Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.04.2007, Az.: 19 LD 4/06
Vorwurf der Entnahme von Verwarnungsgeldern aus der Verwarnungsgeldkasse zur Verwendung für eigene Zwecke gegenüber einem Beamten; Rechtmäßigkeit der Entfernung eines ehemaligen Polizeibeamten aus dem Dienst; Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aufgrund der Verhängung der schwerwiegensten Dienstmaßnahme; Folgen des Begehens einer Straftat in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausübung der dienstlichen Tätigkeit durch den Beamten; Begehung eines Dienstvergehens mit der durch einen Strafbefehl geahndeten Straftat; Nachhaltige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses eines Beamten zu seinem Dienstherrn
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 12.04.2007
- Aktenzeichen
- 19 LD 4/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 32577
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2007:0412.19LD4.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - 22.09.2005 - AZ: 9 A 1141/04
- OVG Niedersachsen - 22.03.2007 - AZ: 19 LD 4/06
- nachfolgend
- BVerfG - 20.12.2007 - AZ: 2 BvR 1050/07
Rechtsgrundlagen
Fundstelle
- NdsVBl 2007, 247-248
Amtlicher Leitsatz
Die für die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erforderliche Feststellung eines endgültigen Vertrauensverlustes setzt auch bei einem sog. Zugriffsdelikt neben der Schwere des Dienstvergehens eine umfassende Würdigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten voraus (im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 20.10.2005 - BVerwG 2 C 12.04 -, NVwZ 2006, 469 [BVerwG 20.10.2005 - 2 C 12/04]).
Gründe
I.
Mit seiner Berufung wendet sich der Beamte dagegen, dass die Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts auf seine Entfernung aus dem Dienst erkannt hat. Er macht geltend, die Vorinstanz habe gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, indem sie die schwerwiegenste Disziplinarmaßnahme verhängt hat. Mit seinem Rechtsmittel erstrebt er, dass der Senat eine mildere Maßnahme ausspricht.
Der Beamte wurde am 14. September 1955 geboren, ist verheiratet und Vater zweier aus dieser Verbindung hervorgegangener, mittlerweile 23 bzw. 21 Jahre alter Kinder.
Er trat am 1. September 1972 als Polizeiwachtmeister in den Polizeidienst des Landes Niedersachsen ein. Nach verschiedenen Beförderungen in der Laufbahngruppe des mittleren Dienstes und mehrmaligen vergeblichen Bewerbungen um die Zulassung zur Ausbildung für den gehobenen Vollzugsdienst wurde der Beamte im Oktober 1996 für den Lehrgangsaufstieg zugelassen, absolvierte diesen Lehrgang im April 2000 mit Erfolg und wurde im Anschluss hieran mit Wirkung zum 1. Mai 2000 zum Polizeikommissar ernannt und in ein Amt der Besoldungsgruppe A 9 BBesO g.D. eingewiesen. In diesem Amt wurde er am 18. Oktober 2000 sowie am 1. November 2002 dienstlich beurteilt. Während die zuerst genannte Beurteilung mit der Wertungsstufe "3" zu dem Ergebnis gelangte, dass der Beamte voll den Anforderungen entspreche, bescheinigten ihm die Beurteiler der letzten Beurteilung mit der Wertungsstufe "4", dass er die Anforderungen erheblich übertreffe. Seinen Dienst versah der Beamte seit 1974 und auch zum Zeitpunkt des Vorkommnisses, das Gegenstand des Disziplinarverfahrens ist, im Polizeikommissariat H., wo er als Sachbearbeiter im Einsatz- und Streifendienst sowie im Kriminalermittlungsdienst tätig war. Disziplinarrechtlich ist er bisher nicht in Erscheinung getreten.
