Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.09.1999, Az.: 1 K 309/94

Inländisches Betriebsvermögen; Diskriminierungsverbot; Einheitsbewertung; Diskriminierungsverbot bei der Niederlassung von Gesellschaftern innerhalb der Europäischen Union

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
28.09.1999
Aktenzeichen
1 K 309/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 18024
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1999:0928.1K309.94.0A

Tatbestand

1

Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft belgischen Rechts mit Sitz und Geschäftsleitung in Belgien. Angefochten ist der Einheitswertbescheid für das inländische Betriebsvermögen auf den 1. Januar 1974. In der für den Einheitswert nach § 106 Abs. 3 Bewertungsgesetz (BewG) maßgeblichen Bilanz der inländischen Betriebsstätte zum 31. Oktober 1973 ist kein "Dotationskapital" ausgewiesen, jedoch ein "Verrechnungskonto" mit einem Saldo - nach der Bp - von ... DM zugunsten des belgischen Stammhauses. Dieser Saldo entspricht ca. 78 v. H. der Bilanzsumme der inländischen Betriebsstätte. Das beklagte Finanzamt (FA) behandelte den Saldo des Verrechnungskontos in vollem Umfang als Eigenkapital. Streitig ist, ob der bewertungsrechtlich maßgebende Eigenkapitalanteil nach einem Kapitalspiegel zu berechnen ist, der insbesondere das Verhältnis von Eigenkapital und Fremdkapital des Gesamtunternehmens berücksichtigt. Die Eigenkapitalquote des Gesamtunternehmens betrug nach den Angaben der Klägerin am Bilanzstichtag 37,71 v. H.

2

Das FA hat den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1974 mit Bescheid vom 1. April 1981 auf ... DM festgestellt. Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Vorverfahren die Klage, zu deren Begründung die Klägerin ausführt:

3

Die Veranlagung verstoße gegen § 103 Abs. 1 BewG. Nach dieser Vorschrift seien Schulden insoweit abzuziehen, als sie mit der Gesamtheit oder einzelnen Teilen des gewerblichen Betriebs in wirtschaftlichem Zusammenhang ständen. Die Vorschrift setze ausdrücklich lediglich einen wirtschaftlichen Zusammenhang von Schulden und der Gesamtheit bzw. einzelnen Teilen des gewerblichen Betriebes voraus. Ein unmittelbarer Zusammenhang werde nicht gefordert. Bei der in dem Saldo des Verrechnungskontos enthaltenen Mittelzuführung handele es sich nicht um Eigenkapitalzuführung, insbesondere nicht um die Weiterleitung von Mitteln aus der am 1. November 1971 durchgeführten Kapitalerhöhung. Die vom Beklagten vertretene Auffassung widerspreche dem mit § 103 Abs. 1 BewG verfolgten Zweck einer sachgerechten Betriebsstättenbesteuerung. Es entspreche nicht dem gesetzgeberischen Willen, Schulden, die sich nicht ausschließlich Haupt- oder Zweigniederlassungen zuordnen ließen, gleichwohl einseitig dem Stammhaus zuzuordnen. Ein Betriebsschuldenabzug bei einer inländischen Betriebsstätte komme nicht nur dann in Betracht, wenn die Verbindlichkeit durch die Betriebsstätte selbst oder vom Stammhaus für die Betriebsstätte begründet worden sei; denn die direkte Aufnahme von Fremdmitteln durch die inländische Betriebsstätte gehe an der finanzwirtschaftlichen Realität vorbei. Das einheitliche Gesamtunternehmen decke seinen Kapitalbedarf dort, wo es günstig sei. Das aufgenommene Kapital werde im Gesamtunternehmen nach Bedarf genutzt. Die unmittelbare Aufnahme von Fremdmitteln durch das Stammhaus für jedes einzelne Investitionsvorhaben der Betriebsstätten sei nicht durchführbar. Die direkte Methode der Zuordnung von Wirtschaftsgütern sei daher beim Schuldenabzug nicht anwendbar. Der Saldo des Verrechnungskontos könne nicht mit Hilfe der direkten Methode ausschließlich wie Fremdkapital oder wie Eigenkapital der Betriebsstätte behandelt werden. Der Saldo müsse mit Hilfe des Fremdvergleichs in Eigenkapital- und Fremdkapitalelemente aufgeteilt werden. Lasse sich ein Fremdvergleich nicht durchführen, so sei der Verrechnungssaldo entsprechend dem Kapitalspiegel des Gesamtunternehmens aufzuteilen.

