Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.09.1999, Az.: III 532/92

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
29.09.1999
Aktenzeichen
III 532/92
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 33057
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1999:0929.III532.92.0A

Fundstellen

  • DStRE 2000, 650-652
  • DStRE 2000, 650-652 (Volltext mit amtl. LS)

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG gilt nicht für Vermögensvorteile aus einer befreienden Lebensversicherung, die einem Hinterbliebenen als gleichwertiger Ersatz für Ansprüche eingeräumt werden, die sonst kraft Gesetzes entstanden wären und ihrerseits nicht erbschaftsteuerpflichtig gewesen wären.

  2. 2.

    Das gilt auch für eine vom Erblasser zur Befreiung von der Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung abgeschlossene befreiende Lebensversicherung. Denn diese hat eine Unterhaltsersatzfunktion, wie sie der Hinterbliebenenversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung zu eigen ist. Erbschaftsteuerlich muss daher eine Gleichbehandlung der Versicherungsleistungen aus einer befreienden Lebensversicherung mit gesetzlichen Versorgungsansprüchen erfolgen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob Versicherungsleistungen aus einer befreienden Lebensversicherung der Erbschaftsteuer unterliegen.

2

Der am 26. Januar 1991 verstorbene G... C... - im folgenden: Erblasser - ist der Vater des am 11. April 1967 geborenen Kl... und wurde von seiner Ehefrau R... C... allein beerbt. Der als Arbeitnehmer tätige Erblasser hatte mit der ... A... Lebensversicherung im Jahre 1966 eine am 1. September 1966 beginnende Lebensversicherung mit einer Versicherungssumme von 30. 000 DM abgeschlossen. Dieser Versicherungsvertrag wurde in der Folgezeit fortlaufend den Beitragserhöhungen in der gesetzlichen Rentenversicherung angepaßt. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte befreite den Erblasser auf seinen Antrag hin durch Bescheid vom 24. Juni 1968 gem. Art. 2 § 1 des AngestelltenversicherungsNeuregelungsgesetzes - AnVNG - vom 23.2.1957 (BGBl I S. 88 i.d.F. des Finanzänderungsgesetzes 1967 vom 21. Dezember 1967 - BGBl I S. 1259) vom 1. Januar 1968 an von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. In dem Bescheid wurde darauf hingewiesen, dass die Befreiung endgültig und eine spätere Rückkehr in die Pflichtversicherung durch Verzicht auf die Befreiung ausgeschlossen sei. Die ... B... Lebensversicherung als Rechtsnachfolgerin der ... A... Lebensversicherung zahlte an den Kl ... und seine Mutter als Bezugsberechtigte nach dem Tod des Erblassers insgesamt 342.545,82 DM aus. Die Auszahlung erfolgte entsprechend einer Anweisung des Kl ... und seiner Mutter auf ein Konto der Mutter des Kl ....Das beklagte Finanzamt -FA- setzte gegen den Kl ... im Hinblickauf die fragliche Versicherungsleistung durch Bescheid vom 17. März 1992 Erbschaftsteuer von 2. 492 DM nach einem steuerpflichtigen Erwerb von 71. 200 DM (Versicherungsleistung 171. 272 DM abzüglich 100. 000 DM Freibetrag) fest. Den Einspruch des Kl ..., mit dem dieser die Erbschaftsteuerfreiheit der Leistungen aus der befreienden Lebensversicherung begehrte, wies das FA durch Bescheid vom 14. August 1992 als unbegründet zurück. Hiergegen richtet sich die Klage, zu deren Begründung der Kl ... vorträgt: Die Leistungen aus der vom Erblasser geschlossenen befreienden Lebensversicherung seien nicht gem. § 3 Abs. 1 Nr. 4 Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz - ErbStG 1974 - der Steuerpflicht unterworfen. Da der Erblasser als Arbeitnehmer die fraglichen Versicherungsverträge zur Unterhaltssicherung der Hinterbliebenen abgeschlossen habe, sei auch die ausgezahlte Versicherungssumme den - erbschaftsteuerfreien - gesetzlichen Versorgungsleistungen gleichzustellen. Andernfalls würde die vom Gesetzgeber durch Art. 2 § 1 AnVNG gewollte Gleichstellung privater Lebensversicherungen mit Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung ad absurdum geführt. Auch habe der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Regelung des Art. 2 § 1 AnVNG eine Erbschaftsteuerpflicht der Leistungen aus der privaten Lebensversicherung ersichtlich ausgeschlossen, weil andernfalls eine höhere Mindestprämie als diejenige in Höhe der Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten hätte vorgeschrieben werden müssen. Da überdies schon eine freiwillige Hinterbliebenenversorgung nicht § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1974 unterläge, müsse dies erst recht für die gem. Art. 2 § 1 AnVNG gezwungenermaßen gebildete Hinterbliebenenversorgung gelten. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass dem Erblasser aufgrund der Unwiderruflichkeit seines Antrags nach Art. 2 § 1 AnVNG eine spätere Rückkehr in die gesetzliche Rentenversicherung verschlossen gewesen sei.Aus all diesen Gründen verstoße die vom FA angenommene Steuerpflicht auch gegen den Gleichheitssatz (A rt. 3 GG) .

