Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 30.10.2008, Az.: Not 9/08

Mehrfachverteidigung; förmliches Disziplinarverfahren; Einheit des Dienstvergehens; Tatidentität

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
30.10.2008
Aktenzeichen
Not 9/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 42461
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2008:1030.NOT9.08.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 23.09.2008

Amtlicher Leitsatz

In einem förmlichen Disziplinarverfahren gegen einen Notar liegt eine unzulässige Mehrfachverteidigung in Bezug auf die Vertretung eines anderen Notars in einem Parallelverfahren nicht vor, wenn sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die durch denselben Verteidiger vertretenen Notare als Mittäter gehandelt haben oder gegenseitige Anstiftungs- oder Beihilfehandlungen vorliegen.

Tenor:

  1. Auf die Beschwerde des Notars vom 30. September 2008 wird der Beschluss der Untersuchungsführerin des Landgerichts Osnabrück vom 23. September 2008 i. d. F. des Nichtabhilfebeschlusses vom 6. Oktober 2008 aufgehoben.

  2. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Beschlusses vom 30. September 2008 hat sich erledigt.

Gründe

1

I.

Der beschuldigte Rechtsanwalt ist in Praxisgemeinschaft mit dem gesondert verfolgten Notar M. tätig. Diesem wird vorgeworfen, in mehreren Fällen sich einer Dienstpflichtverletzung schuldig gemacht zu haben. Hintergrund der vom beschuldigten Notar M. vorgenommenen Beurkundungen sind Verkäufe von Wohnungen einer P. W. GmbH zu überhöhten Kaufpreisen. In drei vor diesem Hintergrund vorgenommenen Beurkundungen war der Beschuldigte als Notarvertreter tätig.

2

Die Untersuchungsführerin beim Landgericht hat den sowohl für den Notar M. als auch für den in diesem Verfahren beschuldigten Notar als Verteidiger auftretenden Rechtsanwalt E. gemäß den §§ 146, 146a StPO, 25 NDO, 96 BNotO zurückgewiesen, da eine unzulässige Mehrfachverteidigung vorläge. Wegen der weiteren Begründung wird auf die Ausführungen in dem Beschluss vom 23. September 2008 Bezug genommen.

3

II.

Die Beschwerde ist gemäß § 105 BNotO i.V.m. §§ 304 ff. StPO zulässig. Die Beschwerde hat in der Sache auch Erfolg. Ein Grund für die Zurückweisung des Rechtsanwalts E. als Verteidiger des beschuldigten Notars C. M. ist nicht gegeben. Eine unzulässige Mehrfachverteidigung i.S.v. § 146 Satz 1 StPO liegt nicht vor.

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1. Dabei kann es auf sich beruhen, ob die §§ 146, 146a StPO im förmlichen Disziplinarverfahren gegen Notare anwendbar sind. Grundsätzlich wird von der Rechtsprechung allerdings davon ausgegangen, dass diese Vorschriften im Disziplinarverfahren anwendbar seien (BVerwG NJW 1994, 1019 [BVerwG 10.08.1993 - BVerwG 2 WDB 5.93]; NJW 1985, 1180 [BVerwG 14.12.1984 - BVerwG 1 D 93.84]; BVerwG, Beschl. v. 17. August 1977, Az.: 2 BVR 449/77 - zitiert bei KK-Laufhütte, StPO, 5. Aufl., § 146 Rn. 12). Hiergegen werden in der Literatur Bedenken geltend gemacht (vgl. LR-Lüderssen/Jahn, StPO, 26. Aufl., § 146 Rn. 41 m.w.N.). Vorliegend bedarf es einer Entscheidung nicht, da § 146 StPO in diesem Verfahren einer Verteidigung des Beschuldigten durch Rechtsanwalt E. - jedenfalls derzeit - nicht entgegen steht.

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2. Gem. § 146 Satz 1 StPO kann ein Verteidiger u. a. nicht gleichzeitig mehrere derselben Tat Beschuldigte verteidigen. Eine Tatidentität liegt allerdings bei den den förmlichen Disziplinarverfahren zugrunde liegenden Anschuldigungen gegen die Notare C. M. und M. nicht vor.

