Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 23.01.2002, Az.: 1 A 16/01
Ausländer; Disziplinarmaßnahme; fristlose Entlassung ; Jude; Menschenwürde; Soldat
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 23.01.2002
- Aktenzeichen
- 1 A 16/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 42858
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 8 SG
- Art 1 Abs 1 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Entlassung eines Soldaten aus der Bundeswehr
Gründe
2. In Übereinstimmung mit den angefochtenen Bescheiden geht die Kammer davon aus, dass der Kläger seine Dienstpflichten verletzt hat. Das steht aufgrund der Disziplinarmaßnahme des Staffelchefs der 5./Flugabwehrraketengruppe 26 vom 1. August 2000, die seit dem 16. August 2000 unanfechtbar ist, bindend fest. Die Bindungswirkung bezieht sich dabei nicht nur auf die verhängte Disziplinarmaßnahme als solche, sondern auch auf den der Maßnahme unterliegenden Sachverhalt, soweit er den Gegenstand der Entscheidung bestimmt hat (BVerwGE 69, 334/339; BVerwG, DVBl. 1984, 959; OVG Lüneburg, Urt. v. 24.2.1988 - 13 OVG A 19/86 -). Deshalb ist auch in diesem Streitverfahren um die Entlassung des Klägers davon auszugehen, dass dieser die mit einer Buße von 600,- DM belegten Äußerungen - "scheiß-" oder "dreckige Judengöre" - nebst Androhen von Schlägen abgegeben hat. Im Übrigen sind diese Äußerungen durch Zeugen belegt und vom Kläger selbst in dem Sinne bestätigt worden, dass er von "dreckigen Juden" oder "dreckigen Ausländern" gesprochen haben will (Niederschriften v. 26.7.00 und v. 31.7.00), was er als "schlimm genug" empfunden hat (Niederschrift v. 31.7.00).
Durch die Äußerungen hat der Kläger seine Pflicht gem. § 8 SG verletzt, durch sein gesamtes Verhalten für die Erhaltung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung einzutreten, zu der u.a. vor allem die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte gehören. Der Kläger hat im Kameradenkreis nicht nur die herausragende Bedeutung der Würde eines jeden Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG), dem höchsten Rechtswert innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung (BVerfGE 45, 187/227), in grober Weise missachtet und verletzt, sondern das nun gerade auch in Bezug auf solche Menschen getan, die Anlass und Ausgangspunkt dafür waren, in Reflexion auf ein totalitäres Regime speziell die Unantastbarkeit der Menschenwürde als Mahnung an den Anfang des Grundgesetzes zu stellen. Der in jeder Weise unantastbaren Menschenwürde ist so die Funktion eines "tragenden Konstitutionsprinzips" (BVerfGE 6, 32/36) verliehen worden, das alle Bestimmungen des Grundgesetzes beherrscht und bestimmt. Dieser grundlegenden Bestimmung des Art. 1 Abs. 1 GG, die für das deutsche Grundrechts- und Menschenrechtsverständnis von ganz elementarer Bedeutung ist und die aus historischen Gründen nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, hat der Kläger in einer - wie er selbst sagt - "schlimmen" Weise zuwider gehandelt. Es steht außer Frage, dass er damit eine gravierende Dienstpflichtverletzung begangen hat (vgl. dazu auch BVerwG, ZBR 1984, 351 = RiA 1985, 70 [BVerwG 24.01.1984 - BVerwG 2 WD 40/83]; BVerwG, Urt. v. 1.6.1983 - 2 WD 48/82 - ). Diese wird ergänzt durch die sonstigen Dienstpflichtverletzungen - achtungswürdiges Verhalten in und außer Dienst (§ 17 Abs. 2 SG), Pflicht zur Beispielhaftigkeit, § 10 Abs. 1 SG usw. - , die das Gesamtbild abrunden.