Mit Verfügung vom 21. Oktober 2003 verbot die Bezirksregierung I. dem Beamten mit sofortiger Wirkung gemäß § 67 NBG die Führung seiner Dienstgeschäfte. Dem Beamten, der neben dem stellvertretenden Dienststellenleiter für die Verwaltung der Verwarnungsgelder seiner Dienststelle zuständig war, wurde vorgeworfen, vor dem 24. Juli 2003 Verwarnungsgelder in Höhe von 1.200,-- EUR der Verwarnungsgeldkasse entnommen und für eigene Zwecke verwendet zu haben. Gegen diese Maßnahme suchte der Beamte ohne Erfolg um vorläufigen Rechtsschutz nach (Beschl. d. VG Stade v. 28.11.2003 - 3 B 1774/03 -). Mit einer weiteren Verfügung vom 10. November 2003 leitete die Bezirksregierung I. gegen den Beamten das förmliche Disziplinarverfahren ein und enthob ihn sogleich gemäß § 91 NDO des Dienstes. Dem hiergegen gerichteten Antrag des Beamten, die Suspendierung aufzuheben, blieb der Erfolg ebenfalls versagt (Beschl. der Disziplinarkammer bei dem VG Stade v. 13.05.2004 - 9 A 2308/03 -; NDH, Beschl. v. 29.07.2004 - 1 NDH M 5/04 -).
Durch Strafbefehl des Amtsgerichts J. vom 5. März 2004 - 21 Cs 133 Js 35799/03 - wurde gegen den Beamten eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen in Höhe von 50,-- EUR je Tagessatz festgesetzt, nachdem die Staatsanwaltschaft K. den Beamten beschuldigt hatte, in H. im Juli 2003 durch dieselbe Handlung a) fremde bewegliche Sachen einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben, die Sachen sich rechtswidrig zuzueignen, b) die ihm kraft behördlichen Auftrags obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt zu haben, indem er aus der Verwarnungsgeldkasse des Polizeikommissariats H., die er gemeinsam mit PHK L. verwaltete und über deren Einnahmen er und PHK L. gegenüber der Polizeiinspektion M. abzurechnen hatten, einen Betrag in Höhe von zumindest 1.200,-- EUR entnahm, um das Geld vorübergehend für eigene Zwecke zu verwenden, weil sein Dispositionskredit ausgeschöpft war und er zumindest bis zur nächsten Gehaltszahlung über keine Liquidität mehr verfügte; den entnommenen Betrag sowie weitere 50,00 EUR, deren Entnahme ungeklärt ist, zahlte er am 8. Oktober 2003 bei der Polizeiinspektion M. ein. Vergehen, strafbar nach §§ 242 Abs. 1, 266 Abs. 1, 2. Alternative, 52 Strafgesetzbuch.
Nachdem der Strafbefehl rechtskräftig geworden war und das Untersuchungsverfahren durch Beweiserhebungen seinen Fortgang genommen hatte, teilte die bestellte Untersuchungsführerin mit Bericht vom 23. Juni 2004 der Bezirksregierung I. das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen mit.
Mit der am 2. Juli 2004 bei der Disziplinarkammer eingegangenen Anschuldigungsschrift hat der Vertreter der Einleitungsbehörde dem Beamten vorgeworfen, mit der durch den Strafbefehl des Amtsgerichts J. geahndeten Straftat zugleich ein Dienstvergehen begangen zu haben. Durch sein Verhalten sei er nicht der Achtung und dem Vertrauen gerecht geworden, die sein Beruf erfordere (§ 62 Satz 3 NBG), und habe daneben sein Amt nicht uneigennützig verwaltet (§ 62 Satz 2 NBG). Polizeibeamten seien aufgrund ihres Berufes zur Verteidigung der Rechtsordnung und zur Verhütung und Verfolgung von Straftaten verpflichtet. Von ihnen werde daher zu Recht erwartet, dass sie nicht selbst gegen Strafgesetze verstießen. Handelten sie dieser Maxime zuwider, so verhielten sie sich stets achtungs- und vertrauensunwürdig.
Der Vertreter der Einleitungsbehörde hat beantragt,
den Beamten aus dem Dienst zu entfernen.
Der Beamte hat eine geringere Disziplinarmaßnahme in das Ermessen des Gerichts gestellt.
