Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 03.05.2011, Az.: 13 K 61/10
Gewährung von Kindergeld bei langfristigem Aufenthalt von Kindern im Herkunftsland der Eltern
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 03.05.2011
- Aktenzeichen
- 13 K 61/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 35599
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2011:0503.13K61.10.0A
Rechtsgrundlagen
- § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG
- § 63 Abs. 1 EStG
Verfahrensgegenstand
Rückforderung von Kindergeld
Amtlicher Leitsatz
Kein Kindergeld bei langfristigem Aufenthalt von Kindern im Herkunftsland der Eltern.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob dem Kläger für seine 4 Kinder Kindergeld für den Zeitraum von November 2006 bis April 2009 zusteht.
Der Kläger ist libanesischer Staatsangehöriger und wohnt in O. Er ist verheiratet und hat vier Kinder, für die er jeweils Kindergeld beantragt hat. Das Kind A ist am 16. Januar 1999, B am 22. März 2000, C am 22. Dezember 2001 und D am 10. Mai 2004 geboren.
Die Kinder A, B und C waren in der Zeit vom 23. Oktober 2006 bis 16. Juni 2007, 16. Oktober 2007 bis 20. Juni 2008 und vom 7. Oktober 2008 bis 23. Juni 2009 im Libanon und haben dort die Schule besucht. Das Kind D befand sich vom 23. Oktober 2006 bis 13. April 2007, 29. April 2007 bis 16. Juni 2007, 16. Oktober 2007 bis 31. März 2008, 8. April 2008 bis 20. Juni 2008 und vom 7. Oktober 2008 bis 23. Juni 2009 im Libanon. Er besuchte im Schuljahr 2008/2009 einen Kindergarten im Libanon.
Für den Zeitraum von November 2006 bis April 2009 hat der Kläger für seine Kinder Kindergeld bezogen.
Nachdem der Beklagte von den Auslandsaufenthalten Kenntnis erlangt hat, hat er den Kindergeldbescheid für den oben genannten Zeitraum aufgehoben und das für diesen Zeitraum gezahlte Kindergeld vom Kläger zurückverlangt. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass die Kinder in Deutschland weder ihren Wohnsitz (§ 8 Abgabenordnung - AO -) noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) im Streitzeitraum hatten und deshalb nach § 63 Abs. 1 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) kein Anspruch auf Kindergeld bestehe.
Gegen den vom Beklagten erlassenen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 4. Februar 2010 hat der Kläger Klage erhoben.
Zur Begründung führt er aus: Er lebe mit seinen Kindern in O.. Dort habe er gemeinsam mit seiner Frau eine Wohnung, die groß genug sei für alle seine vier Kinder. Seine Kinder seien in O. angemeldet und hätten sich in der Zeit, in der sie im Libanon schulfrei gehabt hätten, in O. aufgehalten und hätten dort auch, soweit Schule stattgefunden habe, die Schule besucht. Im Übrigen seien seine Kinder Deutsche, die in Deutschland geboren seien und sie besuchten auch seit 2009 wieder regelmäßig die deutsche Schule. Die Kinder hätten sich im Übrigen nur vorübergehend im Libanon aufgehalten. Sie hätten immer nach Deutschland zurückkehren wollen. Sie hätten im Libanon die Schule besucht, da dort erstens sehr früh den Kindern die englische Sprache vermittelt werde und die Kinder auch die libanesische Sprache und Kultur kennenlernen sollten.
Der Kläger beantragt,
den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid der Familienkasse O. vom 04.02.2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.02.20101 aufzuheben,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist auf seine Einspruchsentscheidung und trägt vor, dass die doch sehr jungen Kinder des Klägers für einen längeren Zeitraum, und zwar über Jahre hinweg nicht in Deutschland sondern im Libanon gelebt hätten. Darüber hinaus seien die Kinder, wenn sie nicht zur Schule gegangen seien, von den Eltern des Klägers betreut worden. Im Übrigen lebten auch die Eltern der Ehefrau des Klägers im Libanon. Dies rechtfertige es, davon auszugehen, dass die Kinder weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hätten.
