Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 02.10.2008, Az.: 6 U 77/08

Eintritt eines Leistungsverzuges hinsichtlich einer unberechtigten Zuvielforderung im Werkvertragsrecht

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
02.10.2008
Aktenzeichen
6 U 77/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 36983
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2008:1002.6U77.08.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Stade - 24.04.2008 - AZ: 8 O 102/07

Fundstellen

  • BauR 2009, 1757-1758
  • IBR 2009, 327
  • MDR 2010, 365
  • OLGR Celle 2009, 454-456

Amtlicher Leitsatz

Die unberechtigte Zuvielforderung begründet bei der Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen im Werkvertragsrecht nur dann Verzug, wenn eine unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und der Besonderheiten des Werkvertragsrechts nach Treu und Glauben vorzunehmende Würdigung ergibt, dass der Schuldner die Erklärung als Aufforderung zur Bewirkung der tatsächlich geschuldeten Leistung verstehen muss und der Gläubiger auch zur Annahme der gegenüber seinen Vorstellungen geringeren Leistungen bereit ist.

In dem Rechtsstreit

R.B. GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer R. B.,

P.straße #, in J.-E.,

Beklagte und Berufungsklägerin,

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte Dr. L. in H.,

gegen

E. K. W. GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer

E. K., S.str. in J.,

Klägerin und Berufungsbeklagte,

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte G. in S.,

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 16. September 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Piekenbrock, den Richter am Oberlandesgericht Volkmer und den Richter am Amtsgericht Voß für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 24. April 2008 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer (Kammer für Handelssachen) des Landgerichts Stade teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits und diejenigen des selbstständigen Beweisverfahrens vor dem Landgericht Stade zu 8 OH 6/05 trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

A) Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen Baumängeln.

2

Aufgrund Angebots der Beklagten vom 21. August 2001 (Anlage K 2, Bl. 2 f. Hefter I) schlossen die Parteien den Vertrag über die Errichtung des Anbaus an einen Pferdestall für die Reitanlage der Bauherren R. M. und A. K. auf dem Grundstück B.weg in H.

3

Laut Position 4 ihres Angebots schuldete die Beklagte als Dach des Anbaus Stahlelemente des Herstellers "Fischer Isotherm 100 D". Die Beklagte führte die Arbeiten im Herbst/Winter 2001/2002 aus. Sie baute ein Dach des Herstellers "Kingspan KS 1000 RW 60/95" und hat behauptet, dieses sei baugleich zu dem von ihr angebotenen Dach. Aus der E-Mail des "Technical Managers" A. H. des Herstellers Kingspan vom 17. Dezember 2007 (Bl. 80, 81 d. A.) im Rahmen der schriftlichen Aussage des Zeugen A. S. geht hervor, dass die Herstellung des angebotenen und des verbauten Produktes gleich ist, die bauphysikalischen Eigenschaften beider Produkte vergleichbar sind und beide Produkte hinsichtlich der Trag- und Gebrauchsfähigkeit ein ähnliches Verhalten aufweisen.

4

Mit Schriftsatz vom 15. November 2005 leitete die Klägerin gegen die Beklagte vor dem Landgericht Stade das selbstständige Beweisverfahren zu 8 OH 6/05 ein, in welchem auf Anordnung des Landgerichts Dr. Ing. M. K. sein Gutachten vom 26. April 2001 (Anlage K 8, Bl. 10 - 35 Hefter I) sowie dessen "1." und "2." Ergänzung vom 29. August 2006 und 17. Dezember 2006 vorlegte (Anlagen K 9 und K 10, Bl. 36 - 51 und Bl. 52 - 62 Hefter I). In seinem "2. Ergänzungsgutachten" kam er zu dem Ergebnis, dass die Regenundichtigkeit des Daches durch folgende Maßnahmen zu beseitigen sei:

5

- Beseitigen der Fehlbohrungen,

6

- Entfernen der lokalen Verbeulungen im Bereich der Verschraubungen,

7

- Herstellen der Regendichtigkeit am Lüftungsgitter im Bereich des Dachfirstes,

8

- Herstellen des Anschlusses der Isopaneele an die aufgehende Giebelwand des bestehenden Gebäudes.