Er hat in Abrede gestellt, dass das Vertrauensverhältnis zu seinem Dienstherrn nachhaltig zerstört sei. Er habe länger als 30 Jahre tadellos, treu, verantwortungsbewusst und vertrauensvoll seinen Dienst als Polizeibeamter ausgeübt, ohne ein einziges Mal disziplinarrechtlich in Erscheinung getreten zu sein. In der Zusammenarbeit mit Vorgesetzten und Kollegen habe er sich stets loyal verhalten und gewissenhaft seine Pflichten erfüllt, so dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass durch das einmalige Fehlverhalten das Arbeitsklima und der Frieden in der Dienststelle des Polizeikommissariats H. im Falle einer Weiterbeschäftigung gestört oder gefährdet werden könnte.
Durch ihr Urteil vom 22. September 2005 hat die Disziplinarkammer bei dem Verwaltungsgericht N. den Beamten eines Dienstvergehens für schuldig befunden und auf Entfernung aus dem Dienst erkannt. Für die Dauer eines Jahres hat sie dem Beamten einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 60 Prozent des Ruhegehalts bewilligt, das er im Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils erdient hätte.
Die Disziplinarkammer hat ihrer Entscheidung unter anderem folgende Feststellungen zugrunde gelegt:
"Gemeinsam mit dem stellvertretenden Dienststellenleiter - PHK L. - war ihm die Verwaltung und Abrechnung der Verwarngelder in der Dienststelle übertragen. PHK L. stellte am 24. Juli 2003 in der Geldkassette eine Fehlbetrag von 1.200,00 EUR fest. Auf Rückfrage gestand der Beamte ihm ein, das Geld entnommen zu haben. Er wolle aber den Fehlbetrag nach Überwindung eines finanziellen Engpasses Anfang August ausgleichen. PHK L., der unmittelbar danach seinen Urlaub antrat, informierte den PK-Leiter KHK O. über den Sachverhalt nach seiner Rückkehr am 20. August 2003. Auch dieser ging zunächst davon aus, dass der Beamte den Fehlbetrag unverzüglich ausgleicht und sich zudem selbst seinem Dienststellenleiter offenbart. Eine erneute Prüfung am 24. September 2003 ergab einen erhöhten Kassenfehlbetrag von nunmehr 1.250,00 EUR. Diesen Vorgang meldete der Dienststellenleiter daraufhin über die PI M. an die Bezirksregierung I.. ...
Nach dem festgestellten Sachverhalt, den der Beamte in vollem Umfang einräumt, hat er seine Dienstpflichten zur uneigennützigen Amtsführung aus § 62 Satz 2 NBG, zum achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes gemäß § 62 Satz 3 NBG, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu gewährleisten gemäß § 63 Satz 1 NBG sowie zur Beachtung von allgemeinen Richtlinien und Weisungen aus § 63 Satz 3 NBG durch die begangenen Handlungen verletzt. Der Tatbestand dieser Pflichtverletzungen liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Ausführungen.
Diese Taten sind durch den Beamten auch schuldhaft, nämlich vorsätzlich begangen worden. Der Beamte selbst macht nicht geltend, und aus den Ermittlungsakten sind Anhaltspunkte dafür nicht ersichtlich, dass er die ihm vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen bedingt durch eine Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit begangen hat. Vielmehr hat der Beamte nach seinen Angaben gezielt Geld aus der Verwarngeldkasse genommen und damit einen in seinem privaten Umfeld entstandenen finanziellen Engpass ausgeglichen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Beamte bei dieser Tat gleichsam zwanghaft gehandelt hätte, ohne dass ihm die Möglichkeit offengestanden hätte, sich für das Nichtbegehen der Tat zu entscheiden. Dabei ist unerheblich, dass der Beamte nach seinen Angaben keine konkreten Vorstellungen darüber hatte, zu welchem Zeitpunkt ihm eine Rückgabe des aus seiner Sicht geliehenen Geldes möglich gewesen wäre, was bei realistischer Betrachtungsweise erst im Oktober 2003 möglich war. Der Beamte musste damit bei Begehung der Tat davon ausgehen, dass in Anbetracht dieser zeitlichen Komponente eine Entdeckung seiner Tat nahezu zwangsläufig erfolgen musste. Warum er gleichwohl die ihm vorgeworfene Handlung begangen hat, konnte auch in der Hauptverhandlung nicht erschöpfend geklärt werden. Das Vorliegen von möglichen Schuldausschließungsgründen lässt sich hieraus jedoch nicht herleiten. Die Kammer geht davon aus, dass der Beamte stets gewusst hat, dass er etwas Verbotenes tut und dass ihm auch klar gewesen sein muss, welche Konsequenzen diese Handlungsweise für einen Beamten haben kann."
