Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 16.10.2008, Az.: 5 U 66/08
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 16.10.2008
- Aktenzeichen
- 5 U 66/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 42440
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2008:1016.5U66.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Stade - 11.04.2008 - AZ: 4 O 31/08
- nachfolgend
- BGH - 27.10.2009 - AZ: VI ZR 296/08
Fundstellen
- OLGR Celle 2009, 804-806
- VersR 2009, 1236-1237
In dem Rechtsstreit
...
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht K...., den Richter am Oberlandesgericht B.... und die Richterin am Oberlandesgericht Dr. S.... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 3. September 2008 für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 11. April 2008 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer/Einzelrichter des Landgerichts Stade wird zurückgewiesen.
Dem Kläger fallen die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um materiellen und immateriellen Schadensersatz sowie Feststellung nach einer Verletzung, die der Kläger bei einem Fußballspiel erlitten hat.
Am 18. März 2007 spielte der Kläger als Mitglied seines Fußballvereins MTV R.... gegen den FC E...., für den der Beklagte auflief. Während des Spiels kam es zum Zweikampf zwischen den Parteien, bei dem der Kläger eine Fraktur des Schien- und Wadenbeins erlitt. Er war vom 18. bis zum 30. März 2007 in stationärer Behandlung im Krankenhaus und vom 9. bis zum 30. August 2007 bei einer Reha-Maßnahme. Er war vom Vorfallstag bis zum 10. Oktober 2007 arbeitsunfähig krank.
Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe ihn von hinten mit gestrecktem Bein attackiert. Der Beklagte sei bereits zuvor dadurch aufgefallen, dass er mehrfach versucht habe, ihn von hinten anzugreifen. Der Schiedsrichter habe nach diesem Vorfall das Spiel mit dem Worten abgebrochen, da könne er sich die rote Karte ja sparen.
Der Kläger hat behauptet, seine Gesundheit habe bisher nicht wieder hergestellt werden können. Er sei weiterhin arbeitsunfähig, müsse behandelt werden und leide unter großen Schmerzen. Er könne nicht selbstständig gehen und sei auf die Benutzung von Unterarmstützen angewiesen. Seine Tätigkeit als Gebäudereiniger (Fensterputzer) könne er nicht mehr ausüben. Seine Erwerbsfähigkeit sei um 100 % gemindert. Er, Vater von fünf Kindern, stehe erheblich unter psychischem Druck. Seine Beziehung sei belastet und sämtliche Freizeitaktivitäten wie auch ein Spiel mit seinen Kindern seien ihm nicht bzw. nur unter großen Schmerzen möglich.
Nach Einstellung der Lohnfortzahlungen ergebe sich zu seinen Lasten eine monatliche Differenz zum Krankengeld in Höhe von 141,88 €. Diese Differenz in Höhe von 1 276 € für den Zeitraum vom 29. April 2007 bis einschließlich Januar 2008 begehrt der Kläger als Schadensersatz vom Beklagten, eine Kostenpauschale in Höhe von 25 €, Erstattung der Zuzahlung für den Krankenhausaufenthalt in Höhe von 130 €, angefallene Praxisgebühren in Höhe von insgesamt 170 € sowie Schmerzensgeld und Feststellung der Schadensersatzpflicht für zukünftige Schäden.
Der Kläger hat beantragt,
- 1.
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, mindestens jedoch 11 000 €;
- 2.
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 1 601,92 € zu zahlen;
- 3.
festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger aus der Körperverletzung vom 18. März 2007 in E.... noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist;
- 4.
den Beklagten zu verurteilen, Nebenforderungen in Höhe von 1 768,88 € zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Kläger sei nicht im Ballbesitz gewesen und hätte den Ball gerade abgespielt. Tatsächlich seien beide in einem Zweikampf nach dem Ball gelaufen. Der Beklagte habe diesen zuerst erreicht. Auch der Kläger habe sein Bein nun nach dem Ball ausgestreckt und dadurch den Lauf des Beklagten gestört. Bei dieser Aktion seien beide Parteien zu Fall gekommen. Der Kläger sei dabei zuerst gestürzt und der Beklagte dann auf ihn. Dabei habe sich der Kläger verletzt. Es sei keine rote Karte oder sonstige Verwarnung ausgesprochen worden. Der anschließende Abbruch des Spiels sei nicht wegen des schweren Fouls, sondern im Einvernehmen beider Mannschaften wegen der schweren Verletzung des Klägers erfolgt.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen O...., B...., S.... und K..... Wegen des Ergebnisses wird auf das Sitzungsprotokoll vom 7. April 2008 (Bl. 59 ff) Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage sodann abgewiesen, weil eine vorsätzliche rechtswidrige Körperverletzung nicht festgestellt werden könne. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stelle der Geschädigte den Schädiger von der
Haftung frei, wenn die zugefügte Verletzung bei regelgerechtem Spiel entstanden sei, weil beide Parteien bei einem Fußballspiel als Kampfspiel damit rechneten, dass es auch bei Einhaltung der Wettkampfregeln zu Verletzungen kommen könne. Anders verhalte es sich bei vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Regelwidrigkeiten. Dies habe der Geschädigte zu beweisen, der Kläger habe diesen Beweis jedoch nicht führen können.
Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil (Bl. 74 ff) Bezug genommen.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er eine unrichtige Beweiswürdigung des Landgerichts rügt sowie eine unrichtige Rechtsauffassung. Der Kläger benennt in der Berufungsbegründung ergänzend für seinen Vortrag die weiteren Zeugen H.... und S..... Die Angaben der von dem Beklagten benannten Zeugen B.... und S.... seien unglaubhaft, der Zeuge K.... sei nicht glaubwürdig. Er sei vielmehr ausgesprochen divenhaft aufgetreten und von sich und seiner Tätigkeit als Schiedsrichter ebenso fasziniert wie überzeugt gewesen. Die Ausführungen dieses Zeugen zu den Fragen des Gerichts wie auch des Prozessbevollmächtigten des Klägers seien als "patzig" einzustufen.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des am 11. April 2008 verkündeten Urteils des Landgericht Stade, Aktenzeichen: 4 O 31/08
- 1.
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 11 000 € zu zahlen;
- 2.
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 1 601,92 € zu zahlen;
- 3.
festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Körperverletzung vom 18. März 2007 in E.... noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist;
- 4.
den Beklagten zu verurteilen, Nebenforderungen in Höhe von 1 768,88 € zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil, ergänzt und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze und Anlagen der Parteien Bezug genommen.
II.
Die Berufung des Klägers ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Landgericht hat richtig entschieden. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Schadensersatz zu, § 823 Abs. 1 BGB. Es besteht kein Anlass, die Beweisaufnahme zu wiederholen bzw. weiteren Beweis zu erheben.
1. Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung der Teilnehmer an einem sportlichen Kampfspiel wie dem Fußballspiel grundsätzlich Verletzungen in Kauf nimmt, die auch bei regelgerechtem Spiel nicht zu vermeiden sind, und dass daher ein Schadensersatzanspruch gegen einen Mitspieler den Nachweis voraussetzt, dass dieser sich nicht regelgerecht verhalten hat. Verletzungen, die auch bei sportgerechtem Verhalten auftreten können, nimmt jeder Spielteilnehmer in Kauf, deshalb verstößt es - ungeachtet der Frage, ob eine Haftung schon auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit oder der Rechtswidrigkeit zu verneinen ist (vgl. dazu statt vieler OLG Hamm, Urt.v. 4. Juli 2005, NJW-RR 2005, 1477 [OLG Hamm 04.07.2005 - 34 U 81/05] und Möllers, JZ 2004, 95) - jedenfalls gegen das Verbot des treuwidrigen Selbstwiderspruchs, wenn der Geschädigte den beklagten Schädiger in Anspruch nimmt, obschon er ebensogut in die Lage hätte kommen können, in der sich nun der Beklagte befindet, sich dann aber (und mit Recht) dagegen gewehrt haben würde, diesem trotz Einhalten der Spielregeln Ersatz leisten zu müssen (BGH, Urt.v. 1. April 2003, Z 154, 316, 323 m.w.N.). Diese Grundsätze gelten allgemein für Inkaufnahme von Schädigungen bei Wettkämpfen mit nicht unerheblichem Gefahrenpotential, bei denen typischerweise auch bei Einhaltung der Wettkampfregeln oder geringfügiger Regelverletzung die Gefahr gegenseitiger Schadenszufügung besteht (BGH, a.a.O., S. 324). Die Haftung eines Teilnehmers an einem solchen Kampfspiel setzt voraus, dass die Verletzung auf einem nicht nur geringfügigen Verstoß, wie er etwa aus Spieleifer, Unüberlegtheit, technischem Versagen, Übermüdung etc. leicht passieren kann, gegen die Wettkampfregeln beruht (OLG Köln, Urt.v. 23. Januar 2002, OLGR 2003, 23 für das Handballspiel; OLG Hamm, Urt.v. 4. Juli 2005, NJW-RR 2005, 1477 für das Fußballspiel "Blutgrätsche"). Beweispflichtig für einen solchen Regelverstoß von einiger Erheblichkeit ist der Geschädigte ( BGHZ 154, 316; OLG Hamm a.a.O.).
