Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.09.1999, Az.: V 575/98 V
Antrag auf Aussetzung der Vollziehung; Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts; Merkmal der "wesentlichen Nachteile"; Anforderungen an die Gewährung des ermäßigten Umsatzsteuer-Satzes
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 28.09.1999
- Aktenzeichen
- V 575/98 V
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1999, 19497
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1999:0928.V575.98V.0A
Rechtsgrundlagen
- Art. 19 Abs. 4 GG
- § 69 Abs. 2 S. 8 FGO
Fundstellen
- DStRE 2000, 274-276 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 2000, 454-456 (Volltext mit amtl. LS)
- NWB DokSt 2000, 604
Verfahrensgegenstand
Antrag auf Aussetzung der Vollziehung
Umsatzsteuer 1997
Amtlicher Leitsatz
§ 69 Abs. 2 Satz 8 FGO ist verfassungskonform (Art. 19 IV GG) dahingehend auszulegen, dass das Merkmal der "wesentlichen Nachteile" nicht losgelöst von der Prüfung der ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts beurteilt werden darf.
Der V. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
durch
die Vizepräsidentin des Finanzgerichts ... als Vorsitzende und
die Richter am Finanzgericht ... und Dr. ...
am 28. September 1999 beschlossen:
Tenor:
- 1.
Die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides 1997 vom 31. August 1998 wird in Höhe von 4.971.713,78 DM ausgesetzt.
- 2.
Der Antragsgegner trägt die Kosten.
- 3.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Antragstellerin ist im Bereich der Koordinierung, Planung und Durchführung von Softwareentwicklungsaufgaben, insbesondere für die mit ihr verbundenen Banken und deren Konzernunternehmen (u.a. Bankgesellschaft B - Bankg - und N d L G - N -), tätig.
Die Antragstellerin verpflichtete sich in 1996 in einem "Rahmenvertrag zur Übertragung von Urheberrechten im Rahmen der Herstellung von Individual-Software" der Bankg ... und N (Auftraggeber) gegenüber zur Entwicklung und Herstellung von Computerprogrammen, um das ausschließliche und zeitlich sowie räumlich unbeschränkte Recht zur Nutzung, Weiterentwicklung, Vervielfältigung, Verbreitung, Vorführung, Bearbeitung und sonstiger Verwertung von Urheberschutzrechten gemäß § 31 ff i.V.m. 69 a bis 69 g Urheberrechtsgesetz - UrhG - (sogenannte Hauptleistung)auf die Auftraggeber zu übertragen.
Mit einem "Nachtrag zur Übernahmevereinbarung" betreffend den o.g. Rahmenvertrag trat in 1997 die BB- G für Informations- und Kommunikationssysteme mbH Berlin (BB-) an Stelle der Bankgesellschaft in das Vertragsverhältnis mit der Antragstellerin ein.
In Ausführung des genannten Rahmenvertrages wurden zwischen der Antragstellerin und ihren Auftraggebern jeweils Einzelwerkverträge geschlossen, in welchen die Antragstellerin mit der Entwicklung und Herstellung von Computerprogrammen beauftragt wurde, um das ausschließliche und zeitlich sowie räumlich unbeschränkte Recht zur Nutzung, Weiterentwicklung, Vervielfältigung, Verbreitung, Vorführung, Bearbeitung und sonstiger Verwertung von Urheberschutzrechten gemäß § 31 ff i.V.m. 69 a bis 69 g UrhG (sogenannte Hauptleistung) auf die Auftraggeber zu übertragen.
Die Antragstellerin stellte die Übertragung der dem Urheberrechtsgesetz im Streitjahr unterliegenden Leistungen gegenüberden Auftraggebern gemäß den "Einzelwerkverträgen zur Übertragung von Urheberrechten im Rahmen der Herstellung von Individual-Software" zum nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 c Umsatzsteuergesetz (UStG) ermäßigten Steuersatz in Rechnung. Sie gab entsprechende monatliche Voranmeldungen ab. Der Antragsgegner erließ abweichende Bescheide über die Festsetzung der monatlichen Vorauszahlungen für die Monate September und Dezember 1997, in welchen er die zu 7 v.H. erklärten Umsätze dem vollen Umsatzsteuersatz von 15 v.H. zuordnete. Als Begründung führte er an, dass der ermäßigte Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 c UStG vorliegend nicht einschlägig sei, weil im Vordergrund des Leistungsverhältnisses nicht die Übertragung urheberrechtlicher Nutzungsrechte, sondern die Überlassung der für die Gesellschafter-Banken entwickelten bzw. verbesserten Software stehe.