3

Der Kl ... beantragt sinngemäß,

4

den Erbschaftsteuerbescheid vom 17. März 1992 in der Gestalt des Einspruchsbescheids vom 14. August 1992 aufzuheben.

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Das FA beantragt

die Klage abzuweisen.

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Es erwidert: Gesetzliche Rentenansprüche und Ansprüche aus Versicherungsverträgen könnten erbschaftsteuerrechtlich nicht gleichbehandelt werden. Während der Anspruch aus einer gesetzlichen Rentenversicherung beim Tode des Versicherten entfalle, werde bei einer privaten Lebensversicherung die Versicherungssumme auch dann ausbezahlt, wenn der Bezugsberechtigte kein versorgungsberechtigter Hinterbliebener sei. Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze und die beim FA geführte Erbschaftsteuerakte (St.-Nr. ...) Bezug genommen.

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Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung vor dem Senat verzichtet.

Gründe

8

Die Klage ist begründet.

9

Das FA hat zu Unrecht die an den Kl... ausgezahlte Versicherungsleistung aus den vom Erblasser abgeschlossenen befreienden Lebensversicherungen gem. § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1974 der Erbschaftsteuer unterworfen. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1974 gilt als Erwerb von Todes wegen jeder Vermögensvorteil, der aufgrund eines vom Erblasser geschlossenen Vertrags bei dessen Tode von einem Dritten unmittelbar erworben wird. Der Senat folgt im Ergebnis der Auffassung des FG Köln (Beschluss vom 25. November 1997, 9 V 3238/97, EFG 1998 S. 490 ; vgl. auch BFH-Beschluss vom 25. August 1998 II B 25/98 , DStR 1998 S. 1599 [BFH 25.08.1998 - II B 25/98]), dass § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1974 nicht für Vermögensvorteile aus einer befreienden Lebensversicherung gilt, die einem Hinterbliebenen als gleichwertiger Ersatz für Ansprüche eingeräumt werden, die sonst kraft Gesetzes entstanden wären und ihrerseits nicht der Erbschaftsteuer unterlägen hätten.

