Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.05.2011, Az.: 12 K 160/10

Anwendung des sog. Meistbegünstigungsprinzips bei Ermittlung des Gewerbesteuer-Messbetrags für Zwecke der Steuerermäßigung gem. § 35 EStG; Fiktion des Tonnagegewinns gem. § 5a EStG als Gewerbeertrag ohne Hinzurechnungen oder Kürzungen; Anwendung des allgemeinen Verlustausgleichs und der Verlustausgleichsbeschränkungen gem. § 2 Abs. 3 S. 3 ff. EStG a.F. bei Ermittlung der außerordentlichen Einkünfte

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
24.05.2011
Aktenzeichen
12 K 160/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 22924
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2011:0524.12K160.10.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 04.12.2014 - AZ: IV R 27/11

Fundstellen

  • EFG 2012, 245-248
  • KÖSDI 2012, 17807

ges. und einh. Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2008

Bei der Ermittlung des Gewerbesteuer-Messbetrags für Zwecke der Steuerermäßigung gemäß § 35 EStG ist das sog. Meistbegünstigungsprinzip anzuwenden (hier beim Zusammentreffen der nicht begünstigten Tonnagegewinnpauschale gemäß § 5a Abs. 1 EStG i.V.m. § 5a Abs. 5 Satz 2 EStG und den begünstigten Sondervergütungen gemäß § 5a Abs. 4a Satz 3 EStG).

Tatbestand

1

Die Klägerin ist eine Kommanditgesellschaft, deren Unternehmensgegenstand der Bau, der Erwerb, der Betrieb und die Veräußerung von Seeschiffen, insbesondere des MS "L" ist.

2

Seit 2005 wird die Klägerin gemäß § 5a EStG (sog. Tonnagebesteuerung) besteuert.

3

In dem Gewerbesteuer-Messbescheid 2008 vom 13. November 2009 wurde der Gewerbesteuer-Messbetrag mit 318 EUR ausgewiesen. Der Betrag errechnete sich wie folgt:

Gewerbeertrag aus dem Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr gemäß § 5a Abs. 1 EStG 17.761 EUR
Sonderbetriebseinnahmen gem. § 5a Abs. 4a Satz 3 EStG 15.895 EUR
Gewerbeertrag gem. § 7 Satz 3 GewStG 33.656 EUR
Gewerbeertrag, abgerundet auf volle 100 EUR 33.600 EUR
Freibetrag nach § 11 Abs. 1 GewStG ./. 24.500 EUR
verbleibender Betrag 9.100 EUR
Steuermessbetrag 3,5% 318 EUR
4

In der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Besteuerungsgrundlagen vom 22. Oktober 2009 wurde der für Zwecke des§ 35 EStG maßgebliche Gewerbesteuer-Messbetrag der Gesellschaft mit 150 EUR festgestellt. In den Erläuterungen wurde ausgeführt, dass sich der für § 35 EStG maßgebliche Anteil des Gewerbesteuer-Messbetrags im Verhältnis der Beträge 15.895 EUR zu 33.656 EUR bemesse.

