Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.04.2007, Az.: 9 A 3/06
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 25.04.2007
- Aktenzeichen
- 9 A 3/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 63290
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2007:0425.9A3.06.0A
Amtlicher Leitsatz
Die Anordnung von 24-stündigen Bereitschaftsdienst für Polizeibeamte während des Castortransports unterliegt nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 a NPersVG der Mitbestimmung des Personalrats.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Feststellung, dass die Anordnung von Bereitschaftsdienst im Rahmen des sog. Castor-Transports der Mitbestimmung unterliegt.
Die Beteiligte ordnete zur Sicherung des sogenannten Castortransports für die ihr unterstellten Polizeikräfte im Jahre 2005 in ihrem Einsatzbefehl einerseits die erforderliche Mehrarbeit bzw. die erforderlichen Überstunden an. Andererseits führte sie unter Nr. 6.39 unter Hinweis auf den Runderlass des Ministers des Innern zur Arbeitszeitregelung für den Polizeivollzugsdienst u. a. an: "Der bevorstehende Einsatz ist als mehrtägiger Dauereinsatz angelegt. Der gewählte Kräfteeinsatz bedingt während des gesamten Einsatzes eine permanente Einsatzbereitschaft. Von daher wird für Zeiten, die nicht Einsatzzeit sind, Bereitschaftsdienst angeordnet. Bei der Arbeitszeitberechnung ist zwischen Einsatzzeiten und Bereitschaftsdienst zu unterscheiden. Die Einsatzzeit umfasst die Dauer des jeweiligen Einsatzes im Einsatzrahmen und beinhaltet darüber hinaus Zeiten für An- und Abreise oder Einsatzbesprechungen. Die Einsatzzeit wird als Vollzeit, der angeordnete Bereitschaftsdienst zu 25 % angerechnet. Beginn und Ende der Einsatzzeiten sowie des Bereitschaftsdienstes sind von den .... zu dokumentieren und der .... täglich bis 8.00 Uhr für den Zeitraum der zurückliegenden 24 Stunden zu übersenden."
Während die Beteiligte die Anordnung der Mehrarbeit bzw. der Überstunden für mitbestimmungspflichtig hielt und hierfür die Zustimmung des Bezirkspersonalrats bei der Polizeidirektion Lüneburg erbeten und erhalten hatte, hielt sie die Anordnung und Regelung hinsichtlich des Bereitschaftsdienstes für nicht mitbestimmungspflichtig.
An dieser Auffassung hielt die Beteiligte trotz Einwendungen des Antragstellers auch beim Castortransport im November 2006 fest. Die Kammer gab im darauf hin vom Antragsteller eingeleiteten Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung der Beteiligten mit Beschluss vom 3. November 2006 (9 B 1/06) auf, das Mitbestimmungsverfahren nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 a NPersVG durchzuführen.
Die Beteiligte hält im vorliegenden Feststellungsverfahren an ihrer Rechtsauffassung fest.
Der Antragsteller beantragt,
festzustellen, dass bei der Anordnung von Bereitschaftsdienst im Rahmen des Transports radioaktiver Abfälle in das Transportbehälterlager Gorleben das Mitbestimmungsverfahren nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 a bzw. Abs. 1 Nr. 2 NPersVG durchzuführen ist.
Die Beteiligte beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt dieser Gerichtsakte und der Gerichtsakte 9 B 1/06 Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Der Antragsteller hat einen Anspruch auf die begehrte Feststellung. Denn die Anordnung von Bereitschaftsdienst für die Zeit des Castortransportes in der von der Beteiligten gehandhabten Form unterliegt der Mitbestimmung nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 a NPersVG.
Nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 a NPersVG bestimmt der Personalrat mit bei der Festlegung von Dauer, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen; ausgenommen bleibt die für die Dienststelle nicht vorhersehbare, aufgrund besonderer Erfordernisse kurzfristig und unregelmäßig festzusetzende tägliche Arbeitszeit für bestimmte Gruppen von Beschäftigten. Dieser Mitbestimmungstatbestand liegt bei der Anordnung von Bereitschaftsdienst im Zusammenhang mit dem Castortransport vor.
Bei dem Bereitschaftsdienst handelt es sich um Arbeitszeit im Sinne der Vorschrift. Die bisher herrschende Meinung nahm zwar an, Bereitschaftsdienst sei keine Arbeitszeit, sondern Ruhezeit, so dass seine Anordnung schon nicht den Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 1 a erfülle. Diese Rechtslage hat sich jedoch aufgrund EG-Rechts geändert. Denn nach der Richtlinie 93/104/EG bzw. jetzt 2003/88/EG ist in vollem Umfang Arbeitszeit - als Gegensatz zur Ruhezeit - (auch) jeder Bereitschaftsdienst, während der ein Arbeitnehmer dem Arbeitgeber in Form persönlicher Anwesenheit an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort zur Verfügung steht (vgl. EUGH, Urt. v. 9.9.2003 - C-151/02 -, PersV 2003,453 und Beschl. v. 14.7.2005 - C-52/04 -, NVwZ 2005, 1049; OVG Münster, Urt. v. 18.8.2005 - 1 A 2722/04; VG Göttingen, Urt. v. 1.2.2006 - 3 A 172/04; LAG Niedersachsen, Beschl. v. 17.5.2002 - 10 TaBV 22/02 - ). Der Gesetzgeber hat auf die entsprechenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs inzwischen reagiert und das Arbeitszeitgesetz richtlinienkonform dahingehend geändert, dass auch Bereitschaftsdienste künftig Arbeitszeit sind.
