Sozialgericht Stade
Urt. v. 27.04.2012, Az.: S 28 AS 134/10

Haushaltsgemeinschaft; Unterhaltsvermutung

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
27.04.2012
Aktenzeichen
S 28 AS 134/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44313
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Eine Haushaltsgemeinschaft im Sinne des § 9 Abs. 5 SGB II ist regelmäßig anzunehmen, wenn erwachsene Kinder kostenfrei im Hause ihrer Eltern wohnen.

2. Bei der Berechnung der nach § 9 Abs. 5 SGB II vermuteten Leistungen an den Hilfebedürftigen ist bei jedem Verwandten, der Einkommen bezieht, der Freibetrag nach § 1 Abs 2 Alg II-VO abzuziehen.

Tenor:

Die Bescheide vom 28. Juli 2009 und vom 10. August 2009 sowie der Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2010 werden teilweise aufgehoben.

Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für den Monat August 2009 zusätzliche Leistungen in Höhe von monatlich 185,05 € und für die Monate September 2009 bis Januar 2010 zusätzliche Leistungen in Höhe von monatlich 184,94 € zu gewähren.

Der Beklagte hat dem Kläger die zur Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten in vollem Umfang zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ungekürzter Höhe ohne Anrechnung von Unterhaltsleistungen seiner Eltern aufgrund der Vermutung des § 9 Abs 5 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der Kläger steht seit 2005 beim Beklagten im Leistungsbezug. Er wohnt mietkostenfrei im Haus seiner Eltern. In einer Erklärung vom 1. April 2005 versicherten die Eltern des Klägers gegenüber dem Beklagten, dem Kläger aufgrund ihrer eigenen Einkommensverhältnisse keine weitere Unterstützung außer Unterkunft und Verpflegung gewähren zu können. Der Beklagte errechnete daraufhin die dem Kläger zu gewährende Leistung ohne Berücksichtigung von Kosten für Unterkunft und Heizung und unter Anrechnung von Unterhaltsleistungen aufgrund der Vermutung nach § 9 Abs 5 SGB II. Dieses Vorgehen des Beklagten wurde vom Kläger zunächst akzeptiert.

Im Folgebewilligungsantrag vom 16. Januar 2007 gab der Kläger als Änderung in seinen Einkommensverhältnissen an, dass seine Eltern nunmehr auch seine Schwester finanziell unterstützen würden. In seinem Bewilligungsbescheid vom 18. Januar 2007 berücksichtigte der Beklagte diesen Umstand nicht.

Mit Schreiben vom 25. Juni 2009 erklärten der Beklagte und seine Eltern, in einer Wohngemeinschaft und nicht in einer Haushaltsgemeinschaft zu leben. Dementsprechend machte er in seinem Folgebewilligungsantrag vom 30. Juni 2009 kenntlich, dass seine Eltern zum 25. Juni 2009 aus der Bedarfs- und Haushaltsgemeinschaft ausgezogen seien.

Im Bewilligungsbescheid vom 28. Juli 2009 rechnete der Beklagte dennoch aufgrund der Unterhaltsvermutung nach § 9 Abs 5 SGB II Leistungen der Eltern an den Kläger als Einkommen an. Diese vermuteten Leistungen der Eltern an den Kläger betrugen laut Berechnungsbogen für den Bewilligungszeitraum August 2009 bis Januar 2010 einen Betrag von monatlich 215,05 €. Nach Bereinigung dieses Betrages um die Versicherungspauschale iHv 30,- € ergab sich ein anzurechnendes monatliches Einkommen des Klägers iHv 185,05 €. Mithin bewilligte der Beklagte dem Kläger monatlich 173,95 € (Differenz zwischen der damaligen Regelleistung von 359,- € und dem anzurechnenden Einkommen). Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger unter dem 5. August 2009 Widerspruch.

In einem Änderungs- und Aufhebungsbescheid vom 10. August 2009 korrigierte der Beklagte seinen Bescheid aufgrund einer Neuberechnung nach eingereichter Lohnabrechnung des Vaters des Klägers und bewilligte nunmehr für den Zeitraum September 2009 bis Januar 2010 Leistungen iHv 174,06 € monatlich. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger unter dem 13. August 2009 Widerspruch.

