Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 12.02.2013, Az.: L 1 KR 442/12 B ER
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 12.02.2013
- Aktenzeichen
- L 1 KR 442/12 B ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 36331
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2013:0212.L1KR442.12B.ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 03.08.2012 - AZ: S 64 R 630/12 ER
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 3. August 2012 geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2012 wird angeordnet, soweit die Antragsgegnerin Nachforderungen für den Zeitraum vom 1. März 2007 bis 31. Dezember 2007 in Höhe von 2.114,10 EUR geltend macht.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt und die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Beteiligten tragen die Kosten des Verfahrens aus beiden Rechtszügen jeweils zur Hälfte.
Der Streitwert wird auf 2.110,40 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Herstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. Mai 2012. Streitig ist eine Nachforderung aufgrund einer Betriebsprüfung.
Die Antragstellerin betreibt eine Personaldienstleistungsagentur und überlässt Arbeitnehmer an andere Unternehmen auf Basis des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG). In der Vergangenheit beschäftigte sie Arbeitnehmer auf der Grundlage von mit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalservice-Agenturen (CGZP) geschlossenen Tarifverträgen. Dabei zahlte sie den anderen Unternehmen überlassenen Arbeitnehmern geringere Löhne, als die nach ihrer Tätigkeit vergleichbaren Stammmitarbeiter in den entleihenden Unternehmen erhielten.
Im März 2012 fand bei der Antragstellerin eine Betriebsprüfung über den Zeitraum vom 1. März 2007 bis zum 31. Dezember 2009 statt. Nach Anhörung der Antragstellerin forderte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 16. Mai 2012 Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 4.220,80 EUR nach. Zur Begründung führte sie aus, für den Bereich der Arbeitnehmerüberlassung seien die Grundsätze "equal pay" (gleicher Lohn für gleiche Arbeit) und "equal treatment" (gleiche Arbeitsbedingungen) in § 10 Abs. 4 AÜG gesetzlich verankert. Insbesondere die Entlohnung der Leiharbeitnehmer richte sich nach dem, was auch für die Stammbelegschaft des Entleihers gelte. Das AÜG sehe jedoch eine Ausnahme vor. Existiere ein Tarifvertrag, der die Entlohnung der Leiharbeitnehmer regele, könne vom Gleichbehandlungsgrundsatz auch zum Nachteil des Leiharbeitnehmers abgewichen werden (§ 9 Nr. 2 AÜG). Dies gelte nicht nur dann, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer tarifgebunden seien, sondern auch, wenn in Arbeitsverträgen die Geltung von Tarifverträgen vereinbart werde. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) habe am 14. Dezember 2010 die Tarifunfähigkeit der CGZP bestätigt. Dies habe die Unwirksamkeit der von ihr geschlossenen Tarifverträge zur Folge. Der Leiharbeitnehmer, der auf Basis eines CGZP-Tarifvertrages beschäftigt sei oder gewesen sei, könne vom Verleiher den Lohn beanspruchen, der im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer gezahlt werde. Die Beitragsansprüche der Versicherungsträger entstünden nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV), sobald ihre im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorlägen. Bemessungsgrundlage für den Beitragsanspruch sei deswegen nicht das vom Arbeitgeber tatsächlich gezahlte, sondern das von ihm geschuldete Arbeitsentgelt. Unerheblich sei, ob der Arbeitnehmer den ihm zustehenden - höheren - Arbeitsentgeltanspruch gegenüber dem Arbeitgeber auch geltend mache.
Hiergegen legte die Antragstellerin mit am 19. Juni 2012 bei der Antragsgegnerin eingegangenen Schriftsatz vom 18. Juni 2012 Widerspruch ein. Einen parallel dazu auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung des Bescheides gerichteten Antrag lehnte die Antragsgegnerin ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 31. Oktober 2012 hat die Antragsgegnerin den Widerspruch zurückgewiesen. Das Sozialgericht (SG) Hannover hat über die dagegen rechtshängig gemachte Klage (S 64 R 1186/12) bisher nicht entschieden.