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Der angefochtene Bescheid verstoße ferner gegen Art. 7 Abs. 2 und 3, Art. 22 Abs. 2 Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) - Belgien. Bei der Ermittlung des auf die inländische Betriebsstätte entfallene Vermögens sei die sogenannte "Dealing at arm\[00ef\]s length"-Klausel des Art. 7 Abs. 2 DBA zu beachten. Diese Klausel gelte nicht nur für die Gewinnabgrenzung. Ein vergleichbarer selbständiger Betrieb würde seinen Finanzbedarf ebenfalls teilweise durch Fremdkapital decken. Das Verrechnungskonto einer selbständigen Tochtergesellschaft gegenüber ihrer Muttergesellschaft würde nicht als Eigenkapital, sondern als Fremdkapital qualifiziert werden. Nur in Mißbrauchsfällen könne es anders sein. Der vorgeschriebene Fremdvergleich führe zu dem Ergebnis, dass der Saldo des Verrechnungskontos nur insoweit als Eigenkapital behandelt werden dürfe, als die tatsächlich gegebene rechtliche Unselbständigkeit dies gebiete und sonst eine ungerechtfertigte Vermögensveranlagung eintrete. - Andernfalls werde zugleich gegen den Rechtsgedanken des Art. 7 Abs. 3 DBA verstoßen. Auch diese Vorschrift gelte nicht nur für die Gewinnermittlung der Betriebsstätte, sondern sei auch im Bereich der Vermögensabgrenzung anzuwenden. Für die Gewinnabgrenzung werde die anteilige Berücksichtigung von Zinsaufwendungen des Gesamtunternehmens bei der Betriebsstätte vorgeschrieben. Entsprechend seien bei der Vermögensabgrenzung auch die zugrundeliegenden Schulden mit einem geschätzten Anteil zu berücksichtigen. Ein geeigneter Maßstab für die Aufteilung der Fremdschulden des Gesamtunternehmens sei das Verhältnis der Bilanzsummen.