Am 16. November 2009 lies der Beklagte einen unangekündigten Hausbesuch beim Kläger durchführen.

Mit Bescheid vom 14. Januar 2010 wies der Beklagte die Widersprüche des Klägers zurück. Der Hausbesuch habe bestätigt, dass der Kläger mit seinen Eltern in einer Haushaltsgemeinschaft lebe und dass die Eltern ihm finanzielle oder geldwerte Unterstützung gewährten. Es sei nicht glaubhaft, dass sich der Kläger von 110,- € durchschnittlichen Barabhebungen im Monat selbst unterhalten könne. Daher sei weiterhin die Unterhaltsvermutung nach § 9 Abs 5 SGB II anzuwenden; (vermutete) Leistungen der Eltern müssten dem Kläger als Einkommen angerechnet werden.

Am 15. Februar 2010 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.

Er begründet diese damit, dass der Beklagte nicht positiv festgestellt habe, dass er und seine Eltern im Sinne einer Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft "aus einem Topf" wirtschaften würden. Als Vegetarier sei der Kläger überdies in der Lage, sich sehr preisgünstig zu ernähren. Überdies zahle der Kläger seit August 2009 einen monatlichen Betrag iHv 35,00 € an seine Eltern für Heizkosten (30,- €) und Telefonnutzung (5,- €).

In einem Schreiben vom 27. April 2010 versicherten die Eltern des Klägers gegenüber dem Gericht, dass der Kläger ihnen den Betrag von 35,- € im Monat zahle und dass der Kläger darüber hinaus keinerlei Geld oder Sachleistungen erhalte.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 28. Juli 2009 sowie den Änderungsbescheid vom 10. August 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2010 aufzuheben, soweit er entgegen steht, und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 01. August 2009 bis zum 31. Januar 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher (ungekürzter) Höhe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er wendet ein, dass der Kläger die leistungsmindernde Unterhaltsvermutung über einen langen Zeitraum akzeptiert habe. Insofern sei sein Vorbringen wenig glaubhaft. Insbesondere an der kostenlosen Frischwasserversorgung durch seine Eltern sei erkennbar, dass er weitere Leistungen neben freiem Wohnen von ihnen erhalte. Insofern müsse von der gesetzlichen Unterhaltsvermutung des § 9 Abs 5 SGB II ausgegangen werden. Im Übrigen habe sich der Beklagte zu Gunsten des Klägers verrechnet, indem er zu Unrecht die Versicherungspauschale iHv 30,- € abgezogen habe.

In der mündlichen Verhandlung am 27. April 2012 hat die Kammer die Mutter des Klägers, Frau I. M., als Zeugin vernommen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten im Gerichtsverfahren, die Gerichtsakte, die Sitzungsniederschrift sowie auf den Inhalt der vom Gericht beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg. Dem Kläger stehen zusätzliche Leistungen für den Zeitraum 1. August 2009 bis 31. Januar 2010 im tenorierten Umfang zu.

Der Kläger hat im genannten Zeitraum dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Er gehört zum Kreis der Leistungsberechtigten nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II. Der am 12. Juli 1977 geborene Kläger hatte im Jahr 2009 das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht (Nr. 1), er war erwerbsfähig (Nr. 2) und hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (Nr. 4). Gemäß §§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs 1 SGB II war der Kläger auch hilfebedürftig. Denn er konnte seinen Lebensunterhalt nicht ausreichend aus eigenen Kräften sichern und erhielt die erforderliche Hilfe auch nicht von anderen, insbesondere nicht von seinen Angehörigen.