2. Diesen Beweis hat der Kläger im vorliegenden Fall nicht geführt. Die Berufungsbegründung zeigt keine Umstände auf, die eine erneute Beweisaufnahme vor dem Senat geboten erscheinen lassen, § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Die Angaben des von dem Kläger benannten Zeugen O.... sind nicht glaubhafter als die der anderen Zeugen, insbesondere des als Schiedsrichter tätigen Zeugen K..... Dass der Zeuge O.... keine vollständig korrekte Erinnerung an den Vorfall hat, zeigt sich an seiner Angabe, der Schiedsrichter habe dem Beklagten die rote Karte gezeigt. Dies war jedoch unstreitig nicht der Fall. Die Zeugen B.... und S.... haben keine Regelverletzung beobachtet, sondern einen fairen Kampf um den Ball. Bei der Beweiswürdigung kommt besondere Bedeutung der Aussage des Schiedsrichters zu, weil dieser in der Regel den Parteien neutral gegenübersteht. Der Zeuge hat die Behauptung des Klägers, er habe "sich die rote Karte gespart", weil das Spiel sowieso abgebrochen wurde, gerade nicht bestätigt, sondern ausgeführt, wenn er so etwas sagen würde, würde er sofort aufhören zu pfeifen. Er pfeife relativ kleinlich, weil sie einen Freizeitsport betrieben und nicht Geld damit verdienten. Gleichwohl habe er keine rote Karte gezeigt, beide seien fair eingestiegen. Der Beklagte sei nicht gegrätscht, sonst hätte er ein Foul gepfiffen. Gleichwohl seien beide zu Fall gekommen. Wie das genau geschehen sei, wisse er aber nicht mehr. Wenn es ein schweres Foul gewesen wäre, hätte er das in seinen Spielbericht geschrieben. Er habe aber lediglich angegeben, dass die Spieler bei einem Zweikampf zu Fall gekommen seien. Bis zu diesem Zeitpunkt sei es ein absolut faires Spiel auf beiden Seiten gewesen.
Angesichts dieser Aussagen ist das Landgericht mit gut nachvollziehbaren Erwägungen zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Regelverstoß des Beklagten von einigem Gewicht nicht bewiesen ist; der Senat tritt ihnen bei. Aus einem "divenhaften" Auftreten, wie dies der Kläger für den Zeugen K.... behauptet, ist nicht zwingend auf eine Falschaussage zu Lasten des Klägers zu schließen.
3. Den weiteren Beweisantritten des Klägers in der Berufungsbegründung ist nicht nachzugehen, denn diese sind gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO nicht zuzulassen. Der Kläger hat diese Zeugen aus Nachlässigkeit nicht in erster Instanz benannt. Sie waren ihm bereits bekannt, denn es handelt sich um Mitspieler aus seiner Mannschaft. Dass und warum er ohne Nachlässigkeit davon hätte ausgehen können, dass es dieser Zeugenaussagen nicht bedarf, ist weder dargetan noch ersichtlich.
4. Es kommt nicht darauf an, ob der Beklagte (privat) haftpflichtversichert ist.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, dass eine Haftungsfreistellung bei sportlichen Wettbewerben mit nicht unerheblichem Gefahrenpotenzial nicht anzunehmen ist, soweit Versicherungsschutz besteht (Urteil vom 29. Januar 2008, VersR 2008, 540 [BGH 29.01.2008 - VI ZR 98/07]f), ist auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Der Kläger weist zwar zutreffend darauf hin, dass der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung ausgeführt hat, wo der Schädiger gegen Haftpflicht versichert sei, "insbesondere eine Pflichtversicherung" bestehe, entspreche es weder dem gesetzlichen Anliegen der Versicherungspflicht noch dem Willen der Beteiligten, den Haftpflichtversicherer zu entlasten. Die Entscheidung bezieht sich aber auf einen Schaden bei einer motorsportlichen Veranstaltung, bei der alle Teilnehmer gegen Haftpflicht pflichtversichert waren. Der Entscheidung ist nicht zu entnehmen, dass die dort aufgestellten Grundsätze - abweichend von der bisherigen Rechtsprechung - etwa auch dann anzuwenden wären, wenn der einzelne Teilnehmer privat gegen Haftpflicht versichert ist.
Eine solche Ausdehnung der in dem Urteil vom 29. Januar 2008 aufgestellten Grundsätze auf (private) Haftpflichtversicherungen ist abzulehnen. Dies wäre mit dem Grund des Haftungsausschlusses - treuwidriger Selbstwiderspruch - nicht in Einklang zu bringen. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Teilnehmer dem anderen haftete, wäre nämlich sonst unterschiedlich je nach beteiligtem Spieler danach zu beantworten, ob eine Haftpflichtversicherung besteht und zwar bei beiden Beteiligten. Die Folge wären Wertungswidersprüche, wenn "das gleiche Foul" bei dem einen Mitspieler zu vollem Schadensersatz, bei dem anderen zum Haftungsausschluss führte.
Nach Auffassung des Senates bleibt es jedenfalls bei diesen Fällen bei dem Grundsatz, dass das Bestehen einer Haftpflichtversicherung einen Anspruch nicht zu begründen und nicht inhaltlich zu bestimmen vermag und zwar unabhängig davon, auf welcher "Ebene" ein Schadensersatzanspruch des Geschädigten scheitert.
5. Wegen der Frage, ob in Fortführung der Entscheidung vom 29. Januar 2008, ( NJW 2008, 1591 [BGH 29.01.2008 - VI ZR 98/07]) ein Haftungsausschluss auch dann nicht in Betracht kommt, wenn eine (private) Haftpflichtversicherung besteht, hat der Senat die Revision zugelassen, § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, §§ 711, 709 Satz 2 ZPO.