Nachdem die Antragstellerin gegen die Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für September und Dezember 1997 Einspruch erhoben und die Aussetzung der Vollziehung beantragt hatte, gewährte der Antragsgegner die Aussetzung der Vollziehung der streitbefangenen Beträge i.H.v. insgesamt 4.971.701,92 DM.
Drei Monate später erteilte der Antragsgegner den Jahressteuerbescheid 1997. Die verbleibende Abschlusszahlung betrug 4.971.713,78 DM. Darin enthalten ist die streitige Umsatzsteuer von 4.971.701,92 DM aus den Voranmeldungszeiträumen September und Dezember 1997. Die im Vorauszahlungsverfahren gewährte Aussetzung der Vollziehung wurde mit dem Erlass des Jahressteuerbescheides aufgehoben, die streitigen Beträge mit einer Zahlungsfrist von einem Monat fällig gestellt.
Gegen den Jahressteuerbescheid erhob die Antragstellerin Einspruch und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Die Rechtsbehelfsbegründung ist identisch mit der des Vorverfahrens. Obwohl der Antragsgegner selbst ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Jahresumsatzsteuerbescheides 1997 einräumte, lehnte er den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mit der Begründung ab, dass kein nach dem Wortlaut des § 361 Abs. 2 Satz 4 Abgabenordnung - AO - (entspricht § 69 Abs. 2 Satz 8 Finanzgerichtsordnung - FGO -) aussetzungsfähiger Differenzbetrag vorhanden sei, weil die festgesetzten Vorauszahlungen mit der festgesetzten Jahressteuerschuld übereinstimmten.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrem gerichtlichen Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO.
Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass für ihre Umsätze aus der Übertragung urheberrechtlicher Nutzungsrechte der ermäßigte Steuersatz einschlägig sei. Sie nimmt Bezug auf einen Beschluss des Bundesfinanzhof - BFH - vom 13. März 1997 (V B 120/96, BFH/NV 1997, 814). Dort hatte der BFH in einem ähnlich gelagerten Fall im Aussetzungsverfahren die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 c UStG wie folgt begründet: "Ist ein Werkvertrag auf die Herstellung eines urheberrechtlich geschützten Computerprogramms gerichtet, ist die damit verbundene Einräumung und Übertragung der Rechte nach dem Urheberrechtsgesetz auf den Auftraggeber wesentlicher Inhalt der geschuldeten Werkleistung".
Die Antragstellerin trägt vor, dass der angefochtene Jahresbescheid bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze rechtswidrig sei. Die Übertragung der Urheberschutzrechte sei - entgegen der Auffassung des Antragsgegners - leistungsbestimmend. Dies folge bereits aus dem Wortlaut der Rahmenvereinbarung (sogenannte Hauptleistung), deren wesentlicher Inhalt auf die Einräumung, Übertragung und Wahrnehmung von Rechten nach dem Urheberrechtsgesetz gerichtet sei.
Die Rechtsauslegung des Wortlauts des § 361 Abs. 2 Satz 4 AO durch den Antragsgegner verstoße gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 IV Grundgesetz (GG).
Nach der vom Antragsgegner vorgenommenen Auslegung hätte dieser vorläufigen Rechtsschutz nur dann zu gewähren, wenn sie (die Antragstellerin) die streitigen Umsätze zu 7 v.H. überhaupt nicht angemeldet hätte. Dann wären keine abweichenden Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide ergangen mit der Folge, dass über die nacherklärten Jahresumsätze zu 7 v.H. ein abweichender Jahresbescheid ergangen wäre, dessen streitige Jahressteuerschuld (7 v.H. statt 15 v.H.) dann - mangels anrechenbarer festgesetzter Vorauszahlungen - in voller Höhe auszusetzen gewesen wäre. Dies hätte zur Folge, dass sie bei einer rechtswidrig monatlich zu niedrig angemeldeten Steuer den vollen Rechtsschutz nach § 361 AO (§ 69 FGO) genieße, der ihr bei gesetzestreuer Steueranmeldung versagt bliebe. Denn nach der Auffassung des Antragsgegners komme vorläufiger Rechtsschutz bei rechtmäßig Anmeldenden niemals in Betracht, wenn die Festsetzung der Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide und die Festsetzung des Umsatzsteuerjahresbescheids - was gerade gesetzlich gewollt sei - in der Summe übereinstimmten. Dieses absurde Ergebnis könne so nicht vom Gesetzgeber gewollt sein und widerspreche Art. 19 IV GG.