5

Mit am 10. November 2009 eingegangenem Einspruch wandte sich die Klägerin gegen die anteilige Kürzung des für§ 35 EStG maßgeblichen Gewerbesteuer-Messbetrags. Dabei setzte die Klägerin - ebenso wie der Beklagte - voraus, dass sich die Vorschrift des § 5a Abs. 5 Satz 2 EStG - in der die Unanwendbarkeit des § 35 EStG angeordnet wird - nur auf die pauschale Tonnagebesteuerung nach § 5a Abs. 1 EStG bezog und dass für die Sondervergütungen nach § 5a Abs. 4a Satz 3 EStG die Tarifbegünstigung des § 35 EStG in Betracht kam. Ausgehend hiervon war die Klägerin mit der Berechnung des für die Tarifbegünstigung zur Verfügung stehenden Gewerbesteuer-Messbetrags nicht einverstanden. Während der Beklagte davon ausgegangen war, dass der Gewerbesteuer-Messbetrag der Klägerin anteilig sowohl auf den Gewerbeertragsanteilen aus der Tonnagegewinnpauschale als auch auf den Gewerbeertragsanteilen aus den Sondervergütungen beruhe, war die Klägerin der Meinung, dass der Gewerbesteuer-Messbetrag ausschließlich auf einem verbleibenden Betrag beruhe, der aus den Sondervergütungen gespeist werde. Begründet wurde diese Ansicht mit dem sog. Meistbegünstigungsprinzip, welches in der Rechtsprechung des BFH zu § 34 EStG anerkannt sei. Danach müsse der Gewerbeertragsfreibetrag in Höhe von 24.500 EUR zunächst von der Tonnagegewinnpauschale (hier: 17.761 EUR) abgezogen werden und erst nach dem Verbrauch dieses Substrats sei der restliche Freibetrag von den anzusetzenden Sondervergütungen (hier: 15.895 EUR) abzuziehen. Wenn so vorgegangen werde, beruhe der - unstreitige - Gewerbesteuer-Messbetrag in Höhe von 318 EUR nicht nur anteilig sondern vollständig auf einem Betrag, der nur aus Sondervergütungen gespeist sei, so dass die Tarifermäßigung des § 35 Abs. 1 EStG nicht nur für den anteiligen Gewerbesteuer-Messbetrag sondern für den gesamten Gewerbesteuer-Messbetrag anzuwenden sei.

6

Der Beklagte war zunächst der Ansicht, dass der Einspruch gegen den Feststellungsbescheid unzulässig sei, weil die Einwendungen gegen den Gewerbesteuer-Messbescheid vom 13. November 2009 gerichtet werden müssten. Ergänzend führte der Beklagte aus, dass der Gewerbeertrag im vorliegenden Fall sowohl aus der nach § 5a Abs. 1 EStG ermittelten Gewinnpauschale als auch aus den hinzugerechneten Sondervergütungen bestehe. Deshalb greife die Tarifermäßigung des § 35 EStG nur insoweit ein, soweit der Gewerbeertrag nicht auf der Tonnagepauschale des § 5a Abs. 1 EStG beruhen würde (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 2007 IV R 92/05, BStBl II 2008, 583; FG Hamburg vom 25. April 2007 2 K 123/06, EFG 2007, 1802). Der Argumentation der Klägerin, dass der Gewerbeertragsfreibetrag in Höhe von 24.500 EUR nur auf den Tonnagegewinn nach § 5a Abs. 1 EStG anzurechnen sei und der gesamte Messbetrag in Höhe von 318 EUR als steuerermäßigt nach § 35 EStG zu behandeln sei, könne nicht gefolgt werden.

7

Die Klägerin erwiderte, dass sie keine Einwendungen gegen die Höhe des Gewerbesteuer-Messbetrags geltend mache, sondern dass sich ihre Einwendungen nur gegen die Feststellung richte, welcher Teil des Gewerbesteuer-Messbetrags gemäß § 35 EStG bei der Einkommensteuer anrechenbar sei. Deshalb sei der Einspruch zulässig. Der Einspruch sei auch begründet, weil nach der ständigen Rechtsprechung des BFH zu § 34 EStG eine Meistbegünstigungsbetrachtung anzuwenden sei. Grundlage für die Gewinnermittlung sei § 5a Abs. 1 EStG, so dass der abzuziehende Freibetrag zunächst voll gegen den nicht nach § 35 EStG begünstigten Betrag zu berechnen sei. Da aber der Tonnagepauschalgewinn unterhalb des Freibetrags liege, ergebe sich der Gewerbesteuermessbetrag allein aus den Hinzurechnungsbeträgen. Er sei in vollem Umfang tarifbegünstigt.

