Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 23.02.2004, Az.: 7 K 420/03

Voraussetzungen für die Beanspruchung einer Entfernungspauschale ; Abziehbarkeit der vom Arbeitgeber per Sammelbeförderung durchgeführten Fahrten vom Firmensitz zu den wechselnden Baustellen als Werbungskosten des Arbeitnehmers ; Notwendigkeit des Vorliegens von Aufwendungen

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
23.02.2004
Aktenzeichen
7 K 420/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 19721
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2004:0223.7K420.03.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - AZ: VI R 24/04
BFH - AZ: VI B 46/04

Amtlicher Leitsatz

Für Sammeltransporte zum Einsatzort, die durch den Arbeitgeber veranlasst und von ihm getragen werden, kann die Entfernungspauschale nicht beansprucht werden.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob die Fahrten zu wechselnden Baustellen, die der Arbeitgeber des Klägers per Sammelbeförderung von der Firma aus durchführt, von der Entfernungspauschale erfasst werden.

2

Der Kläger erzielt als Maurer Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

3

Er ist auf wechselnden Baustellen seines Arbeitgebers beschäftigt. Dabei wurden die Fahrten zu den Baustellen ab der Firma des Arbeitgebers mit einem Firmenwagen per Sammelbeförderung durchgeführt.

4

Für den Weg von der Wohnung zur Firma benutzte der Kläger sein eigenes Kraftfahrzeug.

5

In der für das Streitjahr abgegebenen Einkommensteuererklärung beantragte der Kläger u.a., die Fahrten von seiner Wohnung zu den verschiedenen Baustellen seines Arbeitgebers mit der Entfernungspauschale als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen.

6

Mit dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2001 erkannte der Beklagte die geltend gemachten Fahrtkosten nicht an, da die Fahrten im Rahmen einer Sammelbeförderung in Firmenwagen durchgeführt worden seien.

7

Das hiergegen gerichtete Rechtsbehelfsverfahren blieb erfolglos. Mit Einspruchsbescheid vom 20. Mai 2003 wies der Beklagte den Einspruch der Kläger als unbegründet zurück.

8

Dagegen erhoben die Kläger Klage, mit der sie weiterhin die Anerkennung der nach § 3 Nr. 32 EStG steuerfreien Fahrtkosten zwischen dem Betrieb des Arbeitgebers und den einzelnen Baustellen in Höhe von 9.891 DM (157 Tage x 80 km x 0,70/0,80 DM) als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit begehren. Ihrer Ansicht nach seien auch diese Fahrten von der Entfernungspauschale umfasst. Die Entfernungspauschale werde immerhin einem Arbeitnehmer gewährt, der vom Arbeitgeber mittels Sammelbeförderung von der Wohnung zu seiner regelmäßigen Arbeitsstätte gebracht werde, ohne dass der Wert der Sammelbeförderung auf die Entfernungspauschale angerechnet werde. Da dieser Sachverhalt mit dem Streitfall wirtschaftlich vergleichbar sei, sei aus Gründen der Gleichbehandlung die Entfernungspauschale bei Einsatzwechseltätigkeit auch für die gemeinsamen Fahrten vom Sammelpunkt zur Einsatzstelle anzusetzen.

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Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 2001 in der Form des Einspruchsbescheids vom 20. Mai 2003 dahingehend zu ändern, dass Fahrtkosten in Höhe von 9.891 DM als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit anerkannt werden.

10

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte hält an seiner Rechtsauffassung fest, dass die Entfernungspauschale nur für die Fahrten von der Wohnung des Klägers zu dem Betrieb seines Arbeitgebers gelte. Bei den Fahrten vom Treffpunkt zu den verschiedenen Einsatzstellen handele es sich um innerbetriebliche Fahrten. In dem Fall, dass ein Arbeitnehmer regelmäßig zu einem ständig gleich bleibenden Treffpunkt fahre, um von dort aus per Sammelbeförderung oder mit einem Firmenwagen zur Einsatzstelle befördert zu werden, sei der Treffpunkt wie eine regelmäßige Arbeitsstätte zu beurteilen. Diese Fahrten seien dementsprechend nach Dienstreisegrundsätzen zu beurteilen.

Entscheidungsgründe

12

Die Klage ist unbegründet.

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Die vom Kläger geltend gemachten Kosten für Fahrten vom Betrieb seines Arbeitgebers zu wechselnden verschiedenen Baustellen in Höhe von 9891 DM sind nicht als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit anzuerkennen.

