Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 03.05.2011, Az.: 8 K 295/09

Nichtangabe der in einer Wertpapierabrechnung ausgewiesenen gezahlten Stückzinsen in der Steuererklärung durch den Steuerpflichtigen stellt grobes Verschulden i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO dar; Vorliegen von Verschulden i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO des Steuerpflichtigen bei Nichtangabe der in einer Wertpapierabrechnung ausgewiesenen gezahlten Stückzinsen in der Steuererklärung

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
03.05.2011
Aktenzeichen
8 K 295/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 19967
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2011:0503.8K295.09.0A

Einkommensteuer 2007

Grobes Verschulden im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO liegt vor, wenn der Steuerpflichtige die in einer Wertpapierabrechnung ausgewiesenen gezahlten Stückzinsen nicht in der Steuererklärung angibt bzw. seinem steuerlichen Berater die Abrechnung nicht vorlegt.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Einkommensteuerbescheid zugunsten der Kläger wegen neuer Tatsachen nach§ 173 der Abgabenordnung (AO) geändert werden kann.

2

Die Kläger sind Eheleute und werden nach §§ 26, 26 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

3

Neben der Altersrente erzielten sie im Streitjahr Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Kapitalvermögen.

4

Der Kläger erwarb in 2007 Anteile am ... Geldmarktfonds. Die Wertpapierabrechnung über den Erwerb der Anteile beziffert einen Betrag in Höhe von ... Euro als " in Stückzinstopf eingestellt ".

5

Mit der Einkommensteuererklärung, die von einem steuerlichen Berater erstellt wurde, erklärte der Kläger bei den Einkünften aus Kapitalvermögen u.a. die Erträge aus dem o.g. Fonds bei der A-Bank in Höhe von ... Euro. Die Stückzinsen machte er nicht als negative Einnahmen geltend. Der Erklärung fügten die Kläger die entsprechende Jahressteuerbescheinigung für 2007 bei, aus der sich die erklärten Kapitalerträge ergeben. Die Steuerbescheinigung hat die folgende Überschrift:

6

Jahressteuerbescheinigung für 2007 in EUR

7

Zinserträge/Stückzinsen/Zwischengewinne

8

Die bei Wertpapierkauf gezahlten Stückzinsen sind nicht aufgeführt.

9

Der Beklagte veranlagte die Kläger in Bezug auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen erklärungsgemäß.

10

Nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist stellten die Kläger einen Antrag auf Änderung des Einkommensteuerbescheides und begehrten die Berücksichtigung der Stückzinsen von ... Euro als negative Einnahmen. Erst bei Erhalt der Erträgnisaufstellung der Bank im Herbst 2008 hätten sie erfahren, dass der Kläger Stückzinsen gezahlt habe.

11

Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid ab und wies den dagegen eingelegten Einspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, eine Änderung nach § 173 AO zugunsten der Kläger komme nicht in Betracht. Zwar sei die Zahlung der Stückzinsen für das Finanzamt eine neue Tatsache im Sinne des § 173 AO, die nachträgliche Kenntnis hätten die Kläger jedoch grob fahrlässig verschuldet. Bei Erwerb der Fondsanteile sei in der Wertpapierabrechnung die Zahlung der Stückzinsen bescheinigt worden. Es könne erwartet werden, dass der Kläger seinem Steuerberater alle im Zusammenhang mit der Beteiligung vorhandenen Unterlagen vorlege, so dass dieser auch Ausgaben bzw. negative Einnahmen bei der Erstellung der Steuererklärung berücksichtigen könne. Zudem könnten sich die Kläger nicht darauf berufen, dass die Jahressteuerbescheinigung die Stückzinsen nicht ausweise. Es bestehe vielmehr eine Verpflichtung, die Bescheinigung auf Vollständigkeit zu überprüfen.

12

Ferner müssten sich die Kläger ein Verschulden ihres steuerlichen Beraters zurechnen lassen. Dieser hätte den Sachverhalt aufklären müssen, insbesondere da in der Anlage KSO ausdrücklich für Investmentanteile auf die Behandlung von Zwischengewinnen hingewiesen werde.