8

Mit am 10. März 2010 ergangenem und am 11. März 2010 zugestellten Einspruchsbescheid wies der Beklagte den Einspruch zurück. Im vorliegenden Fall würden in dem Gewerbeertrag sowohl der pauschal ermittelte Gewinn nach § 5a Abs. 1 EStG als auch die hinzuzurechnenden Vergütungen nach § 5a Abs. 4a Satz 3 EStG stecken. Dieser Gewerbeertrag werde nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG abgerundet und ein Freibetrag in Höhe von 24.500 EUR abgezogen. Der Freibetrag werde nicht nur von dem Anteil des Gewerbeertrags abgezogen, der auf die Gewinnpauschale nach § 5a Abs. 1 EStG entfalle, sondern erstrecke sich auf alle Teile des Gewerbeertrags. Deshalb werde durch die Anwendung des Freibetrags gemäß § 11 Abs. 1 GewStG nicht vorrangig und vollständig die Gewinnpauschale nach § 5a Abs. 1 EStG gekürzt, so dass nur bei § 35 EStG anrechnungsfähige Anteile des Gewerbeertrags übrig bleiben würden. Der festgesetzte Gewerbesteuermessbetrag in Höhe von 318 EUR beruhe anteilig auf der Gewinnpauschale gemäß § 5a Abs. 1 EStG und anteilig auf den Sondervergütungen gemäß § 5a Abs. 4a EStG. Deshalb sei die Steuerermäßigung nach § 35 EStG nur anteilig zu gewähren.

9

Mit am 9. April 2010 eingegangener Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

10

Ausgehend von der BFH-Rechtsprechung zu § 32c EStG sei die Tarifbegünstigung gemäß § 35 EStG für neben der Tonnagegewinnpauschale nach § 5a EStG steuerpflichtige Sondervergütungen nach § 5a Abs. 4a EStG zu gewähren (BFH-Urteil vom 6. Juli 2005, BStBl II 2008, 180 [BFH 06.07.2005 - VIII R 74/02]). Die Vorinstanz zu dem zitierten BFH-Urteil, das FG Bremen, habe in dem damaligen Verfahren die gesamte Sondervergütung in Höhe von 7.000 EUR der Tarifermäßigung unterworfen (FG Bremen, Urteil vom 27. August 2002 I K 224/02, EFG 2003, 541 [FG Bremen 27.08.2002 - 1 K 224/02]). Eine anteilige Kürzung habe das FG Bremen nicht vorgenommen.

11

Die Behandlungsweise des Beklagten widerspreche dem im Einkommensteuerrecht anzuwendenden Meistbegünstigungsprinzip. Dies sei sowohl in den Einkommensteuerrichtlinien als auch in der Rechtsprechung des BFH (BFH-Urteil vom 13. August 2003, BStBl II 2004, 547 [BFH 13.08.2003 - XI R 27/03]; BFH-Urteil vom 15. Dezember 2005 IV R 68/04, BFH/NV 2006, 723) anerkannt.

12

Nach der Gesetzessystematik sei die Tonnagepauschale des § 5a Abs. 1 EStG die Basis der Gewinnermittlung nach § 5a EStG. Dieser Pauschale würden die anderen Beträge hinzugerechnet werden. Daher sei es nur logisch, dass der Gewerbeertragsfreibetrag zunächst auf die Tonnagegewinnpauschale anzurechnen sei. Deshalb würden nur auf die Hinzurechnungsbeträge Gewerbesteuer entstehen. Daher sei die gesamte Gewerbesteuer anrechnungsfähig.

13

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass es keinen gesetzlichen Anknüpfungspunkt für die vom Beklagten vorgenommene Aufteilung des Messbetrags gebe.

14

Die Klägerin beantragt,

den unstreitigen Gewerbesteuer-Messbetrag in voller Höhe (und somit mit 318 EUR und nicht nur in Höhe von 150 EUR) als tarifbegünstigt nach § 35 Abs. 3 EStG zugunsten der Gesellschafter festzustellen.

15

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

16

Der Beklagte verweist auf den Einspruchsbescheid.

17

In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte ergänzend ausgeführt, dass sich aus dem Begriff "anteilig" in§ 35 Abs. 1 Satz 1 EStG ergebe, dass die der Tonnagebesteuerung unterfallenden Gewinne nicht in die Steuerbegünstigung nach § 35 EStG einbezogen werden dürften. Dies ergebe sich auch aus der Definition der "gewerblichen Einkünfte" in § 35 Abs. 1 Satz 3 EStG.

Entscheidungsgründe

18

Die Klage ist zulässig und begründet.

19

I.