Gegen dieses ihm am 17. Oktober 2005 zugestellte Urteil wendet sich der Beamte mit seiner am 28. Oktober 2005 eingegangenen Berufung, zu deren Begründung er geltend macht: Die Entfernung aus dem Dienst treffe ihn zu schwer und erweise sich als unverhältnismäßige Maßnahme. Er bleibe dabei, dass von einer unwiederbringlichen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu seinem Dienstherrn nicht die Rede sein könne. Eine solche Annahme würdige nicht hinreichend die konkreten Umstände des vorliegenden Einzelfalles und verkenne, dass er 31 Jahre lang seinen Dienst ordnungsgemäß versehen habe, in den dienstlichen Beurteilungen als offener und aufrichtiger Charakter beschrieben und als zuverlässig und einsatzwillig eingestuft worden sei und sich nach dem Dienstvergehen einsichtig gezeigt und Verantwortung für sein Fehlverhalten dadurch übernommen habe, dass er neben dem entnommenen Betrag von 1.200,-- EUR einen weiteren Fehlbetrag in Höhe von 50,-- EUR ebenfalls ausgeglichen habe. Ferner dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Dienstherr den gemaßregelten Zugriff in die Verwarnungsgeldkasse dadurch erleichtert habe, dass die in der Kasse befindlichen Beträge entgegen einer dienstlichen Anweisung nicht wöchentlich abgeführt worden und die vorgegebenen monatlichen Kontrollen ebenfalls unterblieben seien. Der am schwersten wiegenden Disziplinarmaßnahme bedürfe es schließlich auch deshalb nicht, weil die ihm bisher zuteil gewordenen Sanktionen sein Fehlverhalten bereits ausreichend gemaßregelt hätten. So habe er mit der Entscheidung des Amtsgerichts J. einen Strafbefehl akzeptiert, der die Bestimmung des § 46 a StGB nicht berücksichtigt habe und im Falle einer solchen Berücksichtigung möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Er habe wegen der Suspendierung mehrere Jahre seinen Dienst nicht versehen können und damit ebenfalls eine erhebliche Belastung erfahren. Hinzu komme, dass die bisherigen Maßregelungen seinem persönlichen Umfeld nicht verborgen geblieben seien, so dass er den Verlust seines persönlichen Ansehens ebenfalls verkraften müsse.
Der Beamte beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und auf eine mildere Maßnahme als die Entfernung aus dem Dienst zu erkennen.
Der Vertreter der Einleitungsbehörde verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die Beiakten A bis N Bezug genommen.
II.
Die Berufung des Beamten ist unbegründet. Denn das Verwaltungsgericht hat ihn zu Recht aus dem Beamtenverhältnis entfernt.
Der Berufungsantrag sowie die Begründung der Berufung sind dahin zu verstehen, dass der Beamte sein Rechtsmittel auf das Disziplinarmaß beschränkt. Daher ist der Senat an die Tat- und Schuldfeststellungen des Verwaltungsgerichts sowie an dessen disziplinarrechtliche Würdigung als Dienstvergehen (§§ 85, 62 Sätze 2 und 3, 63 Sätze 1 und 3 NBG) gebunden. Der Beamte beantragt demgemäß nicht, das Disziplinarverfahren einzustellen, sondern auf eine mildere Disziplinarmaßnahme als die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zu erkennen. Dabei beurteilt sich die Angemessenheit der in Betracht kommenden Disziplinarmaßnahmen weiterhin nach den Regelungen der Niedersächsischen Disziplinarordnung - NDO - (vgl. dazu die Übergangsvorschrift des Art. 11 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes zur Neuordnung des Niedersächsischen Disziplinarrechts vom 13. Oktober 2005 - Nds. GVBl. S. 296 -).