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1. Seit jeher besteht Einigkeit darüber, dass gesetzlich (im Beamtenverhältnis oder in der gesetzlichen Sozialversicherung) begründete Hinterbliebenenrenten nicht auf vertraglicher Grundlage beruhen und damit keiner Steuerpflicht aus § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG unterliegen (B FH-Urteile v. 20. Mai 1981 II R 11/81 , BStBl II 1981 S. 715 ; v. 27. November 1985 II R 148/82, BStBl 1986 S. 265; v. 13. Dezember 1989 II R 23/85 BStBl 1990 S. 322; R 8 ErbStR; Meincke, Kommentar zum ErbStG 11 . Aufl. 1997, § 3 Az.84). Hiervon geht ersichtlich auch der Gesetzgeber selbst aus, indem er in § 17 Abs. 1 S. 2 ErbStG 1974 nicht der Erbschaftsteuer unterliegende Versorgungsbezüge voraussetzt. Der BFH (Urteil v. 20. Mai 1981 a.a.O.) hält überdies unter Berücksichtigung der historischen Entwicklung und des Gleichheitssatzes (A rt. 3 GG) eine teleologische Reduktion des Wortlauts des § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1974 insofern für geboten, als diese Vorschrift gleichermaßen nicht anwendbar ist auf eine Hinterbliebenenversorgung der Arbeitnehmer kraft Gesetzes, Tarifvertrags, Betriebsvereinbarung, Ruhegeldordnung, betrieblicher Übung, (arbeitsrechtlichem) Gleichbehandlungsgrundsatz oder Einzelvertrag. Voraussetzung ist jedoch, dass die Hinterbliebenenbezüge als angemessen zu qualifizieren sind.

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Eine teleologische Reduktion des § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1974 ist nach Auffassung des Senats auch im Hinblick auf die - angemessenen - Hinterbliebenenbezüge aus einer befreienden Lebensversicherung veranlaßt. Die Notwendigkeit hierfür ergibt sich aus dem engen Bezug der befreienden Lebensversicherung zur gesetzlichen Rentenversicherung, wie er in Art. 2 § 1 BuchSt. b AnVNG zum Ausdruck kommt. Diese Vorschrift verfolgte im Rahmen des den Angestellten eröffneten Wahlrechts zum Verbleib in der gesetzlichen Rentenversicherung bzw. zur Befreiung von der Versicherungspflicht ersichtlich das Ziel, den Hinterbliebenen eineder gesetzlichen Rentenversicherung gleichwertige Versorgung zu verschaffen. Dieser Gesetzeszweck kommt darin zum Ausdruck, dass Angestellte nur dann die Befreiung von der Versicherungspflicht erlangen konnten, wenn sie für sich und ihre Hinterbliebenen einen Versicherungsvertrag für den Fall des Todes und des Erlebens des 65. oder eines niedrigeren Lebensjahres abgeschlossen hatten und für diese Versicherung mindestens ebensoviel aufwendeten wie für sie Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten zu zahlen wären. Diese gesetzliche Zielrichtung des Art. 2 § 1 AnVNG veranlaßt auch erbschaftsteuerlich eine Gleichbehandlung der Versicherungsleistung aus der befreienden Lebensversicherung mit gesetzlichen Versorgungsansprüchen. Auch die befreiende Lebensversicherung hat damit letztlich eine Unterhaltsersatzfunktion, wie sie der Hinterbliebenenversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung zu eigen ist (B VerfG-Beschl. v. 18.2.1998 - 1 BvR 1318/86 und 1 BvR 1448/86, NJW 1998 S. 3109 m.w.N.). Insbesondere kann aus Gründen der Gleichbehandlung für befreiende Lebensversicherungen nichts anderes gelten als für Ansprüche der Hinterbliebenen aus einer freiwilligen Sozialversicherung oder einer Pflichtversicherung auf Antrag, die ebenfalls nicht § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG unterfallen (B FH-Urteil v. 20. Mai 1981, a.a.O.). Ein entgegenstehender gesetzgeberischer Wille läßt sich - entgegen der Regierungsbegründung zum ErbStG 1974 (BT - Drs VI/3418, S. 71) - auch nicht der dort befürworteten Erbschaftsteuerpflicht privat vereinbarter Hinterbliebenenbezüge entnehmen (vgl. BFH-Urteil vom 20. Mai 1981, a.a.O.).