Dabei geht die Kammer - wie auch der Beklagte - davon aus, dass die Unterhaltsvermutung des § 9 Abs 5 SGB II zur Anwendung gelangt. Danach wird vermutet, dass Hilfebedürftige, die in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten leben, von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann. Die Kammer sieht es als erwiesen an, dass eine Haushaltsgemeinschaft zwischen dem Kläger und seinen Eltern im streitgegenständlichen Zeitraum vorgelegen hat. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 27.01.2010 - B 14 AS 6/08 R -, juris) reicht es für die Unterhaltsvermutung in § 9 Abs 5 SGB II gerade nicht aus, wenn Verwandte oder Verschwägerte in einem Haushalt lediglich zusammen wohnen. Vielmehr muss über die bloße Wohngemeinschaft hinaus der Haushalt im Sinne einer Wirtschaftsgemeinschaft gemeinsam geführt werden. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 5. September 2003 (BT-Drucks 15/1516, S 53) ist dies dann der Fall, wenn die Verwandten oder Verschwägerten mit dem im selben Haushalt lebenden Hilfebedürftigen "aus einem Topf" wirtschaften. Die Anforderungen an das gemeinsame Wirtschaften gehen daher über die gemeinsame Nutzung von Bad, Küche und ggf Gemeinschaftsräumen hinaus. Auch der in Wohngemeinschaften häufig anzutreffende gemeinsame Einkauf von Grundnahrungsmitteln, Reinigungs- und Sanitärartikeln aus einer von allen Mitbewohnern zu gleichen Teilen gespeisten Gemeinschaftskasse begründet noch keine Wirtschaftsgemeinschaft.

Ein solches gemeinsames Wirtschaften ist vorliegend gegeben. Die Mutter des Klägers hat in ihrer Zeugenaussage angegeben, dass sie als Mutter ihren Sohn selbstverständlich immer mit versorgen würde, wenn er kein eigenes oder kein ausreichendes Einkommen habe. Die Zahlung des vereinbarten Heiz- und Telefonkostenbeitrages durch ihren Sohn iHv 35,- € würde sie davon abhängig machen, dass er genügend Leistungen vom Amt erhalte. Diese würden immer wieder schwanken. Erst ab einer Höhe von monatlich 180,- oder 200,- € würde sie eine solche Beteiligung für zumutbar halten, da ihr Sohn anderenfalls nicht finanziell klarkommen könne. Ihr Sohn ernähre sich vegetarisch, hauptsächlich von Pizza, Bohnen und Gemüsepfannen. Dafür dürfe er sich auch Gemüse aus dem Garten nehmen. In geringem Rahmen unterstütze sie ihren Sohn auch bei Anschaffungen, allerdings meistens in Form von Geschenken zu Weihnachten und zum Geburtstag.

Im Lichte dieser Angaben sowie des persönlichen Eindrucks von Mutter und Sohn in der mündlichen Verhandlung ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger noch "als Kind" im Hause seiner Eltern lebt und bei Bedarf von ihnen jederzeit unterstützt wird. Bei einer derartigen Sachlage erscheint es lebensfremd, nicht von einer Haushaltsgemeinschaft auszugehen. Der Kläger genießt die Vorzüge des kostenfreien "Wohnens zu Hause" - inklusive einer Mitbenutzung des Gartens und dem Verzehr von selbst angebauten Gemüse - ohne hierfür einen ernsthaften wirtschaftlichen Beitrag leisten zu müssen. In einer solchen Situation ist von einem "Wirtschaften aus einem Topf", nämlich überwiegend aus dem der Eltern, auszugehen (vgl. Sächsisches LSG, Urteil vom 21.08.2008 - L 3 AS 62/06 -, juris). Eine Bedarfsgemeinschaft lag hingegen aufgrund der Tatsache, dass der Kläger bei Antragstellung bereits das 25. Lebensjahr überschritten hatte, nicht vor, vgl. § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II.

Die nach § 9 Abs 5 SGB II zu Grunde zu legende Unterhaltsleistung der Eltern des Klägers reichte im streitgegenständlichen Zeitraum nicht dazu aus, dass der ansonsten mittellose Kläger damit seinen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften bestreiten konnte.