Die Antragstellerin hat am 10. Juli 2012 beim SG Hannover außerdem einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (des Widerspruchs) gestellt und vorgetragen, die rückwirkende Tarifunfähigkeit der CGZP sei höchstrichterlich noch nicht geklärt. Die rückwirkende Anwendung des equal-pay-Gebotes entziehe dem Arbeitgeber nachträglich seine gesamte Geschäftsgrundlage, weil sein Gewinn vollständig abgeschöpft werde. Es sei zweifelhaft, ob dies mit der Berufsfreiheit des Art. 12 Grundgesetz (GG) vereinbar sei und ob nicht Vertrauensschutzaspekte zu berücksichtigen seien. Die im Jahre 2010 vom Bundesarbeitsgericht (BAG) getroffene Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP wirke nur für die Zukunft. Das BAG habe seinerzeit im Rahmen einer Abwägung geprüft, ob wesentliche Rückabwicklungsanstrengungen zu unternehmen wären, und damit Überlegungen zum Vertrauensschutz durchaus ermöglicht. Auch die Anwendbarkeit des Entstehungsprinzips sei zweifelhaft. Es handele sich um "Phantombeträge", weil die zugrundeliegenden Löhne in dieser Höhe nie gezahlt worden seien. Die Berechnung der Nachverbeitragung werde nicht in Frage gestellt. Ein finanzieller Härtefall liege nicht vor.
Das SG Hannover hat den Antrag mit Beschluss vom 3 August 2012 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, es ergäben sich bei summarischer Prüfung keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Beitragsbescheides. Im Beitragsrecht der Sozialversicherung gelte für das laufende Arbeitsentgelt das Entstehungsprinzip. Die Beitragsansprüche der Versicherungsträger entstünden, sobald ihre Voraussetzungen vorlägen. Bemessungsgrundlage für den Beitragsanspruch sei deswegen nicht das vom Arbeitgeber tatsächlich gezahlte, sonder das von ihm geschuldete Entgelt. Das BAG habe in zwei Entscheidungen die Tarifunfähigkeit der CGZP festgestellt. Der Vollzug des Bescheides stelle auch keine unangemessene Härte für die Antragstellerin dar.
Die Antragstellerin hat gegen den ihr am 7. August 2012 zugestellten Beschluss mit am 7. September 2012 eingegangenen Schriftsatz vom 4. September 2012 Beschwerde erhoben. Sie wiederholt und vertieft ihr vorangegangenes Vorbringen.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 3. August 2012 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2012 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II. Die statthafte Beschwerde der Antragstellerin ist form- und fristgerecht erhoben und damit zulässig. Sie ist auch teilweise begründet.
Dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2012 ist für die Monate von März bis Dezember 2007 zu entsprechen. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet.
Nach § 86 a Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) haben Widerspruch und Klage gegen Entscheidungen über Versicherungs- und Beitragspflichten sowie die Anforderung von Beiträgen keine aufschiebende Wirkung. Diese Regelung dient der Funktionsfähigkeit der Leistungsträger der Sozialversicherung (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 21.09.2010, Az.: L 1 KR 451/10 B ER - m. w. N.). Das Gericht der Hauptsache kann allerdings in einem solchen Fall gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Bei dieser Entscheidung hat eine Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen stattzufinden. Dabei steht eine Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage zunächst im Vordergrund. Zu berücksichtigen ist hierbei die in § 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG enthaltene Wertung. Die aufschiebende Wirkung ist somit anzuordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn andernfalls eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte für den Antragsteller einträte. Sind die Erfolgsaussichten nicht absehbar, sind die für und gegen eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen.
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien bestehen nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung seitens des Senats keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 16. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2012, soweit die Antragsgegnerin damit Beiträge zur Sozialversicherung für die Zeit ab 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2009 (in Höhe von 2.106,70 EUR) nachfordert.
Zweifel im Sinne des § 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG liegen vor, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs deutlich wahrscheinlicher ist als ein möglicher Misserfolg (vgl. etwa Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.03.2005, Az.: L 3 B 1/05 R ER). Eine unbillige Härte liegt vor, wenn dem Betroffenen durch die Vollziehung Nachteile entstehen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und nicht oder nur schwer wieder gutgemacht werden können (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 86 a Rn. 27 b).