Daher sei die Vorschrift des § 361 Abs. 2 Satz 4 AO bzw. des § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO unter Beachtung des verfassungsmäßig garantierten effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG auszulegen. Dieses könne sowohl durch Auslegung des Wortes "festgesetzte Vorauszahlungen" als "tatsächlich geleistete Vorauszahlungen" geschehen als auch durch großzügige Auslegung der Annahme des Tatbestandes der "wesentlichen Nachteile" in § 361 Abs. 2 Satz 4 AO bzw. § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO.
Die Antragstellerin beantragt
die Aussetzung der Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides 1997 vom 31. August 1998 in Höhe von 4.971.713,78 DM.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Er trägt vor, dass der Antragstellerin nach dem eindeutigen Wortlaut des § 361 Abs. 2 Satz 4 AO und des § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO keine Aussetzung der Vollziehung gewährt werden könne. Durch die Verwendung des Begriffs "festgesetzte Vorauszahlungen" habe sich der Gesetzgeber ausdrücklich festgelegt.
Es sei auch eindeutig erklärt, wann ein "wesentlicher Nachteil" i.S.d. genannten Vorschriften gegeben sei. Dies sei nach Nr. 4.6.1 des Anwendungserlasses zur AO (AEAO) der Fall, wenn durch die Versagung der Aussetzung der Vollziehung unmittelbar und ausschließlich die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen bedroht werden würde. Für das Vorliegen dieser Voraussetzung seien dem Vortrag der Antragstellerin keine Anhaltspunkte zu entnehmen.
Die Vorschriften der §§ 361 Abs. 2 Satz 4 AO und 69 Abs. 2 Satz 8 FGO würden nicht gegen Art. 19 IV GG verstoßen, weil diese Vorschriften dann nicht zur Anwendung kämen, wenn ein "wesentlicher Nachteil" abgewendet werden müsse. Für diesen Fall sei die Aussetzung der Vollziehung weiterhin möglich.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Finanzgerichtsakte Bezug genommen. Dem Gericht haben die Steuerakten der Antragstellerin zu St.Nr. 25/200/02915 vorgelegen.
II.
Der Antrag ist begründet.
Gegenstand des Aussetzungsbegehrens ist die Festsetzung der angemeldeten Umsätze aus der Übertragung urheberrechtlicher Nutzungsrechte zum ermäßigten Steuersatz. Die diesbezüglichen Umsätze in Höhe von 65.167.633 DM hat der Antragsgegner dem Regelsteuersatz unterworfen (65.167.633 DM × 15 % = 9.775.144,90 DM.
Bei Anwendung des von der Antragstellerin begehrten Steuersatzes von 7 v.H. ergäbe sich eine Umsatzsteuer von 4.561.734 DM (65.167.633 DM × 7 %), so dass sich ein auszusetzender Betrag in Höhe von 5.213.410 DM ergäbe.
Da die Antragstellerin ihren gerichtlichen Aussetzungsantrag aber auf den noch zu zahlenden Betrag von 4.971.713,78 DM beschränkt hat, war dem Gericht eine darüber hinausgehende Aussetzung der Vollziehung verwehrt.
1.
Nach § 69 Abs. 3 FGO kann das Gericht der Hauptsache einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheidesunter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 2-5 FGO entsprechen. Danach soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454 m.w.N.).
Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfungbestehen erhebliche begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Umsatzsteuerfestsetzung.
Nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 c UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7 v.H. für die Einräumung, Übertragung und Wahrnehmung von Rechten, die sich aus dem UrhG ergeben. Nach dem bislang festgestellten Sachverhalt geht der Senat davon aus, dass der Antragsgegner die im Rahmenvertrag genannten und in den Einzelverträgen konkretisierten Werkleistungen zu Unrecht der Regelbesteuerung unterworfen hat. Denn bei der gebotenen summarischen Beurteilung kommt ernsthaft in Betracht, dass es um die Herstellung von Computerprogrammen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 69 a Abs. 3 UrhG ging.Soweit die Antragstellerin derartige Computerprogramme erstellt hat, die das Ergebnis der eigenen geistigen Schöpfung ihrer Programmierer sind, kann schwerlich zwischen der Herstellung des Computerprogramms als Hauptleistung und der Einräumung und Übertragung von Rechten nach dem UrhG an dem Computerprogramm als Nebenleistung unterschieden werden. Sofern ein Werkvertrag auf die Herstellung eines urheberrechtlich geschützten Computerprogramms gerichtet ist, ist die damit verbundene Einräumung und Übertragung der Rechte nach dem UrhG auf den Auftraggeber wesentlicher Inhalt der geschuldeten Werkleistung (BFH, Beschluss vom 13. März 1997 V B 120/96, BFH/NV 1997, 814).
Sowohl in dem Rahmenvertrag als auch in den Einzelverträgen ist in § 1 unter Vertragsgegenstand angegeben, dass die Antragstellerin "mit der Entwicklung und Herstellung von Computerprogrammen beauftragt worden ist, um das ausschließliche und zeitlich sowie räumlich unbeschränkte Recht zur Nutzung, Weiterentwicklung, Vervielfältigung, Verbreitung, Vorführung, Bearbeitung und sonstiger Verwertung von Urheberschutzrechten hieraus gemäß §§ 31 ff i.V.m. § 69 a bis 69 g UrhG auf den Auftraggeber zu übertragen". Diese Leistung wurde auch von den Vertragsparteien ausdrücklich aus Hauptleistung bezeichnet.
Der Vortrag des Antragsgegners, es sei aus den Gesamtumständen des Falles zu ersehen, dass die in den genannten Verträgen von den Beteiligten vorgenommenen Gewichtungen der beschriebenen Leistungen nicht den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen, kann im Aussetzungsverfahren nicht berücksichtigt werden. Insoweit wäre der Sachverhalt durch Befragen der beteiligten Vertragsparteien - insbesondere durch Vernehmung der Auftraggeber als Zeugen - weiter aufzuklären. Eine solche Aufklärung ist dem Senat im Aussetzungsverfahren verwehrt. Dem Senat liegen bislang jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das von den Vertragsparteien vereinbarte Vertragsverhältnis bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht den tatsächlichen Verhältnissen entspricht.
Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner selbst ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Umsatzsteuerfestsetzung für 1997 schriftsätzlich eingeräumt und die Ablehnungder Aussetzung der Vollziehung allein auf § 361 Abs. 2 Satz 4 AO gestützt hat. Zudem hat er im Vorauszahlungsverfahren die Aussetzung der Vollziehung gewährt.
2.
Der vom Gericht gewährten Aussetzung der Vollziehung steht § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO nicht entgegen. Diese Vorschrift ist unter Berücksichtigung von Art. 19 Abs. 4 GG verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass das Merkmal der "wesentlichen Nachteile" nicht losgelöst von der Prüfung der ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts beurteilt werden darf.
Nach § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO ist die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung bei Steuerbescheiden auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftssteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Aufhebung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Die Vorschrift des § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO wurde durch Art. 19 des Jahrensteuergesetzes (JStG) 1997 in Reaktion auf den Beschluss des Großen Senats (GrS) des BFH vom 13. Juli 1995 (GrS 3/93, BStBl II 1995, 730) eingefügt, mit dem dieser - in Abkehr von der früheren Rechtsprechung - entschieden hatte, dass die Vollziehung eines Einkommensteuerbescheides auch insoweit aufgehoben werden dürfe, als dies zu einer - vorläufigen -Erstattung entrichteter Vorauszahlungsbeträge führe.
Vorliegend entspricht die Höhe der - abweichend von den Voranmeldungen - festgesetzten monatlichen Vorauszahlungen genau der Höhe der festgesetzten Jahresumsatzsteuer, so dass sich bei wortgetreuer Anwendung der Norm kein auszusetzender Betrag ergibt.