13

Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage. Im Klageverfahren vertreten die Kläger die Auffassung, eine Änderung nach§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sei möglich. Ein grobes Verschulden liege nicht vor. Der Kläger habe im Jahr 2007 erstmalig Geldgeschäfte mit Stückzinsen getätigt. Die Formulierung in der Wertpapierabrechnung "in Stückzinstopf eingestellt" habe er rechtlich nicht einordnen können. Daher habe er erst bei der Abrechnung im Herbst 2008 tatsächlich Kenntnis von der Zinszahlung erhalten. Erst zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger auch dem steuerlichen Berater die Erträgnisaufstellung vorgelegt. Dies könne den Klägern jedoch nicht als grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden, denn als Handwerksmeister und Rentner hätten sie auf die Jahressteuerbescheinigung der Bank vertrauen können.

14

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid vom dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte des Klägers aus Kapitalvermögen um ... Euro gemindert werden.

15

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

16

Er beruft sich zur Begründung auf seine Ausführungen im Einspruchsbescheid. Ergänzend führt er aus, die Kläger könnten sich nicht auf die Jahressteuerbescheinigung, die keine Stückzinsen ausweise, berufen. Die vorliegende Bescheinigung der Bank sei zutreffend, da nur erhaltene Stückzinsen, nicht jedoch die gezahlten ausgewiesen werden müssten.

17

Die Beteiligten haben übereinstimmend den Verzicht auf mündliche Verhandlung erklärt.

18

Hinsichtlich des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichts- und Steuerakten.

Entscheidungsgründe

19

Die Klage ist unbegründet.

20

Der Beklagte lehnt zu Recht eine Änderung des Einkommensteuerbescheides ab. Die Voraussetzungen für eine Änderung nach - der vorliegend allein in Betracht kommenden - Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO liegen nicht vor.

21

Nach 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.

22

Die Zahlung der Stückzinsen im Streitjahr 2007, d.h. die steuermindernde Tatsache, ist dem Beklagten nachträglich bekannt geworden. Daran trifft die Kläger jedoch grobes Verschulden, so dass eine Änderung des Einkommensteuerbescheides ausscheidet.

23

Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (z.B. BFH-Urteil vom 19. Dezember 2006 VI R 59/02, BFH/NV 2007, 866, m.w.N.). Grob fahrlässiges Handeln liegt insbesondere vor, wenn ein Steuerpflichtiger seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt, indem er unvollständige Steuererklärungen abgibt (BFH-Urteile vom 30. Oktober 1986 III R 163/82, BFHE 148, 208, BStBl II 1987, 161; vom 1. Oktober 1993 III R 58/92, BFHE 172, 397, BStBl II 1994, 346; vom 16. September 2004 IV R 62/02, BFHE 207, 269, BStBl II 2005, 75; in BFH/NV 2007, 866). Beruht die unvollständige Steuererklärung auf einem Rechtsirrtum wegen mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften, ist dies dem Steuerpflichtigen in der Regel nicht als grobes Verschulden anzulasten (BFH-Urteile vom 10. August 1988 IX R 219/84, BFHE 154, 481, BStBl II 1989, 131; vom 23. Februar 2000 VIII R 80/98, BFH/NV 2000, 978; BFH-Beschluss vom 31. Januar 2005 VIII B 18/02, BFH/NV 2005, 1212).

24

Auf einen die grobe Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren Rechtsirrtum kann sich der Steuerpflichtige allerdings dann nicht berufen, wenn er eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene und für ihn verständliche Frage nicht beantwortet (BFH-Urteile vom 23. Oktober 2002 III R 32/00, BFH/NV 2003, 441; in BFH/NV 2007, 866). Dies gilt auch dann, wenn er eine derartige, im Erklärungsformular ausdrücklich gestellte Frage nur deshalb nicht oder nur unvollständig beantwortet, weil er infolge eines Rechtsirrtums der Ansicht ist, die unterlassenen Angaben hätten in seinem Einzelfall keine Auswirkung (BFH-Urteile in BFH/NV 2003, 441, sowie in BFH/NV 2007, 866).