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a) Maßgebend für die Bewertung, wann eine Tat i.S.v. § 146 Satz 1 StPO vorliegt, ist der prozessuale Tatbegriff (BT-Drucks. 10/1313, S. 23), also derjenige des § 264 StPO. Danach ist als Tat der gesamte geschichtliche Lebensvorgang einschließlich aller damit zusammenhängender oder darauf bezüglicher Vorkommnisse zu verstehen, aus dem die zugelassene Anklage gegen den jeweiligen Angeklagten den Vorwurf einer Straftat herleitet. Auch sachlich-rechtlich selbständige Taten können prozessual eine Tat i.S.v. § 264 StPO sein. Ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang liegt dabei vor, wenn die einzelnen zu beurteilenden Lebenssachverhalte über den räumlichen und zeitlichen Zusammenhang hinaus auch innerlich so miteinander verknüpft sind, dass sie nach der Lebensauffassung eine Einheit dergestalt bilden, dass ihre Behandlung in getrennten Verfahren als unnatürliche Aufspaltung eines zusammengehörenden Geschehens erscheinen würde (LR-Kollwitzer, StPO, 25. Aufl., § 264 Rn. 4 ff.; BGH NJW 2000, 226, 227 [BGH 23.09.1999 - 4 StR 700/98] m.w.N.). Dabei reichen weder ein Gesamtplan noch ein zeitliches Zusammentreffen für sich alleine aus, zwei sachlich rechtlich im Verhältnis der Tatmehrheit zueinander stehende Handlungen als einheitliche Tat im prozessualen Sinne erscheinen zu lassen (BGH NJW 1988, 1800 [BGH 24.07.1987 - 3 StR 36/87]). Die bloße zeitliche oder örtliche Aufeinanderfolge der einzelnen Vorgänge genügt für sich allein ebenso wenig wie der Umstand, dass die Taten sich logisch auseinander entwickelt haben oder der Täter aus der gleichen Grundsituation heraus gehandelt hat oder im Zuge der Verwirklichung eines Gesamtplans oder in Verfolgung des gleichen Endzwecks tätig geworden ist (LR-Kollwitzer, a.a.O., § 264 Rn. 5 m.w.N.). Andererseits hindert eine zeitliche und räumliche Trennung der Vorgänge nicht, die mehreren Sachverhalte als eine prozessuale Tat aufzufassen (BGH NJW 2000, 226, 227 [BGH 23.09.1999 - 4 StR 700/98]). Das Landgericht Verden hat die Auffassung vertreten, dass zwei Taten von zwei Personen nicht den strafprozessualen Tatbegriff des § 264 StPO erfüllen, sodass demzufolge keine Tatidentität i.S.v. § 146 Satz 1 StPO vorliegt (Nds. Rpfl. 1991, 31).

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b) Nach diesen Maßstäben kann vorliegend nicht von einer einheitlichen Tat i.S.v. § 146 Satz 1 StPO ausgegangen werden.

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Dem beschuldigten Notar C. M. wird vorgeworfen, bei drei Beurkundungen teils fahrlässig, teils vorsätzlich seine Dienstpflichten nach § 14 Abs. 1 und 2 BNotO verletzt zu haben. Er soll während des Beurkundungsvorgangs erkannt haben bzw. hätte dies erkennen können, dass der beurkundete Kaufpreis weit überhöht sei, was sich aus den Gesprächen der Urkundsbeteiligten ergeben habe. Eine Mitwirkung des Notars M. an den Beurkundungen selbst ist nicht ersichtlich.