9

Unter Hinweis auf diese Begutachtung verlangte die Klägerin von der Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 6. Februar 2007 (Anlage K 10 a, Bl. 63 f. Hefter I) die "Neuherstellung der Dachflächen auf dem Stallgebäude" bis zum 27. Februar 2007 und erklärte, nach Fristablauf lehne sie Mängelbeseitigungsarbeiten durch die Beklagte ab. Diese erwiderte mit anwaltlichem Schreiben vom 19. Februar 2007 (Anlage K 11, Bl. 65 Hefter I), die Klägerin könne ausweislich der Beurteilung durch den Sachverständigen keine Neuherstellung fordern; wegen Verjährung brauche sie, die Beklagte, "weder zu sanieren noch neu herzustellen"; zur Beendigung des Rechtsstreits schlage sie "folgendes vor":

10

- erneute Bearbeitung der "Verformungen/Beulen" und Fehlbohrungen an den Dachelementen,

11

- Vergrößerung der Auflagerlängen am First durch Aufdoppelung der Balken,

12

- Herstellung eines regensicheren Anschlusses an das vorhandene Gebäude; sie sei also bereit, die hier vorgeschlagenen Maßnahmen "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" auszuführen.

13

Dieses Angebot lehnte die Klägerin mit anwaltlichem Antwortschreiben vom 23. Februar 2007 ab (Anlagen B 14 und BE 1, Bl. 188 f. und 213 f. d. A.) und wiederholte die Fristsetzung für die Neuherstellung der Dachflächen zum 27. Februar 2007 mit der Erklärung, nach Fristablauf Arbeiten durch die Beklagte abzulehnen. In der Folgezeit (Juni/Juli 2007) ließ die Klägerin das Dach anderweitig sanieren, jedoch nicht neu herstellen.

14

Mit der Klage hat sie die ihr hierdurch entstandenen Kosten nach Maßgabe ihrer Aufstellung in der Anlage K 12 (Bl. 67 Hefter I) in Höhe von netto 33.503,58 € nebst Zinsen geltend gemacht und darüber hinaus sinngemäß Feststellung der Pflicht der Beklagten verlangt, sie von Ansprüchen der Bauherren auf Schadensersatz gegen sie freizustellen.

15

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und die Einrede der Verjährung erhoben.

16

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung der schriftlichen Aussage des Zeugen A. S. (Bl. 80 f. d. A.) und nach Maßgabe des Beweisbeschlusses vom 17. Januar 2008 (Bl. 89 d. A.) durch Vernehmung drei weiterer Zeugen sowie durch Anhörung des Sachverständigen K. jeweils in der mündlichen Verhandlung vom 3. April 2008 (Bl. 107 - 118 d. A.).

17

Mit dem angefochtenen Urteil, auf das zur weiteren Sachdarstellung verwiesen wird (Bl. 124 - 138 d. A.), hat das Landgericht die Beklagte zur Zahlung von 19.637,68 € nebst Zinsen verurteilt und die begehrte Feststellung ausgesprochen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Es hat gemeint, die Beklagte habe die Nachbesserung durch Erhebung der Verjährungseinrede verweigert.

18

Gegen dieses Urteil wendet die Beklagte sich mit der Berufung, mit welcher sie vollständige Abweisung der Klage erstrebt.

19

Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Berufung und trägt vor, sie habe Neuherstellung des Daches schon deshalb verlangen können, weil die Klägerin nicht die bestellten Dachelemente verbaut habe.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

21

B) Die Berufung ist begründet.

22

Die Klägerin kann weder Schadensersatz wegen Nichterfüllung nach § 635 BGB a. F. noch die begehrte Feststellung verlangen, da die Beklagte mit der Beseitigung der Mängel am Dach nicht in Verzug war, als die Klägerin die Mängel anderweitig beseitigen ließ.

23

1. Die Fristsetzungen zur Mängelbeseitigung in den Anwaltsschreiben der Beklagten vom 6. Februar 2007 und 23. Februar 2007 unter Ablehnungsandrohung waren nicht wirksam. Sie haben keinen Verzug der Klägerin herbeigeführt, der wegen der Verweisung ("statt der Wandelung") in § 635 BGB a. F. auf § 634 Abs. 1 BGB a. F. erforderlich ist.

