Verwaltungsgericht Braunschweig
v. 04.01.2006, Az.: 3 A 122/05
angemessener Umfang; anrechenbares Einkommen; Eckregelsatz; Einkommensgrenze; Familienzuschlag; Grundbetrag; Hartz IV Empfänger; Kindergarten; Kindergartenbeitrag; Kostenübernahme; Kraftfahrzeugversicherung; Krankenzusatzversicherung; Rate; Ratenkauf; Tageseinrichtung; Teilnahmebeitrag; Unterkunftsbedarf; Unterkunftskosten; Zahnzusatzversicherung; zumutbare Belastung; Übernahme
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 04.01.2006
- Aktenzeichen
- 3 A 122/05
- Entscheidungsform
- Gerichtsbescheid
- Referenz
- WKRS 2006, 53170
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 85 Abs 2 SGB 7
- § 87 SGB 7
- § 88 SGB 7
- § 90 Abs 4 SGB 8
- § 20 Abs 2 KTagStG RP
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Beklagte während des Klageverfahrens einen Kindergartenbeitrag in Höhe von 20,68 EUR monatlich übernommen hat.
Der Beklagte wird verpflichtet, für den Zeitraum von August 2005 bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung einen weiteren monatlichen Kindergartenbeitrag für den Besuch der Tochter Marie der Kläger im Kindergarten „D.“ in Höhe von 36,28 EUR zu übernehmen.
Der Bescheid des Beklagten vom 09.08.2005 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens zu 1/3, der Beklagte zu 2/3.
Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.
Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger und der Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
I. Die Kläger begehren die Übernahme von Kindergartenbeiträgen für das Kindergartenjahr 2005/2006.
Ihre Tochter besucht seit 01.02.2005 einen Kindergarten. Dafür fallen monatliche Kindergartenbeiträge von 86,00 EUR an. Mit Bescheid vom 31.03.2005 übernahm der Beklagte die Kindergartenbeiträge für die Zeit vom 01.04. bis 31.07.2005 auf der Grundlage von § 90 SGB VIII i. V. m. §§ 82-85, 87 und 88 SGB XII. Bei der Berechnung wurde zugrunde gelegt, dass die Kläger und ihre Tochter über Einkommen in der Form von Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld in Höhe von 1.423,45 EUR und 154,00 EUR Kindergeld monatlich verfügen.
Auf den am 03.08.2005 gestellten Antrag zur Übernahme der Kindergartenbeiträge für das Kindergartenjahr 2005/2006 lehnte der Beklagte mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 09.08.2005 die Übernahme ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das zu berücksichtigende Einkommen die maßgebende Einkommensgrenze nach § 85 SGB XII um 100,45 EUR übersteige.
Dagegen haben die Kläger am 12.08.2005 Klage erhoben. Zur Begründung führen sie aus, ihr Einkommen habe sich seit Anfang des Jahres nicht verändert. Trotzdem würden die Kindergartenbeiträge nun nicht mehr übernommen. Sie seien Hartz IV-Empfänger und das Geld reiche nicht aus, um den Kindergartenbeitrag leisten zu können. Ihr Einkommen betrage 1.423,45 EUR Arbeitslosengeld II sowie 154,00 EUR Kindergeld. Davon seien monatlich 420,00 EUR Miete, 137,00 EUR Strom und Heizung, 5,46 EUR Hausratversicherung, 6,67 EUR Haftpflichtversicherung, 32,46 EUR Kraftfahrzeugversicherung, 2,95 EUR Zahnzusatzversicherung, 4,30 EUR private Krankenversicherung, 23,00 EUR E. Burgdorf Ratenzahlung sowie 34,54 EUR Ratenzahlung an Rechtsanwalt F. aus einem Kauf bei Real zu zahlen.
Die Kläger beantragen (sinngemäß),
den Bescheid des Beklagten vom 09.08.2005 aufzuheben und diesen zu verpflichten, die Kindergartenbeiträge für den Besuch ihrer Tochter Marie G. im Kindergarten „Harlekin“ zu übernehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt er aus, bei der Übernahme der Beiträge ab 01.04.2005 sei eine Berechnung aufgrund des § 90 Abs. 3 und 4 SGB VIII i. V. m. den §§ 82-85, 87 und 88 SGB XII erfolgt. Zwischenzeitlich sei zum 01.08.2005 § 20 Abs. 2 in das Niedersächsischen Gesetz über Tageseinrichtungen eingefügt worden. Danach sei für die Feststellung der zumutbaren Belastung nach § 90 Abs. 4 SGB VIII abweichend von § 85 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII ein Grundbetrag in Höhe von nur noch 83 v. H. des zweifachen Eckregelsatzes zu berücksichtigen. Dieser belaufe sich derzeit auf 573,00 EUR. Obwohl sich die Leistungen des SGB II an die Kläger und das Kindergeld nicht verändert hätten, ergebe sich daher nunmehr eine Überschreitung der Einkommensgrenze um 100,45 EUR.