Der Beklagte ist zu Recht von einem monatlichen Bedarf des Klägers in Höhe von 359,- € ausgegangen. Dieser Betrag entspricht der nach § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24. März 2006 (BGBl I, S. 558 ff.) iVm mit der Bekanntmachung über die Höhe der Regelleistung nach § 20 Absatz 2 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für die Zeit ab 1. Juli 2009 (BGBl I, S. 1342) maßgebenden monatlichen Regelleistung für eine allein stehende Person. Zu Recht hat der Beklagte keine Leistungen für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 SGB II erbracht. Gemäß § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Hieraus folgt, dass der SGB II-Träger nur solche Kosten für Unterkunft und Heizung zu übernehmen hat, die dem Hilfebedürftigen auch tatsächlich entstehen. Das Bundessozialgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass der Leistungsberechtigte im Leistungszeitraum einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt sein muss (BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 37/08 R -, juris; BSG, Urteil vom 07.05.2009 - B 14 AS 31/07 R -, juris). Zweck der Regelung über die Erstattung der Kosten für die Unterkunft ist es nämlich, existentielle Notlagen zu beseitigen und den Eintritt von Wohnungslosigkeit zu verhindern. Vorliegend sind dem Kläger nach Angaben seiner Mutter in ihrer Zeugenvernehmung keine Kosten der Unterkunft und Heizung entstanden, da sie angegeben hat, den vereinbarten Heizkostenzuschuss nur einzufordern, wenn der Kläger mehr als 180,- € Leistung zur Verfügung habe. Dies war im streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum nicht der Fall, so dass die anderslautenden schriftlichen Versicherungen des Klägers und seiner Eltern als Absichtserklärungen zu werten sind.

Der so ermittelte Bedarf des Klägers ist jedoch im Rahmen der Unterhaltsvermutung des § 9 Abs 5 SGB II nicht durch Leistungen seiner Eltern gedeckt. Vielmehr übersteigen der den Eltern zuzuerkennende Freibetrag sowie ihre Hauslasten ihr Einkommen, so dass im Rahmen von § 9 Abs 5 SGB II kein Einkommen des Klägers vermutet werden kann.

Vorgaben für die Höhe des den Haushaltsangehörigen zu belassenden Eigenbedarfes sind in § 1 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-V) geregelt. Es bestehen keine Bedenken aufgrund höherrangigen Rechts, § 1 Abs 2 Alg II-VO im Rahmen von § 9 Abs 5 SGB II anzuwenden (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 68/07 R -, juris). In § 1 Abs 2 Alg II-VO kommt zum Ausdruck, dass Leistungen von Verwandten und Verschwägerten in der Haushaltsgemeinschaft nur dann erwartet werden können, wenn diesen Angehörigen ein deutlich über den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts liegendes Lebensunterhaltsniveau verbleibt (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 6/06 R -, juris; LSG Sachsen, Urteil vom 21.08.2008 - L 3 AS 62/06 -, juris). Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Alg II-V sind bei der § 9 Abs. 5 SGB II zugrunde liegenden Vermutung die um die Absetzbeträge nach § 11 Abs. 2 SGB II bereinigten Einnahmen in der Regel nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie einen Freibetrag in Höhe des doppelten Satzes der nach § 20 Abs. 2 SGB II maßgebenden Regelleistung zuzüglich der anteiligen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sowie darüber hinausgehend 50% der diesen Freibetrag übersteigenden bereinigten Einnahmen nicht überschreiten. Wenn die Verwandten oder Verschwägerten - wie vorliegend - die gesamten Unterkunftskosten tragen, sind diese bei der Berechnung des Freibetrages in vollem Umfang zu berücksichtigen (vgl. Schellhorn, in: Hohm, Gemeinschaftskommentar zum SGB II, § 9 - Stand Oktober 2007 - Rn. 58).

