Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.06.1997, Az.: VII 97/97
Anforderungen an den Erlass von Umsatzsteuerbeträgen nebst Nebenabgaben ; Voraussetzungen für den Erlass von Steuerbeträgen aus persönlichen Billigkeitsgründen; Grundlagen für die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 20.06.1997
- Aktenzeichen
- VII 97/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 17876
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1997:0620.VII97.97.0A
Rechtsgrundlagen
- § 135 Abs. 1 FGO
- § 90 Abs. 2 FGO
- § 130 Abs. 2 AO 1977
Verfahrensgegenstand
Erlaß von Einkommensteuer und Umsatzsteuer
Amtlicher Leitsatz
Keine Berichtigung eines aus persönlichen Billigkeitsgründen erfolgten Steuererlasses, wenn daran anschließend vom Steuerpflichtigen ein ausschließlich fremdfinanziertes Familienwohnheim erworben wird (§§ 130 Abs. 2 Nr. 3, 227 AO).
Der VII. Senat des Finanzgerichts Niedersachsen hat
ohne mündliche Verhandlung
am 20. Juni 1997
durch
den Richter am Finanzgericht ... als Berichterstatter
fürRecht erkannt:
Tenor:
Der Widerruf des Beklagten vom 8. Januar 1997 und der Einspruchsbescheid vom 19. Februar 1997 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit leistet.
Tatbestand
Mit Erlaßbescheid vom 26. November 1996 erließ der Beklagte der Klägerin Umsatzsteuerbeträge nebst Nebenabgaben in Höhe von 23.262,70 DM. Der Erlaß erfolgte aus persönlichen Billigkeitsgründen. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin hatte in den Jahren 1982 bis 1986 ein Blumengeschäft betrieben. Aus dieser Tätigkeit resultierten Umsatzsteuerrückstände (einschließlich Nebenabgaben) in Höhe von 26.262,70 DM. Außerdem waren Einkommensteuerrückstände in Höhe von 38.303,90 DM (einschließlich Säumniszuschlägen) noch offen. Der Ehemann der Klägerin war in den Jahren 1982 bis 1986 als selbständiger Zerleger tätig. Aus dieser Tätigkeit resultierten noch Einkommen- und Umsatzsteuerrückstände von insgesamt 47.848,90 DM (einschließlich Säumniszuschläge).
Die Klägerin sprach beim Beklagten am 14. November 1996 wegender Rückstände vor. Sie trug vor, daß ihr Ehemann seit Anfang des Jahres 1996 arbeitslos sei. Sie selbst gehe keiner Erwerbstätigkeit nach. Zum Haushalt gehörten fünf Kinder. Mit einer Tilgung der Rückstände sei nicht zu rechnen. Mindestens ein Teilerlaß müsse in Betracht kommen.
Der Beklagte sagte den Erlaß zu, sofern auf die Gesamtrückstände der Eheleute eine Zahlung von 8.000 DM erfolge. Daraufhin stellte der Steuerberater der Klägerin dem Finanzamt einen Verrechnungsscheck in Höhe von 8.000 DM zur Verfügung, der abredegemäß mit 3.000 DM auf die Steuerrückstände der Klägerin und mit 5.000 DM auf die Steuerrückstände ihres Ehemannes verbucht wurde.
Der Beklagte erließ daraufhin die Restrückstände.
Gemeinsam mit ihrem Ehemann erwarb die Klägerin durch notariell beurkundeten Vertrag vom 15. November 1996 das Eigentum an dem bebauten Wohngebäude H in B. Der Kaufpreis betrug 280.000 DM. Die Finanzierung sollte durch Bankdarlehen in Höhe von 230.000 DM erfolgen. 50.000 DM sollte der Vater der Klägerin darlehensweise zur Verfügung stellen. Dieser stellte einen entsprechenden Kreditantrag bei der Kreissparkasse B .
Nachdem der Beklagte vom Grundstückserwerb Kenntnis erlangte, widerrief er mit Verwaltungsakt vom 8. Januar 1997 den ausgesprochenen Steuererlaß. Den Widerruf stützte der Beklagte auf§ 130 Abs. 2 Nr. 3 Abgabenordnung (AO). Zur Begründung führte der Beklagte den Kaufvertrag vom 15. November 1996 an.
Den hiergegen eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsbescheid vom 19. Februar 1997 als unbegründet zurück. Der Klägerin sei bei ihrer Vorsprache an Amtsstellle am 14. November 1996 bekannt gewesen, daß ein Wohngebäude gekauft werden sollte. Diese Absicht sei dem Finanzamt jedoch nicht mitgeteilt worden. Auch bei Einreichung des schriftlichen Erlaßantrages am 19. November 1996 sei der Kaufvertrag nicht erwähnt worden. Bei Kenntnis der Tatsache hätte ein Erlaß der Steuern nicht erfolgen können. Der Klägerin stehe nach dem Kauf des Gebäudes eine jährliche Eigenheimzulage in Höhe von 11.500 DM zu. Durch die Anrechnung dieser Beträge hätten die Steuerschulden im Begünstigungszeitraum getilgt werden können.