Der Kläger hat im Prozesskostenhilfeverfahren ergänzend vorgetragen, dass die Kinder jeweils per Flugzeug, begleitet von ihm bzw. seiner Ehefrau in den Libanon ein- bzw. ausgereist seien. Auf Aufforderung des Gerichtes hat der Kläger seinen Reisepass und den seiner Ehefrau vorgelegt. Die Ehefrau des Klägers konnte ihren alten Reisepass nicht mehr vorlegen. Der vorgelegte Reisepass ist im Juni 2007 ausgestellt worden. Aus diesem Reisepass ergibt sich Folgendes:
Die Ehefrau des Klägers ist am 20. Mai 2008 in den Libanon eingereist und am 13. November 2008 ausgereist. Am 30. März 2009 ist wieder eine Einreise im Pass vermerkt. Ein Ausreisestempel stammt vom 15. April 2009.
Ein weiterer Einreisestempel stammt vom 23. Juni 2009.
Der Reisepass des Klägers enthält folgende Ein- bzw. Ausreisestempel:
23.10.2006 Einreise, 22.11.2006 Ausreise, |
---|
24.12.2006 Einreise, 22.03.2007 Ausreise, |
15.05.2007 Einreise, 29.05.2007 Ausreise, |
02.11.2007 Einreise, 02.02.2008 Ausreise, |
25.04.2008 Einreise, 18.05.2008 Ausreise, |
05.12.2008 ? |
07.12.2008 Einreise, 19.03.2009 Ausreise, |
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat für den streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Kindergeld und muss deshalb das für diesen Zeitraum bezogene Kindergeld zurückzahlen. Die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 EStG, wonach nur derjenige, der im Inland über einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt verfügt, einen Kindergeldanspruch für diejenigen Kinder, die ebenfalls im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat auf den das Abkommen über den europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt innehaben, liegen nicht vor.
Die vier Kinder des Klägers hatten im Streitzeitraum keinen Wohnsitz und keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland.
Der Wohnsitzbegriff i.S.v. § 8 AO, der wörtlich mit der Legaldefinition des § 30 Abs. 3 Satz 1 des I. Sozialgesetzbuchs (SGB I) übereinstimmt, dies für das Kindergeldrecht bis 1995 Anwendung fand, setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass der Steuerpflichtige tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit wenn auch in größeren Zeitabständen aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinanderfolgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken reicht nicht aus. Außer dem Innehaben einer Wohnung setzt der Wohnungsbegriff zunächst Umstände voraus, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung durch den Inhaber beibehalten und als solche genutzt werden soll. Das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinne besteht somit darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung steht und von ihm subjektiv zu entsprechender Nutzung auch bestimmt ist. In dieser zur objektiven Eignung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz. Im Einzelfall können auch zwei Wohnsitze nebeneinander bestehen, wenn nach den äußeren Umständen der Lebensmittelpunkt zeitlich und örtlich zwei Wohnungen in verschiedenen Orten zuzuordnen ist und so zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse gebildet worden sind.
Dient ein Auslandsaufenthalt ausschließlich der Durchführung einer bestimmten Maßnahme, wie z.B. der Schul- oder Berufsausbildung, ist er deshalb von vornherein zeitlich beschränkt und hat der Betroffene die Absicht, nach dem Abschluss der Maßnahme wieder an den bisherigen Wohnort oder gar in die elterliche Wohnung zurückzukehren, reicht dies allein jedoch nicht dafür aus, um vom Fortbestand des bisherigen Wohnsitzes während des Aufenthalts auszugehen. Die Feststellung der Rückkehrabsicht besagt grundsätzlich nichts darüber, ob der Inlandswohnsitz während des vorübergehenden Auslandsaufenthaltes beibehalten oder aber aufgegeben und nach der Rückkehr neu begründet wird. Der Inlandswohnsitz wird in solchen Fällen nur dann beigehalten, wenn der Betroffene entweder seinen Lebensmittelpunkt weiter am bisherigen Wohnort hat (keine Wohnsitzbegründung am Orte des Auslandsaufenthaltes) oder er zwar keinen einheitlichen Lebensmittelpunkt mehr hat, er aber nunmehr über zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse (zwei Wohnsitze) verfügt, von denen einer am bisherigen Wohnort liegt (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. November 2000, VI R 107/99, BStBl II 2001, 294).