Die Klage ist zulässig. Die Klägerin war insbesondere nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO befugt, die Klage zu erheben.

20

1.

Gegenstand des hier anhängigen Rechtsstreits ist die gesonderte und einheitliche Feststellung des Gewerbesteuer-Messbetrags in dem Bescheid vom 22. Oktober 2009. Hierbei handelt es sich um ein gegenüber der Gewinnfeststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO eigenständiges Feststellungsverfahren. Ob Teile des festgesetzten Gewerbesteuer-Messbetrags von der Tarifermäßigung des § 35 Abs. 1 EStG ausgeschlossen sind oder nicht, ist in dem Feststellungsverfahren nach § 35 Abs. 2 EStG zu entscheiden (BFH-Urteil vom 15. April 2010 IV R 5/08, BStBl II 2010, 912). Deshalb hat die Klägerin - entgegen der ursprünglichen Auffassung des Beklagten während des Einspruchsverfahrens - zu Recht den Feststellungsbescheid angegriffen, um ihre Einwände gegen die Kürzung des Gewerbesteuer-Messbetrags für Zwecke des § 35 EStG durchzusetzen.

21

2.

Zwar dient die gesonderte und einheitliche Feststellung des Gewerbesteuer-Messbetrags nach § 35 Abs. 2 Satz 1 EStG ebenso wie die gesonderte und einheitliche Feststellung der tatsächlich zu zahlenden Gewerbesteuer und des auf die einzelnen Mitunternehmer entfallenden Anteils dazu, die Grundlagen für die Einkommensteuerermäßigung bei den Mitunternehmern nach § 35 Abs. 1 EStG in verbindlicher Weise festzustellen. Dennoch konnte die Klägerin nach§ 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO die Klage im Wege einer gesetzlichen Prozessstandschaft für die eigentlich betroffenen Mitunternehmer erheben. Insoweit gilt nichts anderes als bei gesonderten und einheitlichen Feststellungen der Besteuerungsgrundlagen nach§§ 179 Abs. 1 und 2, 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst a AO (vgl. auch Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 7. Auflage, § 48 Rz. 2a: "sonstige Fälle, in denen in den Steuergesetzen abweichend von § 157 Abs. 2 AO die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen bestimmt ist").

22

3. Es war auch nicht erforderlich, die Mitunternehmer gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO notwendig beizuladen. Insbesondere ist keine eigene Klagebefugnis der Mitunternehmer nach§ 48 Abs. 1 Nr. 5 FGO ersichtlich. Der einzelne Feststellungsbeteiligte ist von dem vorliegenden Rechtsstreit nur insoweit betroffen, als er von einem höheren Gewerbesteuer-Messbetrag der Klägerin entsprechend seinem Anteil an dem erhöhten Gewerbesteuer-Messbetrag im Rahmen seiner Einkommensteuerveranlagung partizipiert. Das "Betroffensein" geht nicht über das hinaus, was bei gesonderten und einheitlichen Feststellungen immer an Auswirkungen auf den persönlichen Rechtskreis des einzelnen Feststellungsbeteiligten vorhanden ist.

23

II.

Die Klage ist begründet.

24

1.

Nach § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in Verbindung mit § 52 Abs. 50a EStG ermäßigt sich die um die sonstigen Steuerermäßigungen mit Ausnahme der §§ 34f, 34g und 35a verminderte tarifliche Einkommensteuer, soweit sie anteilig auf im zu versteuernden Einkommen enthaltene gewerbliche Einkünfte entfällt (Ermäßigungshöchstbetrag), bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb als Mitunternehmer im Sinne des§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG um das 3,8 fache des jeweils für den dem Veranlagungszeitraum entsprechenden Erhebungszeitraum festgesetzten anteiligen Gewerbesteuer-Messbetrags.

25

Bei Mitunternehmerschaften im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ist der Betrag des Gewerbesteuer-Messbetrags, die tatsächlich zu zahlende Gewerbesteuer und der auf die einzelnen Mitunternehmer entfallende Anteil gesondert und einheitlich festzustellen (§ 35 Abs. 2 Satz 1 EStG). Der gesondert und einheitlich festgestellte Gewerbesteuer-Messbetrag ist Grundlagenbescheid für die Ermittlung der Steuerermäßigung nach § 35 Abs. 1 EStG (vgl. § 35 Abs. 3 EStG).

