Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 30.10.2008, Az.: 13 U 130/08

Ausreichen der Nichtzahlung gegenüber einem einzigen Gläubiger für eine Zahlungsunfähigkeit bei nicht unerheblicher Höhe der Forderung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
30.10.2008
Aktenzeichen
13 U 130/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 27736
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2008:1030.13U130.08.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 26.05.2008 - AZ: 9 O 256/06

Fundstelle

  • ZInsO 2009, 386-388 (Volltext mit amtl. LS)

In dem Rechtsstreit
...
hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 14. Oktober 2008
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Knoke,
den Richter am Oberlandesgericht Bormann und
die Richterin am Oberlandesgericht Rieke
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 26. Mai 2008 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 9. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 20.000 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. Juli 2005 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Die Klägerin hat als Insolvenzverwalterin der ... eine am 27. Juli 2005 erfolgte Ratenzahlung an die Beklagte in Höhe von 20.000 EUR angefochten und diesen Betrag nebst Zinsen gegen die Beklagte eingeklagt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Beklagte keine Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gehabt habe.

2

Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Nach ihrer Auffassung sind hinreichende Indizien für eine solche Kenntnis vorhanden.

3

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sachverhalts wird auf die gewechselten Schriftsätze und das angefochtene Urteil verwiesen.

4

Die Berufung ist begründet.

5

1.

Der Klageanspruch ergibt sich aus §§ 143 Abs. 1, 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO.

6

a)

Die angefochtene Zahlung erfolgte innerhalb von 3 Monaten, bevor die Schuldnerin den Insolvenzantrag gestellt hat (4. Oktober 2005).

7

b)

Die Schuldnerin war am 27. Juli 2005, als sie die angefochtene Zahlung von 20.000,00 EUR leistete, zahlungsunfähig.

8

Zahlungsunfähig ist ein Schuldner, der nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat (§ 17 Abs. 2 InsO). Eine Zahlungseinstellung liegt vor, wenn sich für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängt, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht aus (BGH, Urt. v. 21. Juni 2007 - IX ZR 231/04 m.w.N.). Haben im fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind, ist regelmäßig von der Zahlungsunfähigkeit auszugehen (BGH, Urt. v. 12. Oktober 2006 - IX ZR 228/03, ZlnsO 2006, 1210).

9

Nach diesen Grundsätzen lag eine Zahlungseinstellung mit Sicherheit vor. Allein die von der Klägerin beispielhaft vorgetragenen, in der Zeit von Anfang 2003 bis zum 27. Juli 2005 fällig gewordenen Verbindlichkeiten belaufen sich auf insgesamt 582.975,74 EUR (Bl. 5 f., 119 d.A.). Diese Verbindlichkeiten sind bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden. Hinzu kommt, dass die Schuldnerin im Juli 2005 mit der Zahlung fälliger Sozialversicherungsbeiträge von 9.425,52 EUR (AOK) und 8.897,96 EUR (BKK) im Rückstand war. Ein Schuldner lässt es erfahrungsgemäß zu Zahlungsrückständen auch nur bei einem einzigen Sozialversicherungsträger nicht kommen, wenn er dies unschwer vermeiden konnte. Ein solcher- strafbewehrter - Zahlungsrückstand lässt im Allgemeinen den Schluss zu, dass die geschuldeten Beträge für den Unternehmer wesentlich sind (BGH, Urt. v. 20. November 2001 - IX ZR 48/01, NJW 2002, 515).

10

Der Zahlungsunfähigkeit steht nicht, wie die Beklagte meint, entgegen, dass die Schuldnerin am 27. Juli 2005 die angefochtene Zahlung von 20.000,00 EUR und weitere Zahlungen in Höhe von ca. 12.000,00 EUR (Bl. 26 d.A.) leistete. Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht auch dann für eine Zahlungseinstellung aus, wenn die tatsächlich noch geleisteten Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen (BGH, Urt. v. 21. Juni 2007 - IX ZR 231/04; Urt. v. 24. Mai 2007 - IX ZR 97/06, ZlnsO 2007, 819). Um einen solchen Sachverhalt handelt es sich angesichts der nicht gezahlten Verbindlichkeiten von wenigstens 601.299,22 EUR hier.

11

c)

Der Beklagten war die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin am 27. Juli 2005 bekannt.

12

Für die Kenntnis im Sinne des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO genügt es, wenn die Beklagte aus den ihr bekannten Tatsachen und dem Verhalten der Schuldnerin den Schluss gezogen hat, dass die Schuldnerin wesentliche Teile, d.h. 10% und mehr, ihrer fällig gestellten Verbindlichkeiten in einem Zeitraum von drei Wochen nicht würde tilgen können (BGH, Urt. v. 12. Oktober 2006 - IX ZR 228/03). Feststellungen dazu, welchen Vorstellungen die Beklagte tatsächlich hatte, lassen sich nicht treffen.