Beides ist nach summarischer Prüfung nicht der Fall.
Ermächtigungsgrundlage für die Nachforderung ist § 28 p Abs. 1 Satz 5 SGB IV. Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe der Arbeitnehmer in der Sozialversicherung gegenüber den Arbeitgebern.
Es bestehen keine überwiegenden Zweifel daran, dass die Antragstellerin dem Grunde nach verpflichtet ist, für die von ihr verliehenen Arbeitnehmer höhere als die bislang entrichteten Beiträge abzuführen.
Nach § 28 e Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag, d. h. die für einen versicherungspflichtigen Beschäftigten zu zahlenden Beiträge zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung (§ 28 d Satz 1 und 2 SGB IV), zu entrichten. Bei versicherungspflichtig Beschäftigten wird der Beitragsbemessung in allen Zweigen der Sozialversicherung das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung zugrunde gelegt (§ 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V - i. V. m. § 57 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - SGB XI -, § 162 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI -, § 342 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - SGB III). Auch für den Bereich der Unfallversicherung ergibt sich die Höhe der von den Arbeitgebern zu tragenden Beiträge unter anderem aus den zu berücksichtigenden Arbeitsentgelten (§ 167 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - SGB VII). Arbeitsentgelt sind nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.
Die von der Antragstellerin auf dieser Grundlage zu entrichtenden Beiträge sind nach dem Arbeitsentgelt zu berechnen, das vergleichbaren Arbeitnehmern in den Betrieben der jeweiligen Entleiher gezahlt wurde (sog. equal-pay-Prinzip). Diese Rechtsfolge tritt nach § 10 Abs. 4 AÜG (in der hier anzuwendenden, bis zum 29.04.2011 geltenden Fassung) ein, wenn der Verleiher, hier die Antragstellerin, mit den Leiharbeitnehmern eine nach § 9 Nr. 2 AÜG unwirksame Vereinbarung geschlossen hatte.
Nach § 9 Nr. 2 AÜG konnte ein Tarifvertrag vom equal-pay-Prinzip abweichende Regelungen zulassen. Zudem konnten im Geltungsbereich eines Tarifvertrages nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren. Von dieser Möglichkeit haben die Antragstellerin und ihre Arbeitnehmer Gebrauch gemacht, indem sie in ihren Arbeitsverträgen auf die zwischen der CGZP und dem AMP geschlossenen Tarifverträge verwiesen haben. Diese Vereinbarung war jedoch unwirksam.
§ 9 Nr. 2 AÜG setzt für den Fall einer Tarifbindung der Arbeitsvertragsparteien einen wirksamen Tarifvertrag voraus. Dies gilt auch, wenn die Anwendung der tariflichen Regelungen arbeitsvertraglich vereinbart wird. Dafür sprechen der Wortlaut ("Geltungsbereich"), aber auch der Charakter der Vorschrift als Ausnahmeregelung zum equal-pay-Prinzip (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 10.05.2012; Az.: L 8 R 164/12 B ER, m. w. N.).
Die Unwirksamkeit der genannten Tarifverträge folgt daraus, dass die CGZP im Streitzeitraum weder eine tariffähige Arbeitnehmervereinigung im Sinne des § 2 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz (TVG) noch eine tariffähige Spitzenorganisation im Sinne von § 2 Abs. 2 und 3 TVG war. Das ergibt sich aus den Beschlüssen des BAG vom 14.12.2010 (1 ABR 19/10) und vom 23.05.2012 (Az.: 1 AZB 58/11). Im erstgenannten Beschluss hat das BAG zwar noch ausgeführt, es habe lediglich gegenwartsbezogen über die Tariffähigkeit der CGZP zu entscheiden. Am 23.05.2012 hat das Gericht jedoch festgestellt, dass die CGZP auch im Zeitraum von 2002 bis zum 07.10.2009 nicht tariffähig war. Aus einer Zusammenschau dieser beiden Entscheidungen ergibt sich nach Auffassung des Senats ein durchgängiges Fehlen der Tariffähigkeit für den gesamten hier zu beurteilenden Nachforderungszeitraum und damit auch über den 07.10.2009 hinaus bis einschließlich Dezember 2009. Das BAG führte in seinem Beschluss vom 23.05.2012 (Az.: 1 AZB 58/11, Rn. 109 ff.) selbst aus, die ab dem 08.10.2009 geltende Fassung der Satzung der CGZP führe zu keiner anderen Beurteilung. Darüber hinaus hatte es mit seinem Beschluss vom 14.12.2010 die Tariffähigkeit zwar erst ab diesem Tag, also einem späteren Zeitpunkt das Fehlen der Tariffähigkeit festgestellt, in seiner Entscheidung aber die Satzung der CGZP in der Fassung aus dem Jahre 2005 geprüft. Auch hieraus folgt, dass das BAG jedenfalls seit dem Jahre 2005 und mindestens bis 2010 von einem durchgängigen Fehlen der Tariffähigkeit ausgeht.