Die disziplinarische Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, die das Verwaltungsgericht gegen den Beamten verhängt hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Bei der Wahl der auszusprechenden Disziplinarmaßnahme ist von dem Zweck des Disziplinarverfahrens auszugehen, das der Erhaltung der Funktionsfähigkeit und des Ansehens des öffentlichen Dienstes dient. Hat ein Beamter durch ein schweres Dienstvergehen im Kernbereich seines Pflichtenkreises schuldhaft versagt, ist damit regelmäßig ein endgültiger Ansehens- und Vertrauensverlust verbunden (vgl. dazu jetzt auch § 14 Abs. 2 NDiszG). In einem solchen Fall ist ein Beamter für den öffentlichen Dienst untragbar geworden und sein Verbleib für den Dienstherrn nicht länger zumutbar. Der Beamte ist aus dem Dienst zu entfernen. Ist er für den öffentlichen Dienst weiterhin noch tragbar und hatte er aus objektiver Sicht das Vertrauen des Dienstherrn noch nicht endgültig verloren, kommen mildere Disziplinarmaßnahmen in Betracht, die Ansehen und Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes wiederherstellen, den Beamten zu einer zukünftigen korrekten Pflichterfüllung anhalten und ihrerseits nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen sind.
Vorliegend hat der Beamte im Kernbereich der ihm obliegenden Pflichten schwer versagt. Es ist Aufgabe der Polizei, Straftaten aufzuklären und zu verhindern. Ein Polizeibeamter, der selbst vorsätzlich eine Straftat begeht und damit kriminell handelt, beeinträchtigt das für die Ausübung seines Berufes erforderliche Vertrauen des Dienstherrn und sein Ansehen in der Öffentlichkeit in besonderem Maße. Dies gilt erst recht, wenn ein Beamter - wie hier - die Straftat in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit begeht, indem er die ihm gegenüber den Bürgern eingeräumte Befugnis, Verwarnungsgelder einzuziehen und zum Zwecke der späteren Abführung aufzubewahren, zu eigenen Zwecken missbraucht. Die Verwaltung ist auf die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Bediensteten im Umgang mit Geld, das diesen in ihrer amtlichen Eigenschaft zufließt und von ihnen aufbewahrt wird, angewiesen, zumal eine lückenlose Kontrolle eines jeden Mitarbeiters nicht möglich ist. Ein Beamter, der sich bei der Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit an Vermögenswerten vergreift, die seinem Gewahrsam oder dem seiner Mitarbeiter und Vorgesetzten unterliegen, beweist damit ein so hohes Maß an Pflichtvergessenheit, dass er regelmäßig das Vertrauensverhältnis, das ihn mit seinem Dienstherrn verbindet, zerstört und deshalb grundsätzlich für einen Verbleib im Dienst nicht mehr tragbar ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.03.2002 - 1 D 8.01 -; Urt. v. 28.03.1984 - 1 D 63.83 -, BVerwGE 76, 145). Diese Feststellung muss sich der Beamte, zu dessen Aufgaben Verwaltung und Aufbewahrung von Verwarnungsgeldern gehörte, entgegenhalten lassen. Sein Dienstherr hatte ihm diese Aufgabe im Vertrauen auf seine Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit übertragen. Dieses ihm entgegengebrachte Vertrauen hat der Beamte missachtet. Darin liegt eine besonders schwere Verfehlung.
Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass die Schwere des Dienstvergehens vorliegend schon maßgeblich durch das Eigengewicht der Verfehlung bestimmt wird. Hat sich der Beamte bei der Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit an Vermögenswerten vergriffen, die ihm dienstlich anvertraut sind, ist ein solches Dienstvergehen "regelmäßig" geeignet, das Vertrauensverhältnis zu zerstören (vgl. auch BVerfG, 1. Kammer d. 2. Senats , Beschl. v. 19.02.2003 - 2 BvR 1413/01 -, NVwZ 2003, 1504), so dass in einem solchen Fall - wie auch dem vorliegenden - die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis grundsätzlich Ausgangspunkt der Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme ist. Die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung entfällt jedoch, wenn gewichtige und im Einzelfall durchgreifende Entlastungsgründe festgestellt werden. Dann hat das Dienstvergehen keinen endgültigen Vertrauensverlust zur Folge. Anders als von der Disziplinarkammer und auch von der bisherigen Rechtsprechung des inzwischen aufgelösten Niedersächsischen Disziplinarhofs sowie des erkennenden Senats angenommen darf sich die Würdigung von Entlastungsgründen nicht nur auf die Prüfung der sogenannten "anerkannten Milderungsgründe" beschränken. Wie das Bundesverwaltungsgericht in seiner jüngeren Rechtsprechung ausgeführt hat (vgl. Urt. v. 20.10.2005 - 2 C 12/04 -, NVwZ 2006, 469 [BVerwG 20.10.2005 - 2 C 12/04]; Beschl. v. 22.09.2006 - 2 B 52/06 -; Beschl. v. 19.12.2006 - 2 B 42/06 -), sind zwar die bisher anerkannten Milderungsgründe, die besondere Konfliktsituationen wie das Handeln in einer wirtschaftlichen Notlage, in einer psychischen Ausnahmesituation oder in einer besonderen Versuchungssituation, und Verhaltensweisen mit noch günstigen Persönlichkeitsprognosen wie die freiwillige Wiedergutmachung des Schadens oder Offenbarung des Fehlverhaltens vor der Tatentdeckung sowie den Zugriff auf geringwertige Gelder oder Güter umschreiben, nach wie vor geeignet, bei einem Beamten, der dienstlich im Kernbereich versagt hat, noch einen Rest an Vertrauen anzunehmen. Sie stellen jedoch keinen abschließenden Kanon der bei sogenannten Zugriffsdelikten berücksichtigungsfähigen Entlastungsgründe dar. Es ist vielmehr auch nach anderen Entlastungsgründen vergleichbaren Gewichts zu fragen, die ein Restvertrauen rechtfertigen können. Bei der prognostischen Frage, ob bei einem Beamten aufgrund eines schweren Dienstvergehens ein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten ist, gehören zur Prognosebasis daher alle für diese Einschätzung bedeutsamen belastenden wie entlastenden Bemessungsgesichtspunkte. Soweit das Bundesverwaltungsgericht die Änderung seiner Rechtsprechung aus der Auslegung des § 13 BDG sowie dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abgeleitet hat, folgt der Senat dieser Auffassung für die Beurteilung von Disziplinarmaßnahmen, die noch auf die Niedersächsische Disziplinarordnung zu stützen sind, in Ermangelung einer § 13 BDG entsprechenden Norm (ebenso nunmehr § 14 NDiszG) mit Blick auf das Übermaßverbot des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. dazu auch OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 10.05.2006 - 11 A 11702/05 -; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 26.10.2006 - DB 16 S 6/06 -).
Hieran gemessen sind Anhaltspunkte für das Vorliegen der anerkannten "klassischen Milderungsgründe" nicht ersichtlich. Weder lässt sich zugunsten des Beamten eine besondere Konfliktsituation wie das Handeln in einer wirtschaftlichen Notlage, in einer psychischen Ausnahmesituation oder in einer besonderen Versuchungssituation annehmen, noch lassen die mit dem Dienstvergehen zusammenhängenden Verhaltensweisen wie eine freiwillige Wiedergutmachung des Schadens oder Offenbarung des Fehlverhaltens vor der Tatentdeckung oder der Zugriff auf geringwertige Gelder oder Güter die Pflichtverletzung in einem milderen Licht erscheinen. Diese Milderungsgründe nimmt der Beamte für sich auch nicht in Anspruch.