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Der angefochtene Bescheid stehe in mehrfachem Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH zu dem sich aus Art. 52 und 58 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EWGV) ergebenden Diskriminierungsverbots zur Niederlassung von Gesellschaften innerhalb der Europäischen Union. Danach habe eine nationale Rechtsvorschrift diskriminierende Wirkung, wenn eine nicht ansässige Gesellschaft gegenüber ansässigen Gesellschaften benachteiligt werde. In Belgien würden nur die Betriebsschulden des Gesamtunternehmens beim Stammhaus abgezogen, die anteilig auf das Stammhaus entfallen würden. Im Gegensatz zu einem ausschließlich in der Bundesrepublik operierenden Gesamtunternehmen könnten danach die Betriebsschulden, die anteilig auf die Betriebsstätte in der Bundesrepublik entfallen, überhaupt nicht abgezogen werden. Damit bleibe ein Teil der im Gesamtunternehmen bestehenden Betriebsschulden vollständig nur deshalb vom Abzug ausgeschlossen, weil sie, die Klägerin, nicht in der Bundesrepublik ansässig sei. - Auch unter folgendem Gesichtspunkt bedeute die Entscheidung des beklagten FA eine diskriminierende Einschränkung der Niederlassungsfreiheit. Nach der vom beklagten FA vertretenen Auffassung komme bei der inländischen Betriebsstätte ein Betriebsschuldenabzug nicht in Betracht, weil einem gedachten selbständigen Vergleichsbetrieb - also einer inländischen Tochtergesellschaft - der Saldo des Verrechnungskontos als Einlage zur Verfügung gestellt worden wäre. Diese Unterstellung sei nicht begründet; denn ausländische Gesellschafter würden ihre inländischen Tochtergesellschaften überwiegend mit Darlehen und gerade nicht mit Eigenkapital finanzieren. Das bedeute, dass die inländische Betriebsstätte, wäre sie ein selbständiges Unternehmen, im vorliegenden Fall über eine Eigenkapitalquote von rd. 78 v.H. verfügen würde. Das sei in der internationalen Praxis geradezu irreal und entspreche auch nicht der Eigenkapitalquote des Gesamtunternehmens von 38 v.H. Nach der Rechtsprechung des EuGH würden die Art. 52,58 EWGV eine steuerliche Gleichbehandlung ausländischer Gesellschaften gebieten, unabhängig davon, ob sie im Inland eine Betriebsstätte oder eine Tochtergesellschaft unterhalten würden. Während die Finanzierung inländischer Tochtergesellschaften jedoch unstreitig in erheblichem Umfang mit Fremdkapital durchgeführt werde und diese Betriebsschulden abzugsfähig seien, solle bei einer Betriebsstätte ein Schuldenabzug nur bei bestimmten und selten praktizierbaren Fällen möglich sein. Ihr, der Klägerin, erwachse daher durch die gewählte Unternehmensstruktur ein Nachteil. Die Diskriminierung werde auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass sie den Nachteil durch Gründung einer Tochtergesellschaft hätte vermeiden können; denn nach Art. 52 Abs. 1 Satz 2 EWGV könne sie die Rechtsform für die Ausübung ihrer Tätigkeit in einem anderen Mitgliedsstaat frei wählen. Diese freie Wahl dürfe nicht durch diskriminierende Steuerbestimmungen eingeschränkt werden.

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Der Einheitswert auf den 1. Januar 1974 sei danach wie folgt zu ermitteln:

DM DM
EW (ungerundet) lt. Bescheid nach Betriebsprüfung anteiliges Fremdkapital:, Verrechnungskonto lt. Handelsbilanz davon Eigenkapital 37,71 v.H. der Bilanzsumme DM x 37,71 v.H. = als Fremdkapital abzuziehen:EW gerundet
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Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 1. April 1981 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. Oktober 1994 zugestellt am 20. Oktober 1994 dahingehend abzuändern, dass der Einheitswert des inländischen Betriebsvermögens der Klägerin auf den 1. Januar 1.974,00 DM ... beträgt,

hilfsweise

die das Gemeinschaftsrecht betreffenden Fragen dem Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 177 Abs. 2 EWGV zur Vorabentscheidung vorzulegen.

8

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte trägt vor: Zum Stichtag 1. Januar 1973 habe der BFH in seinem Urteil vom 12. Januar 1994 II R 95/89 BFH/NV 1994/690 die Rechtsauffassung des FA bestätigt. Insbesondere habe der BFH ausgeführt, dass die Vermögensbesteuerung der inländischen Betriebsstätte der Klägerin nicht gegen das Verbot der Diskriminierung nach Art. 7 oder gegen die in Art. 52 und 58 EWGV geregelte Niederlassungsfreiheit verstoße. Die von der Klägerin zitierte Rechtsprechung des EuGH treffe auf den Sachverhalt des Streitfalls nicht zu. Die fraglichen Beträge seien auch bei einem inländischen Unternehmen kein Fremdkapital. Nach § 242 HGB könnten nur die Beträge als Verbindlichkeit bilanziert werden, die den Kaufmann auch tatsächlich belasten und von ihm auch zurückgezahlt werden müssten. Diese Voraussetzung gelte nicht nur für einen inländischen Unternehmer, sondern auch für Zweigniederlassungen einer ausländischen Firma. Auch bei einer inländischen Zweigniederlassung komme es darauf an, ob der Zweigniederlassung die Verbindlichkeiten wirtschaftlich zugerechnet werden könnten. Schulden einer rechtlich selbständigen Zentrale (Muttergesellschaft) könnten aber unter keinem Gesichtspunkt als Schulden einer rechtlich selbständigen Zweiggesellschaft (Tochtergesellschaft) behandelt werden. Eine Differenzierung zwischen einer ausländischen und inländischen Zweigniederlassung werde nicht vorgenommen. Nach der Rechtsprechung des BFH I R 95/89 sei eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nicht angezeigt.

