Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 14.02.2013, Az.: L 11 AS 1171/12 NZB

Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren; Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache; Verfassungsmäßigkeit des Regelbedarfs für Alleinstehende beim Anspruch auf Arbeitslosengeld II

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
14.02.2013
Aktenzeichen
L 11 AS 1171/12 NZB
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 36330
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2013:0214.L11AS1171.12NZB.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 10.09.2012 - AZ: S 50 AS 4816/10

Tenor:

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 10. September 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Der für das Beschwerdeverfahren gestellte Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I. Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts (SG) Hannover vom 10. September 2012.

Der 1958 geborene Kläger steht im laufenden Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Gegen die mit Bescheid vom 21. September 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2010 erfolgte Leistungsgewährung für die Zeit vom 1. November bis 30. April 2011 (771,79 EUR pro Monat) hat der Kläger am 30. November 2010 beim SG Hannover Klage erhoben und geltend gemacht, von den bewilligten Leistungen nicht leben zu können. Er habe Zweifel an der Vereinbarkeit der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts mit dem Grundgesetz. Während des laufenden Klageverfahrens hat der Beklagte aufgrund der mit Wirkung ab 1. Januar 2011 erfolgten Änderung des § 20 SGB II den monatlichen Leistungsbetrag auf 776,79 EUR erhöht (Bescheid vom 25. März 2011).

Das SG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass aufgrund der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09) und des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12. Juli 2012 (B 14 AS 153/11 R) keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelleistung (bis 31. Dezember 2010) bzw. des Regelbedarfs (ab 1. Januar 2011) beständen. Ergänzend hat das SG darauf hingewiesen, dass unabhängig davon, ob man die Höhe der Regelleistung bzw. des Regelbedarfs als verfassungswidrig ansehe, von einer Aussetzung des Gerichtsverfahrens bis zu einer etwaigen Neuregelung abgesehen werden könne, weil auch das BVerfG in seiner o.g. Entscheidung von der Anordnung einer Rückwirkung der Neuregelung abgesehen habe. Die Berufung hat das SG nicht zugelassen (Urteil vom 10. September 2012). Den Antrag auf Zulassung der Sprungrevision hat das SG durch Beschluss vom 10. Dezember 2012 als unzulässig verworfen.

Gegen das dem Kläger am 15. September 2012 zugestellte Urteil richtet sich seine am 12. Oktober 2012 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde, für die er die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt. Er strebt eine Entscheidung seines Rechtsstreits durch das Bundessozialgericht an.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet, da kein Zulassungsgrund nach § 144 Abs 2 Nr 1 oder Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vorliegt. Ein Zulassungsgrund nach § 144 Abs 2 Nr 3 SGG war mangels entsprechender Verfahrensrüge nicht zu prüfen.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft, da ausweislich des vom Kläger erstinstanzlich gestellten Antrags lediglich weitere SGB II-Leistungen in Höhe von 180,- Euro streitig sind. Eine Berufung ist dagegen erst bei einem Wert des Beschwerdegegenstandes von mehr als 750,- Euro zulässig, wenn es - wie im vorliegenden Fall - um wiederkehrende oder laufende Leistungen von nicht mehr als einem Jahr geht (vgl. § 144 Abs 1 S 1 und 2 SGG).

Die Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil ist in den in § 144 Abs 1 S 1 SGG genannten Fällen zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 144 Abs 2 SGG).

Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Rechtsmittelgericht bedürftig und fähig ist. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage nur, wenn sie bisher nicht geklärt ist und ihre Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Ist die Rechtsfrage dagegen bereits höchstrichterlich entschieden worden, ist sie nicht mehr klärungsbedürftig (vgl. BSG, Beschluss vom 25. August 2011 - B 8 SO 1/11 B; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 160 Rn 8 mit umfangreichen weiteren Nachweisen).

Dass die bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Regelleistungen nach § 20 SGB II (in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung) mit Art 1 Abs 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG unvereinbar waren, ist bereits vom BVerfG entschieden worden (Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09 u.a., BVerfGE 125, 175) und dementsprechend nicht mehr klärungsbedürftig. Dort ist ebenfalls bereits entschieden worden, dass trotz der Unvereinbarkeit der bis 31. Dezember 2010 geltenden Regelungen kein Anspruch auf höhere SGB II-Leistungen für die Zeit bis zum 31. Dezember 2010 besteht (BVerfG, aaO., Rn 210ff.). Die Verfassungsmäßigkeit der ab 1. Januar 2011 geltenden Regelbedarfe zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 20 SGB II in der seit 1. Januar 2011 geltenden Fassung) ist vom BSG höchstrichterlich bestätigt worden, so dass auch diese Rechtsfrage nicht mehr klärungsbedürftig ist (Urteil vom 12. Juli 2012 - B 14 AS 153/11 R, NZS 2013, 108)

Dass der Kläger trotz der o.g. Entscheidungen des BVerfG und des BSG insoweit nach wie vor eine andere Auffassung vertritt, vermag eine grundsätzliche Bedeutung nicht zu begründen (vgl. BSG, Beschluss vom 20. Juni 2003 - B 4 RA 208/02 B). Ebenso wenig ist diese Rechtsfrage trotz der bereits vorliegenden Rechtsprechung des BVerfG bzw. des BSG erneut klärungsbedürftig geworden. Dies würde voraussetzen, dass der Rechtsprechung des BSG und des BVerfG in nicht geringfügigem Umfang widersprochen würde oder wesentliche neue Gesichtspunkte gegen diese Rechtsprechung vorgebracht würden (vgl. BSG, Beschluss vom 25. September 2009 - B 8 AY 3/09 B; Leitherer, aaO., § 160 Rdnr 8b). Dies ist nicht erkennbar. Insbesondere ist der Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Berlin vom 25. April 2012 (S 55 AS 9238/12, ZFSH/SGB 2012, 345; Az. des BVerfG: 1 BvL 12/12) vor - und nicht etwa nach - der BSG-Entscheidung vom 12. Juli 2012 ergangen.

Die Berufung ist auch nicht wegen Divergenz zuzulassen. Dies würde gem. § 144 Abs 2 Nr 2 SGG voraussetzen, dass ein abstrakter Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung mit einem Rechtssatz in einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts nicht übereinstimmt und der angefochtenen Entscheidung tragend zugrunde liegt (vgl. BSG, Beschluss vom 19. November 2009 - B 13 RS 61/09 B, Rn 14; Leitherer, aaO., § 160 Rn 13). Das SG hat sich dagegen ausdrücklich an den zur Frage der Verfassungsmäßigkeit von Regelleistung bzw. Regelbedarf ergangenen höchstrichterlichen Entscheidungen orientiert.

Verfahrensfehler sind nicht zu prüfen, da keine entsprechenden Verfahrensrügen erhoben worden sind (vgl. zum Erfordernis der ausdrücklichen Geltendmachung und Darlegung eines konkreten Verfahrensmangels im Rahmen des § 144 Abs 2 Nr 3 SGG: BSG, Urteil vom 21. März 1978 - 7/12/7 RAr 41/76, SozR 1500 § 150 Nr 11; Urteil vom 15. Mai 1985 - 7 RAr 40/84, SozSich 1985, 346; Leitherer, aaO., § 144 Rn 36).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Beschluss ist in Anwendung von § 177 SGG unanfechtbar.