Der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse der Kinder des Klägers im Streitzeitraum lag im Libanon. Dort haben die Kinder sich bis auf die Zeit der Sommerferien der libanesischen Schule aufgehalten. Sie wurden dort von den Großeltern des Klägers betreut. Darüber hinaus waren der Kläger und seine Ehefrau oftmals, teilweise über Monate ebenfalls im Libanon, wie sich aus den Eintragungen der Reisepässe ergibt.
Gerade im Hinblick darauf, dass D, der am 10. Mai 2004 geboren ist, bereits im Oktober 2006 mit seinen drei Geschwistern in den Libanon geflogen ist, obwohl er erst in 2008 einen Kindergartenplatz hatte, spricht dafür, dass die Familie des Klägers im Libanon zusammen mit den Großeltern des Klägers und den Großeltern seiner Ehefrau den Mittelpunkt ihres Lebens hatten.
Auch das Alter der weiteren Kinder spricht dafür, dass die Kinder ihren Lebensmittelpunkt dort hatten, wo sie sich betreut von den Großeltern und teilweise von ihren Eltern aufgehalten haben. Zwar haben die Kinder im Libanon die Schule besucht und unter anderem auch Englisch gelernt, doch steht für Kinder in diesem Alter der Kontakt zur Familie bzw. vertrauten Personen im Vordergrund. Dies bedeutet, dass für solche "kleinen" Kinder regelmäßig der Ort, an dem sie sich betreut zeitlich überwiegend aufhalten, der Ort ihres Lebensmittelpunktes ist.
Hiergegen kann nicht eingewandt werden, dass die Kinder in O. eigene Kinderzimmer hatten, dass sie in O. gemeldet seien, Deutsche seien, die in Deutschland geboren seien, wieder nach Deutschland zurückkehren wollten und immer vorgehabt hätten, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Diese nur formalen bzw. subjektiv nicht überprüfbaren Gründe sind im Verhältnis zu den oben dargestellten mit Tatsachen belegten Gründen nachrangig.
Unbeachtlich ist auch, dass die Kinder in den Sommermonaten in der Zeit, in der im Libanon kein Schulunterricht stattfand, nach Deutschland zurückgekehrt sind und dort, so weit möglich, am Schulunterricht teilgenommen haben. Denn dient der Auslandsaufenthalt, wie hier der Annäherung an den heimatlichen Kulturkreis, führt dies insbesondere bei längerfristiger Abwesenheit und Unterbringung bei Verwandten zu einer Lockerung der familiären Verwurzelung im Inland, so dass der inländische Wohnsitz aufgegeben wird. Dies gilt auch für den Fall, dass das Kind sich während der Ferien in der Wohnung der Eltern im Inland aufhält (Pahlke/Koenig/Koenig Kommentar zur Abgabenordnung § 8 Rz. 16 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).
Mit der Abreise im Oktober 2006 und dem langfristigen Aufenthalt im Libanon haben die Kinder ihren Inlandswohnsitz aufgegeben. Durch die vorübergehende durch die Schulferien im Libanon begründete Rückkehr nach Deutschland haben die Kinder in Deutschland keinen neuen Wohnsitz begründet.
Da die Kinder im Streitzeitraum ihren inhaltlichen und zeitlichen Lebensmittelpunkt im Libanon hatten, hatten sie dort auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt i.S.d. § 9 AO.
Da somit die Voraussetzungen der Ausschlussnorm des § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG vorliegen, hat der Kläger keinen Anspruch auf Kindergeld für seine vier Kinder im Streitzeitraum. Das ungerechtfertigt erhaltene Kindergeld hat der Kläger nach § 37 Abs.2 AO zurückzuzahlen.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs.2 FGO nicht gegeben sind. Die Rechtssache hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung. Zwar beruft sich der Kläger zur Begründung des Zulassungsantrages auf das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 13.12.2010 (3 K 1060/09). Doch hat das Hessische Finanzgericht in diesem Urteil die Rechtsgrundsätze, die der Senat seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, für das Kindergeldrecht bestätigt.