Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 23.06.2004, Az.: 1 A 409/00

Bestandskraft; Fortsetzungsfeststellungsklage; Neufestsetzung; Rechtsschutzinteresse; rückwirkende Neufestsetzung; Überholende Kausalität; überholender Verwaltungsakt

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
23.06.2004
Aktenzeichen
1 A 409/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50693
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Bei Erledigung von Ausgangsbescheiden durch überholende Verwaltungsakte fehlt es an einem Klagegegenstand sowie dem Rechtsschutzinteresse für eine Klage noch gegen die Ausgangsbescheide, wenn die überholenden Verwaltungsakte nicht durch Widerspruch angegriffen und daher bestandskräftig geworden sind.

2. Ein trotz Aufhebung von Ausgangsbescheiden noch ergehender Widerspruchsbescheid ist rechtswidrig.

Tatbestand:

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Die 1935 geborene Klägerin - pensionierte Beamtin auf Lebenszeit im Nds. Schuldienst / A 12 BBesO - erstrebt als Versorgungsempfänger und freiwilliges Mitglied der A. / Krankenversicherungsverein a.G. die Gewährung von Beihilfe.

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Im Mai 1999 beantragte sie unter Vorlage von entsprd. Rechnungen und Belegen die Gewährung einer Beihilfe, die jedoch seitens des beklagten Amtes mit Bescheid vom 21. Juli 1999 nur zu einem Teil gewährt wurde: So wurde die Arztrechnung vom 5. März 1999 nicht mit dem Rechnungsbetrag von 351,35 DM, sondern nur mit einem solchen von 186,16 DM als beihilfefähig anerkannt.

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Dagegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 17. August 1999 Widerspruch.

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Auf einen erneuten Beihilfeantrag vom Dezember 1999 erging der Bescheid vom 29. Dezember 1999, durch den entsprechende Aufwendungen wie zuvor (Rezept v. 16. November 1999 und Rechnung vom 25. November 2000) teilweise nicht als beihilfefähig anerkannt wurden. Dagegen erhob die Klägerin wiederum Widerspruch.

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Schließlich wurden die beiden Beihilfebescheide vom 21. Juli 1999 und vom 29. Dezember 1999 durch zwei geänderte und berichtigte Bescheide vom 6. September 2000 aufgehoben und ersetzt: Die Arztrechnung vom 5. März 1999 wurde nunmehr mit 207,14 DM als beihilfefähig anerkannt. Im weiteren Bescheid vom 6. September 2000 zu jenem vom 29. Dezember 1999 wurde die Rechnung vom 25. November 1999 mit einem Betrag von 330,37 DM anerkannt und das Rezept nunmehr in voller Höhe. Beide Bescheide vom 6. September 2000, die jeweils eine ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung enthielten, blieben unangefochten und wurden bestandskräftig.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 17. November 2000 wurden sodann die Widersprüche (vom 17. August 1999 und vom 1. Januar 2000) gegen die - durch die Bescheide vom 6. September 2000 - inzwischen aufgehobenen Bescheide vom 21. Juli 1999 und vom 29. Dezember 1999 zurückgewiesen.

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Am 18. Dezember 2000 hat die Klägerin mit der Begründung Klage erhoben, dem Beklagten fehle es an der erforderlichen Sachkunde dafür, ob eine naturärztliche Behandlung mit entsprechenden Präparaten, vor allem mit dem Präparat „Bioprotect“, im beihilferechtlichen Sinne notwendig sei. Es sei zu vermuten, dass es beim Beklagten ein Vorurteil gegen Naturärzte und zugunsten von Schulmedizinern gebe. Die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig und aufzuheben, soweit durch sie noch Beihilfeleistungen abgelehnt würden.

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Die Klägerin beantragt,

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1. die Beihilfebescheid des Beklagten vom 21. Juli 1999 und 29. Dezember 1999 in der Fassung der Abhilfebescheide vom 6. September 2000 sowie des Widerspruchsbescheides vom 17.11.2000 (zugestellt am 21. November 2000) aufzuheben

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2.den Beklagten dem Grunde nach zu verurteilen, die den angefochtenen Bescheiden zugrundeliegenden beantragten Leistungen in gesetzlicher voller Höhe zu gewähren.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er ist der Auffassung, er müsse sich nicht - wie die Klägerin meine - von einem naturärztlichen Sachverständigen beraten lassen. Er habe vielmehr die verfahrensrechtlichen Vorschriften des Beihilferechts beachtet und auf dieser Grundlage zutreffende Entscheidungen getroffen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat nur teilweise, nämlich hinsichtlich des Widerspruchsbescheides, Erfolg. Im Übrigen ist sie abzuweisen.