Es bestehen - entgegen der Berechnungsmethode des Beklagten - keine Anhaltspunkte dafür, dass der Freibetrag nach § 1 Abs 2 Alg II-VO nicht bei jedem Angehörigen, der Einkommen erzielt, zu Grunde zu legen ist. Wie bereits ausgeführt, ist im Rahmen der Unterhaltsvermutung nach § 9 Abs 5 SGB II sicherzustellen, dass Verwandten und Verschwägerten, die aufgrund eigener Einkommenserzielung überhaupt in der Lage sind, Unterhalt zu leisten, ein deutlich über den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts liegendes Lebensunterhaltsniveau verbleibt. Bereits diese Ratio gebietet es, für jeden Einkommen erzielenden Angehörigen, welcher der Unterhaltsvermutung des § 9 Abs 5 SGB II ausgesetzt ist, auch die doppelte nach § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II maßgebenden Regelleistung als Freibetrag anzusetzen. Dieser Vorgehensweise entsprechen Entscheidungen anderer Sozialgerichten erster und zweiter Instanz (z. B. SG Kassel, Urteil vom 03.11.2009 - S 6 AS 733/07 -, juris; LSG Sachsen, Urteil vom 21.08.2008 - L 3 AS 62/06 -, juris).

Die Unterkunftskosten sind im Vergleich zu den vom Beklagten vorgenommenen Berechnungen höher anzusetzen. Der Beklagte hat zu Recht Grundsteuer iHv monatlich 10,92 €, Gebäudeversicherung iHv monatlich 41,28 €, Müllabfuhrgebühren iHv monatlich 8,55 €, Schornsteinfegergebühren iHv monatlich 7,38 €, Wassergebühren iHv monatlich 15,00 € und Abwassergebühren iHv monatlich 19,00 € (zusammen 102,13 €) zu Grunde gelegt (s. Blatt 295 d. Verwaltungsakte). Allerdings hat der Beklagte die Heizkosten mit 84,44 € monatlich zu niedrig angesetzt. Vielmehr sind die Heizkosten anhand des tatsächlichen Verbrauchs zu ermitteln. Hierfür ist für die Heizperiode 2009/2010 von der Heizölrechnung vom 2. März 2009 (Blatt 281 der Verwaltungsakte) auszugehen, wonach 4.849 l Heizöl für 2.117,70 € getankt worden sind. Bei einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 4.000 l, der sich anhand eines Gesamtvergleichs der Heizölrechnungen aus den Jahren 2006 (4.005 l - Blatt 179 der Verwaltungsakte), 2007 (4.004 l - Blatt 180 der Verwaltungsakte), 2008 (3.004 l - Blatt 238 der Verwaltungsakte) und 2009 (4.849 l - Blatt 281 der Verwaltungsakte) ergibt, ist demnach bei einem Literpreis von 0,4367 € (2.117,7 € geteilt durch 4.849 l) bei 4.000 l Jahresverbrauch von Heizkosten in Höhe von insgesamt 1.746,80 € auszugehen. Monatlich ergibt sich daraus ein Betrag von 145,57 € (1.746,80 € geteilt durch 12 Monate). Insgesamt belaufen sich die Hauslasten bei Addierung sämtlicher genanter Beträge somit auf 247,70 € (102,13 € plus 145,57 €) monatlich.

Danach ergibt sich vorliegend folgender Eigenbedarf der Eltern des Klägers ausgehend von den im streitigen Zeitraum geltenden Regelleistungen nach § 20 Abs. 2 SGB II:

Vater:

2 x 359,00 €

= 718,00 €

Mutter:

2 x 359,00 €

= 718,00 €

= 1.436,00 €

Unterkunftskosten:

 247,70 €

= 247,70 €

Freibetrag

= 1.683,70 €

Diesem Freibetrag ist das bereinigte monatliche Einkommen der Eltern gegenüberzustellen. Der Beklagte hat das Einkommen anhand der ihm von den Eltern des Klägers vorgelegten Nachweise im Wesentlichen korrekt ermittelt. Bei den Eltern, die beide Renten beziehen, hat der Beklagte zu Recht die Versicherungspauschale nach §§ 11 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB II, 6 Abs 1 Nr. 1 Alg II-VO iHv 30,- € abgezogen.