Allerdings beruft er sich zu Recht darauf, dass bei der Beurteilung der prognostischen Frage, ob aufgrund der Schwere des festgestellten Dienstvergehens ein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten ist, als entlastender Bemessungsaspekt seine langjährige Dienstzeit und die bisherige dienstliche Führung zu berücksichtigen sind. So ist nicht zu verkennen, dass der Beamte inzwischen auf eine fast 35-jährige Polizeidienstzeit zurückblickt, in deren Verlauf er bisher nicht disziplinarrechtlich in Erscheinung getreten ist. Ferner hat der Dienstherr die bisherigen Dienstleistungen des Beamten in dem zuletzt ausgeübten Amt anerkennend gewürdigt, indem er sie in den letzten dienstlichen Beurteilungen vom 18. Oktober 2000 und 1. November 2002 zunächst mit der Wertungsstufe 3 "entspricht voll den Anforderungen" und anschließend mit der Bewertungsnote 4 "übertrifft erheblich die Anforderungen" bedacht hat. Auch übersieht der Senat nicht, dass der Beamte den von ihm angerichteten finanziellen Schaden sowie einen weiteren Kassenfehlbetrag von 50,-- EUR, dessen Entstehung nicht abschließend aufgeklärt werden konnte, ausgeglichen hat. Die Wiedergutmachung des Schadens vermag ihn indes nicht nachhaltig zu entlasten, da er sich zu diesem Schritt, zu dem er zivilrechtlich ohnehin verpflichtet gewesen wäre, erst veranlasst gesehen hat, nachdem am 30. September 2003 gegen ihn disziplinarrechtliche Vorermittlungen und die Verhängung eines Amtsführungsverbot eingeleitet worden waren.
Auch der Hinweis des Beamten, der Dienstherr habe ihm mit Blick auf die Höhe des entnommenen Betrages den Zugriff in die Verwarnungsgeldkasse dadurch erheblich erleichtert, dass entgegen einer bestehenden Dienstanweisung vom 25. November 1994 die vereinnahmten Verwarnungsgelder nicht wöchentlich bei der Abrechnungsstelle der Polizeiinspektion M. abgeliefert worden und die monatlichen Kontrollen unterblieben seien, vermag nicht nachhaltig zu seiner Entlastung beizutragen. Denn der Beamte war nach der Diensteinteilung des Polizeikommissariats H. im Hinblick auf die Führung der Verwarnungsgeldkasse Abwesenheitsvertreter seines Kollegen POK L., so dass es ihm selbst im Vertretungsfall oblegen hätte, die eingenommenen Verwarnungsgelder zeitnah an die vorgesetzte Dienststelle abzuführen, um der Anhäufung überhöhter Geldbeträge entgegenzuwirken. Stattdessen hat er einen solchen Abwesenheitsfall seines Kollegen zu dem vorliegend zu maßregelnden Zugriff auf einen nicht unerheblichen Geldbetrag ausgenutzt.
Streitet daher die bisherige langjährige beanstandungsfreie und positiv beurteilte Dienstausübung für eine die Schwere des Dienstvergehens mildernde Prognose, so stehen ihrer bei der Beantwortung der Frage eines noch verbliebenen Restvertrauens ausschlaggebenden Berücksichtigung jedoch der mit dem Dienstvergehen verfolgte Verwendungszweck, die damit verbundene Motivation und die nach Entdeckung der Tat gezeigte Verhaltensweise entgegen.
Während sich der Beamte nach seiner Einlassung im Untersuchungsverfahren zu der Entwendung des nicht unerheblichen Geldbetrages von 1.200,- EUR hat verleiten lassen, um Aufwendungen auszugleichen, die im Zusammenhang mit der Feier der eigenen Silberhochzeit, dem Schulabschluss seiner Tochter (Ballkleid und Abiturabschlussfahrt) und deren Praktikum in den USA sowie dem Tennisleistungssport seines Sohnes standen, hat er das Motiv für den unerlaubten Zugriff in die Verwarnungsgeldkasse vor dem Senat mit der kritischen finanziellen Situation erläutert, in die er und seine Familie im Zusammenhang mit den zuvor getätigten nicht unerheblichen Aufwendungen für seine Kinder - Auslandsaufenthalt und Sportförderung - geraten waren und die schließlich, nachdem die Verbindlichkeiten einen Stand von ca. 17.000,- EUR erreicht hatten, zu einer Sperrung des Dispositionskredits durch das in Anspruch genommene Geldinstitut geführt hatte. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Beamte den entwendeten Betrag, ohne insoweit in eine besondere Not oder unter Druck geraten zu sein, letztlich für Ausgaben für eine Lebensführung verwendet hat, die für die Bestreitung des täglichen Bedarfs nicht unerlässlich ist, sondern eher zu den Annehmlichkeiten des Lebens zählt. Würde der Allgemeinheit und insbesondere dem mit einem Verwarnungsgeld gemaßregelten Bürger bekannt, für welchen Zweck eingenommene Verwarnungsgelder missbraucht würden, wäre das Handeln von Polizeibeamten schnell dem Verdacht ausgesetzt, eine Verwarnung und deren geldbetragsmäßige Bemessung erfolgten nicht allein nach sachgerechten Kriterien und Beurteilungsmaßstäben, sondern zur eigennützigen Vereinnahmung der Beamten, so dass es an jedwedem Vertrauen der Allgemeinheit für eine künftig pflichtgemäße Amtsausübung fehlen dürfte.