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Bei diesem Sachverhalt ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Notare M. und C. M. als Mittäter agiert haben, also z. B. nach einem gemeinsamen Tatplan bzw. einem gemeinsamen Vorsatz vorgegangen sind. Ferner sind keine Umstände vorhanden, die auf eine Anstiftungs- oder Beihilfehandlung der beschuldigten Notare zu den erhobenen Vorwürfen schließen lassen. Konsequenterweise sind - soweit ersichtlich - die dem in vorliegender Sache beschuldigten Notar vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen nicht Bestandteil des gegen den Notar M. geführten Disziplinarverfahrens. Nicht ausreichend für die Annahme einer prozessualen Tat ist es im übrigen, dass die hier in Rede stehenden Beurkundungsvorgänge vor demselben Hintergrund wie bei den Anschuldigungen gegen den Notar M. und auf Verkäuferseite mit demselben Urkundsbeteiligten stattgefunden haben. Hinzutreten müssten weitere tatsächliche Anhaltspunkte, insbesondere in subjektiver Hinsicht, die eine Absprache zwischen den Handelnden der P. W. GmbH und beiden Notaren belegen könnten. Diese sind nach dem derzeitigen Aktenstand nicht erkennbar.

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c) Die Argumentation der Untersuchungsführerin, der sich der Vertreter der Einleitungsbehörde angeschlossen hat, bereits aus dem Gesichtspunkt der Einheit des Dienstvergehens lasse sich eine Tatidentität i.S.v. § 146 StPO herleiten, die zur Zurückweisung des Verteidigers führe, überzeugt nicht. Die rechtliche Figur der Einheit des Dienstvergehens für die Pflichtverletzungen der Notare ist in § 95 BNotO fixiert. Dieser Grundsatz besagt, dass mehrere Pflichtverletzungen desselben Beschuldigten nur ein Dienstvergehen bilden und unter Würdigung der Persönlichkeit des Beschuldigten einheitlich zu beurteilen sind. Die aus dem Gesamtverhalten ersichtliche Persönlichkeitsstruktur ist auf ihre künftige Zuverlässigkeit hin zu überprüfen und mit einer einzigen Gesamtmaßnahme pflichtenmahnend zu beeinflussen oder das Dienstverhältnis zu lösen (Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO, 6. Aufl., § 95 Rn. 34; Schippel/Bracker-Lemke, BNotO, 8. Aufl., § 95 Rn. 7). Für die Einheit des Dienstvergehens kommt es auf die Würdigung der Pflichtverletzungen im strafrechtlichen Sinne als fortgesetzte Handlung oder als Tatmehrheit nicht an (BGH DNotZ 1988, 259, 260 [BGH 10.08.1987 - NotZ 6/87]). Sinn und Zweck des Grundsatzes der Einheit des Dienstvergehens ist es demnach nicht, wie bei dem Begriff der prozessualen Tat einen einheitlichen Lebensablauf zu erfassen, der nur die durch die Anklage dem Gericht förmlich unterbreitete Tat zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden darf, was zur Folge hat, dass das rechtskräftige Urteil die Strafklage verbraucht und die Strafverfolgung mit einem neuen Verfahren und eine nochmalige Bestrafung wegen derselben Tat verbietet (KK-Engelhardt, StPO, 5. Aufl., § 264 Rn. 1 f. m.w.N.). Der Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens ist vielmehr auf einen anderen Zweck ausgerichtet. Er soll eine einheitliche Bewertung der Dienstpflichtverletzungen des Notars ermöglichen. Dies ist nicht identisch mit dem Tatbegriff des § 146 Satz 1 StPO.

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Es erscheint auch weder geboten noch vertretbar, den Tatbegriff in § 146 Satz 1 StPO unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Disziplinarrechtes anders auszulegen und ihn an den Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens anzupassen. Nach dem Willen des Gesetzgebers (s. o.) sollte sich der Tatbegriff des § 146 Satz 1 StPO an dem prozessualen Tatbegriff orientieren. Hiervon abzuweichen besteht keinerlei Veranlassung.

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3. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Beschlusses hat sich erledigt, da die Zurückweisung des Verteidigers aufgehoben wurde.

13

III.

Eine Kosten- und Auslagenentscheidung war nicht veranlasst, da dieser Beschluss keine verfahrensabschließende Entscheidung darstellt, vgl. § 464 Abs. 1 und 2 StPO.