Dass die Aussetzung der Vollziehung vorliegend nötig ist, um wesentliche Nachteile aufzuheben, ist nicht nachgewiesen. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 13/5952, Seite 57) orientiert sich diese Ausnahme an dem Anordnungsgrund der Regelungsanordnung (§ 114 Abs. 1 Satz 2 FGO). Für die Beurteilung, wann "wesentliche Nachteile" vorliegen, sollen daher die dazu entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung herangezogen werden können. Danach treffen den Steuerpflichtigen wesentliche Nachteile, wenn durch die Beschränkung der Aussetzung/Aufhebung der Vollziehung seine wirtschaftliche oder persönliche Existenz unmittelbar und ausschließlich bedroht sein würde (BFH, Beschluss vom 12. April 1984 VII B 115/82, BStBl II 1984, 492 m.w.N.). Für das Vorliegen dieser hohen Anforderungen lassen sich keine Anhaltspunkte aus den Akten entnehmen; die Antragstellerin hat solche Umstände auch nicht vorgetragen.
Demzufolge wäre die Aussetzung der Vollziehung vorliegend abzulehnen, obwohl das Gericht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheides hat. Dies verstößt gegen den Grundsatz der Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 IV GG.
Das Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nicht nur einen Rechtsweg überhaupt, sondern darüber hinaus, dass der Rechtsschutz auch effektiv ist (Urteil vom 13. Juni 1979 1 BvR 699/77, BVerfGE 51, 268, 284). Der Bürger hat einen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame Kontrolle. Art. 19 Abs. 4 GG hat gerade im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes eine erhebliche Bedeutung.
In seinem grundlegenden Beschluss vom 25. Oktober 1988 (BVerfGE 79, 69), in dem es um die verfassungsrechtliche Überprüfung der Versagung einer Regelungsanordnung ging, hat der 1. Senat des BVerfG Leitlinien für die Anwendung und Auslegung von § 123 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - (entspricht § 114 Abs. 1 FGO) entwickelt. Das Gericht hat eine fachgerichtliche Praxis für unbedenklich erachtet, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung vom Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes abhängig macht. Es verlangt aber, dass der Anordnungsgrund nicht losgelöst vom Anordnungsanspruch beurteilt werden dürfe. Drohe dem Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Grundrechten, die durch die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden könne, so müsse ihm - erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs - vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden, es sei denn, dass dem ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe gegenüberstünden (BVerfGE 79, 69, 75). Vor allem dann, wenn die festgestellte Grundrechtsverletzung besonderes Gewicht habe, sei die Bejahung des Anordnungsanspruchs für die Prüfung des Anordnungsgrundes "in weitem Umfang vorgreiflich" (BVerfGE 79, 69, 78, vgl. auch Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz, RN 163 ff m.w.N.).
Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den vorliegenden Fall ist folgendes festzuhalten: Der Gesetzgeber hat durch die Verwendung des Begriffs "wesentliche Nachteile" in § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO an den Anordnungsgrund bei der Regelungsanordnung in § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO angeknüpft. Wenn nach der Rechtsprechung des BVerfG das Bestehen eines Anordnungsanspruchs vorgreiflich für die Prüfung des Anordnungsgrundes ist, muss die in § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO vorgesehene Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache erst recht vorgreiflich sein für die Beurteilungdes Begriffs der "wesentliche Nachteile" i.S.d. genannten Vorschrift. Hierfür sprechen mehrere Gründe.
Beim vorläufigen Rechtsschutz nach § 69 FGO ergibt sich bereits aus der Gesetzesfassung, dass die Erfolgsaussichten in der Hauptsache "ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts") die Grundlage der Entscheidung bilden. Dies tritt beim vorläufigen Rechtsschutz nach § 114 FGOnicht so deutlich zu Tage (Lange, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 114, Rn. 68).
Zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stellt die FGO (in Anlehnung an die Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) zwei sich gegenseitig ausschließende Wege zur Verfügung: Die einstweilige Anordnung (§ 114 FGO) ist gegenüber der Aussetzung der Vollziehung (§ 69 FGO) gemäß § 114 Abs. 5 FGO subsidiär. Aussetzung der Vollziehung und einstweilige Anordnung sind beides Nebenverfahren, die sich für die Abgrenzung grundsätzlich nach dem jeweiligen Hauptsacheverfahren richten (sogenannte Konnexität zwischen Klageart und vorläufigem Rechtsschutz, vgl. Tipke/Kruse, § 69 FGO, Rn. 17). Die Zweigleisigkeit des vorläufigen Rechtsschutzes und die gesteigerten Anforderungen an die einstweilige Anordnung werden damit gerechtfertigt, dass der Kläger mit der Anfechtungsklage die Erhaltung des status quo, mit der Verpflichtungsklage dagegen eine Änderung des status quo begehrenwürde (vgl. BFH, Urteil vom 10. November 1977 IV B 3334/76, BStBl II 78, 15; Urteil vom 27. März 1991 I B 187/90, BStBl II, 91, 643). Daher sind die zu der einstweiligen Anordnung entwickelten verfassungsrechtlichen Vorgaben erst recht anzuwenden, wenn der Rechtsschutz auf die Erhaltung des status quo gerichtet ist. Diese Sicherung einer gefährdeten Rechtsposition verlangt wegen des funktionalen Zusammenhangs mit dem Hauptsacheverfahren eine materiell-akzessorische Prüfung, um das Fehlentscheidungsrisiko in Grenzen zu halten.
Das bedeutet für den vorliegenden Fall, dass das Kriterium der "wesentlichen Nachteile" überlagert wird durch die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Sofern erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen, die grundrechtsrelevant sind und durch die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht mehr angewendet werden können, ist vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren, es sei denn, dass dem ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe gegenüberstünden.
Die erheblichen begründeten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Umsatzsteuerfestsetzung 1997 hat der erkennende Senat oben bereits dargetan. Dass der Antragstellerin durch eine rechtswidrige Steuerfestsetzung eine über Randbereiche hinausgehende Verletzung ihrer Grundrechtspositionen aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG droht, bedarf keiner weiteren Erörterung (vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn. 165, die näher ausführen, dass die Grundrechtsrelevanz im öffentlichen Recht ohnehin die Regel sein dürfte).
Diese grundrechtsrelevante Gefährdung kann durch die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden. Die Antragstellerin hat gegen die Umsatzsteuerfestsetzung 1997 Einspruch eingelegt, der bislang vom Antragsgegner noch nicht beschieden wurde. Vielmehr hat der Antragsgegner das Ruhen des Einspruchsverfahrens nach § 363 Abs. 2 AO bis zum rechtskräftigen Abschlussdes beim Finanzgericht Berlin anhängigen Rechtsstreits (Az.: 7 K 7221/98, dabei handelt es sich um das dem oben genannten Aussetzungsverfahren - Beschluss des BFH vom 13. März 1997 V B 120/96, BFH/NV 1997, 814 - zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren) zur Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 c UStG angeregt. Ob die Antragstellerin sich mit dem Ruhen einverstanden erklärt oder eine Einspruchsentscheidung erstreitet, um diese dann beim zuständigen Niedersächsischen Finanzgericht überprüfen zu lassen, kann dahinstehen. Jedenfalls kann die Antragstellerin bei der Zugrundelegung einer durchschnittlichen Verfahrensdauer von 2 1/2 Jahren nicht vor dem Jahre 2000 eine gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache herbeiführen (vgl. Geschäftsbericht der Finanzgerichte, EFG 1999, 744 - danach sind auch Verfahrensdauern von drei bis fünf Jahren keineswegs unüblich). Da der Antragsgegner aufgrund der gesetzlichen Regelung und der Bindung an den Anwendungserlass zur AOfür die dem Streitjahr folgenden Jahre ebenso verfahren wird wie in 1997, droht die - für die Antragstellerin nicht abwendbare ...-Gefahr, dass auch in den Folgejahren nach der (gesetzlich vorgeschriebenen) Abgabe der Jahreserklärung und der abweichenden Umsatzsteuer-Jahresfestsetzung (Regelsteuersatz statt ermäßigtem Steuersatz) die Aussetzung der Vollziehung abgelehnt wird. Dann aber ist es der Antragstellerin nicht zumutbar, dass sie bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren jedes Jahr mit ihren Umsätzen der Regelbesteuerung unterworfen wird und dadurch einen wiederkehrenden, sich aufsummierenden Zahlungsabfluss hinnehmen müsste.
Die Antragstellerin hat auch nicht die Möglichkeit, das Vorauszahlungsverfahren in der Hauptsache weiter zu betreiben, weilsich dieses mit dem Erlass des Jahressteuerbescheides nach § 124 Abs. 2 AO auf sonstige Weise erledigt hat.
