Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 09.06.2004, Az.: 5 A 69/03

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
09.06.2004
Aktenzeichen
5 A 69/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 43307
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2004:0609.5A69.03.0A

In der Verwaltungsrechtssache

...

Streitgegenstand: Austritt aus der SG Tostedt,

hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 5. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juni 2004 durch ...

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Klage wird abgewiesen.

    Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt ihren Austritt aus der beklagten Samtgemeinde.

2

In dem vorangegangenen Klageverfahren 5 A 243/02 hat die Klägerin erfolglos um die Feststellung gestritten, dass sie ab dem 1. Juli 2002 nicht mehr Mitglied in der Samtgemeinde Tostedt ist (vgl. Urteil der Kammer vom 12.2.2003; Beschluss des Nds. OVG vom 5.3.2004 -10 LA 49/03 -). Der Rat der Klägerin beschloss in seiner Sitzung am 4. Februar 2002 den Austritt aus der Beklagten. Mit Schreiben vom 12. Februar 2002 bat die Klägerin die Beklagte, die entsprechende Änderung ihrer Hauptsatzung herbeizuführen. Der Rat der Beklagten lehnte den Antrag in seiner Sitzung vom 15. Oktober 2002 ab und die Beklagte teilte dies der Klägerin mit Schreiben vom 13. Februar 2003 mit.

3

Die Klägerin legte dagegen Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. April 2003 auf der Grundlage eines dahin gehenden Ratsbeschlusses vom 2. April 2003 zurück wies. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass Gründe des öffentlichen Wohls gegen die beantragte Satzungsänderung und gegen ein Ausscheiden der Klägerin aus der Samtgemeinde sprächen. Die Klägerin habe nicht die erforderliche Finanz- und Verwaltungskraft, um als eigenständige Gemeinde die zu erwartenden Pflichtaufgaben erfüllen zu können.

4

Die Klägerin hat am 28. Mai 2003 Klage erhoben, mit der sie geltend macht, dass die ablehnende Entscheidung der Beklagten ermessensfehlerhaft sei.

5

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2003 aufzuheben.

6

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Sie hält die Ablehnung des Begehrens der Klägerin für rechtmäßig.

8

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten 5 A 243/02 und 5 A 69/03 sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

9

Die Klage ist unzulässig.

10

Die Klägerin hat sich auf eine Anfechtung des ablehnenden Bescheids der Beklagten vom 13. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. April 2003 beschränkt. Eine (isolierte) Anfechtungsklage ist vorliegend aber nicht statthaft, weil sie dem Begehren der Klägerin in der Sache nicht entspricht. Die Klägerin streitet um eine Änderung der Hauptsatzung der Beklagten, durch die ihr Ausscheiden aus der Beklagten ermöglicht werden soll. Mit einer Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 13. Februar 2003 ist ihr (allein) nicht geholfen, weil der Bescheid über die Ablehnung des Antrags vom 12. Februar 2002 hinaus keine rechtliche Wirkung hat (vgl. auch Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 42 Rn 30; Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/v. Albedyll, VwGO, § 42 Rn 32). Richtige Klageart wäre deshalb die Verpflichtungsklage bzw. Bescheidungsklage mit dem Ziel, die Beklagte zur erneuten Bescheidung des Antrags vom 12. Februar 2002 zu verpflichten. Die Klägerin hat einen dahin gehenden Klageantrag ausdrücklich nicht stellen wollen, obwohl die Frage der Klageart in der mündlichen Verhandlung erörtert worden ist.

11

Die Klage ist im Übrigen auch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2003 ist rechtmäßig.

12

Das Ausscheiden von Mitgliedsgemeinden aus der Samtgemeinde ist in § 77 NGO geregelt. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift ist eine Änderung der Hauptsatzung, durch die eine Mitgliedsgemeinde aus der Samtgemeinde ausscheidet, nur zulässig, wenn diese Gemeinde einverstanden ist und Gründe des öffentlichen Wohls nicht entgegen stehen. Durch das Erfordernis, das Ausscheiden davon abhängig zu machen, dass Gründe des öffentlichen Wohls nicht entgegen stehen, wird das Selbstverwaltungsrecht der ausscheidungswilligen Mitgliedsgemeinde in verfassungsrechtlich zulässiger Weise eingeschränkt. Art. 28 Abs. 2 GG gewährleistet kein einseitiges Recht auf den Austritt aus einer Samtgemeinde (BVerwG, Beschluss v. 23.1.1985, NVwZ 1985, 823; OVG Lüneburg, Urteil v. 3.7.1984, dng 1985, 302; Urteil der Kammer v. 12.2.2003 - 5 A 243/02 -; Thiele, NGO, 5. Aufl., Erl. zu § 77, Weißhaar, Allg. Kommunalrecht in Niedersachsen, 3. Aufl., S. 283 f). Die Gründe des "öffentlichen Wohls" stellen einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, der der Rechtmäßigkeitskontrolle durch die Kommunalaufsicht und das Verwaltungsgericht unterliegt. Dabei kommt es nicht allein auf das Wohl der ausscheidungswilligen Gemeinde an, sondern auf die Auswirkungen des Ausscheidens auf alle Beteiligten (OVG Lüneburg, Urteil v. 3.7.1984, a.a.O.).

13

Die Beklagte hat ihre ablehnende Entscheidung darauf gestützt, dass die Umstände, die zur Bildung der Samtgemeinde geführt haben, sich aus ihrer Sicht nicht verändert haben, und dass die Bildung einer eigenständigen Gemeinde Otter wegen ihrer fehlenden Finanz- und Verwaltungskraft nicht dem öffentlichen Wohl entspreche. Die Begründung hält einer rechtlichen Überprüfung stand. Sie ist zwar nur knapp gehalten, lässt die wesentlichen Gesichtspunkte für die Entscheidung der Beklagten jedoch erkennen. Die Klägerin ist der Begründung nicht hinreichend entgegen getreten. Sie hat die Ausführungen der Beklagten nur pauschal für unzureichend erachtet, ohne selbst durch eigenen Sachvortrag darzulegen, dass die Voraussetzungen des § 77 Abs. 1 NGO vorliegen und ihr Ausscheiden aus der Beklagten mit dem öffentlichen Wohl vereinbar ist. Dem Leitbild der Samtgemeinde entsprechend ist davon auszugehen, dass die Beklagte zur Stützung der Verwaltungskraft gebildet worden ist (vgl. § 71 Abs.1 Satz 1 NGO). Die Klägerin hat nicht dargelegt, ob und wie sie selbst die Finanz- und Verwaltungskraft aufbringen kann, um als eigenständige Gemeinde die Aufgaben zu erfüllen, die ihr bei einem Ausscheiden aus der Beklagten zufallen würden wie etwa die in § 72 NGO genannten, bisher von der Beklagten erfüllten Aufgaben des eigenen Wirkungskreises. Es ist Sache der Klägerin und nicht der Beklagten, ein tragfähiges und im Ergebnis überzeugendes Konzept zu entwickeln und vorzustellen, auf dessen Grundlage das Entgegenstehen von Gründen des öffentlichen Wohls im Sinne von § 77 Abs. 1 NGO auszuschließen ist. Wie sich in den vorangegangenen Klageverfahren 5 A 65/00 und 5 A 243/02 gezeigt und die Klägerin auch in ihrem Antrag vorn 12. Februar 2002 zum Ausdruck gebracht hat, hat die Klägerin vor allem im Bereich der Abwasserentsorgung, die bereits mit der Hauptsatzung vom 10. Februar 1971 auf die Beklagte übertragen worden ist, andere Vorstellungen als die Beklagte entwickelt. Mit der in diesem Zusammenhang geäußerten Kritik kann es aber nicht sein Bewenden haben. Die für ein Ausscheiden aus der Beklagten erforderliche Finanz- und Verwaltungskraft wird dadurch nicht belegt.

14

Ob das Ausscheiden der Klägerin zu einer nicht hinnehmbaren Schwächung der übrigen Mitgliedsgemeinden führen würde, kann unter den gegebenen Umständen dahinstehen.

15

Soweit die Klägerin im Anschluss an das vorangegangene Klageverfahren 5 A 243/02 erneut das Bestehen einer wirksamen Hauptsatzung der Beklagten bezweifelt hat, wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf das Urteil der Kammer vom 12. Februar 2003 und den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 5. März 2004 (10 LA 49/03) Bezug genommen. Im vorliegenden Verfahren haben sich keine neuen Gesichtspunkte für eine Entscheidung im Sinne der Klägerin ergeben.

16

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

17

Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO liegen nicht vor.

Streitwertbeschluss:

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 20.000,— EUR festgesetzt.