25

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze haben die Kläger im Streitfall grob fahrlässig gehandelt, als sie die gezahlten Stückzinsen nicht als negative Einnahmen erklärt haben. Die Zahlung der Stückzinsen ergibt sich bereits aus der Abrechnung über den Wertpapierkauf, die den Klägern auch nach eigenen Angaben rechtzeitig bei Erstellung der Steuererklärung vorgelegen hat. Die Abrechnung weist den Betrag von ... Euro durch die Formulierung "in den Stückzinstopf eingestellt" als gezahlte Stückzinsen aus. Ferner ergibt sich aus dem Steuererklärungsformular, dass Stückzinsen für die Kapitalerträge von Bedeutung sind, denn in der Anlage KAP, Zeile 6 wird ausdrücklich nach " Erträgen aus verzinslichen Wertpapieren (einschl. Stückzinsen) " gefragt. Bei sorgfaltsgemäßer Erstellung der Steuererklärung hätten die Kläger daher auch die gezahlten Stückzinsen erklären müssen bzw. dem steuerlichen Berater die vollständigen Unterlagen über das Wertpapiergeschäft und damit auch die Abrechnung über den Wertpapierkauf vorlegen müssen. Sofern die Kläger entsprechend ihrem Vortrag im Klageverfahren den Sachverhalt aufgrund der vorliegenden Wertpapierabrechnung nicht erkannt haben, weil sie die Formulierung "in Stückzinstopf eingestellt" nicht einordnen konnten, führt dies nicht zu einem anderen Ergebnis. In diesem Fall hätten die Kläger bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt den Sachverhalt aufklären und z.B. den steuerlichen Berater unter Hinweis auf die Wertpapierabrechnung einschalten müssen. Bei Tätigung eines Wertpapiergeschäftes gebietet es die Sorgfaltspflicht, sich - ggf. durch gezielte Nachfrage beim steuerlichen Berater - auch mit den steuerlichen Rahmenbedingungen des Wertpapiergeschäftes vertraut zu machen oder jedenfalls dem steuerlichen Berater sämtliche relevanten Unterlagen vorzulegen. Im Übrigen hätten die Kläger aus der Anleitung zu Einkommensteuererklärung die Relevanz der Stückzinsen erkennen können, denn hier wird in Bezug auf die erforderlichen Angaben in den Zeilen 6 und 7 der Anlage KAP ausdrücklich aufgeführt, dass bei Erwerb gezahlte Stückzinsen als negative Einnahmen zu erfassen sind.

26

Selbst wenn die Kläger selbst nicht grob schuldhaft gehandelt hätten, käme eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht in Betracht, denn es liegt ein grobes Verschulden des steuerlichen Beraters vor, das sich die Kläger zurechnen lassen müssen.

27

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes hat der Steuerpflichtige auch ein Verschulden seines steuerlichen Beraters bei der Anfertigung der Steuererklärung zu vertreten. Die Zurechnung des Verschuldens des steuerlichen Beraters bei der Anfertigung der Steuererklärung ergibt sich aus der Verantwortung des Steuerpflichtigen für die Richtigkeit seiner Angaben in der Steuererklärung (§ 150 Abs. 2 Satz 1 AO). Dieser Verantwortung kann er sich nicht dadurch entziehen, dass er die Ausarbeitung der Steuererklärung seinem steuerlichen Berater überträgt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 3.12.2009 VI R 58/08, BStBl II 2010, 531 [BFH 03.12.2009 - VI R 58/07]).

28

Im Streitfall liegt ein grob fahrlässiges Verhalten des steuerlichen Beraters vor. Bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte der steuerliche Berater durch weitere Nachfragen den Sachverhalt aufklären und z.B. die Unterlagen über den Wertpapierkauf von den Klägern anfordern müssen. Dies gilt insbesondere deswegen, weil dem langjährigen Berater aufgrund der Erstellung der Steuererklärungen auch für die Vorjahre hätte bekannt sein müssen, dass die Kläger im Streitjahr erstmals ein derartiges Wertpapiergeschäft getätigt haben. Allein das Abstellen auf die Jahressteuerbescheinigung genügt zur ordnungsgemäßen Anfertigung der Steuererklärung nicht. Von einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe kann vielmehr erwartet werden, dass er von der Praxis der Banken, nur die erhaltenen und nicht die gezahlten Stückzinsen auszuweisen, Kenntnis hat.

29

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

30

Der Senat entscheidet im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).