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2. Darüber hinaus ist eine teleologische Reduktion des § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG auch aufgrund des Art. 6 Abs. 2 GG unter dem Gesichtspunkt des vom Erblasser dem Kl... geschuldeten Kinderunterhalts veranlaßt. Die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüberihren Kindern ist Ausfluß der Elternrechtsstellung. Hierbei unterliegen Eltern nach dem in § 1603 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken einer besonderen familienrechtlichen Verantwortung (B GH-Urteil vom 23. Januar 1980 IV ZR 2/78 NJW 1980 S., 934; BGH-Urteil vom 9. Juli 1980 IV b 529/80 NJW 1980 S. 2414 [BGH 09.07.1980 - IVb ZR 529/80]). Aus dieser letzlich in Art. 6 Abs. 2 GG gründenden Verpflichtung folgt - auch unter Berücksichtigung der Unterhaltsersatzfunktion (vorstehend unter 1.) von Ansprüchen aus einer befreienden Lebensversicherung - zugleich ein besonderer verfassungsrechtlicher Schutzanspruch des unterhaltsberechtigten Kindes, der den erbschaftsteuerlichen Zugriff auf die zu seiner Unterhaltssicherung erworbenen Versicherungsansprüche begrenzt. Das BVerfG (Beschluss vom 22. Juni 1995 2 BvR 552/91 BStBl 1995 II S. 671) entnimmt Art. 6 Abs. 1 GG - für Art. 6 Abs. 2 GG kann insoweit nichts anderes gelten - eine Grenze für das Maß der Steuerbelastung dahingehend, dass Familienangehörigen der ihnen jeweils überkommene Nachlass je nach dessen Größe zumindest zum deutlich überwiegenden Teil oder, bei kleinerem Vermögen, völlig steuerfrei zugute kommen muß. Der Betrag des Nachlasswerts, der dem oder den Erben der Steuerklasse I ungeschmälert verbleiben muss, ist entsprechend von der Erbschaftsteuer freizustellen. Als tauglichen Anhalt für diesen Nachlasswertbezeichnet das BVerfG (a.a.O.) den in seinem Vermögensteuerbeschluss (vom 22. Juni 1995 2 Bvl 37/91 BStBl 1995 II S. 655) bezeichneten Wert des persönlichen Gebrauchsvermögens. Diese vom BVerfG angegebene Wertgröße bedeutet jedoch nach Ansicht des Senats nicht, dass Zuwendungen mit Versorgungscharakter an einen Hinterbliebenen ausschließlich im Rahmen der Familienangehörigen durch die Steuerklasse I gewährten günstigen Freibeträge und Steuersätze berücksichtigt werden können. Vielmehr steht daspersönliche Gebrauchsvermögen - als besonderes verfassungsrechtliches Schutzobjekt gegenüber einer erbschaftsteuerlichen Belastung - neben der u.a. durch Sozialversicherungsansprüche gewährten Sicherheit (vgl. BVerfG - Beschluss vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91 a.a.O. S. 662 unter 5. a). Soweit daher ein vermögensrechtlicher Anspruch auf die Unterhaltssicherung minderjähriger Kinder abzielt und dieser Anspruch - wie aufgrund Art. 2 § 1 AnVNG der Fall - letztlich seine Grundlage in sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen findet, unterliegt die Besteuerung durch das ErbStG zusätzlichen verfassungsrechtlichen Begrenzungen. Der - zeitlich vor den vorzitierten BVerfG-Beschlüssen ergangenen - gegenteiligen Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 17. April 1985 II R 147/82 BFH/NV 1986 S. 96 [BFH 17.04.1985 - II R 147/82]), wonach Erwerbe mit Versorgungscharakter ausschließlich nach Maßgabe der günstigen Freibeträge und Steuersätze der Steuerklasse I begünstigtwerden sollen, vermag der Senat daher nicht zu folgen. Vielmehr steht der besondere verfassungsrechtliche Schutzanspruch aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG im Zusammenwirken mit Art. 3 GG einer Besteuerung der von Hinterbliebenen erworbenen sozialversicherungsrechtlich fundierten Ansprüche aus einer befreienden Lebensversicherung entgegen.