Im Rahmen des Klageverfahrens hat der Beklagte die Beiträge für die Hausratversicherung (5,46 EUR), die Haftpflichtversicherung (6,67 EUR) sowie die Ratenzahlung für die IKK als berücksichtigungsfähig anerkannt und einen monatlichen Zuschuss zum Kindergartenbeitrag von 20,68 EUR bewilligt. Weitere Belastungen seien nicht anzuerkennen. Die monatlichen Abschläge für Strom seien durch die Grundfreibeträge abgedeckt. Die Abschläge für die Heizkosten gehörten nicht zu den Kosten der Unterkunft und seien damit nicht Bestandteil der Einkommensgrenze. Die Kosten hinsichtlich der Kraftfahrzeugversicherung seien nicht anzuerkennen, da die Kläger nicht erwerbstätig seien. Da eine Pflichtversicherung bestehe, könnten auch die Kosten für die Zahnzusatzversicherung und die private Krankenversicherung keine Berücksichtigung finden. Die Ratenzahlungen an Rechtsanwalt H. könnten mangels vorgelegter Unterlagen nicht nachvollzogen werden. Die noch verbleibenden Beiträge in Höhe von 65,32 EUR monatlich seien daher nicht zu übernehmen.
Hinsichtlich des erledigten Anteils haben die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der Beratung.
Entscheidungsgründe
II. Soweit der Beklagte im Klageverfahren einen anteiligen monatlichen Kindergartenbeitrag in Höhe von 20,68 EUR übernommen hat und die Beteiligten insoweit übereinstimmende Erledigungserklärungen abgegeben haben, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO analog einzustellen.
Im Übrigen entscheidet die Kammer im Wege des Gerichtsbescheides gemäß § 84 VwGO, da die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Die Beteiligten hatten Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen. Den Klägern steht gegenüber dem Beklagten ein Anspruch auf Übernahme eines anteiligen monatlichen Kindergartenbeitrages in Höhe von weiteren 36,28 EUR für den Zeitraum von August 2005 bis zur gerichtlichen Entscheidung, über den das Gericht lediglich entscheiden kann, zu.
Gemäß § 90 Abs. 3 SGB VIII soll bei der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen nach §§ 22, 24 SGB VIII der dafür geforderte Teilnahmebeitrag oder die Gebühr auf Antrag ganz oder teilweise erlassen oder vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden, wenn die Belastung den Eltern und dem Kind nicht zuzumuten ist. Für die Feststellung der zumutbaren Belastung gelten die §§ 82-85, 87, 88 SGB XII entsprechend, soweit nicht Landesrecht eine andere Regelung trifft (§ 90 Abs. 4 SGB VIII). Bei der Prüfung anhand der genannten entsprechend anwendbaren Vorschriften des SGB XII bzw. des Landesrechtes ist das anrechenbare Einkommen zu ermitteln und dieses einer speziellen Einkommensgrenze gegenüberzustellen.
Danach ist das anrechenbare monatliche Einkommen der Kläger unter Berücksichtigung von § 82 SGB XII wie folgt zu bestimmen:
Arbeitslosengeld II - Sozialgeld | 1.423,45 EUR |
Kindergeld | 154,00 EUR |
1.577,45 EUR |
Von dem so ermittelten Einkommen sind gemäß § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII die monatlichen Beiträge für die Hausratversicherung (5,46 EUR) und die Haftpflichtversicherung (6,67 EUR) - wie vom Beklagten im Klageverfahren zugestanden - abzusetzen. Das anrechenbare Einkommen der Kläger beläuft sich demnach auf 1.565,32 EUR monatlich.