26

2.

Nach § 5a Abs. 5 Satz 2 EStG darf § 35 EStG nicht auf Gewinne im Sinne des § 5a EStG angewandt werden. Seit dem BFH-Urteil vom 6. Juli 2005 (VIII R 74/02, BStBl II 2008, 180) ist geklärt, dass sich § 5a Abs. 5 Satz 2 EStG nicht auf Sondervergütungen im Sinne von § 5a Abs. 4a Satz 3 EStG bezieht. Der von der Tarifvergünstigung nach § 35 EStG ausgenommene Betrag ist lediglich die Tonnagegewinnpauschale nach § 5a Abs. 1 EStG. Der Grund für den Ausschluss ist die Vermeidung einer Doppelbegünstigung, die entstehen würde, wenn die Begünstigung durch die Pauschalversteuerung nach § 5a Abs. 1 EStG zusätzlich auch noch durch die Tarifermäßigung nach § 35 Abs. 1 EStG verstärkt werden würde. Da für die Sondervergütungen nach § 5a Abs. 4a Satz 3 EStG keine entsprechende Privilegierung im Rahmen der Tonnagebesteuerung vorgesehen ist, weil die Sondervergütungen der Gewinnpauschale nach § 5a Abs. 1 EStG einfach nur hinzugerechnet werden, besteht kein Grund, solche nicht begünstigten Gewinnanteile von der Tarifermäßigung nach § 35 Abs. 1 EStG auszunehmen. Der Senat schließt sich den entsprechenden Erwägungen des BFH in seinem Urteil vom 6. Juli 2005 a.a.O. an. Das Urteil des BFH vom 6. Juli 2005 bezog sich zwar auf die frühere Tarifermäßigung nach § 32c EStG. Es ist aber kein Grund ersichtlich, weshalb für die Tarifermäßigung nach § 35 EStG etwas anderes gelten sollte.

27

3.

Nach § 7 Satz 3 GewStG gilt der nach § 5a EStG ermittelte Gewinn als Gewerbeertrag nach § 7 Satz 1 GewStG. Diese Gesetzesformulierung besagt, dass der Tonnagegewinn nach § 5a EStG ohne weitere Hinzurechnungen und Kürzungen gemäß §§ 8 und 9 GewStG als Gewerbeertrag fingiert wird (vgl. BFH-Urteil vom 6. Juli 2005 VIII R 72/02, BStBl II 2010, 828 und Urteil des FG Hamburg vom 25. April 2007 2 K 123/06, EFG 2007, 1802). Für den vorliegenden Fall bedeutet diese Regelung, dass der Gewerbeertrag im Sinne des § 7 GewStG einen Betrag in Höhe von 33.656 EUR ausmacht und dass dieser Betrag aus der Tonnagegewinnpauschale gemäß § 5a Abs. 1 EStG in Höhe von 17.761 EUR und Sondervergütungen gemäß § 5a Abs. 4a Satz 3 EStG in Höhe von 15.895 EUR besteht.

28

Dieser Gewerbeertrag ist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 GewStG auf volle 100 EUR nach unten abzurunden und um einen Freibetrag in Höhe von 24.500 EUR zu kürzen. Auf den verbleibenden Betrag ist die Steuermesszahl von 3,5% anzuwenden (§ 11 Abs. 2 GewStG). Dies ergibt den unstreitigen Gewerbesteuer-Messbetrag in Höhe von 318 EUR.

29

4.

Fraglich ist jedoch, ob dieser Gewerbesteuer-Messbetrag für die Tarifermäßigung nach § 35 EStG teilweise nicht zur Verfügung steht, weil er teilweise auf Gewinnen beruht, für die die Anwendung des § 35 EStG gesperrt ist (§ 5a Abs. 5 Satz 2 EStG) oder ob der Gewerbesteuer-Messbetrag vollständig für Zwecke des § 35 EStG benutzt werden darf.