Infolge des Beschlusses des BAG vom 23.05.2012 sind Nachforderungen aufgrund der fehlenden Tariffähigkeit der CGZP für die Vergangenheit nicht ausgeschlossen (s. bereits den Beschluss des erkennenden Senates vom 20.07.2012, Az.: L 1 KR 72/12 B ER).
Die Beitragsansprüche sind unabhängig davon entstanden, ob die nach dem equal-pay-Prinzip geschuldeten Arbeitsentgelte den Arbeitnehmern tatsächlich zugeflossen sind.
Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV entsteht der Beitragsanspruch, sobald seine im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Der Anspruch auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag entsteht dabei, wenn der Arbeitsentgeltanspruch entstanden ist, selbst wenn der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt nicht oder erst später gezahlt hat. Insoweit folgt das Sozialversicherungsrecht - anders als das Steuerrecht - nicht dem Zufluss-, sondern dem sog. Entstehungsprinzip (Bundessozialgericht, Urteil v. 03.06.2009, Az.: B 12 R 12/07 R; Urteil v. 26.01.2005, Az.: B 12 KR 3/04 R; Urteil v. 14.07.2004, Az.: B 12 KR 7/04 R; zur Verfassungsmäßigkeit des Entstehungsprinzips Bundesverfassungsgericht, Beschluss v. 11.09.2008, Az.: 1 BvR 2007/05).
Auch im vorliegenden Fall ist die Vorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV und nicht etwa § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB IV anwendbar, wonach bei einmalig gezahltem Arbeitsentgelt der Beitragsanspruch erst mit dem Zufluss entsteht. In der Literatur wird insoweit zwar die Auffassung vertreten, der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 wirke konstitutiv mit der Folge, dass Arbeitsentgelt- und Beitragsansprüche erst ab diesem Zeitpunkt entstehen könnten. Es handele sich somit nicht um Ansprüche auf laufendes Arbeitsentgelt, für die nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV das Entstehungsprinzip gelte, sondern um nachträglich rückwirkende Lohnerhöhungen, die wie Einmalzahlungen nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB IV zu behandeln seien. Die konstitutive Wirkung folge aus § 97 Abs. 5 ArbGG (vgl. Plagemann/Brand, NJW 2011, 1488, 1490, 1491). Nach § 97 Abs. 5 ArbGG darf die Frage der fehlenden Tariffähigkeit in der Tat nicht einmal als Vorfrage in einem anderen Rechtsstreit entschieden werden; es bedarf vielmehr der Aussetzung des Verfahrens und der Einleitung eines Beschlussverfahrens. Das BAG selbst hat indes nachvollziehbar ausgeführt, dass eine Entscheidung nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG deklaratorische Wirkung habe. Dies folge gerade aus § 97 Abs. 5 ArbGG, welcher im Wesentlichen sinnlos wäre, wenn die Entscheidung über die Tariffähigkeit nur für die Zeit nach der Verkündung der Entscheidung von Bedeutung wäre (BAG, Urteil v. 15.11.2006, Az.: 10 AZR 665/05, Rn. 22). Wegen der nicht konstitutiven Wirkung der Entscheidung entfällt auch die Grundlage für das Argument, für die Nacherhebung von Beiträgen sei das Zuflussprinzip anzuwenden (so aber Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Beschluss v. 20.04.2012, Az.: L 5 KR 9/12 B ER, Rn. 15). Die nun berücksichtigten Arbeitsentgelte sind somit nicht erst mit der Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 oder gar derjenigen vom 23.05.2012, sondern bereits zuvor entstanden.