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Werbungskosten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Dazu zählen gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1 EStG auch die Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Nach§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG in der seit dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung gilt zur Abgeltung dieser Aufwendungen eine einheitliche verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale für alle Arbeitnehmer, die Wege von ihrer Wohnung zur Arbeitsstätte zurücklegen. Sinn und Zweck der Regelung besteht darin, zum einen der starken Preissteigerung für Mineralöl auf den Weltmärkten und der eingeführten Ökosteuer vor allem bei Fernpendlern Rechnung zu tragen und zum anderen eine aus umwelt- und verkehrspolitischen Gründen gebotene Gleichstellung von Verkehrsteilnehmern zu erreichen, die andere Möglichkeiten als die Nutzung eines Kraftwagens zur Erreichung ihrer Arbeitsstätte nutzen (Bundestagsdrucksache 14/4435; v. Bornhaupt in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, Kommentar, Bd. 8, 119. Ergänzungslieferung März 2002, § 9 Rdnr. F 55; v. Reden in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Bd. 2, 54. Ergänzungslieferung November 2002,§ 9 Rn 242).

15

Das Gericht ist der Auffassung, dass es sich bei den vom Arbeitgeber des Klägers per Sammelbeförderung durchgeführten Fahrten vom Firmensitz zu den wechselnden Baustellen nicht um Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1 EStG handelt. Denn jene Fahrten beginnen erst, nachdem der Kläger seine regelmäßige Arbeitsstätte aufgesucht hat. Ein Maurer - wie der Kläger - übt zwar auf Grund seiner Tätigkeit auf verschiedenen Baustellen grundsätzlich eine Einsatzwechseltätigkeit aus (BFH, Urteil vom 31. Oktober 1973 VI R 98/73, BStBl II 1974, 258; v. Bornhaupt in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., 86. Ergänzungslieferung Januar 1999, § 9 Rdnr. B 418). Fährt der Arbeitnehmer von der Wohnung aber regelmäßig zu einem gleich bleibenden Treffpunkt wie bspw. zum Betrieb oder zur Autobahnraststätte, um von dort zu den Einsatzstellen befördert zu werden, so ist - entgegen der Ansicht der Kläger - der Treffpunkt wie eine regelmäßige Arbeitsstätte zu beurteilen (BFH, Urteil vom 2. Februar 1994 VI R 109/89, BStBl II 1994, 422; v. Bornhaupt in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., 119. Ergänzungslieferung März 2002, § 9 Rdnr. F 15; v. Reden in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., § 9 Rn 252; Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Auflage, 205. Lieferung Januar 2002, § 9 Anm. 442). Typus der Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist der Ort, an dem der Arbeitnehmer arbeitstäglich seine Arbeitsleistung zu erbringen hat. Dabei ist jedoch nicht erforderlich, dass der Arbeitnehmer die gesamte tägliche Arbeitszeit an diesem Ort tätig ist. Denn Intensität und Dauer der arbeitstäglichen Arbeitsleistung an einem Ort sind keine den Arbeitsstättenbegriff allein bestimmenden Merkmale. Dementsprechend ist es mit dem Typus "Arbeitsstätte" vereinbar, den Betrieb des Arbeitgebers auch dann als Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG anzusehen, wenn der Arbeitnehmer ihn stets nur aufsucht, um z.B. nach Austausch des eigenen Kfz gegen ein Dienstfahrzeug von dort aus auswärtige Einsatzstellen aufzusuchen, oder wenn der Betrieb des Arbeitgebers morgens oder abends nur aufgesucht wird, um die täglichen Aufträge entgegenzunehmen, Bericht zu erstatten und über die am Tage und in der Nacht durchgeführten Aufträge abzurechnen (BFH, Urteil vom 18. Januar 1991 VI R 132/86, BStBl II 1991, 408; a.a.O., BStBl II 1994, 422). Unter Anwendung dieser Grundsätze ist im Streitfall die Firma des Arbeitgebers des Klägers als dessen regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen. Denn zu dieser fährt der Kläger regelmäßig mit seinem eigenen Fahrzeug, um von dort zusammen mit seinen Arbeitskollegen per Sammelbeförderung in einem Firmenwagen zu den verschiedenen Baustellen gebracht zu werden.