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Im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und folgender Akten des FA Bezug genommen: Band I Einheitswert-Vermögensteuerakten, Band II Vermögensteuerakten ab 1976, Band I und II Betriebsprüfung, Band I Bilanzunterlagen (Berichts- und Bilanzakten), 1 Band Rechtsbehelfsvorgänge.

Gründe

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Die Klage ist nicht begründet.

12

Schulden können nur insoweit abgezogen werden, als sie mit der inländischen Betriebsstätte in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen - § 121 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 103 Abs. 1 BewG. Der wirtschaftliche Zusammenhang zwischen Betriebsstätte und Schulden ist nach der Rechtsprechung des BFH grundsätzlich nach der sogenannten direkten Methode zu entscheiden - BFH II R 95/89. Das Urteil betrifft den Einheitswert des Betriebsvermögens der inländischen Betriebsstätte der Klägerin auf den 1. Januar 1973. Das Gericht folgt dieser Rechtsprechung. Danach sind nur die von der inländischen Betriebsstätte für ihre eigenen Bedürfnisse selbst auf genommenen Fremdmitteln sowie die vom Stammhaus für die Betriebsstätte aufgenommenen und an diese weitergeleiteten Darlehen (durchgeleitete Darlehen) als Schulden i.S.d. § 103 Abs. 1 BewG abzuziehen. Diese Voraussetzungen liegen bei dem Saldo des Verrechnungskontos nicht vor. Danach hat das FA den Saldo des Verrechnungskontos zutreffend als Eigenkapital der inländischen Betriebsstätte angesehen.

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Auch die Anwendung der "Dealing at arm+82s"-Klausel nach Art. 7 DBA Belgien, nach der Schulden und lasten im wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Betriebsstätte stehen, wenn sie bei einem gedachten Vergleichsbetrieb auch Betriebsschulden darstellen würden, führte zu keinem anderen Ergebnis. Nach dem BFH-Urteil II R 95/89 ist nach dieser Klausel eine Schuld der inländischen Betriebsstätte gegenüber dem Stammhaus dann anzuerkennen, wenn die Verbindlichkeit aus dem gewöhnlichen Geschäftsbetrieb herrührt. Bei Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und inländischer Betriebsstätte muss danach entschieden werden, ob es sich um Vorgänge aus dem normalen Geschäftsbetrieb handelt oder aber um die Unternehmensausstattung. In einem gedachten Vergleichsbetrieb würde eine Unternehmensausstattung, wie sie im Streitfall vorliegt, gerade keine Betriebsschuld, sondern eine Einlage darstellen. Diesen Ausführungen des BFH schließt sich der erkennende Senat an. Die Sachlage hat sich für den Stichtag 1. Januar 1974 nicht geändert.

14

Ebenso kommt die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 177 EWGV nicht in Betracht. Wenn im vorliegenden Fall der von der Klägerin geltend gemachte Schuldenabzug bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens der inländischen Betriebsstätte versagt wird, so beruht dies nicht auf der Unternehmensstruktur der Klägerin. Es beruht nicht auf der Tatsache, dass die inländische Betriebsstätte eine unselbständige Zweigniederlassung einer ausländischen Kapitalgesellschaft ist. Entscheidend ist vielmehr, dass die geltend gemachten Verbindlichkeiten nicht konkret durch die Betriebsstätte veranlasst sind und ihr deshalb nach der direkten Methode nicht zugeordnet werden können. Auch insoweit verweist das Gericht auf die Ausführungen des BFH in dem Urteil II R 95/89.

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Die Klage war daher abzuweisen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).