Auch wenn die Antragstellerin die Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 für unzutreffend hält, ändert dies nichts an den Erfolgsaussichten der Beschwerde. Der Vorwurf, die Entscheidung verstoße gegen Verfassungsrecht, erscheint zudem fraglich, da das BAG nur einfaches Tarifvertragsrecht ausgelegt und angewendet hat.
Vertrauensschutzgesichtspunkte stehen der Beitragsnachforderung der Antragsgegnerin nicht entgegen.
Allein durch eine fehlende Beanstandung Dritter kann angesichts des Umstandes, dass allein die Arbeitsgerichte zuverlässig über die Tariffähigkeit urteilen können bzw. dürfen, ein schutzwürdiges Vertrauen nicht erwachsen. Wie auch das BAG bereits ausgesprochen hat, wird der gute Glaube an die Wirksamkeit eines Tarifvertrages, namentlich an die Tariffähigkeit einer Vereinigung, nicht geschützt (BAG, Urteil v. 15.11.2006, Az.: 10 AZR 665/05, Rn. 23).
Die Rechtsprechung, nach welcher ein Arbeitgeber sich bis zur Mitteilung einer geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung durch die Einzugsstelle auf die bisherige Rechtsprechung verlassen darf (vgl. Bundessozialgericht, Urteil v. 18.11.1980, Az.: 12 RK 59/79), lässt sich entgegen der von der Antragstellerin und von einer in der Literatur vertretenen Ansicht (Zeppenfeld/Faust, NJW 2011, 1643, 1647) nicht auf den vorliegenden Fall übertragen. Vor dem 14.12.2010 gab es weder eine sozial- noch eine arbeitsgerichtliche höchstrichterliche Rechtsprechung, nach der die CGZP als tariffähig anzusehen war. Im Gegenteil hatte schon im April 2009 das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin die Tarifunfähigkeit der CGZP ausgesprochen (Beschluss v. 01.04.2009, Az.: 35 BV 17008/08). Auch wenn die Arbeitsverwaltung in der Folgezeit noch von der Tariffähigkeit der CGZP ausgegangen sein sollte, stand doch jedenfalls die gerichtliche Entscheidung einem Vertrauensschutz entgegen.
Mitunter wird ausgeführt, entsprechend der arbeitsrechtlichen Lehre vom fehlerhaften Arbeitsvertrag sei von einem Bestand des Tarifvertrages für die Vergangenheit auszugehen (s. etwa Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Beschluss v. 20.04.2012, Az.: L 5 KR 9/12 B ER, Rn. 17). Die Lehre vom fehlerhaften Arbeitsvertrag soll indes Schwierigkeiten bei der Rückabwicklung eines Dauerschuldverhältnisses vermeiden und dient dem Interesse beider Vertragsparteien. Eine Anwendung auf Tarifverträge würde sich durch die zu geringe Lohnhöhe zu Lasten Dritter, nämlich der Arbeitnehmer, auswirken. Dies ist mit der Situation bei einem Arbeitsvertrag nicht vergleichbar. Eine Übertragung der genannten Lehre scheidet daher aus.
Sonstige Umstände, die gegen eine Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides sprächen, sind - bezogen auf den Nachforderungszeitraum von Januar 2008 bis Dezember 2009 - nicht zu erkennen. Insbesondere steht dem das Ergebnis einer vorangegangenen Betriebsprüfung (Prüfzeitraum: Januar 2007 bis Dezember 2010) nicht entgegen (Bescheid der Antragsgegnerin vom 4. November 2011) nicht entgegen.