13

Gemäß § 130 Abs. 2 InsO steht der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. Es würde deshalb genügen, wenn die Beklagte am 27. Juli 2005 gewusst hätte, dass die Schuldnerin von ihren als fällig eingeforderten Geldschulden einen nicht unwesentlichen Teil (10%) derzeit nicht erfüllen konnte, und auch keine konkrete Aussicht hatte, hierfür ausreichende und verwendbare Geldmittel in den nächsten drei Wochen zu erlangen (vgl. MünchKommlnsO-Kirchhof, 2. Aufl., § 130 Rn. 35).

14

Die Beklagte hatte konkrete Kenntnis nur von ihren eigenen Forderungen. Die Nichtzahlung gegenüber einem einzigen Gläubiger kann für eine Zahlungsunfähigkeit ausreichen, wenn dessen Forderung von insgesamt nicht unerheblicher Höhe ist (BGH v. 20. November 2001 - IX ZR 48/01, NJW 2002, 515). Es genügt deshalb, wenn der Gläubiger vor oder bei dem Empfang der angefochtenen Leistung seine Ansprüche vergeblich eingefordert hat sowie weiß, dass diese verhältnismäßig hoch sind, und wenn der Gläubiger keine greifbare Grundlage für eine Erwartung hat, dass der Schuldner genügend flüssige Geldmittel erhalten wird, um die Forderung spätestens drei Wochen nach Fälligkeit erfüllen zu können (MünchKommlnsO-Kirchhof a.a.O.).

15

Danach waren der Beklagten bis zum 27. Juli 2005 Umstände bekannt, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin schließen ließen. Deren Geschäftsführer hatte nämlich am 8. Juli 2005 dem Mitarbeiter des von der Klägerin beauftragten Inkassobüros erklärt, die Schuldnerin sei nicht in der Lage, die fällige Forderung der Beklagten über 63.288,70 EUR zu erfüllen, die auch für ein Tiefbauunternehmen wie die Schuldnerin verhältnismäßig hoch war. Das ist unstreitig, denn die Beklagte bestreitet nur die von der Klägerin gar nicht aufgestellte Behauptung, der Geschäftsführer der Schuldnerin habe erklärt, die Schuldnerin sei zahlungsunfähig. Soweit der Geschäftsführer auf zu erwartende Zahlungen der Stadt Xxx wiesen haben soll, ändert das nichts an den zwingenden Indizien für die Zahlungsunfähigkeit. Die Beklagte trägt nichts dazu vor, dass der Geschäftsführer irgendwelche konkreten Angaben dazu gemacht hat, wann, in welcher Höhe derartige Zahlungen anstanden.

16

Allerdings kann eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit wieder entfallen, wenn hinsichtlich der einzigen Forderung, die die Zahlungsunfähigkeit begründet, ein Stillhalteabkommen getroffen wird (BGH v. 20. Dezember 2007- IX ZR 93/06, ZIP 2008, 420). Der entsprechende Gläubiger, der nur diese seine eigene Forderung kennt, kann deshalb irrtümlich annehmen, die ursprünglich eingetretene ihm bekannt gewordene Zahlungsunfähigkeit sei wieder entfallen. Ob ihm das hilft, kann offen bleiben (vgl. dazu BGH, Urteil vom 20. November 2001 - IX ZR 48/01, zit. nach [...], Rn. 38). Denn im vorliegenden Fall konnte die Beklagte nicht davon ausgehen, dass mit der getroffenen Ratenzahlungsvereinbarung die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin wieder beseitigt worden sei. Angesichts der Gesamtumstände gab es keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Schuldnerin ihre Zahlungen allgemein wieder aufnahm. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Schuldnerin ein gewerbliches Bauunternehmen betrieb. Jedenfalls unter Heranziehung der nachfolgend dargestellten weiteren Umstände musste die Beklagte deshalb nach der Lebenserfahrung davon ausgehen, dass außer ihr noch weitere Gläubiger vorhanden waren (vgl. dazu auch BGH v. 20. November 2001 - IX ZR 48/01, zit. nach [...] Rn. 39; BGH v. 25. Oktober 2001 - IXZR 17/01, zit. nach [...] Rn. 34). Das Verhalten der Schuldnerin vor Abschluss des Stillhalteabkommens legte es nahe, dass weitere Gläubiger mit erheblichen fälligen Forderungen vertröstet wurden: Die Schuldnerin hatte mit Schreiben vom 2. Juni 2005 Schuldnerin vorgeschlagen, die Forderung von 63.288,70 EUR in drei Raten - 20.000,00 EUR am 17. Juni 2005, 20.000,00 EUR am 24. Juli 2005 und 23.288,70 EUR am 4. Juli 2005 - auszugleichen (Bl. 24 d.A.). Zahlungen erfolgten allerdings nicht. Die Beklagte schrieb, wie ihr Geschäftsführer in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, wöchentliche Mahnungen an die Schuldnerin. Die Schuldnerin vertröstete die Beklagte in mehreren mit der Buchhaltung der Beklagten geführten Telefongesprächen (Bl. 178 d.A.). Auch nach Abschluss des Stillhalteabkommens zahlte die Schuldnerin bereits die erste Rate nicht - wie vereinbart - sofort, sondern mit fast dreiwöchiger Verspätung.

17

2.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1,708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

18

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, § 543 Abs. 2 ZPO.

Dr. Knoke
Bormann
Rieke