Die hiergegen erhobene Klage begründet die Klägerin im wesentlichen wie folgt:
Sie habe weder unrichtige noch unvollständige Angaben gegenüber dem Finanzamt gemacht. Bei ihrem Gespräch an Amtsstelle am 14. November 1996 sei der Kaufvertrag über das Haus nicht abgeschlossen gewesen. Erst durch den Teilverzicht des Finanzamts hinsichtlich der rückständigen Steuerbeträge sei der Abschluß des Kaufvertrags überhaupt ermöglicht worden. Auch das Geld, das der Vater für den Hauskauf zur Verfügung gestellt habe, sei erst im Dezember 1996 geflossen. Sie habe deshalb gegenüber dem Finanzamt nichts verschwiegen.
Die Klägerin beantragt,
den Widerrufsbescheid des Beklagten vom 8. Januar 1997 sowieden Einspruchsbescheid vom 19. Februar 1997 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält weiterhin die Voraussetzungen des § 130 Abs. 3 Nr. 3 AO für gegeben. Hiernach könne ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründe oder bestätige, zurückgenommen werden, wenn ihn der Begünstigte durch Angaben erwirkt habe, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig seien. Die Klägerin habe bei Beantragung des Steuererlasses dem Finanzamt nicht offen gelegt, daß der Kauf eines Wohnhauses beabsichtigt sei. Sie habe auch nicht mitgeteilt, daß durch den Kauf des Wohngebäudes eine Eigenheimzulage von jährlich 11.500 DM entstehe. Schließlich habe die Klägerin verschwiegen, daß ihr Vater ihr einen Barbetrag zur Verfügung stellen werde.
Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter erklärt. Sie haben darüber hinaus übereinstimmend den Verzicht auf mündliche Verhandlung erklärt.
Nachdem der Berichterstatter mit richterlicher Verfügung vom 15. Mai 1997 die Beteiligten darauf hingewiesen hat, daß nach seiner Ansicht die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO nicht vorlägen, hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 4. Juli 1997 den erklärten Verzicht auf mündliche Verhandlung widerrufen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Beklagte war zum Widerruf des ausgesprochenen Erlasses nicht befugt. Nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 Abgabenordnung kann ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet, dann zurückgenommen werden, wenn ihn der Begünstigte durch Angaben bewirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren. Daß die Klägerin bei ihrer Vorsprache beim Beklagten am 14. November 1996 unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hätte, die in wesentlicher Beziehung zu dem anschließend ausgesprochenen Steuererlaß stünden, ist nicht ersichtlich. Zwar behauptet der Beklagte, eine derartige wesentliche Beziehung bestehe darin, daß dem Finanzamt der unmittelbar bevorstehende Grundstückserwerb nicht mitgeteilt sei. Dies rechtfertigt jedoch keine Berichtigung nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO. Es ist zu berücksichtigen, daß gegenüber der Klägerin der Steuererlaß aus persönlichen Billigkeitsgründen erfolgte. Bei der Frage, ob ein Steuererlaß aus persönlichen Gründen erfolgt, ist auf die Einkommens- und Vermögenssituation desjenigen, der den Erlaß begehrt, abzustellen. Dies hat der Beklagte seinerzeit auch getan. Durch den Hauserwerb tritt jedoch keine Änderung in der Vermögenssituation der Klägerin bzw. ihrer Familie ein. Der Hauserwerb erfolgte vollständig durch Aufnahme von Fremdmitteln. Deshalb änderte sich die Vermögenssituation der Klägerin nicht. Folglich war der Grundstückserwerb für die Frage der Erlaßsituation nicht entscheidungserheblich.
Ebenfalls nicht entscheidungserheblich ist, ob die Klägerin im Anschluß an den Erwerb des Grundstücks die steuerliche Förderung nach dem Eigenheimzulagengesetz in Anspruch nimmt. Einerseits ist diese Inanspruchnahme nicht zwingend. Darüberhinaus dient die Eigenheimzulage der Förderung familiengerechten Wohnens im eigenen Wohneigentum. Dieser Förderungszweck würde tangiert, wenn anzunehmen wäre, daß ein in die Zukunft gerichteter Anspruch auf eine Eigenheimzulage dem Erlaß von Steuern aus persönlichen Billigkeitsgründen entgegenstünde. Mithin ist die Frage, ob die Klägerin in Zukunft die Eigenheimzulage beantragt, nicht wesentlich im Sinne von § 130 Abs. 2 AO.
Das Gericht konnte über die Klage ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Nach § 90 Abs. 2 FGO kann dies mit Einverständnis der Beteiligten geschehen. Dieses Einverständnis liegt vor.Soweit der Beklagte sein Einverständnis widerrufen hat, ist dieser Widerruf unwirksam. Die Einverständniserklärung ist alsprozeßgestaltende Prozeßhandlung grundsätzlich unwiderruflich. Ausnahmsweise ist der Widerruf nur dann zulässig, wenn sich die Prozeßlage wesentlich geändert hat (vgl. BFH-Urteil vom 6. April 1990 III R 62/89, BStBl II 1990, 744). Im Streitfall ist seit dem Zeitpunkt, zu dem der Beklagte sein Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt hat, keineÄnderung der Prozeßlage eingetreten. Der Widerruf des Beklagten ist deshalb unwirksam.
Nach allem war der Widerruf des Erlasses vom 8. Januar 1997 und der Einspruchsbescheid vom 19.02.1997 aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus§§ 155, 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozeßordnung (ZPO).