Die Prüfbehörden sind bei Arbeitgeberprüfungen nach § 28p SGB IV selbst in kleinen Betrieben zu einer vollständigen Überprüfung der versicherungsrechtlichen Verhältnisse aller Versicherten nicht verpflichtet. Betriebsprüfungen haben unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten den Zweck, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Sie sollen einerseits Beitragsausfälle verhindern helfen, andererseits die Versicherungsträger in der Rentenversicherung davor bewahren, dass aus der Annahme von Beiträgen für nicht versicherungspflichtige Personen Leistungsansprüche entstehen. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung kommt den Betriebsprüfungen nicht zu. Sie bezwecken insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm "Entlastung" zu erteilen (BSG, Urt. v 17.04.2004, B 12 KR 1/04 R, Juris Rdnr 44 mwN). Zudem hat die Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass der Bescheid vom 4. November 2011 den Hinweis enthält, dass hinsichtlich der versicherungs- und beitragsrechtlichen Auswirkungen der durch das BAG festgestellten Tarifunfähigkeit der CGZP und der Unwirksamkeit der von ihr geschlossenen Tarifverträge eine gesonderte Prüfung erfolgen werde.
Die nachgeforderten Beiträge wurden, wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt, personenbezogen erhoben und damit einzelnen Arbeitnehmern zugeordnet. Ein der besonderen Prüfung unterliegender sog. Summenbescheid (§ 28 f Abs. 2 SGB IV) liegt damit nicht vor.
Die Antragstellerin hat schließlich selbst mitgeteilt, dass die Vollziehung des Beitragsbescheides für sie keine unbillige Härte bedeuten würde. Auch auf diesen Aspekt hätte eine einstweilige Anordnung somit nicht gestützt werden können.
Die aufschiebende Wirkung der Klage ist insoweit anzuordnen, als Beitragsansprüche für die Zeit vor dem 1. Januar 2008 nach derzeitigem Sachstand mit überwiegender Wahrscheinlichkeit verjährt sind.
Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Nach Satz 2 der Vorschrift verjähren Ansprüche auf vorsätzlich enthaltene Beiträge in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind.
Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV in der ab 1. Januar 2006 geltenden Fassung werden Beiträge, die nach dem Arbeitsentgelt oder dem Arbeitseinkommen zu bemessen sind, sind in voraussichtlicher Höhe der Beitragsschuld spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des Monats fällig, in dem die Beschäftigung oder Tätigkeit, mit der das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt wird, ausgeübt worden ist oder als ausgeübt gilt.
Damit sind die von der Antragsgegnerin geforderten Beiträge gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV jeweils in dem Monat fällig, in dem die Beschäftigung der Leiharbeitnehmer ausgeübt wurde. Im Ergebnis waren hiernach die Beiträge für Dezember 2007 auch im Dezember 2007 fällig. Aus diesem Grund sind die Sozialversicherungsbeiträge, welche die Antragsgegnerin von März bis Dezember 2007 nachfordert bereits zum Zeitpunkt der Betriebsprüfung im März 2012 und somit auch zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides im Mai 2012 gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjährt.
Demgegenüber bestehen jedenfalls ernsthafte Zweifel, ob die Regelung des § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV eingreift, wonach Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres verjähren, in dem sie fällig geworden sind.
Das Arbeitsgericht Berlin hat zwar bereits mit Beschluss vom 1. April 2009 (Az.: 35 BV 17008/08) die Tarifunfähigkeit der CGZP festgestellt. Ob hingegen die Antragstellerin den Eintritt einer rückwirkenden (weitergehenden) Beitragspflicht für möglich gehalten hat, kann allein nach Maßgabe des jeweiligen Einzelfalles beurteilt werden. Entsprechende einzelfallbezogene Feststellungen sind hierzu bisher nicht getroffen worden. Ohnehin ist die endgültige Klärung der Tariffähigkeit der CGZP (bezogen auf den hier maßgeblichen Zeitraum ab März 2007) erst durch den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 23. Mai 2012 erfolgt. Für die Zeit davor kann aus diesem Grund bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung nicht von einer Kenntnis der Antragstellerin, die eine vorsätzlichen Vorenthaltung des rechtmäßigen Sozialversicherungsbeitrages durch die Antragstellerin begründen könnte, ausgegangen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 155 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 1 und 3, 53 Abs. 2, 47 Gerichtskostengesetz (GKG). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Hälfte der Beitragsforderung festzusetzen (vgl. Beschluss v. 29.11.2011, Az.: L 1 KR 391/11 B ER).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das BSG angefochten werden (§ 177 SGG).