Dieses Einkommen übersteigt die insoweit maßgebliche Einkommensgrenze, die gemäß § 85 Abs. 2 SGB XII i. V. m. § 20 Abs. 2 Nds. KiTaG zu ermitteln ist. Dabei ist der Beklagte zu Recht bei dem sog. Grundbetrag entgegen der früheren gesetzlichen Regelung des § 85 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB XII (Grundbetrag in Höhe des zweifachen Eckregelsatzes) nach dem zum 01.08.2005 eingefügten § 20 Abs. 2 Nds. KiTaG nur noch von einem Grundbetrag in Höhe von 83 % des zweifachen Eckregelsatzes ausgegangen. Diesem Grundbetrag sind für die Eltern als Kläger und das Kind jeweils Familienzuschläge in Höhe von 70 % des Eckregelsatzes hinzuzurechnen. Weiterhin sind im Rahmen der Einkommensgrenze die Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen, wobei die Kosten für Heizung und Strom nicht als Unterkunftsbedarf zu berücksichtigen sind, da sie aus dem Grundbetrag aufzubringen sind (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 29.11.1989 - 4 A 205/88 -, FEVS 42, 104 ff.). Dementsprechend ermittelt sich die Einkommensgrenze wie folgt:
Grundbetrag | 573,00 EUR |
Familienzuschlag Eltern | 242,00 EUR |
Familienzuschlag Kind | 242,00 EUR |
Unterkunftskosten | 420,00 EUR |
Einkommensgrenze | 1.477,00 EUR |
Damit übersteigt das monatliche Einkommen der Kläger die Einkommensgrenze um 88,32 EUR. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist dieses übersteigende Einkommen nicht insgesamt zur Begleichung des monatlichen Kindergartenbeitrages in Höhe von 86,00 EUR einzusetzen. Denn insoweit bestimmt § 90 Abs. 4 SGB VIII auch die entsprechende Geltung von § 87 SGB XII. „Entsprechend“ bedeutet in diesem Sinne, dass die Vorschriften des SGB XII anzuwenden sind, da die Vorschriften über die Einkommensermittlung und die Einkommensgrenzen des SGB XII auch für das Kinder- und Jugendhilferecht „passen“, da die Gewährung von Hilfe in besonderer Lebenslage (nach dem SGB XII) der Gewährung von Jugendhilfe, soweit es um den Einkommenseinsatz geht, rechtsähnlich ist (vgl. für die entsprechende Anwendung der Regelungen des BSHG OVG Lüneburg, Urt. v. 17.10.2000 - 12 L 1454/00 -, FEVS 52, 276 ff.). Insoweit bestimmt § 87 Abs. 1 SGB XII, dass die Aufbringung der Mittel, soweit das zu berücksichtigende Einkommen die Einkommensgrenze übersteigt, in angemessenem Umfang zuzumuten ist. Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei dem Tatbestandsmerkmal „in angemessenem Umfang“ handelt es sich um einen unbeschränkt gerichtlich überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.10.1989 - 5 C 30.86 -, FEVS 39, 93 ff.), der sich nach den Umständen des Einzelfalles bestimmt (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 09.07.1989 - 4 L 3511/97 -, recherchiert in Juris). Insofern ist die Ermittlung des angemessenen Umfangs des Einkommens gemäß § 87 Abs. 1 SGB XII durch - zunächst - die Berücksichtigung besonderer Belastungen und - sodann - eine weitere Reduzierung des verbleibenden Einkommens um einen prozentualen Abzug vorzunehmen (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 23.06.2000 - 4 M 1677/00 -, recherchiert in Juris unter Berufung auf das Bundesverwaltungsgericht, Urt. v. 26.10.1989, a. a. O.). Als besondere Belastungen sollen die finanziellen Verpflichtungen des Betroffenen und seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen Berücksichtigung finden, soweit sie angemessen sind und entweder vor Eintritt der Notlage eingegangen wurden oder aber während einer längeren Notlage nach allgemeiner Lebenserfahrung auftreten und nicht vermieden werden können.
Vor diesem Hintergrund sind nach Ansicht der Kammer bei Berücksichtigung der Beitragshöhe und der Lebensverhältnisse der Kläger die Beiträge für die Zusatzkrankenversicherung (4,30 EUR) und die Zahnzusatzversicherung (2,95 EUR) sowie die auf Seiten des Beklagten anerkannten Raten für die noch ausstehende Zahlung an die IKK (23,00 EUR) abzusetzen (vgl. Krahmer in LPK-BSHG: § 84 Rn. 7). Demgegenüber kommt die Berücksichtigung der Kosten für die Kraftfahrzeugversicherung nicht in Betracht, da die Notwendigkeit und damit Angemessenheit einer Kraftfahrzeughaltung bei den nicht erwerbstätigen Klägern nicht erkennbar ist (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 29.11.1989, a. a. O.). Auch in Bezug auf die Schuldverpflichtung aus einem Ratenkauf bei Real wurde die Vertretbarkeit trotz zweifacher Aufforderung seitens des Gerichtes nicht nachgewiesen. Dementsprechend überstieg das Einkommen der Kläger nach Abzug der oben genannten Belastungen (1.535,07 EUR) die maßgebliche Einkommensgrenze um 58,07 EUR. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Bedarf der Kläger auf Übernahme von Kindergartenbeiträgen noch längere Zeit dauern wird, hält die Kammer einen Einsatz des über der Einkommensgrenze liegenden Einkommens in Höhe von 50 %, d. h. in Höhe von 29,04 EUR monatlich, für im vorliegenden Verfahren angemessen (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 09.07.1998, a. a. O. und B. v. 30.03.1998 - 4 L 4768/97 - FEVS 49, 166 ). Da sich der Beklagte mit der Übernahme von 20,68 EUR monatlich bereits einverstanden erklärt hat, ist dieser daher zu verpflichten, bei einem Kindergartenbeitrag von 86,00 EUR monatlich weitere 36,28 EUR zu übernehmen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 09.08.2005 ist aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 161 Abs. 2, § 155 Abs. 1, § 188 Satz 2 VwGO.
Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 84, 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.