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1. Zunächst einmal fehlt es für die erhobene Versagungsgegenklage an unerledigten Ausgangsbescheiden als Klagegegenstand (§ 42 Abs. 1 VwGO). Die ursprünglichen Beihilfebescheide vom 21. Juli 1999 und vom 29. Dezember 1999 sind durch die Bescheide vom 6. September 2000 ganz ausdrücklich aufgehoben worden (vgl. jeweils Satz 1 der Bescheide), so dass es an „abgelehnten“ Verwaltungsakten fehlt (vgl. auch § 68 Abs. 2 VwGO), deren Erlass noch eingeklagt werden könnte. Da Ausgangsbescheid und Widerspruchsbescheid - auch bei Versagungsgegenklagen bzw. Verpflichtungsklagen - grundsätzlich als Einheit betrachtet werden (§ 79 VwGO analog), ist hier ein Klagegegenstand nicht gegeben. Die ursprünglichen Ausgangsbescheide haben sich durch „überholende Verwaltungsakte“ - die Bescheide vom 6. September 2000 - erledigt (Kopp/Schenke, VwGO-Kommentar, 13. Auflage, § 113 Rdn. 103).

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2. Auch unter dem Gesichtspunkt einer Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, die bei „überholender Kausalität“ in Betracht käme, jedoch von der Klägerin hier nicht erhoben worden ist, fehlte es an der weiteren Voraussetzung eines Feststellungsinteresses, da der Beklagte die ursprünglichen Ausgangsbescheide aufgehoben, deren Rechtswidrigkeit auf diese Weise anerkannt und durch die Neufestsetzungen vom 6. September 2000 ersetzt hat, die die Klägerin dann allerdings nicht mehr angegriffen hat. Ein Feststellungsinteresse - mit den Besonderheiten beim beanspruchten Rechtsschutz gegen Verwaltungsakte - wäre nicht gegeben.

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3. Weiterhin fehlt es der Klägerin im vorliegenden Verfahren an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse: Bereits vor Erhebung ihrer Klage war durch die im Oktober 2000 bestandskräftig gewordenen Bescheide vom 6. September 2000 klar gestellt, dass die Neufestsetzungen der Beihilfe Geltung beanspruchen konnten und von der Klägerin nicht mehr in Frage gestellt wurden. Andernfalls hätte sie gegen diese Bescheide Widerspruch einlegen können und müssen, was sie jedoch nicht getan hat. Damit ist davon auszugehen, dass sie diese Bescheide inhaltlich akzeptiert hat und sich durch sie nicht mehr beschwert fühlte. Wenn sie dann - nach Ergehen des Widerspruchsbescheides vom 17. November 2000 - doch noch Klage erhoben hat, so hat sie sich damit in Widerspruch zu ihrem eigenen vorangehenden Verhalten gesetzt, was sich als venire contra factum proprium darstellt. Die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes ist unter diesen Umständen widersprüchlich und missbräuchlich.

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Im Übrigen stellt sich der mit der vorliegenden Klage - auf die aufgehobenen Bescheide vom 21. Juli 1999 und vom 29. Dezember 1999 - abzielende Rechtsschutz als nutzlos dar, weil an der eingetretenen Bestandskraft der Neufestsetzungsbescheide vom 6. September 2000 nicht mehr vorbei gegangen werden kann. Diese Bestandskraft ist im vorliegenden Klageverfahren beachtlich und nicht auszuräumen.

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4. Der Klageweg ist durch den Widerspruchsbescheid vom 17. November 2000 auch nicht insgesamt - wie die Klägerin wohl meint - wieder eröffnet worden, vor allem nicht hinsichtlich der beiden bestandskräftigen Änderungsbescheide vom 6. September 2000. Denn der Widerspruchsbescheid eröffnet lt. Rechtsmittelbelehrung den Rechtsweg ausdrücklich nur insoweit, als es um die „Beihilfebescheide vom 21.07.99 und 29.12.99“ geht - in Kenntnis dessen, dass den Widersprüchen inzwischen „mit Beihilfebescheiden vom 06.09.00 stattgegeben“ wurde (S. 1 des Widerspruchsbescheides). Damit sind die bestandskräftigen Änderungsbescheide in das vorliegende Klageverfahren gerade nicht einbezogen worden, also auch nicht Streitgegenstand. Die genannten Ausgangsbescheide sind indessen durch die bestandskräftig gewordenen Bescheide vom 6. September 2000 ganz ausdrücklich aufgehoben worden, existieren nicht mehr und können auch nicht mehr Gegenstand einer Klage sein.