Danach unterliegt jetzt auch die Festlegung von Bereitschaftsdiensten der Mitbestimmung nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 a NPersVG, soweit dadurch die zeitliche Lage und die Dauer der Arbeitszeit geregelt wird (ebenso Dembowski/Ladwig/Sellmann, Das Personalvertretungsrecht in Niedersachsen, Loseblatt-Kommentar, Stand: Mai 2006, § 66 Rn 16 a und § 67 Rn 74). Mit der im Einsatzbefehl 2005 und 2006 getroffenen Regelung, für Zeiten, die nicht Einsatzzeiten sind, wird Bereitschaftsdienst angeordnet, wird die zeitliche Lage und Dauer der täglichen Arbeitszeit geregelt. Denn die tägliche Arbeitszeit wird für die Dauer des Transportes dadurch auf 24 Stunden festgelegt. Unschädlich ist, dass die Lage der verschiedenen Arbeitszeiten nicht nach Uhrzeit bestimmt sondern von tatsächlichen Umständen abhängig gemacht wird, wenn diese tatsächlichen Umstände - wie hier - eine hinreichend klare Abgrenzung ermöglichen. Entgegen der Auffassung der Beteiligten handelt es sich bei dieser Anordnung ersichtlich nicht nur um eine Regelung, die die arbeitszeitlichen Vorschriften auf besondere betriebliche Verhältnisse anwendet, ohne selbst Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und der Pausen festzulegen. Dies ist bei der hier getroffenen Anordnung vom Bereitschaftsdienst im Verhältnis zu Abschnitt 5 des Runderlasses des Ministers des Inneren betreffend die Arbeitszeitregelung für den Polizeivollzugsdienst vom 25. Mai 1992 (Nds.MBl. S. 857) in der Fassung des Runderlasses vom 1. Dezember 1997 (Nds.MBl. 1998 S. 120) ersichtlich nicht der Fall. Soweit in dem Einsatzbefehl weiter geregelt werden soll und ist, wie der Bereitschaftsdienst arbeitszeitmäßig zu erfassen und "abzurechnen ist", handelt es sich dann allerdings um eine Umsetzung der Arbeitszeitregelung für den Polizeivollzugsdienst. Insoweit liegt in der Tat dann eine Mitbestimmungspflicht nicht mehr vor (ebenso Dembowski/Ladwig/Sellmann, a.a.O., § 66 Rn. 16 a).
Die Mitbestimmungspflicht entfällt hier auch nicht im Hinblick auf § 66 Abs. 1 Nr. 1 a 2. Halbsatz NPersVG, wonach die für die Dienststelle nicht vorhersehbare, aufgrund besonderer Erfordernisse kurzfristig und unregelmäßig festzusetzende tägliche Arbeitszeit für bestimmte Gruppen und Beschäftigten von der Mitbestimmungspflicht ausgenommen ist. Diese Ausnahme greift nur, wenn die Dienststelle durch objektiv unvorhersehbare Umstände gezwungen ist, für eine Mehrheit von Beschäftigten kurzfristig Arbeitszeitregelung zu treffen, die von den regelmäßigen Festsetzungen abweichen. Die Kurzfristigkeit meint dabei sowohl die nur vorübergehende Geltungsdauer der Maßnahme als auch ihre Eilbedürftigkeit, die in einem solchen Fall eine wirksame Ausübung des Mitbestimmungsrecht praktisch nicht zulassen; Unregelmäßigkeit und Kurzfristigkeit der Festsetzung müssen gerade auf der mangelnden Voraussehbarkeit der dienstlichen Erfordernissen beruhen (vgl. Dembowski/Ladwig/Sellmann aaO., § 66 Rn 28 m.w.N.). Bei dem Castortransport 2006 handelt es sich nicht um ein Ereignis, das nicht vorhersehbar war und deshalb kurzfristig eine Abweichung von bestehenden Arbeitszeitregelungen erforderte und die Ausübung des Mitbestimmungsrechts praktisch nicht zuließ. Im Grunde ist für jeden Castortransport von vornherein klar, dass für die Zeit des konkreten Transportes für jeden Tag Bereitschaftsdienst für 24 Stunden angeordnet werden muss und dieser Bereitschaftsdienst quasi nur durch den konkreten Einsatz vor Ort unterbrochen wird. Der Umstand, dass nicht von vornherein feststeht, wie lang der konkrete Einsatz dauert und wie lang der "bloße" Bereitschaftsdienst, ändert an der grundsätzlichen Vorhersehbarkeit des Bereitschaftsdienstes nichts. Die Dokumentation die durchzuführen ist und worauf die Beteiligte hinweist, hat nur Auswirkungen für die "Abrechnung" der geleisteten Dienstzeiten.
Handelt es sich mithin bei dem für den Castortransport durch den Einsatzbefehl der Beteiligten angeordneten Bereitschaftsdienst um die Festlegung von Dauer, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, ist hierfür auch das Mitbestimmungsverfahren durchzuführen und dies auf Antrag des Antragstellers wegen der gegenteiligen Auffassung der Beteiligten festzustellen.
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, weil im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren nach dem Niedersächsischen Personalvertretungsgesetz Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) nicht erhoben werden (§ 83 Abs. 2 NPersVG i.V.m. § 2 Abs. 2 GKG) und eine Erstattung der Beteiligtenaufwendungen nicht vorgesehen (BVerwG, Beschluss vom 2.5.1957 - II C 2.56 - BVerwGE 4, 357/359) sowie im Hinblick auf die in § 37 Abs. 1 NPersVG vorgesehene allgemeine Kostenerstattungspflicht auch nicht erforderlich ist.
Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG.