Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 09.10.2008, Az.: 22 W 45/08
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 09.10.2008
- Aktenzeichen
- 22 W 45/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 42433
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2008:1009.22W45.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 11.08.2008 - AZ: 28 T 29/08
Fundstellen
- ANA-ZAR 2009, 7 (Kurzinformation)
- InfAuslR 2009, 28-29 (Volltext mit amtl. LS)
- ZAR 2009, 7
In der Abschiebehaftsache
...
hat der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die weitere sofortige Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der Zivilkammer 28 des Landgerichts Hannover vom 11. August 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... am 9. Oktober 2008 beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
- 2.
Es wird festgestellt, dass die Inhaftierung des Betroffenen in Abschiebungshaft rechtswidrig war.
- 3.
Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen
- 4.
Auslagen des Betroffenen werden der Beteiligten auferlegt.
- 5.
Der Beschwerdewert wird auf 3 000,- € festgesetzt.
Gründe
I.
Mit Beschluss vom 22. Februar 2008 hat das Amtsgericht Hannover auf Antrag der Beteiligten gegen den am Vortag in ... festgenommenen Betroffenen die Abschiebungshaft für längstens sechs Wochen angeordnet. Auf die mit dem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Inhaftierung verbundene sofortige Beschwerde hat das Landgericht Hannover durch Beschluss vom 18. Juni 2008 die Anordnung der Abschiebungshaft aufgehoben und die Entlassung des Betroffenen aus der Abschiebungshaft angeordnet, die noch am selben Tag erfolgte. Grund der Aufhebung war, dass dem Betroffenen am 20. Mai 2008 von der Beteiligten eine Grenzübertrittsbescheinigung erteilt worden war, aus der sich ergab, dass der Betroffene bis zum 26. Mai 2008 die Bundesrepublik zu verlassen habe, er also zum Zeitpunkt seiner Festnahme am 21. Mai 2008 noch aufenthaltsberechtigt gewesen sei.
Auf die ausdrücklichen Ersuchen des Betroffenen vom 3. Juni, 8. Juli und 18. Juli 2008, auch über seinen Feststellungsantrag zu entscheiden, hat das Landgericht durch Beschluss vom 11. August 2008 den Feststellungsantrag als unzulässig zurückgewiesen und zur Begründung angeführt, dass es an dem erforderlichen Feststellungsinteresse fehle, weil sich die Rechtswidrigkeit der Inhaftierung bereits aus dem Beschluss vom 18. Juni 2008 ergebe. Hiergegen richtet sich die weitere sofortige Beschwerde der Betroffenen.
II.
Die weitere sofortige Beschwerde ist zulässig und hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zu der Feststellung, dass die Inhaftierung der Betroffenen in Abschiebungshaft rechtswidrig war.
Die angefochtene Entscheidung hält der auf die sofortige weitere Beschwerde nach § 27 FGG vorzunehmenden Überprüfung auf Rechtsfehler nicht Stand. Denn der Feststellungsantrag des Betroffenen ist nicht unzulässig. Das erforderliche Feststellungsinteresse liegt vor.
Allgemein anerkannt ist, dass gemäß Art. 19 Abs. 4 GG ein Bedürfnis nach gerichtlicher Entscheidung trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels fortbestehen kann, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist. Dies kann der Fall sein bei einer Wiederholungsgefahr ( BVerfG EuGRZ 2005, 639; BVerfGE 104, 220 ) oder bei einem Rehabilitierungsinteresse des Betroffenen, z.B. bei diskriminierenden Verwaltungsakten ( BVerfGE 110, 77 [BVerfG 03.03.2004 - 1 BvR 461/03] ), oder zur Vorbereitung der Geltendmachung etwaiger Schadensersatzansprüche ( BVerfGE 104, 220 ). Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gebietet darüber hinaus, die Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung auch in Fällen gewichtiger, allerdings in tatsächlicher Hinsicht überholter Grundrechtseingriffe zu eröffnen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in der ein Betroffener eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann ( BVerfGE 96, 27 [BVerfG 30.04.1997 - 2 BvR 817/90] ). Ein solches Fortsetzungsfeststellungsinteresse kommt insbesondere bei freiheitsbeschränkenden Maßnahmen in Betracht, und ist für den Fall einer Erledigung durch Entlassung aus der (vollzogenen) Abschiebungshaft ausdrücklich zu bejahen ( BVerfGE 104, 220; st. Rspr. auch des Senats [etwa Beschluss vom 17. März 2006, 22 W 10/06 ]; weitere Nachweise bei Keidel/Kunze/Winker, FGG, 15. Aufl., § 19 Rdn. 86).
Aus dem Vorstehenden folgt aber nicht zwingend, dass in den Fällen, in denen eine gerichtliche Entscheidung über die Aufhebung einer belastenden Maßnahme noch erfolgt, weil diese sich noch nicht erledigt hat, das Bedürfnis nach Feststellung der Rechtswidrigkeit nicht bestehen kann. Denn insbesondere der Aufhebung der Anordnung einer Freiheitsentziehung ist für sich genommen nicht zu entnehmen, ob diese nur für die Zukunft erfolgt, weil deren Voraussetzungen weggefallen sind, oder ob sie auch in die Vergangenheit wirkt. Gerade dies kann aber für andere Verfahren, wenn es etwa um eine Haftentschädigung nach Art. 5 Abs. 5 MRK, um Verfahrensauslagen oder um Haftkosten geht, bedeutsam sein. Zwar werden sich diese Fragen in der Regel anhand der jeweiligen Entscheidungsgründe beantworten lassen. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass dies nicht immer der Fall ist oder zumindest mit Unsicherheiten behaftet ist, die nicht zu Lasten des Betroffenen gehen dürfen (vgl. Melchior, Rundbriefe zur Abschiebungshaft 23/2008).
Erst durch die Feststellungsentscheidung wird zu Gunsten des Betroffenen durch die hierfür zuständige Fachgerichtsbarkeit mit Rechtskraft auch für andere Verfahren und Gerichtsbarkeiten eine unanfechtbare Grundlage geschaffen (vgl. BGH InfAuslR 2006, 332 [BGH 18.05.2006 - III ZR 183/05]). Sie wird daher nicht durch die bloße Aufhebung der Haftanordnung entbehrlich. Soweit der Senat in seiner Entscheidung vom 12. August 2008 - 22 W 35/08 - die Ansicht vertreten hat, dass eine ausdrückliche Feststellung der Rechtswidrigkeit über die Aufhebung der Haftanordnung hinaus nicht erforderlich sei, hält er hieran nicht fest.
Dementsprechend war über die Aufhebung der Haftanordnung hinaus die Feststellung zu treffen, dass die Inhaftierung des Betroffenen in Abschiebungshaft rechtswidrig war, und zwar aus den im Beschluss des Landgerichts Hannover vom 18. Juni 2008 angeführten Gründen.
III.
Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen waren gemäß § 16 FreihEntzG der Beteiligten aufzuerlegen, weil auf Grund der erteilten Grenzübertrittsbescheinigung im Zeitpunkt der Antragstellung kein begründeter Anlass für die Beteiligte vorlag, den Antrag auf Anordnung der Sicherungshaft beim Amtsgericht Hannover zu stellen.