30

Maßgeblich dafür ist, auf welchen Teil des Gewerbeertrags der Freibetrag des § 11 Abs. 1 Satz 3 GewStG zuerst angewendet wird. Wird er - wie es die Klägerin meint - zunächst mit der Tonnagegewinnpauschale verrechnet, dann sind in dem verbliebenen Betrag nur noch Sondervergütungen nach § 5a Abs. 4a Satz 3 EStG vorhanden. Wird der Freibetrag dagegen - wie es der Beklagte meint - gleichmäßig auf beide Teilbeträge des Gewerbeertrags angewendet, dann enthält der verbleibende Betrag (9.100 EUR) die beiden Teile des Gewerbeertrags anteilig mit der Rechtsfolge, dass § 5a Abs. 5 Satz 2 EStG anteilig zu berücksichtigen ist, so dass der Gewerbesteuer-Messbetrag nur teilweise für Zwecke des§ 35 EStG zur Verfügung steht.

31

a)

Aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 Satz 3 GewStG ist keine bestimmte Verrechnungsreihenfolge erkennbar. Der Gewerbeertrag wird im GewStG als einheitlicher Betrag behandelt. Dies wird an der Abrundung des Gewerbeertrags auf volle 100 Euro ersichtlich, der eine Aufteilung auf die verschiedenen Teilbeträge des Gewerbeertrags erschwert. Angesichts der Rechtsprechung des BFH zur Anwendbarkeit der Tarifermäßigung auf Sondervergütungen nach § 5a Abs. 4a Satz 3 EStG (s.o.) muss der Gewerbeertrag aber sowohl nach Auffassung der Klägerin als auch nach Auffassung des Beklagten gedanklich in einen begünstigten und einen nicht begünstigten Teil aufgeteilt werden. Auf welchen dieser beiden Teile des Gewerbeertrags der Freibetrag zuerst zu verrechnen ist, ist aus dem Gesetz nicht abzuleiten.

32

b)

§ 35 EStG wurde durch das StSenkG in das Einkommensteuergesetz eingefügt, um Einzelunternehmen und Personengesellschaften im Ergebnis von der Gewerbesteuer zu entlasten. Die Vorschrift dient einem Begünstigungszweck. Im Zusammenhang mit außerordentlichen Einkünften nach § 34 EStG nimmt der BFH diesen Begünstigungszweck zum Anlass, bei Aufteilungsproblematiken die Lösung immer zu Gunsten der außerordentlichen Einkünfte zu suchen. Hat der Steuerpflichtige beispielsweise sowohl einen Bruttoarbeitslohn als auch eine begünstigt besteuerte Entschädigung bezogen, so wird der Arbeitnehmer-Pauschbetrag nicht anteilig auf die beiden Einkunftsquellen verteilt, sondern zunächst mit dem laufenden Arbeitslohn verrechnet. Auf diese Weise bleiben die ermäßigt besteuerten Einkünfte in einem größeren Umfang erhalten (BFH-Urteil vom 29. Oktober 1998 XI R 63/97, BStBl II 1999, 588). Der BFH wendet auch den allgemeinen Verlustausgleich (BFH-Urteil vom 29. Juli 1966 IV 299/65, BStBl III 1966, 544; BFH-Urteil vom 26. Januar 1995 IV R 23/93, BStBl II 1995, 467) und die Verlustausgleichsbeschränkungen gemäߧ 2 Abs. 3 Satz 3 ff. EStG a.F. (BFH-Urteil vom 13. August 2003 XI R 27/03, BStBl II 2004, 547) bei der Ermittlung der außerordentlichen Einkünfte nicht an, solange noch tariflich voll besteuerte Einkünfte für den Verlustausgleich zur Verfügung stehen. Auch werden die außerordentlichen Einkünfte nicht anteilig durch den Altersentlastungsbetrag gekürzt (BFH-Urteil vom 15. Dezember 2005 IV R 68/04, BFH/NV 2006, 723). Auch die Finanzverwaltung hat sich diese Auffassung zu Eigen gemacht (R 34.1 Satz 4 EStH 2010). So berücksichtigt die Finanzverwaltung den Freibetrag nach § 13 Abs. 3 EStG für Land- und Forstwirte zuerst bei den nicht ermäßigt besteuerten Einkünften (R 34.1 Satz 5 EStH 2010).

