der Kläger am 12.09.1997 und am 30.11.1998 jeweils Ausbildungsbescheinigungen für seinen Sohn beim Beklagten ein. Aus der Ausbildungsbescheinigung vom 30.11.1998 ergibt sich eine monatliche Bruttoausbildungsvergütung von 1.085 DM ab 01.08.1998, erhöht auf 1.240 DM ab 01.08.1999. Als zusätzliche Leistungen werden in dem Vordruck Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld aufgeführt mit folgenden Werten: Juni 1997 0 DM, November 1997 50 DM, Juni 1998 1.093,34 DM, November 1998 579 DM, Juni 1999 ca. 1.093 DM; für spätere Zeiträume werden keine Angaben gemacht.

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Auf dieser Grundlage berechnete der Beklagte für das Kalenderjahr 1999 einen Gesamtbetrag der Einkünfte von 12.888 DM, in dem er der jeweiligen Monatsvergütung einen Betrag von 1.093 DM als einmalige sonstige Leistung hinzurechnete und von dieser Summe Werbungskosten i.H.v. 2.000 DM abzog. Da der maßgebliche Jahresbetrag von 13.020 DM nicht überschritten war, gewährte der Beklagte weiterhin Kindergeld. Mit Bescheinigung vom 5. November 1999 (Eingang 18. November 1999) erklärte der Arbeitgeber für 1999 eine monatliche Ausbildungsvergütung von 1.095 DM bis Juli und ab August 1999 i.H.v. 1.288 DM. Als zusätzliche Leistungen gab er für Juni 1999 ein Urlaubsgeld i.H.v. 1.116 DM und für November 1999 ein Weihnachtsgeld i.H.v. 772,80 DM an. Hieraus berechnete der Beklagte die Summe der Einkünfte mit 13.993,80 DM, so dass der Jahresbetrag überschritten war.

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Mit Bescheid vom 11. Januar 2000 hob er die Festsetzung des Kindergeldes für den Sohn D ab Januar 1999 gem. § 175 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) auf und forderte das gewährte Kindergeld für Januar bis November 1999 i.H.v. 3.850 DM zurück. Der Einspruch wurde durch Einspruchsentscheidung vom 15.03.2000 als unbegründet zurückgewiesen.

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Mit seiner hiergegen erhobenen Klage begehrt der Kläger die Aufhebung des Rückforderungsbescheides. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, der Beklagte habe bei der Prognoseberechnung einen gravierenden Fehler gemacht. Aufgrund der eingereichten Ausbildungsbescheinigung im November 1998 hätte er bereits erkennen können, dass die maßgebliche Höchstgrenze von 13.020 DM überschritten gewesen sei. Aus der Abfolge der Angaben sei zwanglos zu ersehen gewesen, dass diese vom Arbeitgeber unvollständig bescheinigt worden seien. Hätte der Beklagte lediglich das Weihnachtsgeld des Vorjahres einberechnet, wäre die maßgebliche Höchstgrenze bereits überschritten gewesen. Im Übrigen habe er auf die Rechtmäßigkeit der Festsetzung des Kindergeldes vertraut und habe die ihm gezahlten Beträge für den Lebensunterhalt seiner sechsköpfigen Familie eingesetzt. Demzufolge sei er entreichert.

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Der Kläger beantragt,

den Rückforderungsbescheid vom 11. Januar 2000 sowie die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 15. März 2000 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung verweist er auf seine Ausführung im Einspruchsbescheid. Danach stehe dem Kläger wegen des Überschreitens der maßgeblichen Einkünftegrenze für seinen Sohn D für 1999 kein Kindergeld zu. Die rückwirkende Aufhebung des Bewilligungsbescheides ab Januar 1999 schreibe § 175 AO vor, da die Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld als rückwirkendes Ereignis zum Überschreiten der maßgeblichen Grenze geführt hätte. Die Vorschrift sei verschuldensunabhängig. Durch die Aufhebung des Bewilligungsbescheides sei das Kindergeld ohne rechtlichen Grund gewährt worden, so dass dieses nach § 37 Abs. 2 AO zurückzuerstatten sei. Der Kläger könne sich auch nicht auf seine Entreicherung berufen. Für den öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO sei der Einwand der Entreicherung ausgeschlossen.

Gründe

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Die Klage ist unbegründet.

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1.

Dem Kläger steht für seinen Sohn D im Jahr 1999 gemäß § 62 Abs. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der im Streitjahr geltenden Fassung kein Kindergeld zu, da die Einkünfte des Sohnes den Jahresgrenzbetrag von 13.020,00 DM überschreiten. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.