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Diese Fahrten von der regelmäßigen Arbeitsstätte zu den wechselnden Baustellen fallen nicht unter die Regelung zur Entfernungspauschale gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG. Denn die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG betrifft nur Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und nicht solche von einer regelmäßigen Arbeitsstätte zu einer weiteren (BFH, Urteil vom 9. Dezember 1988 VI R 199/84, BStBl II 1989, 296) bzw. zu verschiedenen Einsatzstellen, die von vornherein nicht als regelmäßige Arbeitsstätte angesehen werden können (BFH, a.a.O., BStBl II 1994, 422; FG Münster, Urteil vom 27. Mai 2003 6 K 5349/02 E, EFG 2003, 1233). Denn derörtliche Anwendungsbereich dieser Vorschrift endet, wenn der Arbeitnehmer die erste feste Arbeitsstätte mit dem Ziel der Arbeitsaufnahme erreicht hat (BFH, a.a.O., BStBl II 1989, 296). Bei den sich anschließenden Fahrten ist die Wohnung weder Ausgangs- noch Endpunkt (BFH, a.a.O., BStBl II 1994, 422).

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Unabhängig davon, dass die Regelung zur Entfernungspauschale bereits aus den vorstehenden Gründen keine Anwendung findet, wäre sie im Übrigen - entgegen der Ansicht der Kläger - schon deshalb nicht zu gewähren, weil dem Kläger für diese Fahrten vom Betrieb zu den wechselnden Einsatzstellen - insoweit unstreitig - keine Aufwendungen entstanden sind. Denn die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG steht im Zusammenhang mit der Regelung des§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1 EStG. Danach setzt der Werbungskostenabzug für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte Aufwendungen voraus. Hiervon löst sich die Regelung zur Entfernungspauschale nicht, sondern unterstellt typisierend das Entstehen von Aufwendungen (FG Münster, a.a.O., EFG 2003, 1233; v. Bornhaupt in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., 119. Ergänzungslieferung März 2002, § 9 Rdnr. F 63; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 22. Auflage, § 9 Rz 134). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG, indem dort die Formulierung "zur Abgeltung dieser Aufwendungen" verwendet wird. In dem Fall der Sammelbeförderung durch den Arbeitgeber fließt dem Steuerpflichtigen jedoch grundsätzlich ein steuerpflichtiger geldwerter Vorteil zu, der lediglich gemäß § 3 Nr. 32 EStG steuerfrei gestellt ist. Bereits die Aufnahme in den Katalog der steuerfreien Leistungen zeigt, dass hier der Arbeitnehmer einen Vorteil empfängt, der ihn nach grundsätzlicher Ansicht des Steuergesetzgebers bereichert, und aus übergeordneten Gesichtspunkten steuerfrei gestellt worden ist. Mithin ist bereits aus diesem Grund die Unterstellung von Aufwendungen bezüglich der vorstehenden Wegstrecke ausgeschlossen mit der Folge, dass für diese Wegstrecken die Regelung zur Entfernungspauschale keine Anwendung findet (FG Münster, a.a.O., EFG 2003, 1233).

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Schließlich sind die vom Kläger erklärten Kosten für Fahrten zwischen dem Betrieb seines Arbeitgebers zu den wechselnden Baustellen auch nicht als Werbungskosten in der Form von Dienstreisen nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG in Verbindung mit § 4 Abs. 5 Nr. 5 EStG bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abzugsfähig. Eine Dienstreise ist ein Ortswechsel einschließlich der Hin- und Rückfahrt aus Anlass einer vorübergehenden Auswärtstätigkeit. Eine Auswärtstätigkeit liegt vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb seiner Wohnung und seiner regelmäßigen Arbeitsstätte beruflich tätig wird (Schmidt/Drenseck, a.a.O., § 19 Rz 60; Abschnitt 37 Abs. 3 LStR 2001). Dieses ist der Fall. Indem der Kläger auf verschiedenen Baustellen seines Arbeitgebers arbeitet, wird er jeweils außerhalb seiner regelmäßigen vorübergehend beruflich tätig. Gleichwohl können die vom Kläger geltend gemachten Kosten steuerlich nicht anerkannt werden, da ihm insoweit keine Aufwendungen entstanden sind. Denn der Kläger hat - wie oben ausgeführt - von seinem Arbeitgeber auf Grund der Sammelbeförderung in einem Firmenwagen einen geldwerten Vorteil erhalten, der nach § 3 Nr. 32 EStG steuerfrei ist, sodass Werbungskosten in dieser Höhe ausscheiden.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.