13

3. Darüber hinaus ist auch mangels Erfüllung des objektiven Tatbestands eine Steuerpflicht aus § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1974 im Streitfall nicht gegeben. Mit dem Abschluss des hier fraglichen Lebensversicherungsvertrags und den Beitragszahlungen ist der Erblasser seiner dem Kl... geschuldeten familienrechtlichen Unterhaltsverantwortung (vgl. vorstehend) nachgekommen. Diese zivilrechtliche und aufgrund Art. 2 § 1 AnVNG zugleich sozialversicherungsrechtliche Verpflichtung des Erblassers schließt die objektive Unentgeltlichkeit der von dem Kl... erworbenen Versicherungssumme aus (Troll/Gebel/Jülicher a.a.O. § 3 Rz. 311). Der Senat vermag in diesem Zusammenhang nicht dem BFH-Urteil vom 17. April 1985 (a.a.O.) zu folgen, das mit Blick auf § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG 1959 die gesetzliche Unterhaltsverpflichtung nicht als einen die Anwendung der vorgenannten Vorschrift ausschließenden vermögensrechtlichen Leistungsanspruch qualifiziert. Vielmehr dürfte insoweit schon grundsätzlich nichts anderes gelten als für Schenkungen auf den Todesfall ( § 3 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG), die die Merkmale einer freigebigen Zuwendung erfüllen müssen (B FH Urteil vom 5. Dezember 1990 II R 109/86 BStBl II 1991 S. 181). Zumindest jedoch muss dies für Ansprüche eines Hinterbliebenen aus einer befreienden Lebensversicherung gelten, weil insoweit das Moment einer freiwillig vereinbarten Versorgungsregelung bzw. Zuwendung mit Versorgungscharakter aufgrund Art. 2 § 1 AnVNG durch eine sozialversicherungsrechtliche Zwangsregelung überlagert ist.

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Der Einwand des FA, dass der Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer befreienden Lebensversicherung - anders als der Anspruch aus einer gesetzlichen Rentenversicherung - nicht beim Tod des versorgungsberechtigten Hinterbliebenen entfällt, steht der hier fehlenden Steuerbarkeit aus § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG nicht entgegen. Der Einwand des FA ist zwar für sich gesehen richtig, so dass § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1974 bei Auszahlung der Versicherungssumme an eine nicht als Hinterbliebener zu qualifizierende Person entfällt (vgl. auch FG Münster Urteil vom 2. Juni 1987 III 8787/86 Erb EFG 1987 S. 570). Diese Einschränkung kann jedoch vorliegend nicht zum Tragen kommen, weil die Versicherungssumme hier an den Kl... als Hinterbliebenen i.S.d. § 41 AVG ausgezahlt wurde und damit die Zahlung der Versicherungssumme gerade den von Art. 2 § 1 Buchst. b AnVNG verfolgten Zweck der Hinterbliebenenversorgung verwirklichte.

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Nach Maßgabe der vorstehenden Erwägungen ist mithin die dem Kl... zugeflossene Lebensversicherungssumme nicht nach § 3Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1974 steuerbar, da es sich bei der hier fraglichen Lebensversicherung ausweislich der vorgelegten Vertragsunterlagen und des Bescheids der Bundesversicherung für Angestellte um eine befreiende Lebensversicherung handelte und weil der Kl... als Kind des Erblassers Hinterbliebener im sozialversicherungsrechtlichen Sinne ist. Ob dem Kl... nach dem Tode des Erblassers nach Maßgabe der sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen (z.B. § 48 SGB VI) eine Waisenrente bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres zugestanden hätte, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn Art. 2 § 1 AnVNG stellte ersichtlich lediglich dem Grunde nach auf die Hinterbliebeneneigenschaft ab und verknüpfte den Anspruch aus der befreienden Lebensversicherung der Höhe nach nicht mit den sozialversicherungsrechtlichen Anspruchs und Berechnungsgrundlagen. Rechtliche Bedenken gegen den vom FA angenommenen hälftigen Erwerb der Versicherungssumme durch den Kl... und seine Mutter sind nicht vorgetragen und unter Berücksichtigung der Grundregel des § 420 BGB auch nicht ersichtlich.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO , die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 151 Abs. 1 u.3 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, 711 ZPO .

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Das Gericht hat gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Revision zugelassen, weil die Rechtssache im Hinblick auf die erbschaftsteuerliche Behandlung von Versicherungsleistungen an Hinterbliebene aufgrund einer befreienden Lebensversicherung grundsätzliche Bedeutung hat.