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2.

a)

Der Beklagte war entgegen der Auffassung des Klägers nicht gehindert, die Festsetzung des Kindergeldes gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO rückwirkend aufzuheben (vgl. BFH vom 21. Juli 2000 VI R 153/99, BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566, unter II. 4.). Die Befugnis der Familienkasse, die Kindergeldfestsetzung zu ändern, folgt, wie sich aus dem Regelungszusammenhang des Gesetzes ergibt, aus der Tatsache, dass der Sohn des Klägers im Jahr 1999 über zu hohe Einkünfte verfügte. Einerseits ist nach § 31 Satz 3 und § 71 EStG das Kindergeld laufend (monatlich) zu zahlen. Andererseits bestimmt § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, dass ein Kind, welches das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, nur dann berücksichtigt wird, wenn seine Einkünfte und Bezüge einen bestimmten Betrag im Kalenderjahr nicht überschreiten. Ob der Jahresgrenzbetrag überschritten wird, entscheidet sich erst mit Ablauf des Kalenderjahres. Insoweit besteht ein grundlegender Unterschied zu feststehenden Tatbestandsmerkmalen wie etwa der Haushaltszugehörigkeit eines Kindes oder der Absolvierung einer Ausbildung. Über das Vorliegen oder Nichtvorliegen solcher feststehender Tatbestandsmerkmale kann die Behörde jederzeit befinden und somit die Leistung des Kindergeldes stets zeitnah den tatsächlichen Verhältnissen anpassen. Ob die eigenen Einkünfte und Bezüge eines Kindes hingegen den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschreiten, kann sich im Laufe eines Kalenderjahres unterschiedlich darstellen und abschließend erst nach Ablauf des Jahres geprüft werden. Diese gesetzliche Konzeption macht es erforderlich, Kindergeldfestsetzungen, die vor Beginn oder während eines Kalenderjahres erlassen worden sind, wieder aufheben zu können, wenn abzusehen ist oder bekannt wird, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den (Jahres-)Grenzbetrag überschreiten werden bzw. überschritten haben.

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b)

Der Beklagte hat die Änderung zu Recht auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gestützt (vgl. so auch die h.M., Niedersächsisches FG, Urteil vom 5. Mai 1999 II 651/97 Ki, EFG 1999, 906; FG Köln, Urteil vom 16. November 1999 2 K 7567/98, EFG 2000, 180; FG Düsseldorf, Urteil vom 19. November 1999 18 K 8117/98 Kg, EFG 2000, 272; FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 1. März 2000 2 K 597/98, EFG 2000, 797; Bergkemper in Herrmann/Heuer/ Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 70 EStG Anm. 13; Greite in Korn, § 70 EStG Rz. 17; Heuermann in Blümich, Einkommensteuergesetz, § 70 Rz. 40; Jachmann in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, § 70 Rn. 2 a.E.). Die Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist auch dann durchzuführen, wenn bereits bei Durchführung der Prognoseentscheidung die Familienkasse das Überschreiten der maßgeblichen Einkunftsgrenze hätte erkennen können (vgl. BFH vom 06.11.2001, VI R 76/01, BFH/NV 2002, 343). Demzufolge ist ein mögliches Erkennenkönnen des Überschreitens des maßgeblichen Jahresbetrags im Zeitpunkt der Prognoseentscheidung und Bewilligung des Kindergeldes unerheblich, da selbst bei bekannten Bruttobezügen das tatsächliche Überschreiten des maßgeblichen Jahresbetrages als rückwirkendes Ereignis zu berücksichtigen ist.

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c)

Der auf § 37 Abs. 2 AO gestützte Rückforderungsbescheid ist ebenfalls rechtmäßig. Mit der rückwirkenden Änderung des Kindergeldbescheides entfiel zugleich der Behaltensgrund für die dem Kläger gewährte Steuervergütung. Diesen materiell entstandenen Erstattungsanspruch hat der Beklagte im Rückforderungsbescheid zu Recht festgesetzt. Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf seine Entreicherung berufen. § 818 Abs. 3 BGB ist im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruchs nach § 37 Abs. 2 AO nicht anwendbar und enthält auch keinen allgemeinen Rechtsgedanken, der bei einer Rückforderung des Kindergeldes zu berücksichtigen ist (vgl. BFH vom 28.03.2001, VI R 256/00, BFH/NV 2001, 1117).

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3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.