33

c)

Insgesamt dient diese Rechtsprechung dazu, die Tarifermäßigung, soweit irgend möglich, dem Steuerpflichtigen zugute kommen zu lassen. Die aufgezeigten Lösungen folgen für Aufteilungsproblematiken, für die das Gesetz keine Entscheidungsvorgabe macht, dem Meistbegünstigungsprinzip. Der Senat sieht keinen Grund, weshalb dieses Meistbegünstigungsprinzip nicht auch bei der Tarifermäßigung gemäß § 35 Abs. 1 EStG zur Anwendung kommen sollte. Die hier zu beurteilende Sachlage ist nach Auffassung des Senats mit den Fällen vergleichbar, die der BFH im Zusammenhang mit § 34 Abs. 1 EStG entschieden hat. Im vorliegenden Fall sind in dem Gewerbeertrag ebenfalls begünstigte und nicht begünstigte Anteile enthalten. Je nachdem, mit welcher Verrechnungsreihenfolge der Freibetrag des § 11 Abs. 1 Satz 3 GewStG abgezogen wird, ergibt sich eine unterschiedliche Wirksamkeit der Tarifermäßigung. Eine gesetzliche Vorgabe gibt es nicht. Daher ist der Senat der Auffassung, dass der Steuerpflichtige die für ihn günstigste Verrechnung verlangen kann. Nur so kann der Tarifermäßigung gemäß § 35 EStG zur größtmöglichen Wirksamkeit verholfen werden.

34

d)

Mit dieser Auslegung verletzt der Senat nicht die Vorschrift des § 5a Abs. 5 Satz 2 EStG. Zwar dürfen die Anteile in dem Gewerbeertrag, die auf der pauschalen Tonnagebesteuerung beruhen, nicht noch einmal nach § 35 EStG begünstigt werden. Dies geschieht aber auch nicht. Durch die für den Steuerpflichtigen günstige vorrangige Verrechnung des Freibetrags nach § 11 GewStG fallen die Anteile des Gewerbeertrags, die aus der Tonnagegewinnpauschale herrühren, vielmehr weg. Sie sind nicht mehr Bestandteil des verbleibenden Betrags, der zur Grundlage für den Gewerbesteuer-Messbetrag wird.

35

e)

Der BFH hat in dem Urteil vom 14. Juli 2010 (X R 61/08, BStBl II 2010, 1011) entschieden, dass ein Steuerpflichtiger, der einen Veräußerungsgewinn im Sinne des § 16 Abs. 1 EStG erzielt hat, der sowohl Gewinne enthält, die dem Halbeinkünfteverfahren unterliegen als auch Gewinne, die in voller Höhe zu besteuern sind, den Freibetrag des § 16 Abs. 4 EStG nicht anteilig mit beiden Veräußerungsgewinnanteilen verrechnen muss, sondern den Freibetrag vorrangig mit dem Veräußerungsgewinn verrechnen darf, auf den das Halbeinkünfteverfahren anzuwenden ist. Daraus ergibt sich der Effekt, dass ein höherer Anteil des Veräußerungsgewinns der ermäßigten Besteuerung nach § 34 Abs. 1 und 3 EStG zugeführt wird. Auch in diesem Fall hat der BFH den Grundsatz der Meistbegünstigung als maßgeblichen Grund für die Entscheidung angeführt. Der BFH nimmt explizit eine vorrangige Verrechnung des Freibetrags mit nicht tarifbegünstigten Gewinnen vor, um den Grundsatz der Meistbegünstigung wirksam werden zu lassen. Genau das verlangt die Klägerin zu Recht auch im hier vorliegenden Fall.