24

a) Hinsichtlich des Mangels "Dachpaneele des Herstellers Kingspan statt des Herstellers Fischer" war der Eintritt des Verzuges ausgeschlossen, weil dem von der Klägerin erhobenen Anspruch auf Neuherstellung des Daches die Einrede der Unverhältnismäßigkeit der Neuherstellung aus § 633 Abs. 2 Satz 3 BGB a. F. entgegen stand. Wegen Gleichartigkeit und Gleichwertigkeit beider Produkte hat die Klägerin keinen Nachteil aus der Verwendung der nicht vereinbarten Paneele, was sich auch daran zeigt, dass sie diese im Rahmen der Ersatzvornahme nicht ersetzt, sondern beibehalten hat, während die vollständige Umrüstung auf Fischerpaneele für die Beklagte mit beträchtlichem Aufwand verbunden gewesen wäre.

25

Der Einwand der Klägerin, im Rahmen der Sanierung keine Neuherstellung vorgenommen zu haben, weil für sie das Risiko bestanden habe, ihren Ersatzanspruch gegenüber der Beklagten nicht realisieren zu können, ist unerheblich, da die Klägerin zur Klärung der Frage, ob die streitige Neuherstellung hätte verlangt werden können, die Beklagte vor Durchführung der Sanierung entweder auf Durchführung der Neuherstellung oder auf Vorschuss der hierfür voraussichtlich erforderlichen Kosten hätte in Anspruch nehmen können, was sie nicht getan hat.

26

b) Hinsichtlich des Mangels "Regenundichtigkeit des Daches" scheitert der Verzug der Beklagten daran, dass das Verlangen der Klägerin nach Neuherstellung des Werkes aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen K. zu den Maßnahmen, die zur Behebung des Mangels ausreichend waren, eine unberechtigte Zuvielforderung darstellt. Denn eine solche begründet "bei der Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen im Werkvertragsrecht" nur dann Verzug, wenn "eine unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls (und der "Besonderheiten des Werkvertragsrechts") nach Treu und Glauben vorzunehmende Würdigung (ergibt, dass) der Schuldner die Erklärung als Aufforderung zur Bewirkung der tatsächlich geschuldeten Leistung verstehen muss und der Gläubiger auch zur Annahme der gegenüber seinen Vorstellungen geringeren Leistung bereit ist." (BGH NJW 2006, 769 ff. [BGH 05.10.2005 - X ZR 276/02]) Die Klägerin hat indessen aber mit anwaltlichem Schreiben vom 23. Februar 2007 (Anlagen B 14 und BE 1, Bl. 188 f. und 233 f. d. A.), mit dem sie das Angebot der Beklagten, konkret beschriebene Mängelbeseitigungsarbeiten durchzuführen, abgelehnt und die Fristsetzung für die Neuherstellung der Dachflächen mit der Erklärung wiederholt hat, nach Fristablauf Arbeiten durch die Beklagte abzulehnen, dokumentiert, nicht bereit zu sein, gegenüber ihren Vorstellungen geringere Leistungen der Beklagten zur Mängelbeseitigung anzunehmen, sondern nur mit einer Mängelbeseitigung der Beklagten durch Neuherstellung des Daches einverstanden zu sein, zu welcher die Beklagte, wie ausgeführt, nicht verpflichtet war. Wegen dieser Erklärung der Klägerin, an der sie bis zur Durchführung der Ersatzvornahme festgehalten hat, hatte die Beklagte auch keine Möglichkeit, die vertraglich geschuldete Mängelbeseitigung zu erbringen, so dass unerheblich ist, ob die Beklagte vor Abschluss des selbstständigen Beweisverfahrens schon in Verzug geraten war.

27

2. Wirksame Fristsetzungen waren nicht nach § 634 Abs. 2 Fall 2 BGB a. F. entbehrlich. Die Beklagte hat, indem sie die Einrede der Verjährung erhoben hat, die Mängelbeseitigung nicht insgesamt endgültig und ernsthaft verweigert, sondern bei zutreffender Auslegung war die Erhebung der Einrede erkennbar nur für den Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung gedacht. Denn die Beklagte hat sich in dem Anwaltsschreiben vom 19. Februar 2007 ausdrücklich und bedingungslos zur Mängelbeseitigung durch Ergreifen der von ihr unter Berücksichtigung der erfolgten Begutachtung konkret genannten Maßnahmen bereit erklärt.

28

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 91 Abs. 1, § 708 Nr. 10 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

29

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO für die Zulassung nicht vorliegen.

Piekenbrock
Volkmer
Voß