Zu berücksichtigen sind zusätzlich noch Pachteinnahmen iHv 1.500,- € jährlich ausweislich der Angaben der Mutter der Klägerin im Rahmen ihrer Zeugenaussage.

Es ergibt sich für den streitgegenständlichen Zeitraum ein monatlich zu berücksichtigendes Einkommen der Eltern von insgesamt 1.680,66 €:

Altersrente Vater, Blatt 270 der Verwaltungsakte

 1.285,90 €

Betriebsrente Vater, Blatt 228 der Verwaltungsakte

119,90 €

abzgl Pauschale

- 30,00 €

Altersrente Mutter, Blatt 272 der Verwaltungsakte

 209,86 €

abzgl. Pauschale

- 30,00 €

monatliches Pachteinkommen (unbereinigt)

125,00 €

= 1.680,66 €

Aus der Gegenüberstellung dieses bereinigten Einkommens iHv 1.680,66 € und des Freibetrages iHv 1.683,70 € monatlich ergibt sich, dass die Eltern des Klägers diesem aufgrund der Unterhaltsvermutung des § 9 Abs 5 SGB II jedenfalls keine vermuteten Leistungen gewähren. Dabei berücksichtigt das Gericht, dass die Einkommensberechnung bei genauerer Vorgehensweise womöglich noch niedriger ausfallen würde. Denn es ist nicht geprüft worden, ob die Eltern womöglich mehr Ausgaben für private Versicherungen haben als in der Pauschale von 30,- € berücksichtigt worden ist. Das angegebene Pachteinkommen ist unbereinigt (ohne Abzug Grundsteuer) zu Grunde gelegt worden. Ferner ist unberücksichtigt geblieben, ob und in welcher Höhe die Eltern des Klägers anderen Kindern Unterhalt leisten.

Die Kammer ist darüber hinaus zur Überzeugung gelangt, dass tatsächliche Unterhaltsleistungen außer dem kostenfreien Wohnen dem Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht in relevanter Höhe zugeflossen sind. Als relevante Höhe setzt die Kammer den Betrag von 30,- € an, der beim Kläger bezüglich seines Einkommens noch abzuziehen wäre. Es ist nicht ersichtlich, dass der Pauschalabzug nach §§ 11 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB II, 6 Abs 1 Nr. 1 Alg II-VO volljährigen Empfängern von familiären Unterstützungsleistungen nicht zu Gute kommen soll. Aus den glaubwürdigen Angaben der Mutter der Klägerin im Rahmen ihrer Vernehmung schließt die Kammer, dass dieser über das kostenfreie Wohnen hinaus nur im minimalen Bereich familiäre Unterstützung erhalten hat. Zusammengenommen haben sein von den Eltern gezahlter Energie- und Frischwasserverbrauch sowie gelegentliche Zuwendungen in Form von Geschenken jedenfalls im Durchschnitt nicht die Summe von 30,- € überstiegen. Dies ist auch angesichts der bescheidenen finanziellen Verhältnisse der Eltern, die nach eigenen Angaben noch weitere Kinder unterstützen, auch plausibel und glaubwürdig. Die Angaben des Klägers zu seiner preisgünstigen Ernährungs- und Lebensweise hält die Kammer auch im Lichte der Zeugenaussage seiner Mutter für wahrheitsgemäß.

Damit ergibt sich ein monatlicher Anspruch des Klägers auf Leistungen iHv 359,- €. Für den hier zu entscheidenden Zeitraum ergibt sich somit für den Monat August 2009 ein zusätzlicher Betrag von 185,05 € gegenüber dem vom Beklagten in seinem Bescheid vom 28. Juli 2009 bewilligten Betrag (359,- € abzgl. 173,95 €) und für die Monate September 2009 bis Januar 2012 ein zusätzlicher Betrag von 184,94 € monatlich gegenüber dem vom Beklagten in seinem Bescheid vom 10. August 2009 bewilligten Betrag (359,- € abzgl. 174,06 €).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Es entspricht der Billigkeit, dass der unterlegene Beklagte dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten hat.