36

f)

Hiergegen spricht - entgegen der Ansicht des Beklagten - auch nicht die Formulierung in § 35 Abs. 1 Satz 1 EStG wonach sich die tarifliche Einkommensteuer um das 3,8 fache des jeweils festgesetzten Gewerbesteuer-Messbetrags ermäßigt, soweit die Einkommensteuer "anteilig auf im zu versteuernden Einkommen enthaltene gewerbliche Einkünfte entfällt (Ermäßigungshöchstbetrag)". Auch die Definition der "gewerblichen Einkünfte" in § 35 Abs. 1 Satz 3 EStG als Gewinne, die der Gewerbesteuer unterliegen, soweit sie nicht nach anderen Vorschriften von der Steuerermäßigung nach§ 35 EStG ausgenommen sind (hier: § 5a Abs. 5 Satz 2 EStG), führt zu keinem anderen Ergebnis.

37

aa)

Nach der Systematik des § 35 Abs. 1 EStG wird zunächst in einer Nebenrechnung der einheitlich und gesondert festgestellte Gewerbesteuer-Messbetrag - dessen Höhe hier streitig ist - mit dem Faktor 3,8 multipliziert. Der sich ergebende Betrag stellt die Ermäßigung der Einkommensteuer dar, wenn nicht der sog. Ermäßigungshöchstbetrag eingreift. Der Ermäßigungshöchstbetrag ermittelt sich, indem die Summe der positiven gewerblichen Einkünfte durch die Summe aller positiven Einkünfte dividiert wird und dieser Betrag mit der geminderten tariflichen Steuer multipliziert wird. Die "gewerblichen Einkünfte" im Sinne des§ 35 Abs. 1 Satz 3 EStG dienen der Ermittlung des Ermäßigungshöchstbetrags, nicht aber der Ermittlung des Gewerbesteuer-Messbetrags. Ebenso bezieht sich der Begriff "anteilig" auf das Verhältnis zwischen gewerblichen und nicht gewerblichen Einkünften im zu versteuernden Einkommen, die ebenfalls den Ermäßigungshöchstbetrag bestimmen. Der 3,8 fache Gewerbesteuer-Messbetrag und der Ermäßigungshöchstbetrag sind gedanklich streng zu trennen. Der Ermäßigungshöchstbetrag begrenzt die Steuerermäßigung durch den 3,8-fachen Gewerbesteuer-Messbetrag; er gestaltet den Gewerbesteuer-Messbetrag nicht inhaltlich aus. Dementsprechend bestimmen die Begriffe "gewerbliche Einkünfte" und "anteilig" nicht die Ermittlung des Gewerbesteuer-Messbetrags, sondern nur die Ermittlung des Ermäßigungshöchstbetrags.

38

bb)

Die Frage, in welcher Verrechnungsreihenfolge der Freibetrag nach § 11 GewStG die in dem Gewerbeertrag enthaltenen Beträge verbraucht, wird nicht nach dem Berechnungsschema für den Ermäßigungshöchstbetrag sondern nach den Vorgaben in § 11 Abs. 1 Satz 3 GewStG unter Berücksichtigung des § 5a Abs. 5 Satz 2 EStG entschieden. Da keine bestimmte Verwendungsreihenfolge vorgegeben ist, gilt das Meistbegünstigungsprinzip. Für eine quotale Aufteilung fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage (Art. 20 Abs. 3 GG: Vorbehalt des Gesetzes).

39

g)

Im Übrigen hat der BFH in seinem Urteil vom 27. September 2006 (X R 25/04, BStBl II 2007, 694) auch schon im Rahmen der Ermittlung des Ermäßigungshöchstbetrags das sog. Meistbegünstigungsprinzip angewendet. In dem damaligen Fall ging es um die Frage, wie für die Berechnung des Ermäßigungshöchstbetrags negative Einkünfte mit positiven Einkünften verrechnet werden müssten. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BFH zu§ 34 EStG wandte der BFH das Meistbegünstigungsprinzip auf die Verrechnungsreihenfolge bei begünstigten und nicht begünstigten Einkünften an und führte aus, dass wenn der Gesetzgeber etwas anderes gewollt hätte, er dies in § 35 EStG ausdrücklich hätte anordnen müssen. Aus diesem Urteil ergibt sich, dass der BFH das Meistbegünstigungsprinzip nicht nur im Rahmen des § 34 EStG sondern auch innerhalb des § 35 EStG anwendet.

40

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

41

III.

Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.