Andere Rechtsschutzmöglichkeiten sind nicht zu erkennen. Indiesem Zusammenhang ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass die Voranmeldung bei der Umsatzsteuer - anders als bei der Einkommensteuer - eine tatsächlich entstandene Steuer festsetzt (§ 18 Abs. 1 Satz 1 UStG, §§ 150 Abs. 1 Satz 2, 167, 168 Satz 1 und 2 AO). Sie ist eine abschnittweise, während des Besteuerungsverfahrens durchgeführte Veranlagung (BFH, Urteil vom 27. Juni 1991 V B 10/90, BFH/NV 1992, 277). Dies zeigt sich auch daran, dass die verfahrensrechtlichen Wirkungen der vorausgegangenen Steuerfestsetzungen durch den Jahressteuerbescheid nicht beseitigt werden. So bleibt die Fälligkeit der festgesetzten Teilbeträge trotz Jahressteuerbescheid bestehen (§ 18 Abs. 4 Satz 4 UStG), hieraus resultierende Säumniszuschläge oder Verspätungszuschläge bleiben ebenfalls bestehen. Folglich ist es bei der Umsatzsteuer - im Gegensatz zur Einkommensteuer (vgl. § 37 Abs. 3 EStG) - nicht möglich, die Herabsetzung (Anpassung) von Vorauszahlungen zu beantragen.
Vorläufiger Rechtsschutz ist verfassungsrechtlich dann nicht geboten, wenn ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen.
Die aus Initiative des Bundesrats aus rein fiskalischen Gründen eingefügte Einschränkung soll die Rechtslage wiederherstellen, wie sie vor dem Beschluss des Großen Senats bestanden hat (BT- Druchsache 13/5359, 131; 13/5952, 57). Sie soll also primär verhindern, dass es infolge der Aufhebung der Vollziehung zur Erstattung von Vorauszahlungen, Steuerabzugsbeträgen und Steuervergütungen kommt. Die Neuregelung geht allerdings über den früheren Rechtszustand noch hinaus, indem sie den auszusetzenden Betrag nicht nur um die tatsächlich bereits geleisteten, sondern um die festgesetezten Vorauszahlungen mindert.
Aus der Begründung des Gesetzes vermag der Senat überwiegende, besonders wichtige Gründe für die Einschränkung des vorläufigen Rechtsschutzes nicht zu erkennen (ebenso im Ergebnis: Tipke/ Kruse, § 69 FGO, Rn. 183; Gräber/Koch, § 69 FGO, Rn. 53 a;Woerner, BB 1996, 2649). So lässt sich der BT-Druchsache 13/5359, 131; 13/5952, 57, geäußerten Befürchtung von Steuerausfällen die Möglichkeit der Anordnung von Sicherheitsleistungen entgegenhalten. Dass die geänderte Rechtsprechung des BFH zu einem Personalmehraufwand von 500 Stellen führen könnte, wird in der Gesetzesbegründung nicht näher belegt. Unerörtert bleibt auch,dass durch die Neuregelung der vorläufige Rechtsschutz nach § 69 FGO faktisch abgeschafft worden ist. Denn gerade in dem von der Gesetzgebung und der Verwaltungspraxis angestrebten Idealfall, dass die festgesetzten Vorauszahlungen mit der Festsetzung im Jahressteuerbescheid übereinstimmen, ist - abgesehen von der im Gesetz vorgeschriebenen Ausnahme der "wesentlichen Nachteile" -der Verwaltung gemäß § 361 Abs. 2 Satz 4 AO und dem Gericht nach § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes untersagt. Dieser Umstand hätte einer genaueren Begründung unter Abwägung etwaiger besonderer öffentlicher Interessen bedurft. Da der Gesetzgeber dies unterlassen hat bzw. die von ihm vorgebrachten Gründe dem Senat nicht ausreichend erscheinen, um den vorläufigen Rechtsschutz derart grundsätzlich und offensichtlich einzuschränken, unterliegt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorliegend keinen verfassungsrechtlich gebotenen Einschränkungen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Der Senat hat die Beschwerde gegen den Beschluss zugelassen, weil die aufgeworfene Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht entschieden ist.