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Aus diesem Grunde und auch deshalb, weil über die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen, die mit den entsprd. Arztrechnungen geltend gemacht worden waren, schon durch die beiden Bescheide vom 6. September 2000 bestandskräftig entschieden worden ist, muss der (isolierte) Widerspruchsbescheid als rechtswidrig bewertet werden. Er allein kann von der Klägerin noch angefochten werden und unterliegt der Aufhebung. Die Sache selbst ist durch die Bescheide vom 6. September 2000 bestandskräftig entschieden, ohne dass sich die Klägerin dagegen etwa noch gewandt hätte.

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Hiergegen kann die Klägerin nicht einwenden, die Änderungsbescheide vom 6. September 2000 hätten die ursprünglichen Ausgangsbescheide nur „modifiziert“, die Beschwer sei durch die „Neufestsetzung der Beihilfe“ (so die Überschrift der Bescheide) nicht entfallen, zumal keine (neue) zusätzliche Beschwer gesetzt worden sei, die dann noch hätte angefochten werden müssen. Durch die Bescheide vom 6. September 2000 sind die ursprünglichen Bescheide vielmehr erheblich abgeändert, vor allem aufgehoben und ersetzt worden. Sie enthalten auch die übliche Rechtsmittelbelehrung. Damit sind sie mit neuem Inhalt an die Stelle der Ausgangsbescheide getreten. Die Klägerin hatte die Möglichkeit, gegen diese neuen Bescheide Widerspruch zu erheben, was sie aber nicht getan hat.

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5. Der Widerspruchsbescheid ist rechtswidrig, weil durch ihn der Klageweg nach Ansicht des Beklagten bezüglich solcher Bescheide eröffnet werden soll, die bereits aufgehoben worden waren und gar nicht mehr existieren. Klagegegenstand sind jedoch regelmäßig die Ausgangsbescheide (in der Fassung des Widerspruchsbescheides), § 79 VwGO analog. Existieren keine Ausgangsbescheide mehr, da sie bestandskräftig aufgehoben worden sind, so fehlt es an einem geeigneten Klagegegenstand. Es liegt eine Erledigung noch vor Klageerhebung vor.

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Im Übrigen ist der Widerspruchsbescheid auch deshalb rechtswidrig, weil einer Sachentscheidung die bestandskräftig gewordenen Bescheide vom 6. September 2000 entgegen stehen, hinsichtlich derer auch der Widerspruchsbescheid nicht etwa - wie die Rechtsmittelbelehrung zeigt - eine (neue) Klagemöglichkeit eröffnen wollte. Es sollte bei den Bescheiden vom 6. September 2000 ausdrücklich sein Bewenden haben. Deren Bestandskraft allerdings hinderte die Widerspruchsbehörde an einer Befassung mit den dort geregelten Fragen, die bereits verbindlich und für die Verfahrensbeteiligten endgültig durch die gen. Änderungsbescheide entschieden waren.

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Schließlich hatte die Klägerin im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides bereits ihr Widerspruchsrecht - abgesehen davon, dass es hinsichtlich der ausdrücklich aufgehobenen Ausgangsbescheide inzwischen ins Leere ging - verwirkt. Sie war gegen die im Oktober 2000 bestandskräftig gewordenen Bescheide vom 6. September 2000 nicht mehr vorgegangen. Es stellte sich als Verstoß gegen Treu und Glauben dar, noch im November ein Widerspruchsrecht für sich in Anspruch zu nehmen, das zuvor schon durch entsprechendes Verhalten - Unterlassen eines Widerspruchs gegen die Bescheide vom 6. September 2000 - erloschen war. Die Zulässigkeit des Widerspruchs war bei Erlass des Widerspruchsbescheides im November 2000 daher nicht mehr gegeben.

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6. Aber auch in der Sache - von der Bestandskraft der Bescheide vom 6. September 2000 abgesehen - hätte die Klage keinen Erfolg gehabt.

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Die Klägerin hat nämlich keinen Anspruch darauf, dass sich das beklagte Amt gerade von einem naturärztlichen Sachverständigen beraten lässt. Hierüber entscheidet gem. § 5 Abs. 1 Satz 4 BhV allein der Beklagte, der einen Amts- oder Vertrauensarzt zuziehen kann. Vorliegend ist ein Amtsarzt des Landkreises A. zugezogen worden, der zur Beihilfefähigkeit mit seinem Gutachten vom 19. April 2000 Stellung genommen hat. Darauf wird Bezug genommen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens, so wie die Klägerin es für nötig befindet, ist bei der vorliegenden Fallgestaltung nicht angezeigt. Von einer „massiven Voreingenommenheit“ des Amtsarztes kann hier keine Rede sein.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO, wobei davon auszugehen ist, dass der Beklagte nur zu einem geringen Teil unterlegen ist. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Berufung sind nicht gegeben, §§ 124 a Abs. 1 S. 1 iVm 124 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 VwGO.