Hinzu kommt, dass sich der Beamte bei dem Zugriff in die Verwarnungsgeldkasse offensichtlich schnell über seine innere Hemmschwelle hinweggesetzt hat. Denn anders ist es nicht zu erklären, dass er auch in Anbetracht des bei seinem Geldinstitut ausgeschöpften Dispositionskredits vor dem Zugriff nicht dem Gedanken näher getreten ist, bei der für ihn zuständigen Besoldungsstelle um einen Gehaltsvorschuss nachzusuchen oder sich die benötigte Geldsumme im Freundes- und Bekanntenkreis darlehnsweise gewähren zu lassen. Auch seine Einlassung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, er habe die Tragweite seines Fehlverhaltens in den Tagen nach dessen Entdeckung nicht erkannt, verdeutlicht eine wenig gefestigte Hemmschwelle und steht einer günstigen Prognose ebenfalls entgegen. Wie eingangs ausgeführt, muss es einem Polizeibeamten ohne Weiteres einleuchten, dass Geldbeträge, die von Bürgern eingezogen und zum Zwecke der späteren Abführung aufbewahrt werden, nicht zur eigenen Verwendung missbraucht werden dürfen und dass in einer missbräuchlichen Verwendung eine unentschuldbare Verletzung polizeilicher Kernpflichten liegt.
Einer günstigen Persönlichkeitsprognose steht schließlich auch das Verhalten entgegen, das der Beamte offenbart hat, nachdem der mit der Verwaltung der Verwarnungsgeldkasse betraute Polizeioberkommissar L. den Fehlbetrag entdeckt, den Beamten zur Rede gestellt und seine Erwartung über den Ausgleich des entnommenen Betrages zum Ausdruck gebracht hat. Hier erscheint es dem Senat nicht nachvollziehbar, dass der Beamte nicht unmittelbar nach Entdeckung des Dienstvergehens am 24. Juli 2003 in dem Bestreben um eine sofortige Wiedergutmachung "alle Hebel" in Bewegung gesetzt hat, sondern die Angelegenheit bis in den Oktober 2003 hinein zögerlich und phlegmatisch behandelt und durch sein Zaudern sowohl seinen Kollegen L. wie auch den Leiter des Polizeikommissariats H., Kriminalhauptkommissar O., in die unangenehme Situation versetzt hat, zwischen Kollegialität und Kameradschaft auf der einen und eigener Dienstpflichtverletzung auf der anderen Seite abzuwägen mit der Folge, dass sich beide in der Folgezeit straf- und disziplinarrechtlichen Ermittlungen ausgesetzt sahen.
Unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände vermag der Senat daher nicht zu erkennen, dass die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung für den eingetretenen Vertrauensverlust durch vorrangig zu berücksichtigende und durchgreifende Milderungsgründe entfallen sein könnte und der Beamte gegenüber seinem Dienstherrn noch ein Restvertrauen für sich in Anspruch nehmen kann. Ist das Vertrauensverhältnis danach wie hier zerstört, erweist sich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als angemessene Reaktion auf das Dienstvergehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 114 Abs. 1 Satz 1 NDO.
Dieses Urteil ist unanfechtbar (§ 90 NDO).